Einstürzende Neubauten

Und der wilde Knabe brach

's Röslein auf der Heiden;

Röslein wehrte sich und stach,

half ihm doch kein Weh und Ach,

mußt es eben leiden.

 

A

Der Begriff der "Political Correctness" geistert seit Monaten durch die sogenannten Diskurse, ohne daß denen, die ihn permanent im Munde führen auch nur einigermaßen klar wäre, was darunter überhaupt zu verstehen ist. Nichtsdestotrotz ist der Grad der Vertrautheit mit dem Wort schon so groß, daß man meist nur noch zart PC (spricht sich natürlich amerikanisch piißii) zu hauchen hat, um allseits wissendes Lächeln und/oder Kopfnicken zu ernten.

Was mir klar erscheint (vielleicht scheint es tatsächlich nur) ist, daß jede/r "PC" irgendwie verurteilenswert, da moralisch oder dogmatisch oder sonstwie findet; klar erscheint außerdem, daß "politically correct" stets die anderen sind, und ebenso klar scheint mir, daß trotzdem jede/r irgendwie "PC" praktiziert, allerdings meist ohne es so zu nennen und auch nur in den Bereichen, in denen man sie (die Piißii) bei anderen nicht verurteilt.

Doch bevor ich mich auf ein paar Beobachtungen aus der linksradikal-akademischen Scene (die sich in einer gewissen Selbstüberschätzung nicht nur für kritisch-intellektuell, sondern auch noch für "dissident" hält) stürze, möchte ich versuchen, mein Verständnis des Begriffes kurz zu erläutern.

Schon bei oberflächlicher Beobachtung fällt auf, daß der Begriff der Political Correctness meist genau von denen nicht gebraucht wird, die selbst (in einer spezifischen Situation oder im Allgemeinen) den Anspruch der "correctness" an sich und andere stellen; vielmehr scheint der Begriff zur Waffe gegen jede (und jeden) geworden zu sein, die ihre Handlungen und Urteile nicht nur von Sachzwängen oder individuellem Geschmack ableitet; oder anders formuliert: gegen diejenige, die sich der Präformiertheit der "Sachzwänge" und "individuellen" Urteile innerhalb der herrschenden Normierungsdiskurse mehr oder weniger bewußt ist und versucht, so etwas wie (um im Jargon zu bleiben) Gegendiskurse zu etablieren; oder, noch einmal anders formuliert: gegen jede, die an unbequemer Stelle all zu hartnäckig politisiert.

Außerdem richtet sich der Begriff gegen eine häufig wahrgenommene Rigidität in der Beurteilung sozusagen wesenhafter Qualitäten irgendwelcher Personen, die dann schnell mal als RassistInnen oder SexistInnen klassifiziert sind, weil sie die geforderten Sprach- oder Ausdrucks-Kodizes nicht ausreichend internalisiert haben. Gleichzeitig scheint mir aber auch die Wahrnehmung dieser Rigidität nicht immer ganz koscher. Vielmehr ist sie häufig Projektion eigener Schwierigkeiten mit kaum zu widerlegenden Anforderungen an sich selbst auf die Fordernden.

Es wird wohl schon ausreichend deutlich: Der PC-"Diskurs" ist weit komplizierter als es einem oberflächlichen Artikelschreiber recht sein kann. Nichtsdestrotrotz wird hier der Versuch unternommen, den Knoten in seinen Verschlingungen zwar nicht zu lösen, wohl aber seine Schlingen und Windungen in anschaulicher Form darzustellen.

B

Was von der Debatte um Political Correctness und ihre Voraussetzungen bis in deutsche Köpfe vorgedrungen ist, ist nicht viel. Die US-Debatte entzieht sich der hiesigen Rezeption fast völlig, was nicht zuletzt mit der völlig anderen Aufnahme "postmoderner" Theorie in den USA zusammenhängen dürfte. Das erschwert das Verständnis massiv. Bekannt sind die Diskussionen um die richtige oder falsche Bezeichnung gesellschaftlicher Minoritäten. Sagt man nun blacks, oder afro-americans oder (aktuell) african americans? Heißt es homosexuell, gay and lesbian oder queer? Desweiteren hört man manchmal von Debatten, ob Schwulen- und Lesben-Organisationen an irgendwelchen öffentlichen Paraden teilnehmen dürfen. Das alles erscheint natürlich sehr verquer und die deutsche Übersetzung von Political Correctness gibt sich in der Regel auch große Mühe, genauso reduziert und verquer zu sein, wie die deutsche Auffassung dieser US-Debatten (dazu weiter unten noch einiges). Worum es aber auch für deutsche Augen und Ohren erkennbar geht, ist der gesellschaftliche Umgang mit sogenannten Minoritäten, respektive der Minderheiten mit der Gesellschaft. Das ist für Deutsche natürlich kaum nachvollziehbar, der Gedanke an quotierte Teilnahme von Schwulen und Lesben, TürkInnen und anderer Gruppen zum Beispiel am Rosenmontagszug (man denke an die o.g. Parade) außerhalb jeder Vorstellungskraft. Das Bemühen hiesiger "Minderheiten" um Gleichberechtigung ist meist ein sehr bescheidenes, müssen sie doch erstmal ums Überleben sich sorgen.

Was dann als MultiKulti in deutschen Großstädten praktiziert wird ist denn auch mehr die rassistischen Verhältnisse in euphemistische Worte (und Ämter und Theorien) zu kleiden. MultiCulturalism jedoch ist davon fast gänzlich verschieden. Er stellt vielmehr "den Kampf einer Koalition verschiedener Bewegungen 'von unten' dar, die von den Rändern des Black Nationalism bis zu den feministischen Lacanianerinnen reicht." MultiCulturalism ist in gewisser Weise direkte Folge der amerikanischen Rezeption postmoderner Theorien und dessen, was in den USA Dekonstruktivismus genannt wird. Hauptvertreter dieser Richtung sind Lacan, Derrida, Foucault und Lyotard, die natürlich auch bei uns ausführlich rezipiert wurden.

In Frankreich wurden die Schriften der "Postmoderne" immer auch verstanden als Kritik an der institutionalisierten Linken, den Kommunistischen Parteien etc. Das führte zwar auf der einen Seite zur fast völligen Destruktion der etablierten Linken in Frankreich aber gleichzeitig zu einer erheblichen Stärkung der Intellektuellen, die sich immer stärker als autonom empfanden. Ob man das nun so toll finden soll, weiß ich nicht, die Postmodernen als Linke zu bezeichnen fiele mir auch schwer; was aber sehr spannend ist, ist die Differenz zu Deutschland (beziehungsweise der Bundesrepublik). Die Rezeption der französischen Theoretiker war im Prinzip eine ganz ähnliche. Der Unterschied bestand aber vor allem darin, daß es eine etablierte Linke, von der die KritikerInnen sich hätten distanzieren können so nicht gab. Die Linke war man/frau vielmehr selbst (sprich K-Grüppchen etc.). Die Kritik an ihr also meist der Bruch mit der eigenen "vermeintlich schuldbeladenen Vergangenheit" (Diederichsen). Folge davon waren Depression und Entpolitisierung. Übrigens tritt einem/einer diese mangelnde Selbstdistanz vermeintlich Linker laufend entgegen. Keine Gruppe, keine Veranstaltung, kurz NICHTS kann man/frau kritisieren, ohne daß sich gleich wieder jemand findet, der auf das tötlichste persönlich beleidigt ist. Na ja, man verzeihe mir die Abschweifung.

Die Folge der Postmoderne in den USA war eine völlig andere. Hier gab es keine etablierte Linke, noch deren Ersatz durch K-Gruppen (jedenfalls nicht in nennenswerten Umfang). Die Folge war paradox: eine massive Repolitisierung der Intellektuellen und KünstlerInnen. Vor allem die Bildende-Kunst-Szene in New York City begann Symposien, Diskussionsveranstaltungen und Ausstellungen neokonzeptioneller "politischer" Kunst zu organisieren. Hier setzte auch die Verknüpfung mit dem universitären Diskurs an. An den Hochschulen waren seit den achtziger Jahren intensiv Barthes, Lévi-Strauss, Lacan und Bataille, sowie Derrida rezipiert worden. Hier begannen dann auch die Versuche der institutionellen Verankerung. Alles dreht sich bei der universitären wie auch bei der New Yorker Kunst-Scene-Debatte um den Begriff MultiCulturalism. Dabei wohl auch nicht zu letzt um die Frage, wie die überwiegend weißen, männlichen und heterosexuellen Mittelklasse-MuCu-Jünger bei der Sache überhaupt mitmachen und wertvolle Beiträge leisten können. So jedenfalls Diederichsens Sichtweise, der damit durchscheinen läßt, daß auch hier die weiße Mittelschicht den Diskurs zu dominieren scheint und der auch fragt, was dann die Betroffenen von der ganzen Debatte eigentlich haben. Merkwürdig - und vielleicht bezeichnend - ist außerdem, daß es praktisch keinerlei Bezüge zwischen der Debatte um MultiCulturalism und deren Verhältnis zu Kunst und der vor allem schwarzen Subkultur in Form von HipHop oder Dancehall-Reggae gibt.

Was also schon klar zu werden beginnt, ist folgendes: MultiCulturalism ist der Versuch, der Schaffung von Gegendiskursen gegen den Herrschenden. Was das heißt, manifestiert sich relativ deutlich in den Punkten der Kritik an PC seitens des Establishments der USA. Immer wieder aufgegriffen werden vor allem zwei Punkte, die veranschaulichen sollen, um was für eine widerwärtige, von Schwarzen und Schwulen dominierte Sache es bei PC geht. Das erste sind die sogenannten Leselisten, eine Sache, die offenbar alle amerikanischen (Geisteswissenschafts-) StudentInnen im ersten Semester in die Hand bekommen. Diese Listen enthalten (nach Müller-Sievers) den etablierten Literaturkanon von Homer über Shakespeare zu Joyce. Nun fühlen sich dieser Tradition aber immer weniger der amerikanischen Studierenden verbunden. Und sie fordern dann so abstruse (so der Blickwinkel der Kritik von rechts) Sachen wie die Autobiographie einer analphabetischen guatemaltekischen Bäuerin. Das die zufällig Rigoberta Menchú heißt und auch in Deutschland in ein paar Jahren spätestens gelesen wird, erfährt man höchstens nebenbei, kommt es den konservativen Verächtern ja darauf an, zu zeigen, was für einen Blödsinn PC verlangt.

Das zweite immer wieder genannte Beispiel ist ein New Yorker Professor für "black studies", der zweifelsohne etwas merkwürdige Theorien von Sonnen- und Eismenschen vetritt. Der wird immer wieder genannt, um zu zeigen, das PC in afrozentristischer Manier den Weißen an den Kragen will.

Für uns aber wird deutlich: Es geht um etwas, was man auch Minderheitendiskurs nennen könnte. Dazu ein Zitat (nach Diederichsen): "It is evident that the people are more than their pain. Literature emerging from marginalized groups that is only a chronicle of pain can easily act to keep in place the existing structures of domination." Das trifft wohl recht genau den Kern: "Minderheiten" sind nicht nur wahrzunehmen als Opfer des Imperialismus und dadurch wiederum durch dessen Traditionen und Kultur definiert - wenn auch negativ - , sondern auch als different von den sie Beherrschenden. Es geht also darum aufzuzeigen, daß die Tradition der "toten weißen Schwanzträger" nicht die einzig denkbare sondern nur die dominierende ist, selbst ein Konstrukt, dem etwas entgegenzusetzen ist.

Ausdruck dieses Gedankens sind die Versuche der Etablierung alternativer Literatur(en) in den Leselisten der Universitäten oder die Bemühungen um Anti-Diskriminierungs-Ordnungen an einigen Hochschulen. Wobei das keineswegs allumfassend gelingt, wie die Tiraden der konservativen GegnerInnen dies erscheinen lassen.

Exemplum diavoli

Während einer Diskussionsveranstaltung (im Rahmen des "Was tun?"-Kongresses der Zeitschrift konkret in Hamburg Mitte Juni) mit dem Titel "Differenz und Reaktion" trug sich folgendes zu:

Entgegen erster Planung durften nicht die Herren Diederichsen und Jacob einen ihrer üblichen verbalen Fights austragen, sondern kündigte Moderator Boris Gröndahl ein Referat Christoph Türckes an, das sehr provokativ sei und der nachfolgenden Diskussion als Grundlage dienen solle.

Herr Türcke hub nun also an zu erklären, weshalb der antirassistische Diskurs sich mit dem völligen Leugnen jedweder a priori vorhandenen Differenz selbst eine Falle stelle und daß es selbstverständlich - durchaus natürlich zu nennende - Differenzen zwischen den Menschen gebe. Verschiedene Menschenrassen seien durchaus nachweisbar, das könne man ja schon an der Hautfarbe erkennen etc. Augenblicklich begann ein Teil des reichlich vorhandenen Publikums zu schreien und zu toben: Das sei rassistisch und widerwärtig; daß auf einem linken Kongreß so jemand (nämlich ein Rassist) reden dürfe, wäre ein Skandal, und man würde es nicht dulden.

Es entspann sich eine wüste Streiterei, deren ExponentInnen (qua Lärm) Jutta Dithfurt und Manfred Zieran aus Frankfurt wurden, ob man nun zuhören solle oder nicht, die im verzweifelten Ruf nach Papi gipfelte: "Herrmann, so sag doch mal etwas!"

Herrmann sagte auch was, nämlich, daß Herr Türcke ja erst einen Absatz vorgelesen habe, daß doch noch überhaupt nicht einzuschätzen sei, worauf er überhaupt hinaus wolle, ob er nicht das alles noch zurücknehme oder relativiere oder was auch immer; kurz und gut, daß man Türcke erst mal anhören solle, um überhaupt kapieren zu können, was er eigentlich meine.

Dieser berechtigte Einwand fruchtete aber kaum, da die pawlowschen Antirassismusreflexe einiger Anwesender erst einmal als nicht kontrollierbar erschienen. Ebenso übrigens wie die parteipolitischen Profilierungsbemühungen der anwesenden Ökolinx-Berufsarschlöcher.

Nach geraumer Zeit wurde es dann wieder ruhiger, Herr T. konnte fortfahren, was auch den Schreiber dieser Zeilen, der aus Ekel vor dem spontan als "PC" abqualifizierten Getue der Anwesenden für die Fortsetzung plädiert hatte, mit sich stetig steigernder Wut auf die rassistische Suada des Herrn Türcke und deren kapitaltheoretische Verbrämung erfüllte.

In der Tat war seine Kapitalismus-Analyse brillant. Jedoch entsetzt mich der Akademismus einiger Anwesender kritischer KritikerInnen zutiefst, die die Behauptung der anthropologischen Verankerung von Fremdenangst und absurde Gedanken zur Trennung von Körper, Geist und Seele sowie der genetischen Sedimentierung von Anpassungsvorgängen an die vorgefundene Umwelt nicht davon abzuhalten vermochten, des Herrn Türcke Gerede als "sehr bedenkenswert" zu qualifizieren. Ganz abgesehen davon, daß ihnen nicht aufstieß, daß Herr Türcke (z.B.) von Durchmischung(!) der Rassen sprach; offenbar deshalb nicht, weil er diese mit den Mechanismen des Kapitalismus begründete.

Nach T.'s Referat jedenfalls Beifall von der Mehrheit der Anwesenden. Es war dem Redner also offenbar gelungen, den überwiegenden Teil der ZuhörerInnen von seiner Seriosität zu überzeugen.

Anschließend distanzierte sich Günther Jacob wortreich von diesem Referat, indem er sich auf Türckes klimatologische Ableitung von Rassencharakteren einließ und von der Differenz von Indern und Westindiern schwadronierte, die auf Grund verschiedener Familienstrukturen ach so unterschiedliche Erfolge im Londoner Geschäftsleben aufzuweisen hätten. Resultat seiner Rede war dann der mit rauschendem Beifall bedachte Satz "Es gibt nur eine Rasse", der ganz offenbar nicht die pointierte Form der Negierung jeglichen Rassebegriffs darstellte, sondern vielmehr Conclusion der Überlegung war, das Mitglied ein und derselben Rasse diejenigen seien, die sich untereinander fortzupflanzen in der Lage wären (ganz im Gegensatz zum Beispiel zu Pferden und Eseln, deren Kopulation nur unfruchtbare aber arbeitswillige Maulesel zur Folge hat). Jacob bewegte sich explizit aber stets innerhalb des antirassistischen Diskurses, wurde also als PC wahrgenommen und heftig beklatscht. Soweit dieser denkwürdige Abend.

Damit war der Vorfall natürlich nicht vergessen. Anderntags, auf dem Abschlußplenum des Kongresses, äußerten sich gleich mehrere RednerInnen zu Herrn Türcke und den Reaktionen auf sein Referat.

Ganz im Sinne der PC-Randalierer vom Vorabend äußerte sich Ingrid Strobl, die während des Türcke-Vortrages empört den Saal verlassen hatte. Türckes Text sei

* rassistisch

* biologistisch

* sexistisch

* antisemitisch

* sodomistisch

* etc.

gewesen, was sie (die Rede) zur Genüge disqualifiziere. Außerdem sei sie (Ingrid Strobl) nicht bereit, Beifall von denjenigen entgegenzunehmen, die der Rede Türckes bis zum Ende zugehört hätten. Irgendwelche Gründe für dieses Anhören der Rede war sie offensichtlich nicht bereit, zu akzeptieren.

Anschließend dann der denkwürdigste Vorfall: Eine Rednerin (deren Namen ich leider nicht kenne) sagte, es sei - um die Bildung eines klaren Bildes von der ganzen Sache zu ermöglichen - nötig, Türckes Rede noch einmal in ihrer argumentativen Struktur aufzudröseln. Und sofort - Pawlow ließ zum wiederholten Male grüßen - erhob sich ein Geschreie und Gejaule, das mehrer Trommelfelle zur Aufgabe ihrer - zweifelsohne genetisch bedingten - Tätigkeit zwang. Glücklicherweise ließ sich die Rednerin nicht beirren und nutzte (Zitat) "das Mikrofon als Machtmittel". Wie sich sehr bald zeigte, war sie nicht nur in der Lage, den der Türckeschen Rede inhärenten Rassismus auch für deren "antikapitalistischen" Teil nachzuweisen, sondern distanzierte sich auch explizit und unter Nutzung des allgemein genehmigten Vokabulars von diesem Text. Und schon war konnte sie des Beifalls gewiß sein.

Damit ist Folgendes beispielhaft demonstrieret:

Ein nicht unerheblicher Teil der Linken (und sicher nicht nur der Linken) reagiert lieber reflexartig auf positive oder negative Reize, als sich in irgendeiner Weise "vernünftig" mit dem ihm (dem Teil) dargebotenen auseinanderzusetzen. Dies nenne wir "PC-Reflex".

Ebenso eigenartig reagieren aber die meisten VerächterInnen dieses PC-Gehabes, denen dann - in der Gegenreaktion - Türckes Text um so interessanter erscheinen wollte. Ein Name dafür wäre noch zu finden.

Von den Implikationen und möglichen Ursachen solcher Merkwürdigkeiten (vor allem der noch unbenannten) soll nun die Rede sein.

C0 --> Cxx

Soweit zu den USA. In Deutschland jedenfalls hat die PC-Diskussion schon vor längerer Zeit (wenn auch mit knapp zwei Jahren Verzögerung auf die USA) die Feuilletons wichtiger Publikationsorgane wie FAZ, Spiegel, Frankfurter Rundschau erreicht und sehr schnell wurde der amerikanische "Gegen-Gegendiskurs" in spezifisch bundesrepublikanischer Weise transformiert. Auf konservativer Seite wird - vor allem durch den FAZ-Amerikakorrespondenten Jörg von Uthmann - die Angst vor einer weiteren aus Amerika zu uns herüberkommenden Gefahr geschürt, was sich dann gegen die zarten - oder eher verkümmerten - Pflänzchen der amerikanische Debatte um MultiCulturalism und deren institutionalisierte Formen wendet. Damit meine ich nur am Rande das, was hierzulande unter Multi-Kulti firmiert und mit dem US-Begriff MuCu ungefähr soviel zu tun hat wie Pizza und Döner mit african-american oder queer studies. Bekanntermaßen gibt es seit geraumer Zeit auch in der BRD Versuche der Etablierung und Institutionalisierung von gegen den herrschenden Wissenschaftskanon gerichteten "Diskursen". Zu mehr als der - häufig ein bedauerliches Schattendasein fristenden - "Frauenforschung" oder den feministischen Abteilungen der verschiedenen Geisteswissenschaften hat es aber in der Regel nicht gereicht; "Schwulen- und Lesben-Wissenschaft" oder "ImmigrantInnen-Forschung" haben - zumindest an den deutschen Hochschulen und Universitäten - kaum einen Ort. Und es ist wohl kaum als gutes Zeichen zu werten, daß ausgerechnet der Suhrkamp-Verlag hierzulande als Vorreiter der Sex & Gender-Debatte gelten muß, dem einzigen Bereich des MuCu-Diskurses der USA, der hierzulande in irgendeiner Form "Öffentlichkeit" erlangt hat. Und wo er (der Diskurs) einmal Wurzeln geschlagen hat (um die Metapher wieder aufzunehmen), bekommt er es mit der versammelten Wut des Establishments zu tun. Ausdruck dessen ist die Rezeption der Debatte um "Political Correctness" in Deutschland.

Interessant ist, daß, wo einmal ein Linker oder eine Linke (mir sind allerdings bei allen Recherchen nur männliche AutorInnen begegnet) diesen Begriff aufnimmt und sich dazu äußert, es scheint, als sei jegliches Mißtrauen gegen die Organe des Klassenfeindes geschwunden und als werde selbst die FAZ als Hort der objektiven Berichterstattung aus Amerika genommen.

So tritt auch die Forderung nach dem, was man so Politicall Correctness nennen könnte, hierzulande meist nur in ihrer schmutzig protestantischen Erscheinungsform auf - siehe Hamburg.

C1 + C2

PC als "Anti-Privilegien-Bewegung" oder "Exekutive des MultiCulturalism" (nach Diederichsen, s.o.) kann hier offenbar nicht recht rezipiert werden.

Durchweg erscheint sie als "Neusprechfloskel (...), die in Wahrheit Inkorrektheit bedeutet, eine Liturgie der inhumanen Denk- und Kampfschablonen, des linken Konformitätsdrucks und letztlich der Zensur." Der dies so formuliert und gleich darauf meint, "sie [also PC, R.T.] richtet sich gegen den Konsens", damit gesellschaftliche Prozesse als Vernunftgeleitet und aus dem Diskurs freier Individuen abgeleitet hypostasiert (deswegen Konsens) ist Spiegel-Reporter Matthias Matussek, der - sollte noch jemand auf den Gedanken verfallen, ihn danach zu fragen - sich vermutlich durchaus als irgendwie links einordnen würde.

Da mir Matusseks Artikel als paradigmatisch auch für die linke deutsche PC-Rezeption erscheint, noch einige Kostproben:

Offenbar ohne auch nur im entferntesten in die Hintergründe der amerikanischen PC-Debatte eingeweiht zu sein, zieht Matussek vom Leder: Radikale Minderheiten hätten eine Art "Sprach- und Denkpolizei" eingerichtet, mit Hilfe derer sie die Vorlesungsverzeichnisse und Feuilletons kontrollierten. So auch eine New Yorker Kunstaustellung. Sehr schnell wird klar, gegen welche "radikalen Minderheiten" sich Matusseks Zorn richtet. Es sind die Feministinnen, die ihn vermutlich schon lange gereizt haben und die Schwulen (von Lesben kein Wort), deren "Offensiven schwuler Selbstdarstellung (ihm) auf die Nerven gehen". Man dürfe ihm mit der Unterdrückung "der Frauen und der Schwarzen und der Indianer und der Schwulen" gar nicht mehr kommen, schließlich seien wahrscheinlich nur wenige der AusstellungsbesucherInnen "für die Wiedereinführung der Sklaverei und Schleierpflicht", so daß die ganze Ausstellung "den Schockwert einer Butterfahrt" habe. Die dort ausstellenden politisch engagierten KünstlerInnen sind für ihn "eine Sammlung von verbiesterten Rechthabern und larmoyanten Dilettant/Innen".

Klar, daß er den von ihm mit so viel Wohlwollen besichtigten Ausstellungsstücken jeden Kunstcharakter abspricht. Über die Fotokünstlerin Nan Goldin schreibt er : "Wie merkwürdig ihre stillen, schönen Bilder von diesen Subtexten und Kommentaren beschädigt werden." Und ein paar Absätze später: "Jetzt produziert der Künstler Kommentare zur Zeit - ohne Umweg über die Kunst." Diese l'art pour l'art - Attitüde läßt sich bei vielen KritikerInnen von PC beobachten, zum Beispiel auch bei Robert Hughes, dessen Text im Merkur 9/10 1992 abgedruckt ist.

Matussek jedenfalls hält es für klüger, mit 150 Dollar teurem Sekt anzustoßen.

Diese Form der Herangehensweise scheint mir symptomatisch für ehemals linke Kreise. Leute, denen es gelungen ist, die ProfessorInnen-Stelle zu ergattern oder die den Sprung in Ministerämter und Magistrate geschafft haben, fühlen sich nicht gern an ihre Prinzipien von vorgestern erinnert, und so wird die amerikanische PC-Debatte auf das trefflichste eingedeutscht und im Sinne der Desavouierung der verbliebenen linken Opposition gebraucht.

Damit reihen sich diese Leute, für die Mattusek und Hughes genannt seien direkt hinter Jörg von Uthmann und der FAZ ein, deren Stoßrichtung scheinbar doch eine ganz andere ist.

Der Abwehrkampf der FAZ richtet sich gegen die Linke als ganze, der gewissermaßen McCarthysche Attitüden angedichtet werden. Legion sind die Behauptungen linker Hegemonie in allen Bereichen des deutschen Pressewesens, vergeht doch kein Tag, an dem nicht irgendein CDU- oder CSU-Politiker sich mal wieder verunglimpft oder schlicht nicht ausreichend gewürdigt sieht. PC wird daher als Bedrohung wahrgenommen, die amerikanischen Zustände werden um so schwärzer gemalt, desto ferner sie sind. Beispiele dafür zu bringen erübrigt sich weitgehend, die Artikel sind meist schlechte Kopien amerikanischer Texte. Auch die Beispiele von PC-Exzessen in den USA (die abgehängte Nackte Maya, die Kanonisierung abstruser Drittwelt-Autobiographien etc.) sind immer die gleichen.

C--D

Merkwürdig nur, daß der Linken nichts besseres einfällt, als in diesen Chor mit einzustimmen. Manfred Hermes berichtet in der Zeitschrift SPEX von einem Disput um einen Cartoon, auf dem zwei Leute abgebildet sind, die sich gerade ein modernes Kunstwerk anschauen (das ganze war in einem Berliner Kunst-Magazin namens "241" zu sehen): ER: I don't like this modern art! Why are we living in such a bad world and why can't we enjoy ourselves! SIE: Maybe we had more fun if you had a real niggerdick!!

Die Karrikatur war erkennbar auf zwei in Berlin arbeitende englische KünstlerInnen gemünzt, die sich auch sofort heftigst zur Wehr setzten: "Listen, asshole, if you have to do with "241" which is racist and sexist you better find somewhere else to live." Oder (von irgendwem anders): "Wir halten den Cartoon für rassistisch. Das hat mit Kunst nichts zu tun." Interessant zu sehen, wie die politisch Korrekten den als rassistisch/sexistisch ausgemachten ebenso die Fähigkeit absprechen wirkliche Kunst zu produzieren, wie umgekehrt.

Mindestens ebenso interessant war aber die Reaktion der VerfechterInnen der "freien Kunst", mithin der PC-VerächterInnen. Das sei der Versuch der Zensur, die Freiheit der Meinungsäußerung/der Kunst werde angetastet etc. Leuten, die als AntirassistInnen bekannt seien, Rassismsus vorzuwerfen, sei ja wohl sublöd und ein Coup gegen die sich gerade erst formierende Berliner Galerie-Scene u.s.w. usf.

Ähnliches widerfährt einem/einer, der/die es wagt, in gewissen linken Zusammenhängen sich gegen sexistischen Sprachgebrauch zu wenden. Schnell sind die Kritisierten mit dem Vorwurf bei der Hand, man wolle ja nur oberflächliche, die Sprachästhetik störende Regelungen durchsetzen. "Man/Frau", was ein Ungetüm; "StudentInnen", wie klingt den das!

So auch die differenzierteren Interpreten der amerikanischen PC-Debatte, Diedrich Diederichsen und Lothar Baier, die sich beide zu recht über die nervtötende PC-Debatte in der BRD aufregen, gleichwohl aber über diese Sprchverhunzungen stöhnen und kaum in der Lage scheinen, ihre eigenen Verhaltensmodelle zu hinterfragen. Wohl kaum richten sich die Vorwürfe gegen sexistische Sprache nur gegn ein paar Worte. Vielmehr ist ein ganzer Strauß von Verhaltensmustern, Rollenzuweisungen etc. Gemeint, dessen Naturwüchsigkeit meist auch in linkesten Kreisen als Natürlichkeit mißverstanden wird.

Maßstab der Kritik oder der Beurteilung von richtigen oder falschen Verhaltensweisen bleibt oft der Geschmack oder das spontane Urteil (hier also wird erklärt, was in der Einleitung gemeint war!), deren Konstruiertheit höchstens partiell (in der Folge der Sex/Gender-Debatte etwa) noch zugegeben wird.

Und noch ein Beispiel für das Umgehen mit PC und seine Bedingungen:

Kommt die Frage auf, wie ein linksradikaler Kegelclub zu einem Kegeltunier (etwa in Pasing) kommen soll (mal vorausgesetzt, Geld ist in ausreichendem Maße vorhanden), dann ist das erste Argument, das man zu hören bekommt: "Billig muß es sein!". "Bahnfahren ist Luxus!" tönt es dann, außerdem solle gefälligst jedes Individuum selbst sehen, wie es seine Fahrt finanziere. Die ohne Zweifel erschlagenden Argumente pro Bahnfahrt (seien sie politisch, ökologisch oder bezögen sie sich auf die Bandscheibenschäden einiger MitfahrerInnen) geraten schnell zum Bumerang, werden sie doch - da Widerlegen unmöglich - als Zwangsmittel aufgefaßt, die die Subjekte fort von ihren persönlichen Vorlieben (Autobahngemütlichkeit, preußische Sparsamkeit etc.) hin zu PC-genormten Verhaltensweisen zwingen sollen.

Womit wir interessanterweise - und fast ohne es zu merken - wieder bei Herrn Foucault angelangt sind, der uns vorhin schon als einer der Begründer der amerikanischen MuCu-Debatte begegnete. War für ihn doch (in seinen letzten Jahren) bereits ein Argument ein Eingriff in das diskursive Universum des selbstpraktischen (gewissermaßen autonomen) Subjekts. So schließt sich zumindest hierzulande - der diskursive Zirkel.

Auffallend nun, daß - jetzt einmal ungeachtet des oft widerwärtigen Protestantismus der BRD-PCniks - die Stoßrichtung der PC-Kritik entgegen dem ersten Schein fast stets die gleiche ist.

Hier nun die endgültige Vereinfachung des komplexen Themas, genannt die

Große Dispositiv-Kreuzung (D)

Die Rechten kämpfen verständlicherweise gegen jede ihre Herrschaft anrührende Aktivität. Das ist bekannt, darüber regen wir uns nicht mehr auf (oder vielleicht doch noch ein Bißchen).

Die Alt-Linken - heutigentags bestenfalls noch liberal zu nennenden - wehren sich mittels PC-Kampfbegriff gegen die von ihnen als penetrant empfundenen linksradikalen PolitisiererInnen, durch die sie sich in unangenehmer Weise an ihre eigenen längst vergessenen Ansprüche gemahnt fühlen.

Und auch innerhalb der radikalen Linken gibt es - wie gezeigt- gewisse Schwierigkeiten. Dazu ein Zitat von Sandra Grether aus SPEX (allerdings grammatikalisch ein bißchen aufgemotzt): "Sie fürchten sich vor PC nicht, weil sie PC-Fordungen falsch fänden, sondern weil sie Angst haben, daß diese Forderungen so richtig sein könnten, daß sie daraufhin was ändern müßten. Und das könnte anstrengend werden."

Eigentlich ein schönes Schlußwort. Es muß aber noch vermerkt werden, daß ich mir vorgenommen hatte und auch schon in diversen Gesprächen angekündigt habe, am Ende meines Artikels all jenen, die den Begriff PC nochmal in den Mund nehmen, Prügel (oder subtiler: Liebesentzug) anzudrohen. Hiermit vollzogen.

Ralph Teckentrup