Widerstand in der Republik der Angst

Eine Veranstaltung zur iranischen Studierendenbewegung im IvI

[Ungekürzte Version eines Veranstaltungsberichtes, gedruckt erschienen in der studentischen Protestzeitung blocage]

Anfang November war der Schriftsteller und Publizist Ali Schirasi auf Einladung der Fachschaft 03 und der sinistra! im Rahmen der 4. Gegen-Uni zu Gast im Institut für vergleichende Irrelevanz (ivi). Schirasi, der seit seiner Flucht aus dem Iran im Jahr 1987 in Konstanz lebt, war als Referent zum Thema iranische Studierendenbewegung eingeladen. Seine Einlassungen beschränkten sich jedoch nicht auf die dortigen studentischen Proteste, sondern versuchten im Zusammenspiel von persönlicher Perspektive - Schirasi war als Untergrundaktivist einer illegalen Lehrergewerkschaft und als Marxist unter dem Schah wie unter Khomeini verhaftet und gefoltert worden - und gesamtgesellschaftlicher Situation das Besondere der iranischen Bewegung, die unter anderen Bedingungen als die europäischen operiert, zu verdeutlichen. Im Unterschied zu westlichen Nationen ist im Iran nicht einmal ansatzweise die Freiheit der Meinung und Wissenschaft gegeben. Das islamistische Regime schloss nach seiner Machtübernahme 1979 zunächst für zwei Jahre die Unis komplett, nach deren Wiedereröffnung wurden nur noch Religiöse als Lehrkräfte zugelassen. Auch die Studierenden müssen im Rahmen der Zulassungsprüfung die richtige Gesinnung nachweisen - so werden ihre Nachbarn routinemäßig nach eventuellen 'unislamischen' Verfehlungen der zukünftigen AkademikerInnen befragt. Gegen die religiös legitimierte totale Macht, den staatlich durchgesetzten Zwang zur Unterwerfung unter einen Aberglauben regt sich allgemein im Iran immer wieder Widerstand - speziell die Unis sind aufgrund der langwährenden Schwäche politischer Parteien Aktionsfeld liberaler, atheistischer, feministischer und kommunistischer Kräfte. Proteste von oft mehreren tausend Studis richten sich einerseits unmittelbar gegen Missstände wie schlechtes Mensaessen, überfüllte Wohnheime und schlecht ausgestattete Bibliotheken, andererseits gegen die autoritär durchgesetzte religiöse Hegemonie an der Uni, wie sie sich in der Auswahl des Lehrpersonals, der Studierenden sowie der Lehrinhalte zeigt. Daneben zeigen sich die Studierenden aber auch regelmäßig solidarisch mit anderen Protesten, wie etwa den Streiks der Busfahrer und Textilarbeiter und den Kämpfen der Frauenbewegung gegen die rigide Geschlechtertrennung, die vom Regime brutal niedergeschlagen werden. Die Studierenden sind dabei mit einem nahezu unvorstellbaren Ausmaß an Repression konfrontiert - Schirasi, dem selbst in der Haft Kiefer- und Unterschenkelknochen gebrochen wurden, berichtete von Entführungen, Vergewaltigungen und Überfällen durch Polizei und Geheimdienste. Der Staatsterror kulminierte im Massaker vom Juli 1999, als während mehrtätiger studentischer Unruhen gegen die Zensur Wohnheime beschossen und mindestens fünfzig, wahrscheinlich Hunderte Menschen von Bullen ermordet sowie Tausende verhaftet wurden. Aktuell hat der offen antisemitische Präsident Ahmadinedschad gefordert, den "Kulturkampf" gegen säkulare Dozenten (erneut) zu eröffnen und seinen Schlägertrupps von den Bassidschi (Märtyrer)-Milizen, die keine fachliche Aufnahmeprüfung ablegen müssen, sondern einzig aufgrund ihrer ideologischen Treue an der Uni aufgenommen werden, freie Hand für Übergriffe aller Art im Rahmen dieser "Säuberung" gegeben. Verhaftete vom Juli 1999 wurden z. T. erneut inhaftiert, so etwa Ahmad Batebi, der nach schweren Folterungen im Krankenhaus untergebracht war und von dort nun wieder in ein unbekanntes Gefängnis verschleppt wurde, wo er in Hungerstreik getreten ist. Ein anderer Student, Akbar Mohammadi, starb im Juli an den Folgen eines Hungerstreiks, da ihm das Knast-Krankenhaus medizinische Betreuung verweigerte - seine Beerdigung wurde aus Sorge vor Unruhen von 5.000 PolizistInnen überwacht. Zudem ernannte Ahmadinedschad einen seiner Vertrauten, einen Mullah ohne fachliche Qualifikationen, zum Rektor der Uni Teheran, woraufhin sich Studierende unter Parolen wie "Einen faschistischen Rektor wollen wir nicht" und "Tod dem Diktator" versammelten. Mittlerweile wurden auch an allen Unis sogenannte Sittenstreifen installiert, welche 'unislamische' Bekleidung sowie gemischtgeschlechtliche Interaktion unterbinden sollen. Dass diesem religiösem Wahn wie jeder anderen Form kapitalistischer Herrschaft entgegenzutreten ist, wurde von Schirasi eindrucksvoll verdeutlicht. Besonders nachdenklich stimmte seine Kritik an einer Linken, die sich wie die europäische seit 1979 und z. T. bis heute, zur Komplizin der islamistischen Bourgeoisie macht, anstatt sich ihre Unabhängigkeit im Kampf für eine menschliche Gesellschaft ohne Ausbeutung zu bewahren. Konkrete Schritte auf diesem Weg wären Aktionen gegen die Kumpanei von BRD und Iran auf wirtschaftlichen und politischen Terrain, so werden etwa iranische Agenten in der BRD und Stipendiaten der staatsoffiziellen 'Partei Gottes' auch an der Goethe-Uni ausgebildet, während Oppositionelle abgeschoben oder vom BND beschnüffelt werden.


sinistra! radikale linke

Ali Schirasi betreibt einen Blog: www.blog-alischirasi.de
und eine Homepage: www.alischirasi.de