Faschimus und physikalischer Naturalismus

© Nov. 2000 by Toni Arnold, Zürich

Esoterik, (Öko-)Faschismus und Biozentrismus - die kritische Analyse dieses Problemkomplexes ist faktisch Sache einer marginalen Minderheit im aktuellen geisteswissenschaftlichen Betrieb, ja selbst innerhalb der sich kritisch nennenden Theorie. Ich bin der Ansicht, dass trotz der verdienstvollen Beiträge etwa von Heinz Gess oder Jutta Ditfurth die Sonnenkult-Theorie von Lewis Mumford Entscheidendes zur Klärung der Argumente und damit zum Kampf gegen den Faschismus beitragen kann. Es ist nicht Zweck dieser Schrift, die Argumente der genannten Autoren im Detail zu reproduzieren. Ich empfehle daher ausdrücklich die Lektüre deren Texte.

Im von Heinz Gess an der Uni Zürich am 10.11.2000 vorgeführten Film zum Thema wurde - ganz in der Ditfurthschen Tradition - die personelle Verflechtung der obskurantistischen Esoterikszene mit den Vertretern des klassischen deutschen Nationalsozialismus aufgezeigt. Dabei entstand der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit der konkret gewählten esoterischen Inhalte, was durch einen Schwenk der Kamera auf einschlägige bunte Bücherregale elegant unterstrichen werden kann.

Demgegenüber vertrete ich - ich denke mit Gess und Ditfurth und gegen die Logik der TV-Präsentation - die Ansicht, dass eine genaue Bestimmung des Nichtbeliebigen im Beliebigen für die Macht der Kritik grundlegende Bedeutung hat. Dies soll im folgenden unternommen werden.

Erstes Beispiel: Ein Fund im Züricher Tram

"Die Botschaft eines modernen Mystikers - durch Meditation die unbegrenzte Kraft der Seele entdecken." Das Design des Hochglanzprospektes ahmt aquarellartig das Lichtspiel eines Regenbogens nach. Erst auf den zweiten Blick erkennt das westlich verbebildete Auge eine fraktal-selbstähnliche, farblich verfremdete Reproduktion einer Protuberanz; eine gigantische quasi-vulkanische Explosion auf der Sonne, deren Energie kein nukleares Wettrüstungsarsenal auch nur im Entferntesten freisetzen könnte: ein Symbol der totalen Vernichtung.

"Rajinder Singh ist ein Mann des Ostens und des Westens, Inder und zugleich Amerikaner, Wissenschaftler und Mystiker, er arbeitet für den Weltfrieden und das Erziehungswesen und ist gleichzeitig Meditationslehrer. Er trifft mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zusammen, um die Verständigung unter den Menschen zu fördern, so mit Papst Johannes Paul II, dem Dalai Lama sowie dem Generalsekretär der Vereinten Nationen.
Er verbindet das spirituelle mit dem ethischen Leben, persönliche geistige Erfahrungen mit umsassendem sozialen Engagement für leidende Mitmenschen und verdient seinen Lebensunterhalt durch eine unternehmereische Tätigkeit. (...)"

Kurzum, er widerspiegelt vorbildlich den Idealtypus des rundherum begabten, in allen Bereichen des Lebens erfolgreichen Bourgeois: "Gott liebt ihn fast wie seinen Sohn!" ist der einzige Schluss, der aufgrund seiner vorzüglichen Bewerbungsunterlagen aus der calvinistisch-protestantischen Ethik gezogen werden kann.

"Der Weg nach innen über die Meditation ist der mystische Kern aller Weltreligionen (...)" - nichts anderes behauptet auch Hans Küng und ist damit "perfectly in line" mit der Tradition des klassischen deutschen Biedermeier. Anstatt die von Menschenhand geschaffene soziale Welt mittels Menschenhand zum Besseren zu verändern, wird dem unter den unmenschlichen Verhältnissen leidenden Subjekt der obskurantistische Eskapismus ins Privatleben einerseits vom Guru persönlich empfohlen und gleichzeitig als unversalhistorische Konstante festgeschrieben.

Die Gemeinsamkeiten des New Age

Das Beispiel habe ich kommentiert vor dem Hintergrund klassicher kritischer Theorie. Obwohl Singh nicht ausdrücklich auf Begriffe wie "New Age" oder "Wendezeit" Bezug nimmt, interpretiere ich seinen Seminarprospekt hier als Teil des genannten Phänomens.
Heinz Gess stellte in sinem Vortrag in Zürich folgende gemeinsamen Merkmale des New Age - den Begriff verwende ich hier synonym zu "Esoterik" - heraus:

Auffällt, dass in der Singh'schen Meditationspraxis - zumindest im Prospekt - nicht alle genannten Punkte expliziert werden. Ein Problem, welches sich bei jeder konkreten Analyse einer bestimmten esoterischen und/oder politischen Praxis stellt.
Insbesondere die von Seiten des Soziologie/Sozialpädagogik/Sozialarbeit-Komplexes als alleinige Repräsentanten des Faschismus identifizierten männlichen Glatzen&Springerstiefel-Träger erfüllen die wenigsten der obengenannten Punkte: Ausser Rudimenten der Gaia-Hypothese und einer Keltisch-spirituellen Praxis ist für den Analytiker in dieser Szene wenig zu holen.

Zweites Beispiel: Ein TV-Talk vom 12.10.2000, 11.00, SF DRS

Sonntagmorgen. Eben erwacht. TV eingeschaltet. Das Ende der Kirchensendung mit Zappen abgewartet. 11.00. "Sternstunde Philosophie". Zwei Physiker und ein Moderator.

Einziges Vergnügen angesichts des Schreckens waren die Bemühungen des Moderators, Ervin Laszlo und Bernulf Kanitscheider von ihren "für ein breites Publikum nicht geeigneten" theoretisch- physikalischen Disputen abzuhalten. Entscheidend scheint mir dabei, dass sie eben gerade nicht einen theoretisch-physikalischen Disput führten, sondern einen populärwissenschaftlichen, ohne weiteres verständlich für alle, die sich irgendwann beschäftigt haben mit der allgemeinen Systemtheorie, wie sie etwa Erich Jantsch ("Die Selbstorganisation des Universums") formuliert hat - und darum kommt heutzutage angesichts deren Popularität nun wirklich kein halbwegs interessierter Studierender der Geisteswissenschaften herum. Was war die scheinbare Differenz der beiden?

Laszlo unterschied zwischen der Naturwissenschaft, die a priori kausale Ursachen für beobachtbare Phänomene in der Natur selbst sucht, und der Teleologie, welche auch Ursachen ausserhalb der Natur zulässt. Er warf Kanitscheider eine physikoteleologische Schlussweise vor, welche logisch-strukturell einen Analogieschluss darstelle, der via logische Analyse der Sprache definitiv aus der Wissenschaft eliminiert worden sei.

Kanitscheider demgegenüber schloss aus der allgemein anerkannten Tatsache, dass etwa 100 - 120 physikalische Grössen in der Natur so aufeinander abgestimmt sind, dass höhere Systeme existieren können, dass diese Feinabstimmung des Universiums eine Art abstrakte Schöpferhypothese nötig macht. Wird nämlich auch nur eine dieser Grössen in einer "kontrafaktischen Analyse" gerinfügig geändert, fehlen die physikalischen Voraussetzungen für die Existenz des Menschen. Diese abstrakte Schöpferhypothese kleidete er in die Worte "kreatives Universum", von dem wir Menschen ein Teil seien. Um dieses zu beschreiben, wird in seinen Augen eine neuere, stärkere Theorie benötigt, z.B. die (mir unbekannte) Theorie der "Regulären Zustände der Materie".

Laszlo widersprach diesem Ansinnen und verwies auf das obengenannte a priori der Naturwissenschaften, welches durch Kanitscheider verletzt würde. Zur Erklärung der 120 Grössen bot er die Theorie des "Multiversums" an.
Ganz der räsonnierende Bürger, kann ich hier und heute aufgrund der angegebenen 5% maximale Abweichung Handgelenk mal Pi mal "hoffentlich startet heute der PC ohne Probleme" mal Start->Programme->Zubehör->Rechner unter dem Zufalls-a priori der Naturwissenschaft die Zahl (100/5)^120 = 1.3*10^156 nötigen Paralleluniversen berechnen, die nötig sind, um zufällig das unsere hervorzubringen.
Leider bin ich wohl zu abgebrüht, um den geistigen Orgasmus angesichts dieses Resultats wirklich geniessen zu können (ich geniesse dümmlich-analytisch-zersetzend, kurzum jüdisch, gerade den gelungenen deutschen Schlangensatz... ;-); jedenfalls pries Kanitscheider diese Art von Vergnügen als allgemein verbindlicher Weg zum Glück, das durch die "Internalisierung der mathematischen Schönheit der Physik" zu gewinnen sei.

Das Ziel beider Physiker ist eine "vollkommen materialistische Erklärung der Welt". Geist und Leben ist ein auschliesslich "der Materie emergentes Phänomen" im Munde Kanitscheiders, "Materie, Geist und Leben sind überwundene Begriffe", welche durch den systemtheoretischen "Prozess"-Begriff in einem "neuen Paradigma" der "postmodernen Gesellschaft" ersetzt werden müssen im Munde Lazlos. (Nur am Rande: sein "neue Paradigma" im physikalischen Gewand ist nichts weiter als die allgemeine Feldtheorie, die Einstein vergeblich suchte und Laszlo als einsamer Rufer in der Wüste beschrieben zu haben glaubt.)
Kanitscheider postuliert eher die skeptizistische Variante - das Leben ist die Materie, Lebensfreude ist Freude an der Physik -, Laszlo eher einen hegelianischen "Weltgeist", der in der Materie haust. Interessant ist jedoch, dass genau derjenige, der den Weltgeist postuliert, dem anderen Vorwürfe macht, die logische Analyse der Sprache nicht zu Ende getrieben zu haben.

Es geht eben gerade nicht im geringsten um eine Analyse der benutzen Begriffe: die scheinbare Analyse ist bloss Staffage, funktional äquivalent dem schwellenden Kamm des Hahns, hegelianisch-schöngeistiger Überbau eines politischen Projekts. Die TV-Dramaturgie erlaubte denn auch nicht mehr, die politischen Schlussfolgerungen aus der physikalischen Weltsicht weiter auszudeutschen. Glücklicherweise ist Laszlo aktiv und publiziert sein Pamphlet im Internet unter der Obhut des "Club of Budapest" als Abspaltung des bekannten "Club of Rome".

Manifest über die globale Verantwortung

Erhältlich unter http://www.club-of-budapest.de/phil/manifest1.htm.

Gegliedert ist das Dokument in vier Teile, überschrieben mit "Präambel: Neue Anforderungen an das menschliche Denken und Handeln", "Ein Plädoyer für Kreativität und Vielfalt", "Ein Plädoyer für Verantwortungsbewusstsein" und "Plädoyer für ein planetarisches Bewusstsein".

Klingt doch gut, oder? Da heutzutage so gut wie jeder Politiker, Intellektuelle und Journalist - egal ob grün, rot, oder gemischt braun - diese Phrasen drischt, ist eine genaue Lektüre vonnöten. Nicht-Nichtwähler und allgemein Zufriedene werden einwenden, ich würde feindlich lesen und nur das Böse sehen. Ich verteidige meine Analyse als genaue Lektüre; ich lese das Dokument genau so, wie vor Jahrzehnten eine kleine Minderheit Hitlers "Mein Kampf" gelesen hat; eine Minderheit, die sich damals von Sozialdemokraten, Konservativen, Professoren und Pfarrern sagen lassen musste, dass doch alles gar nicht so schlimm gemeint sei.

Folgendes sind die 10 Punkte:

  1. "Am Ende des 20. Jahrhunderts sind wir an einem historischen Scheideweg angekommen: (...) Er führt zu einem weltumspannenden Netzwerk - zu einem einzigen hochgradig verknüpften, informationsorientierten, sozialen, ökonomischen und kulturellen System."
    Von Bedeutung halte ich: Angekündigt wird eine Art Revolution - im Marx'schen Sinne freilich eine hinter die Bourgeoisie zurückfallende reaktionäre Konterrevolution, hin zum absolutistischen Sonnenstaat Luis XIV; Es gibt nur noch ein System, das nach dem Vorbild der heutzutage oft als paradigmatisches Beispiel für ein System beschriebenen Sonne funktioniert. Dieses System konstituiert den absoluten Weltstaat.
    "Dieses Jahrhundert ist bereits Zeuge mehrerer schwerer Erschütterungen geworden, andere mögen vielleicht noch auf uns warten." Der Holocaust war demnach nur eine "Erschütterung", periodisch wiederkehrend wie Erdbeben; dessen Wiederholung wird damit implizit bereits angekündigt. Wie damals wird es keine persönlich schuldigen Mörder geben, sondern nur anynome Exekutoren der objektivierten Systemlogik.
  2. "Wir stehen heute vor der Herausforderung, über unser Schicksal zu entscheiden. Nach all den Tausenden von Generationen, die vor uns die Erde bevölkerten, ist es nun an uns, über das Los des Lebens auf diesem Planeten zu entscheiden."
    Von Bedeutung halte ich: Auf den ersten Blick klingt das wie die bekannte marxistische "der Mensch macht die Menschengeschichte"- Rhetorik. Mit "wir" sind jedoch ausschliesslich die funktionale Leistungen erbringenden Mitglieder des unter Punkt 1 genannten Systems gemeint, welche für die Menschheit im ganzen entscheiden.
    "Welche Maßnahmen wir auch immer ergreifen mögen: Wir schaffen mit ihnen entweder den Rahmen für den Aufbau einer friedlichen, kooperativen, globalen Gesellschaft und schreiben damit das große Abenteuer des Lebens, des Geistes und des Bewußtseins auf dieser Erde fort, oder wir inszenieren das Ende der Menschheit."
    Die Drohung mit dem "Ende der Menschheit" ist unbedingt ernst zu nehmen. Man erinnere das Wort "Gesellschaft" für nachher. Es sind handelnde Subjekte, welche ankündigen, die totale Vernichtung real zu inszenieren.
  3. "Die Handlungsmuster, die wir gegenwärtig antreffen, sind alles andere als ermutigend. Millionen von Menschen haben keine Arbeit, Millionen werden über Hungerlöhne ausgebeutet, Millionen leben in verzweifelter Hilflosigkeit und Armut."
    Von Bedeutung halte ich nicht den kaum ernstlich anzweifelbaren Tatsachenbericht, sondern das konsequente Weglassen aller "bisherigen" Erklärungsätze für dieses Phänomen, insbesondere und zentral das Ignorieren des marxschen historischen Materialismus.
  4. "Die Probleme auf den Gebieten Rüstung, Entwicklung, Umwelt, Bevölkerung, ebenso die vielfältigen Rohstoff- und Energiefragen werden nicht dadurch gelöst, daß man ohnehin überflüssig gewordene nukleare Gefechtsköpfe reduziert, ebensowenig durch die Unterzeichnung politisch unverbindlicher Verträge zu Welthandel, Erwärmung der Atmosphäre, Artenvielfalt und nachhaltiger Entwicklung."
    Von Bedeutung halte ich die konsequente Anwendung nationalsozialisitischer Rhetorik; damals betraf sie den "nutzlosen Weimarer Debattierklub" und den Völkerbund, heute die etwas abstrakter internationalen Verträge, die ja ohnehin niemand einhalte.
    Von noch grösserer Bedeutung, ja geradezu zentral, halte ich jedoch das Festhalten am Recht auf den atomaren Erstschlag: die "überflüssigen" nuklearen Gefechtsköpfe werden von den Vollstreckern der Vernichtung benötigt, deshalb soll auch niemand auf den Gedanken kommen, dieselben zu "reduzieren".
    Atomsprengköpfe sind materialisierte Kernphysik, Fetische der Klasse der Systemzugehörigen. Nur Besitzer von Kernwaffen können glaubwürdig mit der Inszenierung des Endes der Menschheit drohen.
    "(...) die Macht der Liebe, des Mitgefühls und der Solidarität (...) nur sie weisen einen Weg, wenn wir mit unseren hochentwickelten, aber instabilen und verletzlichen sozio-technologischen Gesellschaften die nächste Stufe der Evolution erreichen wollen."
    Von Bedeutung halte ich die Identifikation der "sozio-technologischen Gesellschaften" mit der "nächsten Stufe der Evolution". Lewis Mumford ("Mythos der Maschine") hat eindrücklich dargelegt, dass eben gerade die sozio-technologische Gesellschaft eine alte Idee ist, welche beispielhaft in der altägyptischen Pyramidengesellschaft realisiert wurde.
    Und gerade diese Pyramidengesellschaft ist gerade in der jüdischen Tradition mit einem Fluch belegt: jährlich wird symbolisch des Exodus gedacht. Die ursprüngliche jüdische Gesellschaft definierte sich selbst ausdrücklich in der Differenz zur sozio-technologischen Gesellschaft. Gerade deshalb ist der Antisemitismus nicht austauschbare Staffage faschistischer Gesellschaften, und am wenigsten in der nationalsozialistischen Gesellschaft, sondern konstitutiver und unersetzlicher Bestandteil.
    Deshalb richte ich ganz entschieden sowohl an die Autoren des Pamhplets wie auch an dessen Propagandisten z.B. in einschlägigen TV-Sendungen den Vorwurf des auf Vernichtung abzielenden Antisemitismus.
  5. "Falls wir weiterhin an überholten Wertvorstellungen und Überzeugungen sowie einem fragmentierten Bewußtsein festhalten, wenn es uns nicht gelingt, unseren Blick vom eigenen Nabel abzuwenden, fixieren wir uns weiterhin auf obsolete Ziele und Verhaltensweisen. Als Leitbild für eine Vielzahl von Menschen würden sie den Übergang zu einer vernetzten, friedlichen und kooperativen Weltgemeinschaft nachhaltig verhindern."
    Von Bedeutung halte ich die nach obiger Interpretation nunmehr unverblümte Ankündigung der Judenvernichtung: wer an überholten Wertvorstellungen und Überzeugungen festhält, verhindert nachhaltig die "friedliche und kooperative Weltgemeinschaft". Man beachte den signifikanten Wandel der Begriffe: war vorher noch von der (modernen) Gesellschaft die Rede, lautet der Begriff jetzt ausdrücklich "Gemeinschaft". Wer die (sozio-technologischen) Werte dieser Gemeinschaft nicht teilt, verhindert sie "nachhaltig", was den zur Rettung der Menschheit notwendigen ökologischen Zielen natürlich zuwiderläuft: der Jude gefährdet die Welt als ganzes und gehört daher als ganzes vernichtet.
    "Wir sind aufgefordert, hinter den Dingen den eigentlichen Gang der Entwicklung zu erkennen und denjenigen Geist und das Bewußtsein zu entwickeln, das uns in die Lage versetzt, Probleme und Chancen umfassend zu erkennen - und danach zu handeln." Besser hätten Hitler/Goebbels/Himmler und wie sie alle hiessen das auch nicht ausdrücken können.
  6. "Eine neue Art des Denkens ist zur notwendigen Voraussetzung für verantwortungsvolles Leben und Handeln geworden. (...) Unsere heutige wirtschaftliche, soziale und technologische Umgebung ist unsere eigene Schöpfung, die wir nur mit der Kreativität unseres eigenen Denkens bewältigen können - dazu gehören unsere Kultur, unser Geist und unser Bewußtsein. Wirkliche Kreativität verharrt nicht starr angesichts eines ungewöhnlichen und unerwarteten Problems, sondern begegnet ihm offen und ohne Vorurteile."
    Von Bedeutung halte ich die Verwendungsweise des Begriffs "ohne Vorurteile". Hier geht es nicht um die sozialpädagogisch motivierte Schülerweisheit, man solle den Ausländer nicht nach dem Beurteilen, was im Elternhaus über den Ausländer gesagt wird. Aufgrund des Zusammenhangs wird deutlich, dass es eher um den rechtsextremen Begriff des "Tabu" oder des "Denkverbots" z.B. im Sinne Martin Walsers geht: Die faktisch erfolgte Vernichtung der europäischen Juden auch nur für moralisch ungerechtgertigt zu halten, ist nichts als ein Vorurteil, das der evolutionären Entwicklung der Menschheit im Wege stehen könnte und deswegen kreativ überwunden werden muss.
  7. "Nachhaltige Vielfalt ist ein weiteres Erfordernis unserer Zeit. (...) Komplexere Organismen verfügen über eine große Vielzahl unterschiedlicher Zellen und Organe, die sich funktional ergänzen und deren Zusammenwirken optimal koordiniert ist. (...) Nur so können die Einzelnen nach besten Fähigkeiten der Gemeinschaft dienen und sich in einer Art und Weise ergänzen, die dem bestmöglichen Wachstum des Ganzen dient." Von Bedeutung halte ich die funktionale Definition der Vielfalt: nur das, was funktional für die technologische System-Gemeinschaft ist, ist bewahrenswerte Vielfalt. Das Andere, das sich nicht funktional eingliedern lässt, muss vernichtet werden. "Ebenso wie die Vielfalt der Natur inzwischen durch einseitige Bevorzugung einiger weniger Nutzpflanzen und -tiere bedroht ist, ist die Vielfalt der heutigen Welt durch die Dominanz einer, oder einiger weniger, Kulturen und Zivilisationen gefährdet."
    In anderem Kontext wäre die Passage diskutabel, hier und in deutsch handelt es sich schlicht und einfach um klassisch rechtsextremes antiamerikanisches Ressentiment.
  8. "Unsere gemeinsame evolutionäre Bestimmung ist der Aufbau einer globalen Gemeinschaft."
    Na? Wer nicht einverstanden ist, handelt gegen die Evolution und wird ganz darwinistisch selektioniert, d.h. vernichtet. Noch nicht überzeugt?
    "Die Einstellung, andere so sein zu lassen, wie sie wollen, (...) ist Ausdruck einer wohlmeinenden, aber ungeeigneten Haltung. Ebenso wie unterschiedliche Organe in einem Körper, müssen auch Völker und Kulturen zusammenarbeiten, zum Wohle des Gesamtsystems, dessen Teil sie sind - in unserem Fall der menschlichen Gemeinschaft auf diesem Planeten. (...) sind die Völker und Nationen dazu aufgerufen, das Mitgefühl und diejenige Solidarität zu entwickeln, die es uns ermöglicht, bloße passive Toleranz zu überwinden zugunsten aktiver, gegenseitiger Zusammenarbeit und neuer Ethik."
    Die aktive, neue Ethik ist nichts als die alte nationalsozialistische Rassenethik. Die Völker, die nicht mitmachen, sind nicht Solidarisch und damit ein Hindernis in der Evolution und müssen daher als ganzes vernichtet werden. Da die Evolution keine Verantwortlichkeit kennt, werden die Mörder nicht Mörder sein, sondern aktiv und solidarisch handeln.
  9. "Wir brauchen etwas, für das es sich zu leben lohnt: Ein Ideal, dem wir nachstreben können, eine Verantwortung, die wir bereit sind zu übernehmen."
    Dieses Ideal identisch für alle Menschen verbindlich zu erklären und in der Volksgemeinschaft zu verorten war ein zentrales Element faschistischer Ideologie. Dass die Volksgemeinschaft nun nicht mehr national, sondern über das sozio-techologische System definiert wird, macht keinen Unterschied. Weiter im Text folgt der bekannte Katalog schöngeistiger Verantwortlichkeiten. Am schönsten finde ich die Passage "Als Bürger unserer Länder sind wir verantwortlich dafür, daß unsere Führer Schwerter zu Pflugscharen umschmieden (...)" War wohl ein freudscher Versprecher; noch sind nicht alle Länder nationalsozialistisch und haben einen Führer. Aber es dauert wohl nicht mehr lange.
    Für pikant halte ich das Ansinnen, internationale Verträge für nichtig, die Reduktion des Atomarsenals für Bedeutungslos zu erklären und anschliessend die Abschaffung des Atomarsenals dem Bürger zu überlassen, der sich in der Regel dadurch auszeichnet, ausser unterstützend via Steuergelder nie im Leben irgendwelchen Einfluss auf die atomare Bewaffnung seiner Regierung zu haben.
    Aber die Herren des sozio-technologischen Gesellschaftssystems haben ja auch nicht im geringsten im Sinn, auf ihre Vernichtungsmittel zu verzichten. Wie sonst sollen sie die Evolution an den Menschen exekutieren?
  10. "Die Beseitigung sozialer und wirtschaftlicher Fehlentwicklungen und Frustrationen erfordert eine beträchtliche sozio-ökonomische Entwicklung, welche wiederum das Vorhandensein besserer Ausbildung, besserer Information und besserer Kommunikation voraussetzt."
    Kurzum: das klassisch neoliberale Wachstumsprojekt, welches natürlich nichts, aber auch gar nichts zu tun hat mit ökologischen Problemen.
    Statt dessen wird "parallel" eine spirituelle Fortentwicklung der Menschheit in Richtung "planetarisches Bewusstsein" gefordert:
    "Die Fortentwicklung menschlichen Geistes und Bewußtseins muß demnach erstes und dringlichstes Anliegen der gesamten menschlichen Familie sein." Am Anfang war die Menschheit Gesellschaft, dann Gemeinschaft und jetzt Familie. Vom Führer war auch schon die Rede. Planetarisches Bewusstsein ist totalitäres, faschistisches Bewusstsein.
  11. "Statische Stabilität ist in unserer Welt eine Illusion, das einzig Beständige ist nachhaltiger Wandel und Transformation."
    Womit die kapitalistische Welt des unter permanentem Rationalisierungszwang stehenden Bourgeois schön auf den Punkt gebracht ist.
    "Um den Zusammenbruch zu vermeiden, stehen wir vor der kontinuierlichen Notwendigkeit, die Evolution unserer Gesellschaften in die richtigen Bahnen zu lenken: in Richtung einer Welt, in der alle Menschen in Frieden, Freiheit und Würde leben können."
    Der Wille zur Macht als Wille zur Vernichtung all derjenigen, die sich dem einen und alles umfassenden sozio-ökonomischen Weltsystem nicht fügen. "Wir" lenken die Evolution. "Wir" sind die Evolution. Darum haben "wir" die Lizenz zum töten. Denn wenn wir nicht töten, geht die ganze Menschheit unter: "Seine Evolution wird zum neuen Imperativ für das Überleben des Menschen auf diesem Planeten."

Von den Unterzeichnern kenne ich nur Peter Ustinov und den Dalai Lama vom TV. Weitere sind zu finden am Schluss unter http://www.club-of-budapest.de/phil/manifest4.htm

Das Nicht-Esoterische im Esoterischen

Ein Vorwurf an die moderne, industriell betriebene Massenesoterik lautet, sie prädisponiere zu faschistischen Einstellungen. Damit ist gesagt, dass zur Esoterik noch etwas hinzukommen muss, um als Faschismus zu gelten. Üblicherweise wird verwiesen auf eine notwendige (im zitierten Manifest bereits vorausgesetzte!) antidemokratische Führer-Regierung, die von den Esoterikern gewählt werden muss. Die gute Nachricht lautet demnach, dass der zivilisierte Westen vorläufig noch über demokratische, auf dem festen Boden des wissenschaftlichen Rationalismus stehende Regierungen verfügt, aktuell hauptsächlich bestehend aus Sozialdemokraten.

Die daraus abgeleitete Kritik wendet sich einerseits gegen esoterischen Obskurantismus im allgemeinen; geeignetes Mittel zur Durchführung dieser Kritik via TV ist das Lächerlichmachen von Esoterik aller Art praktizierenden Personen. Tenor: Sie bemühen sich redlich (oder auch peinlich), aber Gott ist seit dem 19. Jh. tot, also strampeln sie vergebens.
Andererseits werden personelle Verflechtungen mit der Neonazi-Szene nachgewiesen; ein typischer Skinhead darf dann im TV seine keltischen Runenmythen präsentieren. Wenn's intellektuell sein soll, darf der Verweis auf Wagner, der ja auch irgendwie "ein Nazi war" und Nibelungenmythen verbreitet hat, nicht fehlen.

Demgegenüber möchte ich mit Lewis Mumford ganz entschieden darauf beharren, dass Faschismus existentiell von Sonnenkult (sein historisch in Altägypten begründeter Ausdruck für Maschinenkult) abhängig ist. Faschismus ist im Kern Maschinenkult. Konkret praktiziert wurde er im Nazionalsozialismus auf verschiedensten Ebenen: Erst im Nationalsozialismus wurden mit dem Volksradio elektronische Medien zu Massenmedien. Erst im Nationalsozialismus wurde mit dem Volkswagen das Auto zum Massenkonsumgut. Die hochrationalisierte Kriegsindustrie, auf die Spitze getrieben im ersten Weltkrieg, wurde einerseits zivilisiert, andererseits durch deren allgemeine Präsenz zu neuen Höchstleistungen angespornt. Während des Krieges kriegte Konrad Zuse den ersten digitalen Computer zum laufen. Mit den "Vergeltungswaffen", insbesondere mit der V2 als erste Flüssigtreibstoffrakete, wurde das Zeitalter der Raumfahrt und der atomaren Massenvernichtungswaffen eingeläutet.

Aus Angst, die Deutschen würden der USA zuvorkommen, praktizierte der zivilisierte Westen in Hiroshima und Nagasaki einen aus der Kriegslogik nicht zu rechtfertigenden technologischen Massenmord, der wärend des kalten Krieges als reale Gefahr die Bevölkerungen ganzer Kontinente als diffuse Angst einerseits, als phantastisches Überlegenheitsgefühl andererseits psychisch prägte. Faschismus ist kein nur italienisch-deutsch-japanisches Phänomen.

Die Herren der Bombe (oder der Smart-Bombs und Cluster-Bombs der Sozialdemokraten und Grünen im Kosovo) sind existentiell darauf angewiesen, über eine Reservearmee an fähigen Ingenieuren zu verfügen. Die plötzliche politische Akzeptanz der deutschen Pseudo-"Green Card" ist auch und gerade vor diesem Hintergrund zu sehen. Wer hat nicht noch die Grünen im Ohr, die nach dem schnellen Einsatz der "Apache"-Kampfhubschrauber schrien, die Probleme dieser teuren und diffizilen Hi-Tech-Maschinen partout nicht sehen wollten und sich nachträglich wohl belehren lassen mussten, dass Kampfmaschinen noch nicht so einfach zu bedienen sind wie Netscape, Word und E-mail.
Keinem Kommentator ist die Selbstverständlichkeit des absoluten Überlegenheitsgefühls aufgefallen, mit dem die "zivilen" Kriegshandlungen propagiert wurden. Ein Vielfaches an Opfern auf der unzivilisiert-barbarischen Seite (waren ja nur ca. 1500 Serben, also keine Menschen) wurde in Kauf genommen, um auch jeden einzelnen deutschen Top-Gun-Tornado-Piloten gesund und munter als Held nach Hause zu bringen. Der Kriegsorden, den Scharping demjenigen Mörder verlieh, der in Selbstverteidigung einen Autofahrer mit dutzenden von Schüssen zerfetzt hatte, soll dies hier illustrieren.

Bestünde der zivilisierte Westen hauptsächlich aus zu Flöten und Trommeln hüpfenden und grunzenden Eso-Selbstfindern, würde dieses grenzenlose Überlegenheitsgefühl aufgrund negativer Erfahrungen mit der Kriegsmaschine sofort in sich zusammenschmelzen. Aus diesem Grund sind die Autoren des zitierten Manifestes so erpicht darauf, die moderne Welt in ein einheitlich geführte sozio-technologisches Gesellschaftssystem zu überführen: Hinter der Propaganda leuchtet die unausgesprochene Voraussetzung, dass in der Moderne Weltherrschaft mit permanentem totalem Hi-Tech-Krieg errungen und bewahrt werden muss.

Da der Kapitalismus aus seiner inneren Logik heraus ökologische Katastrophen einerseits produziert und andererseits als Gott der Profiteure sakrosankt ist, ist der Faschismus für ebendiese Herren der Welt die einzig zukunftsfähige Lebensform. Dass diese Lebensform identisch ist mit der totalen Vernichtung, gehört zu dessen Prinzip. Um die Vernichtung zu legitimieren, ist erst sekundär das ganze Gerede von von "Ethos" und "Verantwortung" vonnöten. Primär ist der Nihilismus.

Denn die Faschisten sind innerlich überzeugt, dass die Welt untergehen muss, sie selbst aber - je nach Belieben - durch meditativ errungene Wiedergeburtsrechte in der nächsten Welt oder profaner durch noch zu bauende Raumschiffe gerettet werden, genau wie die Altägypter vom Schiff des Totengottes Anubis.

Dieser Faschismus spielt sich gerade nicht an den Rändern der zivilisierten westlichen Gesellschaft ab, sondern in deren öffentlich-intellektuell-aufgeklärtem Zentrum. Die aktuelle nationalsozialistische Bedrohung in deutschen Landen kommt zwar auch von prügelnden Glatzen und rechtsextremen politischen Parteien; die eigentliche Bedrohung stellt jedoch m.E. die nihilistisch-technizistisch-systemtheoretische Praxis der offiziellen Repräsentanten von Demokratie, Wissenschaft und Aufklärung dar. Die zitierte "Sterndstunde Philosophie" (übrigens - da für besonders wichtig gehalten - kommerziell erhältlich beim SF DRS) ist brauner als die meisten explizit braunen Internet-Texte von einschlägigen Neonazi-Gruppen. Genau deshalb plädieren die intelligenteren Faschisten für ein Verbot dieser WWW-Seiten. Denn die erst die technische Implementierung sozialdemokratisch-"linksintellektuell"-vorbürgerlicher Zensurmechanismen erlaubt die Vernichtung von Gedankengut wie dem hier und heute von mir versuchsweise niedergeschriebenen.

Zuletzt modifiziert am 16.11.00