Kerzenschein/Main

Der weihnachtliche Lichterglanz über den Straßen der Großstädte Deutschlands scheint in den Januar hinübergerettet. Ergriffen vom Friedensgedanken und erfüllt vom Gefühl der Menschenfreundlichkeit greift das anständige Bürgertum zur Kerze und zeigt Sympathien mit seinen ausländischen MitbürgerInnen. Also doch nichts mit dem Rechtsruck? Alles nur linker Alarmismus? Was sich seit geraumer Zeit, vor allem nach Mölln, als gesellschaftlicher Antirassismus formiert, bedient in erster Linie das Gewissen und die Selbstachtung des besseren Deutschland, der zu Ruhe und Normalität zurückgekehrten Nation.

Die heftige Reaktion der großen Politik nach Mölln wird nur verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die bislang erwünschte Argumentation - rechtsextreme Übergriffe seien die Folge einer sozialen Misere, an der die Flüchtlinge aufgrund ihrer bloßen Anwesenheit selbst Schuld seien - hier hochoffiziell gebrochen wurde. Jetzt galt es, sich verbal und medial zu empören: Es gehe nicht an, daß die Ausländer, mit denen wir friedlich zusammenleben wollten, angegriffen oder abgefackelt würden. Wo Skins und ihr Publikum in rassistischen Anschlägen und Übergriffen keinen Unterschied machen, mußte der Kampfbegriff Asylant auf seine rechtsstaatliche Definition zurückgestutzt werden. Als postume RepräsentantInnen einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe, nämlich der ausländischen ArbeitnehmerInnen und Rentenretter, wurden die drei ermordeten Türkinnen zu einem Typ von Opfer verwandelt, mit dem es sich zu solidarisieren galt. Durch die (erneut rassistische) Präsentation eines aggressiven Gegners über Interviews mit türkischen Landsleuten auf der Straße und am Opel-Fließband, die der rechtsextremistischen Gewalt ihre eigene Gewaltbereitschaft entgegensetzen, wird der Schock und der Eindruck der Notwendigkeit, jetzt endlich Zeichen zu setzen, noch forciert.

Mölln - das stand plötzlich nicht mehr in der logischen Folge von alltäglich gewordenen Brandanschlägen und Morden. An diesem Attentat wurde der Angriff auf die Grundpfeiler unseres demokratisch verfaßten Staates durch den Extremismus markiert. Plötzlich war die innere Sicherheit und Stabilität erklärtermaßen gefährdet. So unausgegoren war der Kohlsche Staatsnotstandslapsus nun doch nicht; vielmehr offenbarte er die notwendige permanente Drohung des Ausnahmezustands innerhalb der bürgerlichen Demokratie.

Die Bundesanwaltschaft zog den Fall an sich und trieb die Klärung mit allen erdenklichen Fahndungsmethoden voran. Auf Großrazzien und Verbote von rechtsextremen Gruppierungen durch den Innenminister folgte prompt das Echo der öffentlichen Meinung: "Endlich handeln die Politiker. Endlich geschieht etwas." So ganz, als ob zuvor niemand gehandelt hätte, also alles urwüchsig vor sich hin gewuchert habe und ungewollt gewesen sei.

Was Mölln von Rostock unterscheidet ist die mediale Aufbereitung und die daraus resultierenden Erklärungsmuster. Rostock: rassistische Unruhen in Plattenbauten mit Ghettocharakter. Das gebündelte Auftreten von Rassismus provoziert die Entpersonalisierung von Opfern und Tätern sowie volkspädagogische und sozialwissenschaftliche Erklärungsmodelle - Asyl als soziales Problem schon vorausgesetzt. Mölln: ein perfider, hinterhältiger Mord an unschuldigen Frauen in einer idyllischen Kleinstadt, wo der Kirchturm noch im Dorfe steht. Die personale Gegenüberstellung von Opfern und Tätern macht aus Mölln einen Kriminalfall mit politischem Ausmaß, bei dem die Öffentlichkeit ein eminentes Interesse an einem Fahndungserfolg haben soll und hat.

So gerät die Beerdigung der Todesopfer einerseits zur Inszenierung des öffentlichen Entsetzens und der Trauer um die beschmutzte Republik, andererseits zum Startschuß der Sympathiekundgebungen für "unsere ausländischen Mitbürger". Die Anwesenheit von Außen- und Arbeitsminister zeigt, unter welchen Prämissen es zu trauern gilt. Die Abwesenheit des Richtliniensetzers und die spitzzüngige Bemerkung vom "Beileidstourismus" verraten das notwendige Pendant innerhalb der bürgerlich-demokratischen Ideologie - und legitimieren die stille Distanzierung von zu viel Gastfreundlichkeit.

Werbekampagnen, die nach Hoyerswerda und Hünxe mit dem Augenmerk auf Flüchtlinge im Sande versiegten, laufen erneut auf Hochtouren und produzieren am Fließband Appelle an die Menschlichkeit und Toleranz der Einheimischen. Ob Rockkonzert oder Sportveranstaltungen: Alle, die sich verbal gegen Rassismus aussprechen, werden zu AntirassistInnen und RepräsentantInnen des besseren Deutschland. Rocken, Rollen und Kicken gegen Rassismus?

Wie in der Fangemeinde von "Arsch huh - Zäng ussenander !" nehmen in den Lichterketten sanktionierte AntirassistInnen an der Selbstinszenierung des anständigen Deutschlands teil, wobei es irrelevant bleibt, ob die InitiatorInnen und die TeilnehmerInnen dies nun beabsichtigt haben oder nicht. Deutschland muß anständig sein, damit es seine Interessen in der Welt auch wieder militärisch verfolgen darf. Die Kerze in der Hand symbolisiert die eigene Friedfertigkeit und zivile Umgangsformen als zivilgesellschaftliche Tat. "Haß und Gewalt" sind bei den anderen zu suchen, die da draußen stehen und für jede und jeden erkennbar sind als umherziehende Faschohorden.

Man grenzt sich ab, indem bestehende Begriffe einfach umgedreht werden: So wird aus der Ausländerfeindlichkeit die Ausländerfreundlichkeit und zum tugendhaften Charakterzug eines jeden Deutschen. Und wie wird man Ausländerfreund? Ganz einfach: Man legt sich einen Ausländer als Freund zu! So lautete denn das Motto des Bundesliga-Gedenktages "Mein Freund ist Ausländer" - oder besser "Tor ist Tor, auch wenn es ein Ghanaer schießt". Die Selbstversicherung, antirassistisch zu sein, gerät zur Selbstimmunisierungsstrategie, mit der es sich erübrigt, über die eigenen Verhaltensweisen zu reflektieren und sich selbst als Teil der objektiven Verhältnisse zu sehen, in denen die Ausgangspunkte rassistischer Strukturen zu suchen sind. Subtile Formen der Ausgrenzung, offene Diskriminierung durch staatliche Institutionen werden aus dieser moralisierenden Kritik ausgeblendet.

So müssen das Motto und die Slogans der Kampagnen zwangsläufig oberflächlich bleiben, damit auch die Letzte noch das Angebot zum Mitmachen wahrnehmen kann. Der Versuch, überparteilich und damit ehrlich und ehrbar zu bleiben, beschränkt sich auf die Beteuerung "gegen Fremdenhaß" zu sein und hat letztlich in der Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus keine Folgen; deswegen also die tendenzielle Abneigung, politisch Positionen zu beziehen oder klare politische Forderungen aufzustellen. Wenn man den etwas dümmlich daherkommenden Parolen und Werbesprüchen einige Fragen gegenüberstellt, zeigt sich, daß diese Formen keineswegs unpolitisch sind:

"Heute Die morgen Du". Dieser Versuch der linksliberalen Deutschrockszene, aufklärerische Intentionen in verkürzte Bedrohungsformeln zu pressen, wirft ganz nebenbei die Frage auf, wer eigentlich Die sind. Sind es die da, die so fremd aussehn oder die da, die vorm Kaufhaus stehn oder die da, die freitags nie da sind? Bereits in der Wahrnehmung von Rostock oder Mölln wird differenziert, wer Opfer und wer kein Opfer ist. Pauschal wird damit die Unterscheidung und Trennung zwischen Denen und Uns reproduziert und gemutmaßt, "uns Deutschen" könne es morgen genauso ergehen wie heute schon "den Ausländern"! Es bleibt nur die stille Hoffnung, diese Drohung würde die schweigende Mehrheit wachrütteln.

"Ich würde mir wünschen, daß wir mit unseren Ausländern freundlicher umgehen." (Heike Henkel im Werbespot)

Wenn jemand mit einem Menschen freundlich umgeht, dann bedeutet es nicht so sehr, daß da eine nette Beziehung herrscht, vielmehr sagt die Formulierung etwas über die Machtstrukturen in diesem Verhältnis aus. Die Nicht-Deutschen sind offensichtlich dem Wohlwollen der deutschen Bevölkerung ausgeliefert, und die Phrase von der Toleranz verspricht eigentlich nur die zeitweilige Duldung ihrer Andersartigkeit. In der alltäglichen Wahrnehmung existiert die ausländische Mitbürgerin nur als permanentes Provisorium. Hier spiegelt sich der Status wieder, den sogenannte GastarbeiterInnen und - in verschärftem Maße - Flüchtlinge rechtlich und sozial besitzen.

Wenn es auf der einen Seite den Ausschluß aus dem ideologischen Konstrukt namens Deutsche Gesellschaft gibt, existieren auf der anderen Seite bestimmte Kriterien für die Teilhabe. Wer wird also toleriert, und wer erfüllt die Prüfungskriterien? Ulla Meinecke liefert uns da einen Hinweis, wenn sie in der TV-Pausenreklame die ZuschauerInnen auffordert, doch bei Blüm anzurufen, um nachzufragen, ob die Renten noch sicher wären, wenn's denn keine AusländerInnen mehr gäbe. Der arbeitende Mensch gleich welcher Hautfarbe und Nationalität verhält sich also loyal, indem er gesellschaftlich notwendige Reproduktionsarbeit leistet und sich auch ansonsten recht brav und unauffällig verhält. Diese Loyalität wird zur befristeten Garantie, nur unauffälligen Repressionen ausgesetzt zu sein. Dafür stehen die Lichterketten, und dafür müssen Minister die Trauerfeier nach Mölln dekorieren. Eine Gleichstellung auf allen Ebenen ist trotzdem in keiner Weise beabsichtigt.

Wer aber diese Leistungen nicht bringt, ist gänzlich auf Barmherzigkeit angewiesen, muß jedem entsprechen, um die Solidarität der Gemeinschaft nicht entzogen zu bekommen. Wer als illoyal abgestempelt wird, wie Obdachlose, Junkies und eben auch Flüchtlinge, ist allenfalls soziales Problem, das die Gesellschaft in den Griff bekommen muß. Der Konsens der Lichterketten hat keine Schwierigkeiten, Männer und Frauen in ihre Reihen aufzunehmen, die sich als AusländerfreundInnen sehen und im nächsten Augenblick den sogenannten Asylkompromiß begrüßen, gar für zu ineffektiv halten. In die Kette paßt, wer sich als Gewaltverachtender betrachtet und dennoch nebenbei Obdachlose von der Uni prügeln läßt. In Frankfurt wird nicht lange gefackelt.

Wenn in Magdeburg nun eine Lichterkette gegen die Bombardierung der Stadt durch die Alliierten vor 48 Jahren abgefeiert wird und so ganz nebenbei noch Haß und Gewalt verurteilt werden, ist dies ernüchternd, aber folgerichtig. Faschos und Antifa, beide müssen gleichermaßen schlecht sein, denn die erklärte Mitte muß unter allen Umständen das Wohl aller darstellen. Das Volk wächst zusammen, wenn es einig ist.

Die Lichterkette zeichnet ein im Augenblick dringend benötigtes Selbstbild eines geläuterten Deutschland, das aus seiner Geschichte gelernt hat. Das Friedhofslicht steht für den Minimalkonsens des derzeitigen gesellschaftlichen Antirassismus, der nahezu alles und jede/n subsumieren kann. Wer sich und anderen einredet, "gegen Fremdenhaß" zu sein, wird automatisch ein Glied in der Kette und entledigt sich so der Anstrengung, verstärkt nach dem 9. November 1989 wieder positiv gewendete Begriffe wie nationale Identität oder Solidargemeinschaft zu hinterfragen. Entgegen allen Erwartungen werden die Lichterketten nicht zum Beginn einer breiten antirassistischen Bewegung, sondern sind bereits der Endpunkt eines kurzfristigen, sanften bürgerlichen Achselzuckens - und Brandsätze sind wieder auf hintere Zeitungsteile verbannt.