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    Abstract
Der folgende Beitrag zur geschlechtsspezifischen Subjektkonstitution und feministischer Subjektkritik wurde im Rahmen der Tagung zu Subjektkonstitution und Ideologieproduktion „Ich schau Dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang“ vom 9.- 11.Februar 2001 an der Frankfurter Uni gehalten. Mit dem europäischen und -zentrischen Denken der Aufklärung hat ein Subjektverhältnis eingesetzt, das in modernen Demokratien legitime Formen der politischen Teilhabe durchgesetzt und sich tief in die Selbstverhältnisse der Individuen eingeschrieben hat. Im Blickpunkt stehen dabei Aspekte feministischer Theorien und ihre Bedeutung für die Subjektkonstitution, wie Identitätslogik, Geschlecht, Sexualität und Begehren. Mit diesen Analysen geht eine Erweiterung und Weiterentwicklung politischer Handlungsperspektiven einher, die neue Kampfplätze und Orte des Widerstands sichtbar werden lassen.

Kritik des Subjekts aus (queer-)feministischer Perspektive
von Anne Wolf


I. Feministische Subjektkritik
In der feministischen Theoriebildung gibt es seit ihrem Entstehen eine starke Kritik an Subjektvorstellungen der Aufklärung und damit verbunden an modernen Rationalitäts- und Vernunftbegriffen. Eine bedeutsame Prämisse dabei ist, dass das moderne westliche Denken und Selbstverständnis und damit auch die darin stattfindenden sozialen und politischen Prozesse maßgeblich von einer Vorstellung von Subjekten als autonomen, vernunftbegabten Handlungsträgern beeinflußt sind. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Annahme, dass dieses Subjekt ein kohärentes, sich-selbst-identisches Selbst, eine Identität, entwickeln muss.1 Viele feministische Kritikerinnen beziehen sich auf die Ausblendung von Geschlecht und die Verwerfung von Weiblichkeit aus dem modernen Subjektbegriff. Der Begriff des patriarchalen Subjekts bezeichnet dabei eine Kritik, der zufolge das Männliche sich als Subjekt setzt, unter der Notwendigkeit das Weibliche zum Objekt zu machen. Simone de Beauvoir kann mit ihrem Buch »Le Deuxième Sexe« als eine der Pionierinnen gelten, die die Formel von der Frau als dem Anderen des Mannes geprägt hat. Sie postuliert in Anlehnung an Hegel die Notwendigkeit für das männliche Subjekt, das sich identisch setzt, diesen Anspruch nur in Entgegensetzung eines unwesentlichen tun zu können, dieses Andere, das Weibliche, wird als Objekt konstituiert. Adriana Cavarero benennt das Problem folgendermaßen: “In diesem Namen Mensch hat sich nämlich bereits eine Verabsolutierung des Männlichen festgesetzt: als ein Wesen des Menschen, das von Anfang an als körperlos begriffen wurde und damit auf dem hartnäckigen Dualismus von Körper und Geist aufbaute.” (Cavarero 1992, 15f.) Gerade dieser Dualismus und das Setzen des männlichen Subjekts als Universelles löscht das Weibliche, das Natur und Körperlichkeit zugeordnet wird, aus dem Subjektstatus, dem Bereich des Denkens und der Sprache, dem Bereich des Öffentlichen und Politischen aus. Aus der Abwehr der Verbindungen von Natur und weiblicher Wesenheit und den daraus resultierenden Hierarchien, ist v.a. im anglo-amerikanischen Raum eine Diskussion um die Trennung von sex und gender entstanden. Dabei wird zwischen sex als körperlichem Geschlecht und gender als einer kulturell hergestellten Geschlechtlichkeit unterschieden. Mit dieser Unterscheidung soll die soziale Konstruktion des gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisses verdeutlicht werden.2 Aus dieser Trennung sind feministische Ansätze entstanden, die sich in ihren Analysen zunächst vor allem auf gender als kulturelle Produktion bezogen. Schwarze Feministinnen haben seit den 1970er Jahren die Universalisierung der Kategorie gender angegriffen und die damit verbundene Einebnung von Differenzen und unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen. Statt dessen entwickelten women of colour und third world feminism - um nur einige zu nennen - Ansätze, in denen die Verwobenheit von Rasse, Nationalität, Geschlecht und Klasse gedacht werden kann. Aber auch gegen die Trennung in gender und sex als solche sind scharfe Kritiken formuliert worden, die die universalisierenden Tendenzen dieser Aufteilung in ein körperliches und ein kulturelles Geschlecht sowie die implizite Aufrechterhaltung einer fundamentalen Trennung von Natur und Kultur aufzeigten. In diesen Traditionen stehen postmoderne, postkoloniale, Cyber- und queer-Feminismen, die eine Dekonstruktion und Historisierung des Subjekts favorisieren. Als eine Theoretikerin, die die Konstitutionsbedingungen für das Subjekt und die Identitätsbildung thematisiert, will ich Judith Butlers Ansatz kurz vorstellen.

II. Butler: Sex, gender, sexuelle Praxis und Begehren
Butlers Kritik am feministischen Subjekt der Frau und an der Trennung zwischen sex und gender fokussiert die Verbindung der Geschlechterbinarität mit der heterosexuellen Matrix, die füreinander konstitutiv sind und sich gegenseitig stabilisieren. In ihrem Verständnis ist sex ebenso kulturell erzeugt wie gender. Gerade darum haben sich heftigste Debatten in der feministischen Theorielandschaft entbrannt. Für Butler ist Materialität, auch unsere Körpererfahrungen, etwas, das kulturell vermittelt ist. Gesellschaftliche Normen und Ideale materialisieren sich auch im Körper, schärfer noch: sie produzieren ihn als Körper, und zwar als vergeschlechtlichten. Die Pointe ihres Beitrags in der Debatte, die gerade in der deutschsprachigen Rezeption erst spät wahrgenommen wurde, ist, dass die Herstellung einer vergeschlechtlichten Identität auf der Kohärenz von sex, gender, sexueller Praktik und Begehren beruht. Körper und Begehren werden zu zentralen Orten der Herstellung von geschlechtlichen Identitäten. Sprache in Lacanscher Tradition ist der Modus für die Produktion des Subjekts, die symbolische Ordnung ist die unhintergehbare Matrix für die Subjektbildung. Daran anknüpfend nimmt Butler die Bildung einer Identitätsbildung als eine zwanghafte Wiederholung gesellschaftlicher Normen an, die ein Wesen des geschlechtlichen Subjekts erst produzieren und nicht einfach repräsentieren. Die Natürlichkeit des Körpers und damit des Geschlechts ist in ihrer Konzeption ein Effekt soziokultureller Praktiken und nicht als dessen Ursprung zu verstehen. Das Potential einer Veränderung versteht sie im performativen Charakter der Geschlechtsidentität. Geschlecht wird immer wieder diskursiv hergestellt. Die Möglichkeit für Widerstand sieht Butler in der Notwendigkeit dieser Wiederholung, die zugleich auf das Potential von Verfehlungen und Rissen hinweist und die die Möglichkeit einer Verschiebung der Norm denkbar machen. Die subversive Wiederholung von Geschlechtsidentitäten z.B. im drag oder passing sind politische Strategien, die eine Verunsicherung der heterosexuellen Matrix bewirken können. Dabei näher ich mich dem Feld von queer, das sich dem Kampf einer Heteronormativität verschrieben hat und damit zu einer Vervielfältigung oder zumindest Verwirrung von eindeutigen Geschlechtsidentitäten beiträgt. Ich möchte mich an dieser Stelle auf queer beziehen, da es wichtig und keineswegs selbstverständlich ist, Sexualität, Begehren und Körperpraxen als Räume politischer Kämpfe zu verstehen. Queer, ein Neuzugang der Neunziger - zumindest hierzulande - ist ein Feld, in dem sich Theorieproduktion und politische Praxisformen überlappen. Queer als Inbesitznahme eines homophoben Schimpfwortes gilt als Label für eine Koalition von kulturell-marginalisierten Selbstidentifikationen (Bi-, A-, Transsexuelle, Transgender, Transvestiten, Lesben, Schwule und alle möglichen perversen Identifikationen) und ein mittlerweile eigenständiges Theoriemodell, das sich aus den mehr traditionellen lesbian/gay studies entwickelte. Queer wird – vielleicht noch - verstanden als Identität ohne Essenz oder als Begriff, der einen flexiblen Ort markiert, in dem alle möglichen Aspekte von nicht-, anti- oder contra-straight ausgedrückt werden können. Ob es dies bleibt trotz des teilweise inflationären Gebrauchs und einer zunehmenden Kommerzialisierung sexueller Existenzweisen ist wohl nicht abzusehen und wohl auch eine Frage des politischen Einsatzes. In Verbindung mit einer feministischen Perspektive geht es bei queer auch darum, lesbische Lebensformen zu konzeptualisieren, die Verbindungen von Geschlecht, Begehren und Sexualität zu analysieren und sich kritisch mit Identitätspolitiken auseinanderzusetzen.

III. Identitätspolitik
Ich möchte von hier ausgehend gerne den Bogen spannen zu Fragestellungen, die sich innerhalb des Feminismus stellen, wenn es um die Kritik an Identitätspolitiken geht. Denn sie stellen noch immer offene Probleme dar und regen erhitzte Debatten darüber an, welche Perspektiven postmoderne Theorien ermöglichen oder verunmöglichen – je nach Blickwinkel. In “Der Streit um Differenz” 1990 geführt, nehmen v.a. Judith Butler und Seyla Benhabib zwei sich gegenüber stehende Positionen ein, die charakteristisch sind für eine Polarisierung innerhalb der feministischen Theorielandschaft, die mit dem Einsatz postmoderner Feminismen einsetzte. Benhabib vertritt die Position, dass auf dem Subjekt inhärente Attribute wie Autonomie, Intentionalität, Rationalität und Selbstreflexion nicht verzichtet werden kann, da ohne diese die politische Handlungsfähigkeit nicht mehr möglich sei und die Frauenbewegung sich mit deren Verzicht ihrer politischen Schlagkraft berauben würde. Butler hingegen koppelt die Frage nach den Bedingungen für Handlungsfähigkeit an die Herstellungspraxis von Subjekten und betont damit Exklusionseffekte. “Tatsächlich besagt diese These, dass eine Kritik des Subjekts keine politische Kritik sein kann, sondern einen Akt darstellt, der die Politik als solche in Gefahr bringt. Wenn man das Subjekt einklagt, grenzt man jedoch zugleich das Gebiet des Politischen ein. Diese Eingrenzung, die analytisch zum wesentlichen Merkmal des Politischen erklärt wird, verschafft den Grenzen des Gebiets des Politischen Geltung und schirmt sie dabei zugleich vor jeder politischen Überprüfung ab. Damit stellt sich der Akt, der einseitig das Gebiet des Politischen festsetzt, als eine autoritäre List dar, die den politischen Kampf um den Status des Subjekts summarisch zum Schweigen bringt.” (Butler 1993, 32) Butlers Anspruch an ihre Kritik des Subjekts, ist die Verwobenheit des modernen Subjekt-Konzepts mit dem Feld der Macht(techniken) aufzuzeigen, d.h. dass Begriffe und Normen, sobald sie den Anspruch auf unhinterfragte feste Grundlagen erheben, die ihm inhärenten Ein- und Ausschlussmechanismen verbergen. Butler bezieht sich bei dieser Argumentation auf Joan Scott, die deutlich gemacht hat, dass, sobald wir verstanden haben, dass Subjekte durch Ausschließungsverfahren gebildet werden, es politisch notwendig ist, die Verfahren dieser Konstruktion und Auslöschung nachzuzeichnen. Zu betonen ist, dass dies nicht heisst, sich von Identitätspolitik an sich zu verabschieden. Butler hat sehr deutlich gemacht, dass es ihr z.B. nicht um die Abschaffung der Kategorie Frau geht. Sie schlägt einen strategischen und reflektierten Weg vor, mit Identitäten Politik zu machen, d.h. sich über die dabei produzierten Ausschlüsse bewußt zu sein. Einige Exklusionen sind ja durchaus erwünscht. Ihr Konzept ist eine Bündnispolitik, die in der Lage ist, die gemeinsame Basis offen zu halten und nicht zur unhintergehbaren Grundlage zu erklären. So kann auch queer als ein Versuch verstanden werden, eine eindeutige Geschlechtsidentität in Frage zu stellen und offen zu sein, die Verschränkungen von Körper, Begehren und geschlechtlicher Identifizierung in den Blick zu nehmen. Doch sind solche Lebenspraxen auch immer abhängig von Räumen, in denen sie artikuliert und gelebt werden können, die auch durchkreuzt sind von ökonomischen, nationalstaatlichen und anderen institutionellen Grenzen. Räume aber auch in einem übertragenen Sinne als Szenen, Denk- und Imaginationsräume.

IV. Heterotopie
Ein für mich wichtiger Anspruch für feministische oder postfeministische Ansätze ist, die Verschränkungen und Verwobenheiten von Geschlecht mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen, Identitäten und Anrufungen in den Blick zu bekommen, um zu differenzierten und verorteten Theorien zu kommen. Für mich ist das immer wieder eine Suchbewegung, eine Suche nach Modellen und Denkweisen, die es mir ermöglichen die Komplexität sozialer Beziehungen jenseits einer Identitätslogik zu begreifen und neue Sichtweisen anzunehmen, auch wenn ich sie nicht selbst bewohne, wie Haraway es einmal ausdrückte. Für alle, die es gerne etwas utopischer haben wollen möchte ich an dieser Stelle ein Modell der Widerständigkeit und Gesellschaftskritik zur Diskussion stellen, das sich für Widersprüche und Pluralitäten offen hält: Heterotopie. María del Mar Castro Varela hat das Konzept der Heterotopie, von Foucault entlehnt, in den Zusammenhang von sich selbst bezeichnenden Migrantinnen und utopischen Visionen gestellt. Im Gegensatz zu Utopien, die einen Nicht-Ort bezeichnen, werden Heterotopien als wirkliche Orte als tatsächlich gelebte Utopien verstanden. Sie schreibt: “Räume, in denen sich Migrantinnen treffen, haftet etwas Irreales an. Sie sind Illusionsheterotopien. Sie sind paradiesisch, denn hier wird Vielfältigkeit gelebt, die im Außen des Alltags unter dem Verdikt der Eindeutigkeit erstickt wird. Diese Räume sind nicht paradiesisch im Sinne von konfliktfrei. Im Gegenteil, auch hier werden Repräsentationskämpfe geführt, Bündnisse geschlossen und wieder gebrochen. Sie sind paradiesisch, weil hier Selbsterfindung stattfindet.” (Castro Varela 1999, 83f.) Castro Varela sieht darin die Möglichkeit, die gesellschaftstransformierenden Potentiale von Migrantinnen, ihre oppositionellen Standorte und ihre Utopiefähigkeit als “die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden.” (Castro Varela 1999, 88) sichtbar zu machen. Elspeth Probyn, eine queer Theoretikerin, versteht den Begriff der Heterotopie als die Bereitstellung eines Raumes, der es möglich macht, außerhalb von vereindeutigenden Identitäten Zugehörigkeiten zu entwickeln. Die Metapher stellt für sie die Koexistenz verschiedener Orte in einem Ort dar, vielfältige Seiten, die sich überlappen und widersprechen. Daraus kann ein Verständnis von Bewegung erwachsen, so dass Begehren und Orte nur noch als Punkte in einer Bewegung gesehen werden, die keinen originären Ursprung und kein vorbestimmtes Ziel haben. Es gibt bestimmt und hoffentlich noch eine Menge mehr Modelle, dem modernen Subjekt beizukommen und Finten zu schlagen – auch wenn dies oft vage erscheint, finde ich die Versuche, über Identitätslogiken hinausdenken und –agieren zu wollen, überlegenswert. Sie verweisen nicht auf ein fernes (und unerreichbares) Jenseits herkömmlicher Utopien, sondern machen Handlungsfähigkeit hier und jetzt sichtbar und möglich.




Literatur
Beauvoir, Simone de (1949): Le deuxième Sexe, Paris
Benhabib, Seyla (1993): Feminismus und Postmoderne. Ein prekäres Bündnis, in: Seyla Benhabib, Judith Butler, Drucilla Cornell, Nancy Fraser (Hg.): Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt a.M., S. 9-30
Butler, Judith (1991): Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a.M.
Dies. (1993): Kontingente Grundlagen: Der Feminismus und die Frage der “Postmoderne”, in: Seyla Benhabib, Judith Butler, Drucilla Cornell, Nancy Fraser (Hg.): Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt a.M., S.31-58
Dies. (1997): Körper von Gewicht, Frankfurt a.M.
Castro Varela, María del Mar (1999): Migrantinnen und Utopische Visionen. Eine interdisziplinäre Annäherung, in: Psychologie und Gesellschaftskritik 3/99, S. 76-89
Cavarero, Adriana (1992): Platon zum Trotz, Berlin
Fuchs, Brigitte/Habinger, Gabriele (1996): Rassismen und Feminismen. Differenzen, Machtverhältnisse und Solidarität zwischen Frauen, Wien
Haraway, Donna (1991): ‚Gender‘ for a Marxist Dictionary: The Sexual Politics of a Word in: Dies.: Simians, Cyborgs, and the Women: the Reinvention of Nature, London, S.
Dies. (1995): Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive, in: Dies.: Die Neuerfindung der Natur – Primaten, Cyborgs und Frauen, hg. v. Carmen Hammer u.a., Frankfurt a.M., S.73-97
Jagose, Annamarie (2001): Queer Theory: eine Einführung, Berlin
Probyn, Elspeth (1996): Outside Belongings, New York/London
Scott, Joan W. (1988): Gender and the Politics of History, New York
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