Floppy Bär könnte noch am Leben sein -

Drei kleine weiße Pillen bereiteten ihm ein vorzeitiges Ende


Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Paragraphen 218 verstärkten sich nochmals die Forderungen , der Chemiekonzern Hoechst solle jetzt auch in Deutschland endlich die Zulassung der Abtreibungspille RU 486 beantragen. Die Abtreibung mit RU 486 sei schonender und mit weniger Komplikationen verbunden, psychisch weniger belastend und ermögliche der Frau zudem ein größeres Maß an Selbstbestimmung: So die Argumente der BefürworterInnen. Gleichzeitig haben obskure sächsische LebensschützerInnen 70000 gegen eine Zulassung gerichtete Unterschriften gesammelt und an Hoechst übergeben.

Angesichts einer solchen Konstellation ist die Entscheidung, welche Position frau zu ihrer eigenen machen sollte, eigentlich schon gefallen, in diesem Falle aber vielleicht verfrüht. Es gibt berechtigte Einwände, die gegen die Zulassung dieses Wirkstoffes sprechen: Sie gründen sowohl auf seiner Anwendungs- und Wirkungsweise, als auch auf den sexualpolitischen Implikationen, die sich hinter der scheinbaren Sorge um Gesundheit und Wohl der Frauen verbergen.

RU 486 gibt es seit 1980, es wurde von der französischen Firma Roussel-Uclaf (einer Tochtergesellschaft Hoechsts) entwickelt. Nach einer überaus kurzen Erprobungszeit von etwas über einem Jahr wird es im Oktober 1981 zum erstenmal an elf Frauen getestet. Die Ergebnisse waren nicht gerade euphorisierend: Neun Schwangerschaften wurden nach bis zu neun Tagen beendet, bei einer Frau mußte eine Ausschabung sowie eine Bluttransfusion vorgenommen werden; trotzdem wurden die Menschenversuche in verschiedenen Ländern - immer unter Beteiligung von Roussel-Uclaf-MitarbeiterInnen und mit Unterstützung der WHO - fleißig fortgesetzt. Um die schlappen Erfolgsquoten von sechzig bis achtzig Prozent zu erhöhen (Erfolg heißt hier: vollständige Beendigung der Schwangerschaft ohne Berücksichtigung von Dauer und Umständen der Behandlung), kam man auf die Idee, RU 486 mit Prostaglandinen zu kombinieren.

Prostaglandine wurden seit ca. 1970 als Wehenmittel und Abortivum propagiert, in einer Kampagne, die durchaus mit der um RU 486 vergleichbar ist; allerdings erhoben sich damals - im Gegensatz zu heute - heftige Proteste gegen ihren Einsatz und zwar hauptsächlich von Seiten feministischer Frauengesundheitsgruppen, die ein Verbot der Prostaglandine forderten. Konsequenterweise, da es in der Logik solcher Wirkstoffe liegt, daß sie - wenn zugelassen - auch angewandt werden und daß Ärzte oftmals Druck ausüben, um die ihnen genehme Form der "Behandlung" durchzusetzen. Dies für alle, die meinen, frau könne sich schließlich "frei" entscheiden, welche Art der Abtreibung sie persönlich vorziehe und die deshalb für eine Zulassung von RU 486 plädieren. Die Nebenwirkungen der Prostaglandine sind in der Tat schwindelerregend, unter anderem setzen sie die Immunreaktion herab und werden deshalb auch bei Organtransplantationen eingesetzt.

1988 wird RU 486 in Frankreich zugelassen, nach einem Monat stellt Roussel-Uclaf den Vertrieb jedoch wieder ein, angeblich wegen der Proteste konservativer, vor allem katholischer Kreise; wahrscheinlicher ist jedoch eine überaus geschickte Marketingstrategie: Das Unternehmen läßt sich von der "liberalen" Öffentlichkeit (einschließlich französischem Gesundheitsminister) so lange beknien, bis es den Vertrieb wieder aufnimmt und den von ungewollter Schwangerschaft und rechten Spinnern bedrängten Frauen das "Wundermittel" nicht länger vorenthält (und sich somit auf die Seite der Frauen und gegen die LebensschützerInnen stellt). Seit Februar 1989 ist RU 486 in Frankreich endgültig in Gebrauch, bis jetzt haben ca. 130000 Frauen damit abgetrieben. Mittlerweile ist es auch in Großbritannien, China und Schweden auf dem Markt, in den USA läuft ein Erprobungsversuch mit zweitausend Frauen.

Nach dieser kurzen Einführung in Entwicklung und Geschichte der Abtreibungspille scheint es mir wichtig, die Argumente der BefürworterInnen (die sich offensichtlich auf Werbeprospekte von Roussel-Uclaf stützen) mit der Realität einer Abtreibung durch RU 486 zu konfrontieren. Entgegen allen Behauptungen erfordert RU 486 nicht weniger sondern mehr ärztliche Kontrolle, was das Geschwätz von der größeren Mitbestimmung und Eigenverantwortung der Frau (als ob das jemals im Interesse der Medizin gelegen hätte) schlichtweg ad absurdum führt.

Zunächst einmal: RU 486 ist nur in speziell dafür eingerichteten Kliniken erhältlich, jede Frau, die mit diesem Mittel abtreibt, wird namentlich registriert (Ich beziehe mich hier auf die Situation in Frankreich, es ist aber nicht davon auszugehen, daß sich die Bedingungen in der BRD wesentlich davon unterscheiden würden). Die Prozedur beginnt also in der Klinik mit einem Schwangerschaftstest, einer manuellen Austastung des Beckens und einer vaginalen Ultraschalluntersuchung zur Feststellung der genauen Schwangerschaftsdauer. Dies ist nötig, weil RU 486 nur bis zum neunundvierzigsten Schwangerschaftstag (d.h. in einem Zeitraum von vierzehn bis zwanzig Tagen nach Ausbleiben der Regel, also sehr kurz) angewendet werden kann. Dann geht frau erst mal nach Hause, am nächsten Tag darf sie dann wieder in die Klinik, um dort unter ärztlicher Aufsicht ihre drei Pillen RU 486 zu schlucken. Wie überaus privat und wie praktikabel, wenn frau nicht gerade direkt neben der Klinik wohnt oder vielleicht arbeitet oder Kinder hat oder heimlich abtreiben will..... Das war aber noch längst nicht alles. Zwei Tage später - wir ahnen es schon - muß frau zum drittenmal in die Klinik, diesmal zur Verabreichung der Prostaglandine, außerdem ist eine zweite Beckenaustastung fällig.

Immer noch nicht das Ende: Jetzt fängt's erst richtig an. Mit Warten nämlich auf den Abort (der mit Glück zu Hause vor sich geht, vielleicht aber auch irgendwo anders), Schmerzen, in der Regel heftigen Blutungen, Schwächezuständen, Übelkeit, Durchfall und Erbrechen. Das alles kann sich bis zu zwei Wochen hinziehen, im günstigsten Fall dauert es einige Tage. Abgesehen von dem psychischen Streß, der durch eine solche Situation hervorgerufen wird. Nach diesem "weitestgehend nebenwirkungs- und schmerzfreiem Abbruch der Schwangerschaft" (so Ingrid Matthhäus-Maier in einem FR-Gastbeitrag vom 3.03.93) geht's dann wieder in die Klinik zur Nachuntersuchung, d.h. wie gehabt Beckenaustastung sowie vaginale Ultraschalluntersuchung, diesmal um festzustellen, ob der Abort auch ein vollständiger war oder ob noch irgendwelche Reste im Uterus verblieben sind. Wenn nicht - und das ist bei fünf bis sieben Prozent der Frauen der Fall - muß frau sich jetzt noch eben der konventionellen Abtreibung unterziehen, der sie durch Einnahme der Chemikalie zu entgehen trachtete.

Soweit der Verlauf einer "normalen" Abtreibung mit RU 486; Forschungen über Langzeitschäden, die bei der Konzeption eines solchen Wirkstoffes (der als Hormon in den ganzen Körper eingreift und zudem eine relativ hohe Halbwertzeit hat) wahrscheinlich sind, gibt es bis heute nicht.

Im Gegensatz dazu erfordert eine konventionelle Abtreibung zwei Klinik-, bzw. Arztbesuche, sie verläuft in 99% der Fälle erfolgreich, der Eingriff geht relativ schnell und kann zudem auch zu einem späteren Zeitpunkt der Schwangerschaft (bis zur zwölften, bei eugenischer Indikation bis zur zweiundzwanzigsten Woche) noch ausgeführt werden. Das soll jetzt kein Loblied sein auf die übliche Abtreibungspraxis (da ließe sich sicher noch vieles verbessern) und gilt so natürlich auch nur für wenige Länder, nämlich die westlichen Industriestaaten, und das bringt uns zu einem anderen Argument der RU 486-BefürworterInnen.

Stellvertretend sei hier Etienne-Emile Baulieu, der "Vater" der Abtreibungspille, zitiert: "Die Pille RU 486 wird aber auch tausende von Todesfällen verhüten helfen, wie sie in den Entwicklungsländern nach mißglückten Abtreibungen an der Tagesordnung sind." (Spiegel 39/91). Diese Argumentation ist nur mehr zynisch, denn sie verkennt bewußt, daß diese Frauen nicht an einer Abtreibung, sondern an den beschissenen Verhältnissen, unter denen diese durchgeführt werden, sterben; und sie leugnet zudem die Gefahren, die mit einer RU 486-Abtreibung verbunden sind, die an diesen Verhältnissen nichts ändern würde. Im Gegenteil: Schon die Tatsache, daß Prostaglandine unbedingt gekühlt aufbewahrt werden müssen, macht deutlich, daß ihr Einsatz in Ländern, denen es an der einfachsten medizinischen Infrastruktur mangelt, keinen einzigen Todesfall verhindern würde. Was durch den Einsatz von RU 486 allerdings massiv erleichtert würde, wäre der bevölkerungspolitische Zugriff auf die dort lebenden Frauen. Und da sind ja so ein paar Gesundheitsschäden oder auch Todesfälle ganz egal: Wenn's doch gegen die Überbevölkerung hilft.

Stutzig machen sollte in diesem Zusammenhang schon allein das rege Interesse, das die WHO an der Entwicklung von RU 486, u.a. durch aktive Teilnahme an Forschungsprogrammen, bekundet hat, ist die Weltgesundheitsorganisation doch immer mit dabei, wenn es um die Eindämmung der "Bevölkerungsexplosion" geht. Dabei ist zweierlei stets impliziert: Überbevölkerung findet statt in den Ländern der "Dritten Welt", und es sind die Frauen, die dafür die Verantwortung tragen, weshalb sie an der Fortpflanzung gehindert werden müssen. Zwanzig Millionen Dollar im Jahr gibt allein die WHO für ihre Kontrazeptionsprogramme aus, davon immerhin 1,7 Mio für die Erforschung von Verhütungsmethoden für Männer, ansonsten konzentriert sich der Augenmerk der (männlichen) Bevölkerungsplaner ganz auf die Frau. Wert gelegt wird dabei auf die Entwicklung von Kontrazeptionsmethoden, die den "Unsicherheitsfaktor" Frau weitgehend ausschalten: Sie sollen möglichst langfristig wirken, ihre Einnahme soll nicht der Frau selbst überlassen bleiben, und im Zweifelsfall ist es auch von Vorteil, wenn sie Frauen ohne ihr Wissen verabreicht werden können. Am erfolgversprechendsten ist in dieser Hinsicht die Verhütungsimpfung, die ca. zwei Jahre lang wirkt und die zur Erhöhung ihrer Wirksamkeit mit anderen Impfstoffen (z.Bsp. gegen Tetanus oder Diphterie) kombiniert werden muß. Ebenfalls gut im Rennen liegen Implantate (Wirkungsdauer bis zu fünf Jahren) und Depotspritzen, die drei Monate lang eine eventuelle Empfängnis verhindern. Diese werden auch in der BRD angewandt, und zwar bei Frauen, denen man die Verhütung lieber nicht selbst überläßt, also Ausländerinnen, Sozialhilfeempfängerinnen und Psychiatriepatientinnen. Daß alle diese Wirkstoffe erhebliche Nebenwirkungen mit sich bringen, muß wohl kaum noch erwähnt werden.

Was in diesem kurzen Exkurs deutlich gemacht werden sollte, ist folgendes: Bevölkerungskontrolle in der "Dritten Welt" und Erschwernis der Abtreibung hier sind nur zwei Seiten der gleichen Medaille; in beiden Fällen geht es darum, Frauen die Kontrolle über ihre Reproduktion zu entziehen und sie je eigenen Zwecken zu unterwerfen. Deswegen ist es zumindest kurzsichtig, sich für eine Abtreibungsmethode einzusetzen, die Frauen noch stärker als bisher zu einem Objekt der Medizin machen würde. Forderung müßte vielmehr sein, den Anspruch des Staates auf Überwachung des weiblichen Körpers zu brechen: Konkret bedeutet dies, sich für eine Entmedizinalisierung der Abtreibung einzusetzen, d.h. den ÄrztInnen (und damit dem Staat) das Monopol für bestimmte medizinische Techniken aus der Hand zu nehmen.

Charlotte Heer