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Umherschweifende Hofnarren

Das Netz als Utopiemaschine

com.une.farce


Marketingabteilungen sind seit ca. drei Jahren dazu übergegangen, Werbung für das von ihnen zu verkaufende Gut mit einer kleinen, mehr oder minder beiläufig eingeblendeten Zeile, die mit http anfängt, zu schmücken. Bei maximal fünf Prozent der Bundesdeutschen, die zur Zeit einen Internetanschluß haben (ob sie ihn nutzen, steht auf einem anderen Blatt), scheint der "Gebrauchswert" dieser Information zweifelhaft. Richtig, diese fünf Prozent - und nicht irgendwer - sie sind jung und kaufkräftig. Dennoch ist zweifellos wichtiger, daß so eine Internetadresse Zukunftsfähigkeit, zumindest jedoch Zeitgemäßheit signalisiert.


Hype

Internet und Zukunft gesellen sich gerne zusammen. Das meint in einer schwachen Variante, daß gerne über die Zukunft des Internet spekuliert wird, häufiger wird jedoch das Internet eine Zutat von Zukunft schlechthin. Das könnte nun bedeuten, daß die Gegenwart des Internet derart fade ist, daß man lieber davon schweigt. Auf jeden Fall bedeutet es jedoch, daß es irgendwie gelungen ist, den Technologien, die unter dem Namen Internet zusammengefaßt werden, einen kräftigen Hauch von Zukunft beizumischen.

Dem entspricht ein ruheloses Hetzen von einer technischen Innovation zur nächsten, meist in der Form von "Hypes", die wie Buschfeuer die Wege des Internet entlangheizen. Der jeweilige "Hype" ist die Zukunft, zumindest mittelfristig. Wenn die Zukunft dann da ist, nach ein paar Jahren, zeigt sich erst, was übrig bleibt. Bis es jedoch so weit ist, duldet das Internet vieles gleichzeitig nebeneinander.

Nur Weniges erreicht dann tatsächlich einen Massenmarkt. Das ist die Verheißung, denn einen Massenmarkt frühzeitig zu besetzen, ist eine Goldader und sei es nur, weil man dann von einem Riesen gewinnträchtig geschluckt wird.


Nach Westen!

Doch auch ohne die Hoffnung auf den Hauptgewinn, die echte Goldgrube, träumen viele von dem Auskommen über besondere Findigkeit im Netz. Auf diesem inzwischen doch recht beeindruckend großen Testmarkt gibt es nämlich wirklich Bedarf für die kleinen Innovativen, die für die Großen die Arbeit der ersten Phase im Zyklus eines Produkts machen. Karrieren von Studienabbrechern, die drei Jahre nach ihrem Abgang mit ihrer Internetfirma (Yahoo!) so viel verdient haben, daß sie ihrer alten Alma Mater ein paar Milliönchen spenden können, sind der Stoff, aus dem der Traum des freien Westens gemacht wird. Eine Reaktualisierung erfährt inzwischen das Phantasma vom großen Glück, das jenseits der Frontier warte. Dort, wo unbestelltes Land urbar gemacht werden will, wo das Gold rauscht, wo ein Tüchtiger nur und ausschließlich nach seinem Verdienst geadelt wird. Was früher als jungfräuliches Territorium imaginiert war, ist heute der Cyberspace, den es zu kolonisieren gilt.


Akademische Hofnarren

Im Windschatten der Hypes hat ein buntes Völkchen seine Zelte aufgebaut. Z.B. sind ein paar Sozial- und Geisteswissenschaftlerlnnen irgendwann nach ’93 auf den Zug aufgesprungen und wollen nun als Expertlnnen gelten. Unter dem selbstgestellten Auftrag, "begriffliche Schneisen" in das unbekannte Land des Cyberspace hauen zu wollen, schwatzen sie von dem Neuen, das da auf uns warte, das plötzlich die Zeit, den Raum, die Moderne, das Gutenberguniversum, alles, was wir bisher kannten (und nicht mehr gar zu sehr lieben), zu einem Ende bringe. Das hat etwas von der bereits beschriebenen Landnahme im Nirgendwo, ist jedoch nur seine Begleitmusik. Wenn auf Internet-Tagungen und in Rundfunk-Features solche Figuren auftreten, erinnern sie immer ein bißchen an den Hofnarren, der die Bonmots, die seinen Herren gefallen, liefert. Er darf dabei auch mal kritisch sein, solange er gefällt. Und er gefällt genau bis zu dem Zeitpunkt, an dem er irgendetwas, was den Herren gefällt, grundsätzlich in Frage stellt. Deshalb tut er’s nicht.


Cyberproletariat

Der Hochschulanzeiger der FAZ von diesem Wintersemester empfiehlt all den virtuell arbeitslosen Geistes- und Sozialwissenschaftlerlnnen das, was sie können, im und um das Internet zu tun. Was können die überhaupt? Sie können laut FAZ mit Texten umgehen, sie können den Content produzieren, den die neuen Medien so dringend brauchen. So hofft so mancheR GermanistIn der sicheren Erwerbslosigkeit, oder doch zumindest dem dräuenden Sachbearbeiterlnnenjob von der Kippe zu springen. Wenn schon niemand die Bücher und Artikel drucken, geschweige denn lesen möchte, die sie schreiben, dann doch wenigstens die Multimediaproduktionen und Webseiten, die sie machen. Nun. Computerkompetenz ist tatsächlich ein echter Wettbewerbsvorteil auf dem gesättigten Markt der Textproduzentlnnen, zumindest solange noch nicht jeder Depp sie hat, und das wird noch eine Weile so bleiben. Der Wettlauf ist eröffnet.

Die kleinen Innovativen und die akademischen Trittbrettfahrerlnnen sind die besten Handlungsreisenden in Sachen Internet, die PropagandistInnen an der Basis.


Auch die Alten ...

Eine Durchsicht der Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, die sich seit ’93 mit dem Internet belassen, fördert ein ähnliches Phänomen zutage. Wo diese "alten" Medien vor ihrem eigenen Internetengagement skeptisch abwartend bis gar nicht vom Internet sprechen, sind sie danach des Mundes voll vom zukunftsweisenden Charakter zumindest ihres eigenen Angebots. Und sie müssen auch innerhalb dieser eigenen Webseiten die jeweiligen "Hypes" mitvollziehen, nicht alle, ein "Relaunch" des Webangebots einer großen Zeitung kommt nur alle paar Monate, aber über diesen Weg gelangen die Hypes wiederum in eine breitere Öffentlichkeit. Daß die "alten" Medien so reagieren leuchtet ein, ihnen sitzt die Angst im Nacken, "alt" auszusehen, so umarmen sie ihren vermeintlichen Totengräber zuerst einmal heftig, oder, kaufen sich, wie das ZDF bei Microsoft, bei ihm ein.


Die private und die öffentliche Hand

Bei alledem kommt es zu einer ein bißchen paradoxen Entwicklung. Die kleinen Innovativen und die anderen (häufig akademischen) Trittbrettfahrer, wie auch die etwas verängstigten Macher der "alten" Medien erzeugen derzeit einen guten Teil des wirklich nützlichen "Content" des Internet (WWW). Wenn das Internet die Zukunft sein soll und es in der Gegenwart einen nicht gerade umhaut, der böse Verdacht, der oben ja schon einmal geäußert wurde, dann muß die Gegenwart eben zukunftsfähig gemacht werden. Die derart sich selbst erfüllende Prophezeiung wird eintreffen, allerdings nicht zugunsten der heute investierenden Würstchen. Es ist jedenfalls nicht zu leugnen, daß neben den inzwischen unübersehbar auftretenden global players (Gates, Bertelsmann, ...) jede Menge Kraft, Intelligenz und nicht zuletzt Geld von Privatpersonen, mehr oder minder öffentlichen Institutionen und Redaktionen der "alten" Medien in das Internet gepumpt wird. Und das passiert übrigens weitgehend ohne jeden Rücklauf, sei er auch nur immateriell. Stellt Euch vor, es gäbe keinerlei öffentliche Subvention des Internet mehr (z.B. an den Unis!), stellt Euch vor, es würde niemand mehr in mühsamer Heimarbeit nützliche Inhalte zusammenstellen und für lau allen zur Verfügung stellen, zumindest das WWW, das Zugpferd des Internet, wäre trist und leer.

Daß so viele Leute da mitmachen, ist vielleicht das Bemerkenswerteste. Was die Individuen an Mühsal investieren, ist natürlich zunächst einmal ihre Sache. Ich hoffe, daß sie wissen, was sie da tun. Bei den sogenannten öffentlichen Institutionen sieht das allerdings ein wenig anders aus. Es ist schon ein wenig befremdlich, wie mit leichtem Zögern bei immensen Sparvorgaben durch die jeweiligen Ministerien die Universitäten ganze Fachbereiche buchstäblich dichtmachen, daß auf der anderen Seite völlig ohne zu zogern Computer für den Internetbetrieb angeschafft werden, die so viel kosten wie der jährliche Unterhalt eines ganzen wenn auch kleinen Fachbereiches (und die in drei Jahren hoffnungslos veraltet sind). Natürlich ist die Alternative "Osteuropäische Geschichte oder Internet" falsch. Festzuhalten bleibt jedoch, daß der Vorrang der Computer derart selbstverständlich zu sein scheint, daß nicht einmal der Hauch einer Diskussion um die Sinnhaftigkeit dieser Millionenanschaffungen zu spüren ist. Das Internet ist die Zukunft, das steht für alle fest, von links bis rechts.


Die Zukunft der Gegenwart

Die Beschäftigung mit derartigen Zukunftsvisionen taugt nicht dazu, die Zukunft vorauszusehen, viel sagt sie jedoch über die Beschaffenheit der Gegenwart aus. Umberto Eco, der heute in der ZEIT zuweilen unsäglichen Krampf über Computer und Internet verbreitet, hoffte noch 1967, es könne sich aus "den Love-ins bis zu den Sit-in-Meetings der Studenten auf dem Campus-Rasen die Form einer künftigen Kommunikations-Guerilla entwickeln". Damit meinte er eine wünschenswerte Zukunft der (Massen-) Kommunikation, in der die Menschen sich der allpräsenten "anonymen Gottheit der Technologischen Kommunikation" über neue unvermittelte Kommunikationsformen widersetzen würden. In Sit-und Love-Ins heute irgendeine Zukunftsvision angedeutet zu sehen, wer würde sich das noch trauen? Diesen Platz hat heute das Internet eingenommen. In der Tat besteht nicht nur über die Person Ecos eine Verbindungslinie von der Kommunikationsutopie der 60er zu der von heute. Richard Barbrook and Andy Cameron haben in ihrem Artikel "The Californian Ideology" nachgezeichnet, wie die Erben Reagans und der Hippies sich dann doch irgendwie gefunden haben: "This bizarre hybrid is only made possible through a nearly universal belief in technological determinism. Ever since the ’60s, liberals - in the social sense of the word - have hoped that the new information technologies would realise their ideals. Responding to the challenge of the New Left, the New Right has resurrected an older form of liberalism; economic liberalism." Die Reduktion des Nachdenkens über Technologie zu krudestem Technikdeterminismus, und die Reduktion der Hoffnung auf Befreiung zu marktliberalem Tralala ("free flow of information" als oberste Direktive), sind die Vorzeichen unter welchen das Internet zur Utopiemaschine geraten könnte. Höchste Zeit, dies in Frage zu stellen.

Thomas Berker