Wer aber von Bonn nicht reden will, der soll auch von Lübeck schweigen

 

In Lübeck sind in der Nacht auf den letzten Freitag (19.1.) 10 Menschen in einer sogenannten Ausländerunterkunft ums Leben gekommen. Die Spekulation darüber, ob es sich nun um einen Brandanschlag handelt oder nicht, steht nicht zufällig im Vordergrund der Berichterstattung. Sie hat etwas damit zu tun, daß es überhaupt jene "Ausländerunterkünfte" gibt. Denn so selbstverständlich wie mittlerweile die Vorstellung ist, jemand könnte auf die Idee kommen, Menschen wegen ihrer Herkunft oder Hautfarbe anzuzünden, ist auch, daß es die Unterscheidung In- und Ausländer überhaupt gibt. Sie wird täglich hergestellt durch einen riesigen Gewaltapparat, den die BRD (und jeder andere Staat) zu diesem Zweck bereithält: Stacheldraht und Infrarot-Kameras, BGS und Sammellager heißen die Rädchen im Getriebe der Maschinerie, die an den als "Nichtdeutsch" Identifizierten höchst materiell vollstreckt, was uns herrschende Medien und Regierungspropaganda täglich als Evidenz eintrichtern, daß es eben Deutsche und Nichtdeutsche gibt. Das ist das Unterscheidungskriterium, das auch die Basis für die Ideologie der Neo-Nazis bildet.

Während regierungsamtliche Stellen dieses Prinzip durchaus flexibel handhaben und in nützliche und unnütze Ausländer zu sortieren wissen, nehmen Faschisten die Vorgabe allzu wörtlich. Mittlerweile aber zum Leidwesen der Regierenden , denn als faschistische Anschläge noch als "des Volkes Stimme" in Dienst genommen werden konnten, um dazu beizutragen, den Asylrechtsparagraphen zu demontieren, war es nicht weit her mit der strafrechtlichen Verfolgung der Täter. Da aber heute das dichtgemachte Deutschland reibungslos funktioniert, da werden außergewöhnliche Anschläge (Tote braucht es schon) zum Anlaß genommen, symbolisch klarzustellen, wer hier "Ausländerpolitik" machen darf und wer nicht.

Da blickt der "average man on the street" und seine radikalisierte Version in Gestalt des Neonazis nicht immer so einfach durch. Dann kommt es schon mal zu peinlichen Szenen, wie vor einigen Monaten, als ein paar Faschos eine südostasiatische Sportlerin verprügelten. Ganz im Sinne der herrschenden Logik erschöpften sich die Kommentare in Presse und Fernsehen denn auch darin, festzustellen, daß es da wohl die "Falsche" getroffen habe. Dabei sind die Maßstäbe zur Unterscheidung in "falsche" und "richtige" Ausländer gar nicht so kompliziert: Wer als (billige) Arbeitskraft zu gebrauchen ist oder wessen Anerkennung als politischer als Druckmittel gegen sein Herkunftsland eingesetzt werden kann, hat Chancen zum brauchbaren "Menschenmaterial" erklärt zu werden (die Anerkennungsquote von kubanischen Flüchtlingen liegt z.B. bei 95 Prozent!). Wer diesen Kriterien nicht genügt, muß draußen bleiben. Und wer drin ist, der bekommt zu spüren, daß sein Aufenthalt keinesfalls dazu da ist, sich ein schönes Leben zu machen. Die staatliche Verfügungsgewalt exekutiert schon am Lebensalltag der Flüchtlinge den spezifischen Zweck, der ihnen zugedacht ist; so werden sie in Sammellagern zusammengepfercht und bekommen die Mittel zum Lebensunterhalt gekürzt, damit sie das Kaff, in das man sie gesteckt hat gar nicht erst verlassen können, wo sie es doch eh schon nicht dürfen. Wer dem eine Absage erteilt und sich nicht zum bereitwilligen Menschenmaterial der deutschen Politik machen lassen will, also "sein Gastrecht mißbraucht", an dem wird jener Zweck dann mit aller Gewalt vollstreckt, wie jüngst erst an der Hauptwache (in Frankfurt am Main).

Wenn diese Leute abgeschoben werden, dann bedeutet das zwar für viele den Tod, trotzdem kommt es zu keiner Welle der Empörung und auch Roman Herzogs "Geduld" wird hiervon wohl kaum überstrapaziert. Weil staatliche Gewalt im herrschenden bürgerlichen Bewußtsein keine ist oder einfach als legitim wahrgenommen wird, kräht kein Hahn danach, was mit den Menschen passiert, die zu Objekten dieser Gewalt werden. Das kann nur noch den verwundern, für den die bekannten Entrüstungs-Arien keine Veranstaltungen zur Selbstbeweihräucherung der deutschen Volksgemeinschaft sind.