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Die Artikulation von MigrantInnen wird seit einigen Jahren auch im
herrschenden Blick interessiert zur Kenntnis genommen, solange sie als
multikulturelle Bereicherung des Eigenen und als Versuch von Integration
des Anderen gedreht werden kann. Die Konstruktion des Fremden bildet den
Boden des Checks, ob die Repräsentation des Anderen für die
Selbstbestätigung westlicher Toleranz brauchbar ist oder sich dieser
verweigert und ausgeschlossen bleibt. Ob als Problem, Opfer, Störung
oder als Exotik, dem Herkunftsterror entkommt hierzulande kaum ein Mensch,
der als Nichtdeutsch gekennzeichnet ist. Streckenweise auch in diesem
Interview nicht, trotz des Widerwillens, diese Identifizierung ebenfalls zu
inszenieren.
Das Hip Hop-Projekt "DJ Mahmut & Murat G." existiert seit
Anfang der 90er. Wenige Jahre zuvor hatten sie sich beim gemeinsamen
Gitarrenuntericht kennengelernt. Ihr musikalischer Einstieg war durch Rock-
und Funkmusik bestimmt. Seit '94 gibt es das eigene Label
Looptown, auf welchem die
erste Scheibe "Looptown presents
turkish Hip Hop", zusammen mit Volkan T., und KMR, erschien. Die zweite
kam '97 heraus und heißt "Garip Dünya", zu welcher in
der Türkei ein clip produziert worden ist, der dort zusammen mit der
in Istanbul neu aufgelegten zweiten Platte demnächst erscheint. Im
Anschluß an den Video-Dreh veranstalteten sie in einem Club ein
Konzert, die erste Hip Hop-jam mit Breakdance, DJ und MC in Istanbul. Im
Januar '99 folgt eine Tournee durch mehrere Städte der Türkei
(Istanbul, Ankara, Izmir).
Wie begreift ihr Euer Projekt, macht ihr alles gemeinsam oder gibt es eine
Arbeitsteilung?
Mahmut: Nee, eine klare Arbeitsteilung haben wir eigentlich nicht. Jeder
macht das, was er machen will. Ich schreibe auch Texte, obwohl ich nicht
rappe. Ich interessiere mich irgendwie für alles, was schwarze Musik
angeht. Und beim Hip Hop auch für Graffiti, Texte schreiben, Beats
machen. Bei anderen Musikrichtungen ist es ja auch so, daß einige
Bandmitglieder verschiedene Instrumente spielen können: Schlagzeuger
singen oder Gitarrenspieler nehmen dann mal den Baß, oder sonst was.
Es ist kein Problem sich abzuwechseln.
Murat: Ja gut, aber es ist beim Hip Hop oft so, daß die Leute eine
Arbeitsteilung zwischen dem DJ und dem MC haben. Bei uns halt nicht. Nur
live gibt es eine Arbeitsteilung, er rappt nicht und ich lege bei Konzerten
keine Platten auf.
Manchmal taucht bei euch noch ein dritter Name auf, oder?
Murat: Bei den Konzerten sind häufig andere Leute dabei. Meistens
Volkan T., der auch zu unserem Label Looptown
gehört, und
Sesco D., der Raggamuffin macht.
Mahmut: Unsere roots liegen in einer Funk-Band, zu der Volkan später
dazu stieß. Dann haben wir mit Volkan einen Übungsraum aufgebaut
und Geräte gekauft. Aber wir wollten eigentlich schon immer Rap machen.
Wir konnten uns aber die Geräte noch nicht leisten, hatten keinen
Sampler und so... Seit 1993 geben wir Konzerte, vom kleinsten Jugendzentrum
bis zu Festivals mit bis zu zweitausend Leuten.
Murat: Am Anfang haben wir mit klassischen Instrumenten Musik gemacht,
konnten aber den Sound nicht herstellen, den wir gerne mögen. Also
hat es sich angeboten mit einem Sampler zu arbeiten....
Mahmut: Irgendwelche alten Funk-Samples kann man schwer so nachspielen,
daß sie wie im Original klingen. Das wollten wir aber.
"...Musik,
die mir gefällt - auch wenn sie obskur ist."
Woher bezieht ihr die Samples?
Gibt's da bestimmte Kriterien, nach denen
ihr entscheidet, welche ihr nehmt?
Murat: Sie müssen vor allen Dingen groovig sein und eine gute
Atmosphäre herstellen. Das ist mir wichtig.
Mahmut: Also ich nehme eigentlich alle Samples, bei denen ich weiß,
daß die Musiker mehr oder weniger in Ordnung sind. Deutsche
Schlagermusik oder so was würde ich nie anrühren oder
irgendwelche Märchen-Platten auch nicht. Musik, die mir gefällt
- auch wenn sie obskur ist. Also, ich habe italienische oder
französische Chansonsplatten, Schlager, oder italienische Popmusik
aus den siebziger Jahren. Auch wenige Deutsche Sachen, aber: das muß
geheim bleiben.
Eure neue Platte heißt "Garip Dünya"...
Mahmut:...fremde, verkehrte, merkwürdige Welt...
...und in euren Texten benutzt ihr drei Sprachen.
Murat: Daß drei Sprachen auf der Platte sein sollten, das war
eigentlich nicht von vornherein geplant, es hat sich eher so ergeben. Klar
war nur, daß deutsch und türkisch drauf sein sollten. Bei einem
Konzertaustausch namens "Le Fonk Connection" mit Hip Hop-Bands
aus Paris kam es zur Zusammenarbeit mit einigen Musikerinnen und Musikern,
die ziemlich gut auf französisch gesungen und gerappt haben. Das hat
uns auf Anhieb gefallen, mit denen waren wir gleich auf einer
Wellenlänge. So haben wir sie dann für unsere Platte eingeladen.
Mahmut: Wir wollen demnächst mit denen und ein paar anderen Bands aus
Frankfurt zusammen einen Sampler rausbringen. Die Bands kommen alle aus
einem Vorort im Norden von Paris. Wir waren selber dort. Die meisten von
ihnen waren arbeitslos, haben noch bei ihren Eltern gewohnt und kein Studio
gehabt, gar nichts, der eine war sogar obdachlos, hat dann auch bei uns im
Hotel geschlafen, als wir dort waren. Die hatten einen Hip Hop-Verein mit
dem Namen "Hip Hop-Generation", der ist eigentlich ganz gut
gelaufen, aber nach einem halben Jahr haben wir gehört, daß sie
sich aufgelöst haben. Die haben sich irgendwie verzettelt - haben
ziemlich viel Schulden gemacht - und sind untergetaucht. Dann haben wir
uns gedacht: Alles klar, die melden sich nicht mehr, die machen irgendwo
anders weiter.
"Man
spielt mit diesen Andeutungen, um sie dann wieder zu brechen."
Ihr habt in euren Stücken Poesien, Hardcore und auch Arabesk-Samples
drin. Auf der einen Seite legt ihr euch durch die Benutzung verschiedener
Sprachen nicht fest, auf der anderen Seite ruft ihr die darin jeweils
liegenden Assoziationen auf.
Murat: Das ist einfach ein Spiel mit den verschiedenen Elementen. Mir ist
es wichtig, sich nicht auf eine bestimmte Soundform festzulegen. Man
spielt mit diesen Andeutungen, um sie dann wieder zu brechen.
Verwendet ihr orientalische Sample-Originale nur aus der Türkei, oder
auch aus anderen Ländern?
Mahmut: Wir haben auch ägyptische Samples, Samples aus Afghanistan.
Wir nehmen sie solange es gut klingt. Wir greifen auf seltene Samples
zurück, damit nicht gleich jeder erkennt, woher das kommt. Viele
Rap-Bands sampeln auch die türkischen Pop-Highlights, die sehr
berühmt sind und das finde ich zu einfach.
Murat: Die Sprache setzen wir als Medium ein und wir haben
Möglichkeiten uns auf deutsch und türkisch auszudrücken.
Wenn wir noch andere Möglichkeiten hätten, hätten wir die
auch noch genommen.
Mahmut: Die türkische Sprache ist natürlich auch wichtig, sonst
hätten wir alles auf deutsch gemacht - so wie viele andere. Wir
wollten aber zeigen, daß es türkische Rapper gibt, die etwas
anders klingen. Viele denken - vorurteilsbedingt - türkische Musiker
würden nur ihre türkische Musik zum Bauchtanzen machen. Wir
haben extra die Musik und die Texte kontrastiert. Das heißt
orientalische Samples gehen mit deutschen Texten zusammen. Dann haben wir
auf Stücken mit Hardcore-Samples türkisch gerappt.
"In
Interviews werden wir häufig mit der Identitätskeule
geschlagen."
Wie nehmt ihr die Rezeption eurer Musik durch die Medien wahr?
Murat: Ich finde die Wahrnehmung funktioniert immer über die Ethnie
und nie über die Musik oder die Inhalte der Texte. In Interviews
werden wir häufig mit der Identitätskeule geschlagen. Das
funktioniert dann nur über "Türke macht in Deutschland
Musik, und Türke sagt in Deutschland etwas aus". Mit dieser
Wahrnehmung müssen wir bei jedem Interview leben.
Mahmut: Ja, das sind aber Leute, die die Musik nicht so wichtig nehmen.
Also, bei denen kommt's nicht aus dem Herzen. Die haben kein Interesse am
Hip Hop. Also, ich höre mir auch Rap an, den ich nicht verstehe. An
dem Vibe spüre ich schon, ob die Leute korrekt sind, oder nicht. Auch
durch die Musik. Mir ist es egal, ob die Leute denken, "Türke
macht Hip Hop". Deshalb haben wir auch unsere Vornamen genommen und
keine englisch klingenden Künstlernamen. Das machen fast alle, auch
beim Breakdance oder Graffiti. Es ist eigentlich selten, daß die
ihre eigenen Namen nehmen. Einige Leute haben Witze darüber gemacht,
die haben gesagt, das klingt ja wie Klaus und Peter, wie Martin und Moritz.
So könnte man sich doch nicht nennen, vor allem nicht als Rapper. Die
haben das dann niedergemacht.
Ich habe den ersten Track auf eurer neuen CD so verstanden, daß es
darum geht, Gedanken und Ideen neu zu entwickeln. Sich nicht in einem
engen Rahmen zu bewegen, sondern vorwärtszukommen, weiterzukommen.
Nur stellt sich dann die Frage, wenn von Kreativität oder
Eigenverantwortlichkeit die Rede ist, an welche Ideen oder Inhalte ihr
denkt. So gesehen könnte das, was ihr ausdrückt, eigentlich
jeder für sich übernehmen. Der letzte Müll könnte als
eigene Sache begriffen werden.
Murat: Das ist nicht das Problem bei unseren Texten. Da sind die Inhalte
ganz klar, es geht um Ausbeutung, es geht um Diskriminierung, es geht...
Mahmut:...es handelt sich um ernsthafte Texte...
Murat:...es geht auch um die Kommerzialisierung von Musik.
Mahmut:...alles, was Scheiße ist...
Murat:...ziemlich viele Dinge die einem hier halt stinken in Deutschland...
Mahmut:...und es geht auch gegen Nonsens. Die türkischen Texte sind
radikaler als die deutschen. Die behandeln etwa, wenn auch indirekt, die
politische Lage in der Türkei.
Vielleicht könnt ihr dazu ein Beispiel nennen?
Murat: Also ich finde nicht, daß die türkischen Texte radikaler
sind. Ich finde, die sind sehr viel poetischer und interessanter. Da ist
viel mehr Melancholie drin und da liegt auch mehr Anklage drin. Zum
Beispiel bei "Nereye Baksam" oder "Kalles".
"Kalles" richtet sich gegen politische Demagogen.
Mahmut: "Kalles" ist ein Schimpfwort...
...und bezieht sich auf...
Mahmut:...Politiker...
Mahmut: Die Texte sind zwar auf türkisch, das heißt auf die
politische Lage in der Türkei zugeschnitten, aber der Inhalt
läßt sich in jede Sprache übersetzen, der trifft hier auch
zu. Wir haben bewußt Sachen raus gelassen, bei denen Leute denken
würden, das sei etwa allein gegen islamische Fundamentalisten gerichtet.
Murat: Das ist bei allen unseren Texten so, das sie nicht auf die
Verhältnisse in einem Staat zugeschnitten sind. Eine Ausnahme bildet
das Stück "Sevgi Dolu Günler", da geht's explizit um
die diskriminierende rassistische Situation für Migranten in
Deutschland. Der Text ruft dazu auf, sich zu wehren und nicht darauf zu
warten, daß man hier Rechte zuerkannt bekommt. Es geht darum, den
staatlichen Rassismus gemeinsam anzugreifen und sich nicht gegenseitig
fertig zu machen, sich nicht individualisieren zu lassen.
Ich finde die auf türkisch gerappten Stücke weicher und
flüssiger und die deutschen knallen eher.
Murat: Zum Teil liegt das an der Sprache, die deutsche Sprache ist ein
bißchen härter. Aber zum Teil auch daran, daß ich
früher mehr auf türkisch gerappt habe als auf deutsch. Auf
deutsch zu rappen ist eigentlich ein neueres Ding, da fehlt mir einfach
die Übung. Deswegen rappe ich in diesen Texten manchmal ein
bißchen holprig. Es gibt in unseren Stücken mehr Melodien in
den türkisch gerappten Teilen. Da hab ich es ein bißchen
einfacher, mit der Sprache zu arbeiten und eine gewisse Atmosphäre zu
schaffen. Das ist mir auf deutsch noch nicht so gelungen.
Damit meine ich den Klang der Sprache. Wir sprechen den Slang, den die
Leute sprechen, die hier aufgewachsen sind und die Sprachen mixen. Wenn
ich rappe, klingt das nicht so wie bei jemanden, der immer in der
Türkei gelebt hat.
Mahmut: Und es ist auch nicht immer richtig ausgesprochen. Für uns
klingt das schon richtig, weil wir hier in Deutschland leben. Aber die
türkische Sprache, die die Türken hier reden, ist schon anders,
als die in der Türkei. Die hier ist auch etwas altmodischer, sagen
viele. Leute aus der Türkei meinen, das sei ein Türkisch, das
vor dreißig Jahren gesprochen wurde. Wir haben auch eigene Metaphern
erfunden, die's eigentlich nur im Deutschen gibt und die haben wir ins
Türkische übertragen. Die Leute hier verstehen das.
Wie ist es eigentlich mit der neuen Platte gelaufen? Ich hatte den Eindruck,
daß sie ziemlich gut angekommen ist.
Murat: Es war ein Achtungserfolg. Die Resonanz in den Medien war ziemlich
positiv. Mit der Platte hätte man eigentlich viel mehr erreichen
können, aber sie hat leider nicht die Leute erreicht, die wir
erreichen wollten. Das liegt einerseits daran, daß wir kein Geld
für Werbung haben. Dann wird bei türkischem Hip Hop auch oft
unterstellt, daß man unter sich bleiben wolle. Und wir verfügen
auch nicht über diese ganze Major-Vertriebsstruktur. Wir haben das im
Alleingang gemacht: das Label, die Produktion und so weiter.
"Hip Hop
gegen Rassismus und Türpolitik"
Ihr habt vor einem Jahr eine Kundgebung "Hip Hop gegen Rassismus und
Türpolitik" vor dem Frankfurter Club "Nachtleben"
mitorganisiert und seid dort auch aufgetreten. Könnt ihr mal
beschreiben wie es dazu kam?
Murat: Das war eines der Beispiele in denen rassistische Zuschreibungen
aufgrund unserer Musik, unseres Namens und der Sprache die wir verwenden
vorgenommen wurde. Nur weil man Hip Hop macht und dabei die türkische
Sprache verwendet, wird unterstellt, daß Personen, die unsere
Konzerte besuchen, Gewalt anwenden. Vom "Nachtleben" gab es nach
der guten Presse zu unserer zweiten Platte bereits eine mündliche
Zusage für einen Auftritt von uns. Diese wurde dann kurz vor dem
Konzert zurückgenommen. Wir haben das damals eher zufällig der
fehlenen Ankündigung im Clubprogramm entnehmen müssen. Dabei gab
es unterschiedliche Begründungen. Offiziell hieß es später,
daß immer weniger Leute zu Hip Hop-Konzerten kämen und es da
meistens Ärger gebe. Signalisiert wurde uns aber auch: "Kein
türkischer Hip Hop im Nachtleben." Das Nachtleben betreibt
ohnehin eine repressive Türpolitik, bei der Leute mit rassistischen
Argumenten an der Tür abgewiesen werden. So kamen wir auf die Idee an
dem Tag, an dem eigentlich das Konzert stattfinden sollte, im Rahmen einer
Kundgebung
mit der Innenstadt
Aktion
auf diese Situation aufmerksam zu machen. Wir haben viele unserer Freunde
eingeladen an dem Abend zu rappen und Platten aufzulegen, haben
Flugblätter verteilt und es gab warme Getränke. Es war Oktober
und schweinekalt.
Mahmut: Man kann nicht hundertprozentig leugnen, daß auch harte
Typen zu unseren Konzerten kommen...
...aber zumindest paßt es ja auch mit der Politik des
"Nachtlebens" zusammen, daß sie an der Tür
aussortieren, wie viele Migranten und Migrantinnen rein dürfen und
auch welche.
Murat: In diesem Zusammenhang muß man auch erwähnen, daß
das "Nachtleben" und die "Batschkapp" dem gleichen
Besitzer gehören, nämlich Ralf Scheffler. In der
"Batschkapp" war es möglich, daß eine Band wie
"Death in June", die eindeutig mit der rechtsextremen Szene
verbunden ist, spielen konnte. Da könnte man durchaus einen Trend
festmachen. Ralf Scheffler kommt aus der Frankfurter Sponti-Szene der
siebziger Jahre, und in dem Zusammenhang ist auch die
"Batschkapp" entstanden. Sie hatte zunächst einen sehr
offenen Charakter. Das scheint sich jetzt zu ändern. Zumindest
muß man diese Konzertpolitik zur Kenntnis nehmen.
"Man
muß den Raum so besetzen, daß es nicht in deren Bild
paßt."
Gleich zu Anfang eures Auftritts bei "Sound of Frankfurt", einem
riesigen Musik-Event mit mehreren Bühnen in der Frankfurter Innenstadt,
habt ihr euch von der Veranstaltung distanziert. Wie kam es dazu?
Mahmut: Ich hatte keine Lust dort zu spielen. Fünf Minuten vor dem
Konzert haben wir uns noch gestritten, ob wir spielen oder nicht. Bei
"Sound of Frankfurt" wird eine heile Welt vorgegaukelt. Die Bands
werden verarscht. Wenn ich schon das Vorwort in der Ankündigung von
der Oberbürgermeisterin Petra Roth lese... In Deutschland werden
Migranten seit mehr als dreißig Jahren nicht wahrgenommen. Wir stehen
jetzt in der Arranca, weil ihr vielleicht denkt, o.k., die sind korrekt die
Leute, aber im großen und ganzen in Deutschland sehe ich kein
großes Interesse.
Murat: Ich denke, das hat nicht so viel mit dem "Migrantsein" zu
tun, ob man bei "Sound of Frankfurt" auftritt oder nicht.
Sondern damit, daß man sich Räume nicht wegnehmen
läßt. Man muß den Raum so besetzen, daß es nicht in
deren Bild paßt. Das war der Grund warum ich da auftreten wollte.
Wir sind dann auf die Bühne gegangen und ich habe gesagt, daß
wir an dem Abend nicht nur für das Publikum spielen wollen, sondern
auch gegen die vielen Bullen, die dort herum laufen und gegen "Zeil
Aktiv". "Zeil Aktiv" ist ein Zusammenschluß von
Anliegern der großen Einkaufsfußgängerzone Zeil, die
schon seit einigen Jahren mit privaten Sicherheitsdiensten und durch die
Zusammenarbeit mit Stadt und Polizei die Privatisierung der Straße
vorantreiben und dafür sorgen, daß unerwünschte Personen
vertrieben werden. Und die Zeil war eben der Ort, an dem wir aufgetreten
sind. Die Bühne stand genau neben dem kleinen gläsernen
Info- Sicherheit- Sauberkeits- Häuschen, von wo aus der ganze
Scheiß koordiniert wird.
Unsere Bemerkung fiel dann einigen unangenehm auf. Die Moderatorin sprang
entsetzt von der Bühne mit dem Satz: "Ich geh' jetzt wohl
besser." Dem Veranstalter hat's überhaupt nicht gefallen. Er
meinte, daß man so was nicht verallgemeinern könnte, da die
Polizei sich sehr kooperativ verhalten habe. Viele andere Leute kamen
hinterher und fanden es echt geil, meinten, es sei endlich mal was anderes
auf der Bühne.
Und ich finde, wenn man es ausnutzen kann, vor einem so großen
Publikum mit der eigenen Musik und den Texten präsent zu sein, sollte
man das tun. So eine geballte Öffentlichkeit hat man nicht so oft.
Von daher fand ich es auch interessant, auf so einer Veranstaltung zu
spielen.
Mahmut: Aber nicht ohne Kommentar.
Murat: Die Texte sind auch ein Kommentar.
Mahmut: Ich glaube nicht, daß die da auf die Texte gehört haben.
Nach diesem Auftritt in der Frankfurter Innenstadt gab es Berichte in der
türkischen Presse in Deutschland. Inwiefern unterscheidet sich die
Rezeption in der türkischsprachigen von der in der deutschsprachigen
Presse?
Murat: Von den deutschen Medien werden wir allgemein eher als Türken,
die in Deutschland Musik machen, wahrgenommen. Man wird dann kurzerhand zum
Experten für Integration erklärt und nach der Erfahrung mit
rechten Skinheads gefragt. Nach dem Konzert bei "Sound of
Frankfurt" gab's einen Artikel in der türkischen Zeitung
"Sabah" mit der Headline: "Wir waren auch bei 'Sound of
Frankfurt'". Da es nicht als Zitat ausgewiesen ist, hat es eine
vereinnahmende nationalistische Tendenz. Der Tenor war: "Türken
waren jetzt auch mal bei 'Sound of Frankfurt' dabei, bei einem
europäischen Fest, wo viele Deutsche sind, sind jetzt auch
Türken präsent."
"...Klischees,
die sie im Kopf haben..."
Murat, du wirst in der Zeitschrift "Spex" 8/1997 mit dem
einprägsamen Satz zitiert: "In Deutschland werden wir zu
Türken gemacht!". Ihr habt auf eurem Album ein Stück mit dem
Namen "Stets tun sie hören", in dem es heißt:
"klischees bestimmen den erfolg/paßt du in das bild das man
sehen will/so ist alles ganz schrill/schublade auf und du bis number
one/doch sowas ist schnell zerronnen/nichts gewonnen nur verloren/der
blick ist eng und voll mit teer/(...)kreativität wird erstickt und
nicht beachtet/fast schon verachtet/bist du dann mit deinen
sachen..." Das bezieht sich ja wohl darauf, daß ihr in
Deutschland zu Türken gemacht werdet. Auf der anderen Seite, wenn man
sich auf eine "multikulturelle Identität" bezieht, dann kann
man auch bekannt werden, dann schafft man vielleicht auch einen
größeren Sprung nach vorn. Wie seht ihr das?
Mahmut: Als "0-8-15-Deutsche" hätten wir vielleicht nicht
so viel Beachtung bekommen, wie als türkische Band.
Murat: Ich bin mir sicher, wir hätten sehr viel Erfolg gehabt, wenn
wir auf deutsch gesungen hätten und klassische und klischeehafte
Texte machen würden. Wie zum Beispiel, in dem aktuellen Stück
von "Jazzkantine": "Ich schlag' dich Krankenhaus". Die
machen damit auf young, angry Kanake.
Mahmut: Das sind auch Tali und Rossi von "Fresh Familee" und
"TCA". Hätten die das unter diesen Namen gemacht, wäre
das nicht hochgekommen. Das funktioniert, weil es "Jazzkantine"
ist....
Murat: Das muß nur dem Klischee von einem aggressiven Migranten
entsprechen. Ich bin mir sicher, wir hätten mit so etwas auch mehr
Erfolg gehabt, als mit irgendwelchen nachdenklichen kritischen Texten.
Auch wenn das in dem Stück von "Jazzkantine" ein
bißchen selbstironisch rüber kommt...?
Murat: Mir geht es gar nicht so sehr um das Lied selbst, sondern darum,
daß man über solche Texte den weißen Mittelstandskids nur
die Klischees, die sie im Kopf haben, bestätigt.
Auffällig ist, daß MigrantInnen in Deutschland sofort mit ihrer
nationalen Herkunft konfrontiert werden, sobald sie in der eigenen Sprache
rappen.
Mahmut: Also, würden wir hier jetzt alle auf deutsch rappen, egal was
für einen Blödsinn, dann würde sich keiner groß
aufregen. Das Türkische ist wie ein Signalwort. Auf einmal wachen
alle auf...
Murat: Die erste Platte haben wir nur auf türkisch gemacht.
Bewußt, auch um zu provozieren, um gegen die Vorstellung anzugehen,
daß man deutsch singen muß, um verständlich zu bleiben.
Mahmut: Manche die auf deutsch singen, zum Beispiel die "Goldene
Zitronen", die sind linksradikal. Aber wenn man als Türke hier
türkisch rappt, dann wird gleich unterstellt, man sei stolz auf seine
Sprache, stolz auf die Türkei. Alles klar, der ist gegen die Kurden.
Das ist Rassismus, wenn man das nicht differenziert, und es auch gar nicht
will.
Murat: Der Punkt ist einfach, wenn die Medien hier sich über
türkische Texte äußern wollen, dann müssen sie die
auch verstehen und sich damit auseinandersetzen. Es gibt Gruppen, die
singen auf türkisch, und bei denen ist klar, daß sie
Nationalisten sind. Aber bei unseren Texten ist auch klar, wo wir stehen.
"...daß
man sich nicht nur hinstellen darf und an das Gute im
Menschen appelliert..."
Ayse Caglar spricht in ihrem Text - in dem Buch "Globalkolorit" -
über die Berliner Hip Hop-Szene von einer
"verordneten Rebellion". Sie ist der Ansicht, daß
insbesondere der türkische Hip Hop in Berlin die Rolle der
Sozialarbeit gegenüber den MigrantInnen-Kids übernommen
hätte.
Mahmut: Mir fällt auf, daß Murat und Volkan auch schon wie
Sozialarbeiter denken...
Murat:...aber ich bin kein Sozialarbeiter. Du studierst das, nicht ich...
Mahmut: Trotzdem.
Murat: Durch die Texte könnte man das schon vermuten, weil sie
teilweise sehr moralisch sind. Im Nachhinein ist mir auch aufgefallen,
daß das nicht so toll ist.
Meinst du diesen Text mit dem französischen Refrain von "Seh' die
Blicke"? Da wird die Geschichte erzählt, wo einer von euch in der
U-Bahn sitzt und eine alte Frau angegriffen wird und er geht mit gutem
Beispiel voran?
Murat: Nee, den meine ich eigentlich gerade nicht. Mit einem moralischem
Text meine ich einfach nur, daß man sich nicht nur hinstellen darf
und an das Gute im Menschen appeliert und einfache Schwarz- Weiß-
Malerei betreibt.
Mahmut: Moralapostel heißt doch, einfach zu sagen: "Also, ich
find' das nicht gut". Das höre ich auch bei vielen anderen
Rappern, auch aus den USA und Frankreich. Das hat eine lange Tradition im
Hip Hop. Da geht es nur darum zu sagen, benehmt euch gut, seid nett
zueinander. Es geht sehr wenig um Argumente, sondern ums Korrekt sein.
Wenn einer ein Arsch ist, Mut zeigen, wenn einer unkorrekt ist, korrekt
sein, keine Vorurteile haben, sich Gedanken machen über seine eigenen
Vorurteile.
Aber liegt das nicht auch daran, daß man da keine riesigen
Ausführungen machen kann. Jeder und jede kann sich ein stückweit
aussuchen, wie und was er darin sehen will, welche Bilder man sehen will.
Insofern finde ich das eine ziemlich harte Selbstkritik, die ihr da
leistet. Ich weiß nicht, ob ihr euch jetzt nicht an einem
Maßstab meßt, den das Medium Hip Hop nicht leisten kann.
Murat: Du hast Recht, daß solche Texte immer eine Komprimierung
darstellen und ich finde es auch unheimlich schwierig Texte zu schreiben.
Bei mir ist das so: Ich versuche schon viel mit Bildern auszudrücken,
um dadurch eine Atmosphäre zu schaffen. Darüber kann man noch am
ehesten einen Zugang kriegen. Vielleicht entdecken manche dann auch Dinge,
die sie selbst so wahrgenommen haben. Aber es ist auch deshalb schwierig
Texte zu schreiben, weil man beachten muß, daß sie zum Sound
passen, sich reimen und irgendwie eingängig sind. Man muß damit
ja auch vor einem Publikum auftreten, den Text in einer wahnsinnigen
Geschwindigkeit einfach runtererzählen und dabei verständlich
bleiben. Und auf Platte soll es auch funktionieren. Und wir wollten Texte
machen, die dem, was man von Hip Hop erwartet, entgegenstehen.
Mahmut: Im Hip Hop gibt es nicht so viele Poeten.
"Keine
Aufträge annehmen!"
Etwas fällt mir noch zu dem Sozialarbeiter- Vorwurf ein. In einer
Ausgabe des Zeitgeistmagazins "Prinz" war ein Artikel
über die zehn besten deutschen Hip Hopper. Außer
"Aziza A." war kein einziger nichtdeutscher Hip Hop dabei.
"Prinz" war der Meinung, das Gute an ihr sei, daß sie sich
um die türkischen Mädchen kümmern würde und ihnen mehr
Selbstvertrauen geben wolle. Sie weisen ihr damit eine Integrationsfunktion
zu: Sie soll sich um die Gruppe kümmern, für die sie
zuständig sei, nämlich die Migrantinnen. Seht ihr
Möglichkeiten Euch von solchen Aufträgen abzugrenzen, sie
zurückzuweisen?
Murat: Keine Aufträge annehmen! (Gelächter!)
Diese Aufträge sind ein Problem. Wir versuchen uns gegen solche
Zuschreibungen zu wehren.
Mahmut: Nicht wir, du wehrst dich dagegen.
Murat: Ja, ich wehre mich dagegen. Und dagegen schreibe ich auch Texte.
Mahmut: Ich nicht. Als ihr vorhin Murat zitiert habt, daß man in
Deutschland "zum Türken gemacht" wird, dachte ich, okay, ich
werde auch zum Türken gemacht. Aber ich bin auch kein Deutscher. Und
da sage ich, ich werde nicht dazu gemacht, ich bin halt Türke. Das
hört sich sonst so an, als wollte man Deutscher sein, man würde
aber zum Türken gemacht. Das hört sich so nach Zwang an, als
würde man in eine Ecke gepreßt. Also ich habe damit kein
Problem.
Aber vielleicht will man einfach nicht über die Zuschreibung einer
Nationalität anerkannt werden, die dann gleich noch weitere
gewaltförmige Zuschreibungen beinhaltet. Ich würde auch gern
türkisch sprechen können, das würde mir aber auch reichen,
dazu muß ich nicht Deutsche oder Türkin sein. Ich bräuchte
dazu nicht noch einen Paß.
Mahmut: Es ist doch genauso, wenn ein Deutscher einen Paß hat. Man
kann doch genauso gewaltförmig zum Deutschen gemacht werden. Das ist
auch eine Gewaltfrage in Deutschland, wie die Leute gezwungen werden,
Deutsche zu sein.
Ich bin halt Türke. Die türkische Sprache ist mir schon nah. Ich
bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Und ich merke immer noch den
Unterschied. Allein die Sprache zu reden gefällt mir besser, macht mir
viel mehr Spaß. Ich spreche etwas besser deutsch als türkisch.
Das bedrückt mich auch, weil man lebt hier und man wird immer
ausgegrenzt und man sieht, wie die Leute hier behandelt werden.
Murat: Es geht doch nicht darum, wozu du dich hingezogen fühlst,
sondern wozu du hier gemacht wirst. Mir gefällt die türkische
Sprache auch, mir gefällt auch die französische Sprache, es ist
eine wunderschöne Sprache. Aber ich bin deswegen noch kein Franzose.
Es geht doch darum, zu was man von außen gemacht wird.
Das Interview
führten ma und lou
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