Riefenstahl denken heißt Auschwitz denken!

Das Deutsche Filmmuseum zu Frankfurt präsentiert vom 2. bis 10. Januar unter dem Motto „In memoriam Leni Riefenstahl“ eine Reihe mit Filmen der exponiertesten Regisseurin des Nationalsozialismus. Schon die zärtliche Anrede ebenjener glühenden Hitlerverehrerin als Leni lässt wenig Distanz zu den vorzuführenden Werken erahnen, verstärkt werden die schlimmen Befürchtungen durch den Ankündigungstext, in dem abgesehen von der Benennung Riefenstahls als „meistgehasste und meistbewunderte“ Filmemacherin Deutschlands jeglicher Anflug von Kritik vergeblich gesucht wird.

Verschwiegen wird zuallererst eine Biographie, die trotz ihres Ausnahmecharakters repräsentativ für eine ganze Generation steht. Schon vor der Machtübernahme durch die NSDAP besuchte Helene Riefenstahl im Jahre 1932 eine Veranstaltung mit Adolf Hitler und bat ihn, angetan von seinen Redekünsten, in einem enthusiastischen Brief um ein Treffen. Wenig später bekannte sie sich nach der Lektüre von „Mein Kampf“ als „überzeugte Nationalsozialistin“. Ihre Begeisterung wurde von der NS-Elite in Person von Hitler, Goebbels und Streicher erwidert und materialisierte sich in Aufträgen zur Verfilmung zweier Parteitage. Den Nürnberger Parteitag, der die berüchtigten Rassegesetze verabschiedete, dokumentierte sie in „Triumph des Willens“ nicht nur, sondern erschuf ihn maßgeblich mit. Der 1936 gedrehte Olympia-Film „Fest der Völker“ entstand keineswegs – wie von Riefenstahl im Nachhinein behauptet – auf Wunsch des IOC, sondern in engster Zusammenarbeit mit und finanziert vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Ausgezeichnet wurde das vielbeachtete Werk unter anderem als „staatspolitisch wertvoll“. Für den 1940 begonnen Film „Tiefland“ über eine bäuerliche Gemeinschaft, die durch jüdisch codierte Zinswucherer bedroht ist, wurden Sinti und Roma als DarstellerInnen zwangsverpflichtet, die im Anschluss nach Auschwitz deportiert und dort zum Großteil vergast wurden. Damals kommentierte Riefenstahl gnadenlos: „Wenn Hitler fand, sie gehören dahin, dann gehören sie dahin.“.

Nach dem in ihren Augen verlorenen Krieg bis kurz vor ihrem Tod erklärte sie kontrafaktisch, sämtliche am Film beteiligte ZwangsarbeiterInnen lebend wiedergesehen zu haben. Ebenso behauptete die „Meistbewunderte“, während der NS-Zeit von Deportationen, Konzentrationslagern, gar Massenmorden nichts gewusst zu haben. Sie habe angenommen, die tatsächlich in Todesangst fliehenden Juden gingen freiwillig ins Ausland. Riefenstahl war es jedoch nicht etwa, wie mensch annehmen könnte, peinlich, dermaßen unverschämt zu lügen – im Gegenteil, vermutlich hielt sie jedes ihrer Worte für wahr und bestätigte damit Adornos Satz von den Deutschen, die keine Lüge aussprechen können ohne sie selbst zu glauben.

Wie die Mehrheit ihrer Volksgenossen wollte die kunstfertige Regisseurin im Nachhinein nichts mehr wissen von ihrer aktiven Beteiligung an den größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, präsentierte sich vielmehr als naive Idealistin, die in ihrem unpolitischen Glauben an die Sache vom Führer betrogen worden sei. Zu Unrecht sah sie sich angeklagt und stilisierte sich zur verfolgten Unschuld, die von dunklen Kräften niedergehalten werden solle. Mit welcher Penetranz Riefenstahl die ideologische Figur vom gepeinigten Opfer ausagierte, zeigt sich daran, dass sie selbst in den äußerst rar gesäten Verurteilungen des Nationalsozialismus noch ihr eigenes, angebliches Leid in den Mittelpunkt rückte. Hartnäckige Schuldabwehr war ihr zur zweiten Natur geworden, jede Selbstreflexion unmöglich, nicht einmal Anflüge von Trauer oder Reue ließ sie zu. Hierin zeigte sie sich einig mit ihrem Vaterlande, welches ebenfalls zu keiner Zeit ernsthaft eine Auseinandersetzung mit den begangenen Untaten gesucht, der eigenen Schuld ins Auge geblickt hatte. Nicht die Beteiligung eines ganzen Volkes wurde eingestanden, vielmehr erschienen die Nazis in den Erzählungen der Deutschen als von außen gekommen VerführerInnen, die die grundehrlichen Erna und Otto Normalvergaser in ihrem treuen Glauben missbrauchten. Mit dieser Lüge ermöglichte man sich den Rückzug in eine als ideologiefrei präsentierte Schmoll- und Klageecke und hielt doch dank der vermiedenen Aufarbeitung der Vergangenheit die kollektiven Identifikationen aufrecht.

Nun gut, werden einige einwenden, die historischen Fakten sind bekannt, die Deutschen bornierte Arschlöcher, die glücklicherweise Dahingeschiedene mehrere Jahre, gerne auch ihr ganzes Leben lang eine glühende Faschistin gewesen - aber: das Phänomen Riefenstahl besitze eben zwei Seiten. Ihrer hässlichen Fratze als Nazi-Propagandistin stehe das technisch herausragende, inspirierte, den modernen Film vorantreibende Genie entgegen. Ein solcher Ansatz will die besudelte Biographie, die braune Vita ,vom angeblich kontextunabhängigen Inhalt trennen. Doch im Angesicht der Geschlossenheit des Riefenstahlschen Oeuvres scheitern solche Exkulpationsversuche notwendig, denn ihre Bilder transportieren nicht nur Ideologie, sie sind selbst Ideologie. Keine konkreten, alltagspolitischen Fragen freilich werden in ihren Filmen angesprochen, vielmehr bringen sie eine Philosophie, eine Haltung zur Welt zum Ausdruck, die nur als faschistisch qualifiziert werden kann. In den Inszenierungen der 30er Jahre sind die Bezüge völlig offenbar, etwa wenn im Olympiafilm ein deutscher Zehnkämpfer qua Überblendung aus klassischen Statuen zu entspringen scheint und so die mythologische Verwurzelung der NS-Arier im antiken Griechentum behauptet wird. Doch wie in den vor 1945 realisierten Filmen kommt auch in den Fotos der afrikanischen Nubas, entstanden in den 60ern, eine sozialdarwinistisch-faschistische Ästhetik zum Tragen. Die Beschäftigung mit „Schwarzen“ deutet keineswegs einen antirassistischen Bewusstseinswandel an, stattdessen zeigt sich in den Abbildungen mutiger Buschkämpfer als fremdartige wilde Tiere eine Kontinuität Riefenstahlschen Denkens. Stets transportieren ihre Arbeiten eine Harmonie, die durch nichts getrübt werden soll, eine perfekte Schönheit, die sich allein durch die Betonung von Stärke, Wille, Opferbereitschaft entfaltet.

Individuelle Erfahrung, die die Option auf Mitleid, Empathie in sich birgt, scheint nicht im Bereich des Möglichen, wird folglich denunziert. Der makellose Körper verschmilzt bei Riefenstahl mit dem reinen Geist zum Übermenschen, dessen Sieg und damit dessen Führerschaft affirmativ naturalisiert werden. Alles Niedrige, „Weibliche“, Schmutzige wird ausgeschlossen, der Anspruch auf ungebrochene Perfektion ist ein totaler; Zugeständnisse, gar Widersprüche werden nicht zugelassen. Riefenstahl schaut weg, „wenn ich etwas Abstoßendes sehe“, wenn unschöne „Fremdelemente“ ihr Ideal zu beschmutzen drohen - ihre Filme sind demnach auf die Vernichtung der komplexen Wirklichkeit angelegt. Wo immer und immer wieder das Starke triumphiert, muss das Schwache verlieren. Wo immer und immer wieder das bruchlose Eins-Sein, die absolute Identität und Reinheit, propagiert wird, muss alles Nicht-Identische ausgeblendet, ausgemerzt werden. Darin erweist sich ihre Übereinstimmung mit der Volksgemeinschaft, welche sich ebenso bestrebt zeigt, unter Missachtung jeglichen Realitätsprinzips alle Unreinheiten, alles als fremd Begriffene auszuschließen, im schlimmsten Fall durch Massenmord. Die leider nicht meistgehasste Regisseurin liefert die Bilder zu diesem Weltbild, das nie zur Ruhe kommen kann, sondern stets darauf bedacht sein wird, der a priori gesetzten Sache genüge zu tun, die Wirklichkeit den Ideal anzupassen, und gerade darum zur Vernichtung drängt.

Der in ihren letzten Lebensjahren vollzogene Schwenk zur Unterwasserfotografie eröffnet sich vor diesem Hintergrund nicht als Rückzug in eine apolitische Traumwelt, sondern als der reinste Ausdruck einer Abkehr von der hässlichen Realität, vom Menschlichen und bestätigt final Georg Seeßlen, der postulierte: „Jedes Bild, jeder Satz von Riefenstahl ist eine Gewalttat.“