Emanzen aller Richtungen: diffundiert!

Wenn sich Emanzipation einer häufigen Praxis gemäß übersetzen lässt mit Befreiung, emanzipatorisch mit fortschrittlich, dann ist es wenig verwunderlich, dass sich der Begriff der Emanzipation heute einer größeren Popularität erfreut als seine scheinbar präziseren Übersetzungen. Befreiung! Fortschritt! – beide Begriffe sind durch die Bewegung der Kritiken problematisch, durch die Beweglichkeit der Verhältnisse anachronistisch geworden. Den Fortschritt hat der Fortschritt der Geschichte selbst erledigt. Mit der Unfähigkeit der Arbeiterinnenbewegung den Faschismus zu stürzen, ihrer Bereitwilligkeit den Nationalsozialismus aktiv zu stützen, hat sich die marxistische Teleologie blamiert. Dass sich Auschwitz gerade nicht in einer barbarischen Peripherie ereignet hat, sondern im intellektuell und industriell hoch entwickelten Deutschland, wird den Glauben an eine Vernunft in der Geschichte, die alles stetig oder letztlich zum Besseren wendet, endgültig desavouiert haben. Im Begriff der Entwicklung lebt der Fortschrittsglaube noch einmal kurz auf. Aber spätestens seit dem Ende der Ost-West-Logik darf klar sein, dass es an Integration des Trikont in Weltmarkt, Demokratie, trallala, heute nicht nur kein ökonomisches, sondern auch kein politisches Interesse mehr gibt. Offensichtlich ist der Fortschritt nicht auf der Seite der Emanzipation. Dagegen hat sich die Befreiung länger halten können. Als Gegenbegriff zu Ausbeutung und Unterdrückung nahm sie lange eine zentrale Stellung im normativen Gerüst der Linken ein. Aber mit der Krise der autoritären und repressiven Regulationsweise des fordistischen Akkumulationsregimes ist zunehmend unklar geworden, wer sich hier eigentlich von was oder vielmehr von wem zu befreien habe. Patriarchen, Bosse, Hausarrest sind nicht länger die privilegierten Paradigmen der Feindbestimmung. Die Bewegung der feministischen Kritik hat gezeigt, dass sich das Unbehagen der Geschlechter nicht in der Unterdrückung sogenannter Frauen erschöpft, sondern von der geschlechtlichen Vergesellschaftung selbst ausgeht. Analog dazu hat die marxistische Kritik ihren Fokus von der Ausbeutung auf die Wertvergesellschaftung erweitert. Im Vordergrund stehen nicht Mann/Frau und Kapital/Arbeit, sondern Wert und Geschlecht, die jenen Konstruktionen logisch vorgängig sind und Patriarchat und Mehrwert überhaupt erst hervorbringen. Damit steht nicht mehr „nur“ die Befreiung „der Frauen“ von „den Männern“ oder der Arbeit von dem Kapital auf dem Plan, sondern die Abschaffung dieser materiellen Kategorien selbst. Wenn Macht nicht mehr in erster Linie als repressiv, ausbeutend, sondern als produktiv, konstituierend aufgefasst wird und damit bereits auf der Ebene von Subjektkonstruktion wirksam ist, die auch vor kritischen Subjekten nicht halt macht, dann wäre der Begriff Befreiung heute sinnvoll nur als eine Befreiung von uns selbst zu füllen. Damit verliert er aber seinen eigentlichen Pepp. Mit „Nie wieder Ich“- Transparenten lässt sich leider schlecht für eine autonome Demo mobilisieren.

Diese historische Situierung der Emanzipation darf aber nicht mit ihrer Definition verwechselt werden – die sich nicht geben lässt. Wenn ein Signifikant seinen Sinn nur relational zu anderen Signifikanten bezieht, dann lässt sich seine Bedeutung weder durch eine etymologische Mythologie, noch durch eine onto-logische Ableitung endgültig fixieren. Zwar ist die Emanzipation bis zum Bersten gefüllt mit historischen Spuren, aber diese sind auf beständig zu wiederholende Reaktualisierungen angewiesen, welche den Signifikanten für Verwendungen öffnen, die sich weder programmieren noch vorhersagen lassen. Die konstitutive Unterbestimmtheit des Signifikanten links/emanzipatorisch ist aber nicht nur Schwäche, sondern auch Stärke, denn sie schützt ihn vor Verdinglichung und weist ihn als umkämpft aus: Ein Begriff ist nur so gut wie seine Verwendung.

Die Schwammigkeit der Emanzipation, die es ihr erlaubt auch Herrschaftsverhältnisse zu kritisieren, die vor hundert Jahren noch gar nicht existierten, ist aber zugleich auch die Bedingung der Möglichkeit einer reaktionären Artikulation. Es gibt antisemitische Antirassitinnen, rassistische Feministinnen, antifeministische Antideutsche. So what?! Verwunderlich wäre nur, wenn sich mitten im Kapitalismus nirgends eine Linke finden ließe, auf die das eine oder andere zutrifft. Verwunderlich wäre in der Tat, wenn es mitten im postnazistischen Deutschland keine antisemitischen Linken gäbe. Damit wird aber weder der Begriff links obsolet, noch hört eine antisemitische oder antifeministische Linke automatisch oder per Dekret auf Linke zu sein. Das kann nur einer verdinglichenden Perspektive so erscheinen, der es um Identitäten und Subjekte geht, statt um die Verschiebung von Kräfteverhältnissen. Auf der Ebene einer asubjektiven Politik entwickelt der Begriff links/emanzipatorisch erst hier seine volle Wirkmächtigkeit, denn er spannt einen normativen Horizont auf, an dem sich die verhandelten Positionen messen, vor dem sie sich kritisieren lassen müssen. Eine antizionistische Israelkritik ist eben keine! linke Kritik der israelischen Regierungspolitik, auch und gerade auch, wenn sie von einer Linken vertreten wird, die ansonsten korrekte antirassistische Politik betreibt. Die immanente Kritik kann aber nur innerhalb von Diskursen funktionieren, deren Sätze sich um den Signifikanten links/emanzipatorisch gruppieren und sich als solche legitimieren müssen. Diesem Rechtfertigungszwang braucht sich nicht mehr aussetzen, wer sich aus der Linken herausschreibt oder – denn das ist gar nicht so einfach – es zumindest versucht. Um sich unangenehmen (Selbst-) Infragestellungen nicht stellen zu müssen ist es dienlich, sich von der Linken zu verabschieden. Absurd ist es aber, den Abschied von der Emanzipation im Namen der Emanzipation zu vollziehen und – by the way – das genaue Gegenteil einer Verteidigung der Aufklärung gegen die Aufklärung. Es hat immer Sozialdemokratinnen, Stalinistinnen, National-Sozialistinnen, kurz rechte Reaktionäre gegeben, die sich affirmativ auf die Codes linker Emanzipation bezogen haben. Und es gibt immer noch Grüne, die, obwohl sie es besser wissen müssten, beleidigt reagieren, wenn ihnen diese Label abgesprochen werden. Einen Begriff, der vor einer feindlichen Übernahme, einer reaktionären Entwendung geschützt wäre, kann es schlechterdings nicht geben. Das hat nicht zuletzt die unvorhergesehene Fähigkeit des Differenzkapitalismus, widerständige Codes zu integrieren, bewiesen. Die Sehnsucht nach einer unschuldigen und reinen, einer okkupationsresistenten Position, die sich mit Hilfe einer definitorische Grenze von den historischen Kämpfen abschirmen ließe, ist illusorisch. Sie ist selbst als historischer Ausdruck linker Marginalisierung zu analysieren, die ebenso hilflos bleibt, wie die Übermacht der Verhältnisse beständig. Dabei scheint sich die Unfähigkeit (eigene) Widersprüche auszuhalten im selben Maße zu intensivieren wie die politische Wirkmächtigkeit sinkt. Die Grenze zwischen notwendigen politischen Spaltungen und identitätspolitischen Operationen verschwimmt. Je geringer das soziale Kapital, umso schneller die Zirkulationsgeschwindigkeit der Brüche von ‚der’ Linken. Wir brechen, ich breche, sie brechen – kein Wunder, dass einem dabei übel wird.

Wenn sich die Bedeutung eines Begriffs weder apriori noch durch Rekurs auf seine Geschichte endgültig fixieren lässt, sondern abhängig ist von einer beständigen Reartikulation in einem prinzipiell offenen Kontext, dann kann es in der Tat sein, dass die historischen Kräfteverhältnisse zur Aufgabe auch solcher Signifikanten zwingen, die vormals zum festen Eigentum der eigenen Terminologie zu gehören schienen. Die hegemonialisierte Artikulation etwa von Glatze, Bomberjacke, Springerstiefel mit gewalttätig, rassistische, rechtsextremistisch macht es zu einem peinlichen und politisch fatalen Anachronismus vermittels eines mythologischen Rekurses, im Sinne von ‚wir waren zuerst da’, auf einem oppositionellen Sharpskin-Code, gewissermaßen einer Geheim- oder Privatsprache zu bestehen. Der migrantische Passant kennt diesen Code nämlich unter Umständen nicht – und nur auf seine Lesart kommt es hier an.

Diese Fixierung trifft aber auf den Signifikanten links/emanzipatorisch nicht zu. Seine Unterbestimmtheit ist in der aktuellen Situation auch insofern eine Stärke, als sie eine Artikulation innerhalb verschiedener Kontexte erlaubt, die die historisch gewachsene Arbeitsteilung der Linken getrennt hat. Sowohl feministische/antipatriarchale als auch antirassistische/antideutsche Kritik haben in ihrer ideologiekritischen Spezialisierung Schwierigkeiten, etwa die aktuellen ökonomischen Transformationen in ihrer Beziehung zu Rassismus und Antisemitismus und den bereits absehbaren Versuchen einer Restabilisierung der heterosexistischen Matrix zu analysieren. Die linke Arbeitsteilung ist also zu überwinden, ohne die in ihr gespeicherten Erkenntnisse aufzugeben, sie ist aufzuheben. Das ist mehr als die bloß moralische Addition von Schlechtem in der Triple Oppression. Wir haben versucht, die Analyse wechselseitiger Durchdringung verschiedener Herrschaftsverhältnisse, etwa antisemitischer Geschlechterkonstruktionen, im Begriff des integralen Kommunismus zu fassen. Aber der Begriff der Integralität hält selbst die Vorstellung eines universalen kritischen Subjekts am Leben, das anfällig ist für überkommene Autonomiephantasien. Dagegen müsste es darum gehen, sich die Begrenztheit und Partikularität des eigenen Wissens einzugestehen, um die Möglichkeit, von anderen linken ‚Expertinnen’ etwas zu lernen, nicht bereits im vorhinein auszuschließen. Diffusion der Emanzen, Denunziation der Querfront – so lautet die Parole. Kritik aller reaktionären Artikulationen unter dem Label links. Was für eine Kritik? Natürlich eine linke! Wenn es heute noch eine binäre Logik gibt, die es zu dekonstruieren und zu verteidigen gilt, dann das links/rechts-Schema.


sinistra! radikale linke