GEWOGEN UND ZU LEICHT BEFUNDEN (EIN ZEICHEN AN DER WAND)


Stellungnahme aus THEORIE PRAXIS LOKAL (sozialistische studienvereinigung)


Frankfurt a. M. zu den Auseinandersetzungen in der frankfurter linken

Szene um den Vorfall am 19./20.4. 2003 in der "Au".

(Vorbemerkung: Die Studienvereinigung (theorie praxis lokal) ist keine einheitlich

ausgerichtete "Organisation", und so ist das folgende Statement auch nicht

repräsentativ für DIE Mitglieder DER sSV, sondern wie immer in solchen

Fällen Resultat der kontroversen Diskussion INNERHALB des offenen Raums "theorie

praxis lokal".

Im folgenden nehmen einige Mitglieder der Studienvereinigung Stellung zu

den Konflikten in der Linken, aber sie ergreifen nicht Partei für das eine

oder das andere politisch-ideologische Lager. Wenn wir uns durch diese

Stellungnahme mit denen solidarisieren, die geschlagen worden sind, dann kann daraus noch

keine inhaltliche und politische Zustimmung zu dem Anliegen der Beteiligten

gefolgert werden, schon garnicht die Zugehörigkeit zum Lager irgendwelcher

sogenannter "Antideutschen". Zur Stellungnahme fühlen wir uns veranlasst,

weil diese gangland-Verkehrsformen mit der dazugehörigen Lagermentalität für

jede linke, revolutionäre Diskussion der brennenden Fragen tödlich, für die

bestehende Linke aber ein Menetekel sind.)

>

>

> Am 19./ 20.4. auf dem Konzert in der Au wurden Personen, die zum

> antideutschen Spektrum zählen, körperlich angegriffen. In Verbindung damit kam es zu

> einem Rausschmiß der Geschlagenen. Schon vor einem Jahr wurde in einer anderen

> linken Lokalität, im Café ExZess, eine Person wegen ihrer Zugehörigkeit zum

> antideutschen Spektrum geschlagen. Schon danach fand durch den Angreifer

> und die, die ihn deckten, eine Verdrehung von Opfer und Täter statt und eine

> Diskussion darüber, ob "antideutsche" (1) Gruppen überhaupt noch in das

> ExZess kommen dürfen.

>

> Die Generierung der Schläger zu Opfern lief und läuft über zwei

> Argumentationsfiguren:

>

> "Die Antideutschen provozieren (2)." (Deshalb sei Schlagen angebracht.)

> Die "Antideutschen" spalten "die Szene". (Deshalb werden sie aus der

> linken Szene ausgestoßen.) Mit ihrer Thematisierung des linken Antisemitismus und

> des Existenzrechts Israels hat es vorgeblich nichts zu tun.

>

> Den antideutschen Gruppen wird vorgeworfen, dass sie die Prügel

> provozierten, weil sie ihre Israelsolidarität durch "DIREKTES Provozieren" deutlich

> machten . Allein dass einige ein "SAVE ISRAEL"-Graffiti in den Au- Konzertraum

> schreiben, genügt, sie als "die Provokateure" schlechthin zu stigmatisieren (d.h. in

> der logischen Konsequenz: entzieht ihnen den öffentlichen Raum, schlagt sie,

> wo ihr sie trefft!)

>

> Das heißt folglich: Wer den Linken den möglichen Antisemitismus qua

> "Linkssein" vorab nicht abspricht, provoziert schon (Schläge). Denn die alte Mär, dass

> sich "Linkssein" und Antisemitismus prinzipiell ausschließen würden, wird

> durch solche Fragen der Antideutschen schmerzhaft in Frage gestellt.

> Offensichtlich wird tatsächlich ein Nerv berührt.

>

> In diesen Schlägen drückt sich nicht nur die Wut über die Vorwürfe der

> Antideutschen aus, dass sich große Teile der Linken mit dem eigenen

> Antisemitismus nicht auseinandersetzen, sondern nicht von ungefähr werden

> auch diejenigen, auf die man einprügelt, automatisch mit Unilinken (sinistra!)

> identifiziert. Und nicht von ungefähr werden Antideutsche mit

> Theorielinken gleichgesetzt und kurzerhand mit dem Label einer bekannten Unigruppe

> beklebt.

> So wie die Au-Veranstaltungsgruppe freigiebig die Mitgliedschaft in die

> sinistra! vergibt, genauso schnell verwahrt man sich gegen eine

> intellektuelle Auseinandersetzung über ihr Handeln. Von Interesse ist nicht mehr, was die

> sinistra! selber tut oder läßt, sie werden gesamtschuldnerisch haftbar

> gemacht für jedes antideutsche Thema und jeden theorielinken Pups. Diesem

> Sündenbock wird pauschal jede kritische Theorie der Linken aufgeladen. So läuft sie

> halt, die Denke der Stereotypen.

> Offensichtlich reihen sich diejenigen, die zugeschlagen haben, und die

> Leute, die sie unterstützen, in die Traditionslinie der Intellektuellenfeindlichkeit

> ein.

>

> Es ist schon schlecht bestellt um die innerlinke inhaltliche

> Auseinandersetzung, wenn Linke als "die Provokateure" behandelt werden,

> wo wildgewordene linke SpiessbürgerInnen "kein Bock auf Diskussion" in

> "ihrer" guten Stube haben.

>

> Das tiefste Ressentiment scheint sich uns doch sehr wohl gegen das

> intellektuelle Element in der Linken zu richten, um so aufschlussreicher,

> als dieses mit entschiedener Israel-Solidarität verknüpft wird. Wer sich diese

> in Deutschland aktuell besonders problematische Stellungnahme auf die Fahne

> schreibt, verlässt damit doch offensichtlich den traditionell hierzulande

> beschworenen linken Konsens, verletzt ein Tabu und "braucht sich dann ja

> auch nicht zu wundern", die "Spalter der Szene" genannt zu werden (-- die

> Formel "Spalter!" ist der Welt der Sozialdemokratie und der ML-Bewegung

> entlehnt --) und als solche durch eine Art Ordnerdienst behandelt zu

> werden.

> Übrigens war es von jeher der Beruf der radikalen Linken, den faulen

> Frieden und den falschen Konsens in den linken Lagern aufzusprengen, heute vor

> allem den liebgewordenen aber falschen Konsens, dass die Linken an sich schon

> über den Antisemitismus erhaben seien. Letzteren faulen Konsens infragegestellt

> zu haben -- zumindest soviel gestehen wir ihnen zu -- ist ein hoffentlich

> bleibendes Verdienst der Antideutschen.

>

> Wir finden es absolut richtig, linke Räume zu verteidigen,

> selbstverständlich die Au und gerade das ExZess. Dies aber nicht als bloße Immobilien,

> sondern sie als Ort der Diskussion und radikalen Kritik täglich neu zu erobern.

>

> Verschiedene Forderungen drängen sich in dieser Situation auf:

> Uns ist völlig klar, dass eine Forderung nach Ausschluss der SchlägerInnen

> nicht durchsetzbar ist, obwohl sie vernünftig wäre. Solange die linke

> Szene beim gegenwärtigen Zustand der Restlinken nicht in der Lage ist, solche

> gewalttätigen innerlinken Übergriffe zu sanktionieren, fordern wir

> zumindest ein Aufbrechen zur Diskussion und Offenhalten der Orte linker

> Öffentlichkeit, die sich NOCH nicht in de facto Privateigentum einiger zurückverwandelt

> haben; freien und ungefährdeten Zugang für die Personen, auf die jetzt wiederholt

> eingeschlagen wurde und die mundtot gemacht werden sollen, zu den

> öffentlichen linken Räumen! Wir erwarten von allen Linken, in diesen Räumen ihrerseits

> Diskussionen einzufordern und auch zu garantieren.

>

> Für freie Graffiti und alle anderen Formen der Meinungsäusserung,

> Debattenbeiträge und gewaltfreien Anregungen und Provokationen

> (=Herausforderungen) zur Diskussion linker Inhalte an allen Orten und bei

> allen Gelegenheiten linker Öffentlichkeit !

>

> Denn wie war noch mal das Zeichen an der Wand ?

> Was sah die Linke ?:

>

> MENE TEKEL UPHARSIN

>

>

> theorie praxis lokal Frankfurt a. M.,

> Mai 2003

>

>

>

>

> 1) Wir unterscheiden zwischen Antideutschen, die sich selber als dieser

> Strömung zugehörig definieren,

> "Antideutschen" = Personen, die von anderen Personen zu dieser

> Bewegung gezählt werden, und "anti"-Deutschen = Personen, denen wir dem antideutschen

> Anspruch zu genügen absprechen würden, gemessen an dem Kriterium "Krieg den deutschen

> Zuständen!" (Karl Marx).

>

> 2) "Provokant" heißt laut dtv-Lexikon: [lat.: Herausforderung] die

> Aufreizung zu einer Gewalttat.

> "Agent provocateur" ist darüber hinaus ein ziviler (Polizei-)Lockspitzel,

> der sich im Dienste "dritter Personen" in das Vertrauen eines oder

> mehrerer "Verdächtiger" einschleicht, um ihn/sie zum Begehen einer

> strafbaren Handlung aufzureizen.