mein gesicht - dein spiegel

einsamkeit im kapitalismus



im streik, auf der barrikade, bei der besetzung - or more realistic – im emailverteiler, auf dem plenum, beim infostand, beim flugblätterverteilen, stellt sich immer wieder die frage und wird sich immer wieder die frage stellen, welche kräfte es sind, die ganz in abwesenheit der polizei (und aller direkten ökonomischen oder sozialen zwänge) das verhaften der subjekte in ihrem funktionieren garantieren. welche mächte sind es, die am anderen ende des taus ziehen, welche kräfte sind es, die sicherstellen, dass der herrschende alltag nicht unterbrochen, sondern ununterbrochen reproduziert wird, die die überzeugung erzeugen, dass die welt genau jetzt nichts dringlicher benötige als ein dialogangebot oder den angriff eines geschwaders bunter und kreativer aktionen? was schützt die adressatin der kritik, das objekt der aufklärung, jene menschen also, an die sich die flugblätter richten, eigentlich vor der erkenntnis, wenn doch nichts vor erkenntnis schützt (d.flucke)? warum gibt es so wenig widerstand oder warum gilt der heftigste widerstand – durchaus im doppelten sinn - eben dem widerstand? warum zum teufel also weigern sich diese verdammten menschen so hartnäckig und leider auch so erfolgreich dagegen, links zu werden?

die menschen dort abholen, wo sie stehen – auf dem schlauch

mehr als ideologien – im herkömmlichen sinn verstanden als intellektuelle anschauungen, geistige produktionen, alltagsweisheiten – ist es das subjekt, die form des subjekts, sind es die historischen subjektivitäten selbst, die den affektiven, emotionalen, den körperlichen klebstoff bilden, der die menschen an ihr bestimmtes leben, an sich selbst und damit an die herrschenden verhältnisse kettet. wenn die subjekte, die subjektivitäten aber nicht vom himmel fallen, sondern effekte von kerkernetzen sozialisatorischer institutionen (familie, schule, zeitung, liebe, führerschein) sind, also jeweils spezifische subjektivierungen der objektiven gesamtscheiße und wenn diese verhältnisse wiederum in sich und notwendig widersprüchlich sind, dann sind auch die subjekte widersprüchlich. sie sind sich nicht gleich, es sind nicht immer die gleichen, es gibt unterschiede, unterschiedliche subjekte, verschiedene menschen. und deswegen macht es zur beantwortung der oben gestellten fragen sinn, ganz ohne wissenschaftlichen anspruch ein paar klassifikationsspiele zu betreiben und verschiedene typen von subjektivität auseinander zu klamüsern. welche gibt es und welche schwerkräfte halten sie in sich und auf dieser erde?

die glücklichen reaktionären

es gibt diese bürgerinnen und studentinnen, die demonstrantinnen mit regenschirmen attackieren, die flugblätter zerreißen, unaufhaltsam schimpftiraden produzieren und unter einem heftigen bekenntniszwang, zwang zum coming out zu leiden scheinen, denn sie müssen sich permanent lautstark und gänzlich ungefragt als demokratinnen, anhängerinnen der fdgo, als arbeitnehmerinnen, vor allem aber als steuerzahlerinnen outen. möglicherweise erklärt sich die intensität, mit der sie das bestehende gegen veränderungen zu verteidigen versuchen, aus einem identitätskonflikt, aus einer unsicherheit oder vegesslichkeit gegenüber ihrem eigenen namen, denn diese menschen fühlen sich beständig angesprochen ohne angesprochen zu sein und halten jede kritik - beispielsweise an deutschland - für einen angriff gegen ihre person. »die gesellschaft – das bin ich« das könnte die parole sein, unter der sich diese subjektivität formiert, denn sie besitzt die wundersame fähigkeit, ihre subjektiven grenzen soweit auszudehnen, dass alles darin platz findet; ihre spezifischen interessen, ihre klassenlage aber verschwindet und sie wird selbst zur personifikation des allgemeinen, des ideelen gesamtkapitalisten. möglicherweise verweist der reaktionäre hass, die reaktive wut aber auch darauf, dass die bloße möglichkeit, die von den demonstrantinnen demonstrierte möglichkeit, das eigene schicksal in die eigene hand zu nehmen, die bedrohliche erkenntnis heraufbeschwört, dass es nicht notwendig und nicht unausweichlich war, sich mit dem vorgefundenen schicksal abzufinden, sich zu fügen. denn gegen etwas unausweichliches lässt sich nicht opponieren. es ist wenig sinnvoll schrecklich unter dem umstand zu leiden, dass wir jeden tag von neuem essen und trinken müssen und es ist keine vernünftige erweiterung kritischer theorie, diesen umstand als herrschaft zu denunzieren. ebenso ist es, wenn ein geliebter mensch stirbt, im sinne einer gelungenen trauerarbeit, irgendwann die wut einzustellen, das vergebliche anrennen und nicht glauben, nicht wahrhaben wollen zu beenden und sich damit abzufinden, dass der zustand nicht mehr änderbar ist. das leiden an einem zustand und die kritik des zustandes erhält aber in dem moment ihre berechtigung, legitimation, wenn sich herausstellt, das er änderbar ist.

die möglichkeit der veränderung konfrontiert die menschen, die sich mit dem zustand abgefunden haben also nicht nur mit der möglichkeit, dass die von ihnen in der vergangenheit getroffenen entscheidungen falsch waren, sondern auch mit der möglichkeit, dass enttäuschung, trauer und wut die ihrem leben gegenüber angemessensten emotionen sein könnten. der widerstand gegen den widerstand, das sich abfinden und die aggressive abwehr des sich nicht abfindens lassen sich so möglicherweise dechiffrieren als abwehr von angst. angst vor einer entsetzlichen aber berechtigten und damit umso entsetzlicheren traurigkeit. und diese figur der abwehr, lässt sich nicht nur bei den anderen beobachten, sie findet sich nicht nur da draußen, sondern sie steht bereits vor der tür, kann durch keine tür aufgehalten werden, befindet sich bereits in diesem raum, hat immer schon platz genommen – hier. (siehe genauer: warum mir das ausbleiben der revolution auf den magen schlägt, diskus 2/03)

aber die gruppe derer, die wütend und hasserfüllt auf proteste reagieren, die mit allen mitteln das bestehende zu verteidigen bereit sind, ist klein. denn die diskursiven koordinaten haben sich historisch verschoben. mit dem ende des sowjetkommunismus ist auch der antikommunismus an sein ende gekommen und die schar derer, die diese welt nicht nur für die beste aller möglichen, sondern auch für die beste aller möglichen halten, denen diese welt also nicht nur als alternativlos, sondern auch als rundum gelungen gilt, ist beachtlich geschrumpft. die glücklichen sind eine radikale minderheit.

die freundlichen resignierten

ein anderer typus von subjektivität, von dem ich noch vor einigen monaten, noch bevor dieser »streik« begann, dachte, dass er hegemonial sei, beschreibt jene menschen, die flugblätter zuweilen mit interesse lesen und gerne und nicht immer auf die beidseitigkeit dieses bedürfnisses achtend über die darin verhandelten inhalte diskutieren. sie wollen sich informieren und entdecken schnell und ebenso ohne auf beidseitigkeit zu achten gemeinsamkeiten: »das sehe ich auch so, das sage ich auch immer«, um dann beim gehen freundlich zu grüßen: »ich finde das gut, was ihr da macht. macht weiter so.«

die selbstverständlich schnelle trennung in wir und ihr ist umso erstaunlicher, sofern die beworbene politik die umworbenen direkt interessieren sollte, sofern die menschen hinter dem infostand also die interessen derer vertreten, die vor dem infostand stehen. wenn sich die beschriebene szene also zwischen einer mieterin und einer mieterschutzinitiative, einer arbeiterin und einer gewerkschaft oder zwischen einem »streikposten« und von studiengebühren betroffenen studierenden abspielt. ist die freundliche selbstverständlichkeit, mit der sie ihr gegenüber ermächtigen, ihre interessen zu vertreten allein durch eine allumfassende dienstleistungsmentalität zu erklären? wo kommen sie her, dass sie so locker die spaltung in euch und uns vornehmen - von einem anderen stern, aus einem goldreichen elternhaus?

ihnen selber fällt die erklärung, die beantwortung dieser fragen sehr leicht: es ist nicht so, dass es ihnen an sympathien mangelte für diesen protest, allein, er bringt nichts, ist aussichts-, zweck- und hoffnungslos. dafür ist es bereits zu spät. das schicksal ist besiegelt.

diese form der subjektivität lässt sich interpretieren als effekt des postsozialistischen traumas, welches das verhältnis von subjekt und geschichte einseitig zerreißt. wohl wird der einfluss der gesellschaft, der politik, der geschichte auf das leben der einzelnen anerkannt, andersrum aber ist jede vorstellung davon, dass es die menschen selbst sind, die ihre geschichte machen illusorisch geworden. das erstaunliche daran ist, dass diese leute eine einschätzung der historischen situation haben, die an realismus und pessimismus noch die hermetischste adornikerin erblassen lassen würde, dass sie aber keinerlei anzeichen dafür zeigen, dass sie sich davon nur im geringsten ihre laune vermiesen, gar nur beeinträchtigen lassen würden. mit lächelnden mündern stoßen sie die düstersten weltuntergangsprophezeiungen aus. scheinbar haben sich die historischen fakten soweit von ihren produzentinnen isoliert, dass sie auch in keinem sinnvollen kontakt zu affekten mehr stehen. »eine andere welt ist möglich« - jene parole der globalisierungsbewegung - ist in der tat das geeigneteste kognitive psychopharmakon für diese subjektivität, das als kognitives natürlich weitgehend hilflos bleibt. vor allem aber scheitert noch die intelligenteste parole, das demagogischste flugblatt daran, dass die eben beschriebene subjektivität nicht die hegemoniale ist; die gegenwärtig vorherrschende subjektivität aber gegen alle bekannte agitation immun zu sein scheint, weil sie über die fähigkeit verfügt durch barrikaden zu gehen, durch flugblätter hindurch zu sehen.

die indifferenten abwesenden/spectermakers

in den ersten tagen der proteste sind wir durch die hörsäle gezogen und haben die studierenden aufgefordert, das studieren sein zu lassen und sich den protestierend den protestierenden anzuschließen. selten alle, aber viele sind aufgestanden und haben begonnen, wiederum andere aufzufordern, es ihnen gleich zu tun. von hörsaal zu hörsaal ist die gruppe der störerinnen immer größer geworden. bis sie im hörsaal VI ankam. von 600 haben keine sechs sich bewegt, obwohl sie alle augen auf sich gerichtet fühlten, obwohl sie sich mit dem lärm aggressiver »steht auf« sprechchöre und autoritärem, rythmischem händeklatschen konfrontiert sahen. die zuhörerinnen der vorlesung blieben ruhig, blieben ruhig sitzen. unbeteiligter als sie es im kino je sein könnten. an ihren gesichtern war abzulesen, wie unlesbar diese situation für sie war. zu unlesbar, als dass es für eine verhohlene verwunderung gereicht hätte. die demonstration war für sie nicht einmal eine exotische attraktion. wäre die lautstärke nicht unerträglich unüberhörbar gewesen, es hätte nicht einmal angegeben werden können, ob die teilnehmerinnen der vorlesung den protest überhaupt wahrgenommen haben. offensichtlich waren die studierenden nicht in der lage, sich in den studierenden wiederzuerkennen, und das, obwohl keinerlei subkulturellen dresscodes eine deutliche grenze markierten. es war ihnen nicht möglich, eine sinnvolle verbindung zu erkennen zwischen sich, der professorin und den demonstrierenden studierenden. vor allem schien für sie keinerlei konnex zu bestehen zwischen dieser situation und dem in der zeitung diskutierten gesetzesvorhaben auf der einen seite, und zwischen dem gang zu ihrer bank und der überweisung von studiengebühren, die sie ganz alleine im nächsten jahr tätigen werden müssen, auf der anderen seite. jegliche beziehung von biographie und politik scheint gekappt.

so haben sie die proteste weder interessiert noch verwundert noch provoziert. sie haben sich an uns nicht einmal gestoßen, nicht gerieben, nicht gestört. weder ärgernis noch attraktion, sondern unsichtbar. indem sie nicht an uns vorbeisahen, sondern durch uns hindurch, machten sie uns zu gespenstern, zu körperlosen geistern im säkularisierten hörsaal. abwesend anwesend, abseits des schauplatzes, der bühne, die wir zu erobern trachteten, wurden wir zu entmystifizierten gespenster, ohne aussicht auf wiederkehr, auf heimsuchung, ohne spuk. hilflos rasselten wir mit unseren ketten, ungehört.

sei mein spiegel

es gibt eine t-shirt aufschrift, ein grafitti der zapatistas, das als der fluch, das heulen dieser gespenster fungieren könnte: nous sommes vous, we are you. als der verzweifelte ruf an die adressatin der kritik, sich in der kritikerin wieder zu erkennen. spiegelt euch in uns. erkennt euch in uns. identifiziert euch mit mir. ich will dich dazu zwingen, so heult es, in mein gesicht zu sehen. deine perversion in meiner perversion zu spiegeln. ich will dich infizieren, mit meiner angst, die du mir machst. ich will, dass du erkennst, dass es keine sicherheit der welt gibt, die dich vor mir schützen kann, dass es keine versicherung der welt gibt, die dich davor bewahren kann, ich zu werden.

dass in keiner tageszeitung, nicht in der bahnhofsverordnung, nicht bei den rinnsteingesprächen mein name erscheint, meine worte erklingen, meine standpunkte stehen, mag den wunsch evozieren, endlich gehört zu werden, endlich gesehen zu werden, endlich sprechen zu dürfen - zu euch. es ist ein verkrüppelter wunsch nach anerkennung, nach partitzipation, den die situation im hörsaal ebenso produziert wie der alltag im kapitalismus: weist mir den weg in den zoo. ein wunsch, gerne genährt, massenhaft gewährt in den talkshows, marktplätzen, parkhäusern, gläsernen wohnungen. tritt ein in das panoptikum. die sendezeit steht bereit, die sendezeit bleibt. weit entfernt davon die herrschaft in frage zu stellen, ist dieser wunsch bereits vom medialen regime absorbiert, in geordnete bahnen gelenkt. aber wenn sich schon so wenig haben lässt, dann ginge es jetzt wenigstens darum, mehr zu wollen – und die kräfteverhältnisse scheinen es zu ermöglichen. ich will mehr. ich will nicht, so könnte es lauten, dass ihr mich seht. ich will, dass ihr von mir gesehen werdet. ich will, dass ihr wisst, dass ihr von mir gesehen werdet, dass ich euch sehe. ich will eure angst spüren, vor dem öffentlichen auftritt. ich will, dass ihr um anerkennung bettelt, dass ihr euch duckt oder suhlt unter meinem prüfenden blick. ich will eure körper als projektionsfläche meiner phantasien gebrauchen, will, dass ihr eure körper dafür gebrauchen lasst. auch dieses bedürfnis ist, sofern es das gibt, ein falsches bedürfnis. es bricht nicht mit der macht, sondern begehrt und bestätigt das regime der norm (mit lediglich verändertem inhalt). aber es ist ein bedürfnis, das die kräfteverhältnisse realistisch einschätzt, dass um seine ohnmacht weiß, indem es nicht die aufmerksamkeit des anerkennung gewährenden blickes will, sondern die phallische macht des blickes selbst.

nous sommes vous, we are you entpuppt sich so als ruf der marginalisierten, als ausdruck einer doppelten marginalisierung, eines doppelten ausgeschlossenseins, weil mit der unfähigkeit als spiegel, als identifikationsfläche und auch als ideal, als normativer maßstab zu fungieren, immer die marginalisierten gekennzeichnet sind. ausgeschlossen sein von der sphäre der vernunft (linksradikale spinnerinnen), des realen (grenz-, zwischengeschlechtliche), des menschseins (asylantinnen, obdachlose). ausgeschlossen aber im doppelten sinne. nicht nur unsichtbar gemacht, sondern auch blind.

die drei großen spaltungen der heterosexistischen, kapitalistischen matrix

von hier aus zeigt sich, dass die studierenden studierenden und die protestierenden studierenden nicht so unvermittelt auseinanderfallen, wie es in der beschriebenen situation den anschein hatte. beide, die marginalisierte und die unbeteiligte subjektivität, die gespenster und die spectermakers sind durch das selbe grundmoment gekennzeichnet: ihr unbeteiligtsein. der einzige unterschied besteht darin, dass die einen unter dem leiden, was den anderen als selbstverständliche, unhinterfragte naturnotwendigkeit ihrer existenz gilt. schon daran zeigt sich, dass es sich bei resignation, desinteresse, indifferenz gegenüber politischen entscheidungen und prozessen nicht einfach um ideologie, nicht bloß um falsches bewusstsein handelt, sondern um notwendig falsches bewusstsein, um praktisch richtiges. die trennung der verhältnisse von ihren produzentinnen ist real. bei den beschriebenen subjektivitäten handelt es sich also nicht um pathologien, sondern höchstens um gesellschaftlich durchschnittlich notwendige pathologien, um normale neurosen, gesunde krankheiten. alle beschriebenen subjektivitäten haben ihre bedingung in den selben gesellschaftlichen strukturen, objektiven widersprüchen. während die einen ihre eigene einflusslosigkeit, die subsumtion des besonderen unter das allgemeine durch eine identifikation mit dem allgemeinen leugnen (glückliche reaktionäre), deartikulieren die anderen den einfluss des subjekts auf seine geschichte (freundliche resignierte), kappen die dritten die verbindung von subjekt und geschichte in beide richtungen (abwesende), leiden die vierten unter all dem ganz schrecklich (linke). alle diese subjektivitäten lassen sich entziffern als symptome der antwort auf die drei großen spaltungen, die at the core (postone), im herzen der heterosexistischen, kapitalistischen matrix liegen. es sind dies die spaltungen in gesellschaft und politik, in privatsphäre und öffentlichkeit und individuum und gesellschaft.

gesellschaft[schnitt]politik

die bürgerliche gesellschaft ist konzipiert als eine apolitische, als eine außerpolitische, in der eine jede unabhängig und unbehelligt von anderen teilnehmerinnen dieser gesellschaft ihren eigenen, persönlichen privatinteressen nachgeht. der zusammenhang der individuen, ihre wechselseitige abhängigkeit, ihr allgemeininteresse, das gemeinwohl wird getrennt vom alltäglichen gesellschaftlichen leben in der sphäre der politik verhandelt, die in der institution staat stillgestellt ist. dabei ist es beispielsweise in form der liberalen theorie explizit formuliertes anliegen, die politik aus der gesellschaft herauszuhalten, die gesellschaft vor dem eindringen des staates zu schützen, was einerseits den schutz individueller bürgerinnenrechte bedeutet, andererseits aber vor allem, dass die fragen, wie, von wem, was produziert wird, alle fragen der ökonomie also, wer wieviel verdient, in welcher wohnung wohnt, welches essen ist, welche clubs besucht, als unpolitische fragen erscheinen. dort endet die demokratie, ist die sozialdemokratie geendet, weswegen 68 auch gelegentlich von der »halben demokratie« die rede war. diese trennung von besonderen interessen und allgemeininteresse lässt sich sehr gut nach einer durchgefeierten nacht in der u-bahn beobachten. abgesehen von einigen störrischen rentnerinnen, die bestimmte plätze für sich in anspruch nehmen, interessieren sich jene, deren schicht gerade endet und jene, deren schicht beginnt und jene, denen das haschisch aus den augen läuft in keinster weise füreinander. ihre pfade zu ungezählten arbeits-, reproduktions- und schlafplätzen kreuzen sich zufällig, verharren in indifferenz bis zur erlösenden endstation. nur die menschen, die den weißen schriftzug »polizei« auf den rücken tragen, interessieren sich für alle und alle interessieren sich – heimlich, verstohlen, geleugnet – für sie: haben sie sich etwas zu schulden kommen lassen, fahren sie zu schnell, sollten sie nicht die füße vom sitz nehmen, haben sie dem gemeinwohl geschadet? der zusammenhang der unbeteiligten einzelnen wird durch zwang gestiftet. es ist die gewalt des zusammenhangs (negt/kluge), die die gesellschaft zusammenhält. da ist es nur zu erleichternd, der u-bahn schnell wieder zu entkommen, die allseitige abhängigkeit zu leugnen, unbehelligt von politik so wenig wie möglich mit all diesen anderen zu tun zu haben.

privatsphäre[schnitt]öffentlichkeit

die trennung von privatsphäre und öffentlichkeit, aus ökonomischer perspektive von reproduktionssphäre und produktionssphäre, ist eine erfindung des kapitalismus. in der vorbürgerlichen gesellschaft bildet das haus die grundeinheit von familie, wirtschaft und politik. mit der entfamilarisierung der politik und der entpolitisierung der familie (benhabib/nicholson), dem ende des familienbetriebs, kommt es zur herausbildung zweier streng voneinander geschiedenen sphären, denen zwei gänzlich unterschiedliche tätigkeiten/arbeiten korrespondieren, welche wiederum verschiedene ausbildungs-/sozialisationsprozesse und damit verschiedene subjektivitäten erfordern. die vergeschlechtlichung dieser subjektivitäten im modus reproduktion=weiblich / produktion=männlich bildet die materielle basis der zweigeschlechtlichkeit und beendet eine phase gesellschaftlicher organisation, die etwa zwischen dem 9. und dem 11. jahrhundert »frauen« einen unwiederholten einfluss garantierte. die konstruktion der öffentlichkeit als eine männliche, in der härte, souveränität, autonomie, rationalität walten produziert in den subjekten eine permanente überforderung und in der folge eine sehnsucht nach intimität, schwäche, geborgenheit, die auf die privatsphäre projiziert wird, was wiederum einen gewaltigen druck erzeugt und regelmäßig zum platzen der überbelasteten zweierbeziehungen führt. gleichzeitig begründet diese struktur zu einem nicht unerheblichen maße mit den verschiedenen erwartungshaltungen und bedürfnisstrukturen der unterschiedlich vergeschlechtlichten subjektivitäten das elend der heterosexualität. diese struktur etabliert einen teufelskreis, denn die lösung der endlosen nähe/distanz-schleifen, die aufhebung der unerträglichen einsamkeit (und ihrem gegenstück: der furcht vorm ersticken, verschlungenwerden), die erfüllung des wunsches nach einem erfüllten leben wird wiederum in der privatsphäre verortet, von der (nächsten) beziehung erwartet. oder wie es linda singer formuliert: »wenn das begehren paradigmatisch sexuell ist und das sexuelle paradigmatisch privat, dann projizieren individuen erwartungen hinsichtlich ihrer eigenen erfüllung (und unmut über deren ausbleiben) weit eher in die private sphäre als diese forderungen in form einer organisierten sozialen forderungen zu äußern...« wie etwa die »forderung, dass andere unternehmungen wie arbeit auch so organisiert werden, dass die möglichkeit von befriedigung gegeben ist.« zudem wird »die ideologische kraft von sexualität als ein mechanismus sozialer kontrolle dadurch erhöht, dass ihre währung letzten endes in die währung von selbstregulierung übersetz wird. [...] die regulierende kraft wird nicht in einer währung von zwang repräsentiert und ausgeführt, sondern von begehren, die ihre individualisierung oder personalisierung stützt.« (linda singer: sex und die logik des spätkapitalismus, b_books) heterosexistische matrix und kapitalistische struktur fassen also in einer weise ineinander, die den zusammenhang von liebesglück, freundschaft, sexualität, geschlecht und ökonomischer, gesellschaftlicher organsiation systematisch deartikuliert. das absumpfen in beziehungschlaufen ist ein privatproblem, dessen bearbeitung verweiblicht ist und männliche rücken stärkt (weswegen statistisch evident »frauen« durch eheschließung ihre depressionsgefahr erhöhen, während »männer« ihre senken).

individuum[schnitt]gesellschaft

der begriff des individuums kann gegenüber dem begriff des subjekts keine neutralität beanspruchen. nur einem fetischisierenden blick gilt das individuum als ontologische grundeinheit, als natürliche angelegenheit. denn das individuum ist eine soziale konstruktion der warenproduzierenden gesellschaft, es ist der soziale ausdruck der warenmonade, effekt des warenfetischs. obwohl mit der wertvergesellschaftung, der etablierung des weltmarktes die allseitige abhängigkeit im globalen umfang zunimmt, weil ich keinen keks essen kann, keinen turnschuh kaufen, ohne dass daran unmengen an unbekannten keksbauerinnen, schnürsenkelnäherinnen, lkwfahrerinnen, ingenieurinnen und wurstbrotschmierenden ehemännern dranhängen, entsteht auch mit ihr erst die möglichkeit der kleinfamilie, der zweier-wg, des singlehaushaltes, nimmt also auch die unabhängikeit zu. da die menschen sich nicht zusammensetzen um gemeinsam darüber zu beraten und zu entscheiden, wie und was sie produzieren und konsumieren wollen, brauche ich zu keinem der menschen eine persönliche, politische beziehung zu unterhalten. es reicht, dass ich in meinem portemonnaie das kommando über ihre arbeitskraft, über ihre zeit mit mir spazieren trage. »sieh nur – all die kleinen gesichter auf meinem geldschein und die fingerabdrücke auf den münzen, wer kennt ihre namen, wer riecht ihren schweiß? ein pfund butter, bitte.« (al omarra, knights of our lifes, new york 84)

die historische erfindung des individuums ist auch ein fortschritt. wessen kopf sollten die menschen zum denken auch benutzen, wenn nicht ihren eigenen? und es macht strategisch sinn, das individuum gegen alle zwangskollektive, die nation, die familienbande, die ethnie zu verteidigen; es zum maßstab einer kritischen theorie zu machen, würde aber bedeuten, den panzer der bürgerlichen einsamkeit zu verewigen.

symptom subjekt/ in a capitalist mood

die drei großen spaltungen, die at the core der heterosexistischen, kapitalistischen matrix liegen, trennen die menschen von ihrer geschichte, entheben sie des einflusses auf, der kontrolle über ihr eigenes schicksal. sie bedingen eine existenz, die in ihrer tiefenschicht durch ohnmacht, hilflosigkeit, einsamkeit gezeichnet ist. diese kapitalistische grundstimmung ist schon deshalb unerträglich, weil sie in direktem widerspruch zu den bürgerlichen diskursen der autonomie, der selbstverantwortlichkeit, handlungsfähigkeit, der glücksschmiede, der liebe steht. wenn diese objektive grundstimmung des subjekts unerträglich ist, dann ist es besser sie nicht zu ertragen. wir können subjektivität interpretieren als historisch und kulturell variierendes symptom der abwehr dieser hilflosigkeit und einsamkeit und der damit sich verbindenden traurigkeit. die oben beschrieben subjektivitäten sind also zu verstehen als kreative selbstkonstruktionen, die ertragbar machen sollen, von welcher unerträglichen grundstruktur die gesellschaft getragen wird. sie sind funktional, sinnvoll in dem sinn, dass sie in einer zur verzweiflung nötigenden situation, eben jene verzweiflung verhindern.

dennoch: wenn von diesen spaltungen gesagt wird, es handele sich um solche, die at the core der heterosexistischen kapitalistischen matrix liegen, so heißt es nicht, dass es sich dabei um statische strukturen handele, die bis zum eintreten der revolution von der geschichte enthoben wären. diese spaltungen können aufgehoben werden (das wäre die revolution), sie können aber auch überbrückt, abgemildert, durchkreuzt werden. ebenso wie der staat in die ökonomie eingreift, können die arbeitskämpfe politisch geführt werden, können die arbeitsbedingungen ebenso thematisiert werden wie die distribution des gesellschaftlichen reichtums. die gesellschaft kann also politisch, das politische gesellschaftlich werden. genauso kann die privatsphäre durchbrochen werden, das in ihr geschehende als öffentliches geschehen thematisiert und denunziert werden, kann aber auch der maskulinistische sound der öffentlichkeit, mithin das ganze an ihm klebende rationale subjekt gequeert werden. die bildung kollektiver prozesse kann handlungsfähigkeit erzeugen und einsamkeit abmildern, was rückwirkend gleichzeitig die privatsphäre entlastet, was auch die zweierkisten erträglicher macht. einsamkeit, ohnmacht verändern sich – sofern sie wie hier behauptet keine biographische zufälligkeiten, sondern gesamtgesellschaftliche konstruktionen sind – historisch und das heißt abhängig von der lage der gesellschaftliche kräfteverhältnisse. das subjekt ist also nicht - wie es warenfetisch und autonomiediskurs nahe legen – ein kohärentes, sich in der zeit gleichbleibendes wesen, sondern kreative reaktionsbildung auf wechselnde historische konstellationen. wenn das subjekt das symptom einer abwehr von gesellschaftlich produzierter ohnmacht ist, dann wird der zwang zur subjektwerdung von jeder emanzipatorischen verschiebung der kräfteverhältnisse abgemildert, während repressive, verdinglichende, totalisierende tendenzen ihn verstärken. paradoxerweise ermöglicht so jede bewegung in richtung auf eine selbstermächtigung der menschen, jede bewegung gewissermaßen in richtung subjekt ein aufweichen des subjektpanzers, während bewegungen, die die macht des objektiven gegenüber den subjekten vergrößern, den zwang, sich als abgeschlossene, kohärente, von der welt/gesellschaft getrennte entität zu entwerfen verstärkt. kollektiv-emanzipatorische, politische prozesse ermöglichen die erkenntnis des vermitteltseins der eigenen privatexistenz mit den regimen der öffentlichkeit, der ökonomie, der zweigeschlechtlichkeit, nicht nur insofern sie diese zusammenhänge kognitiv erfahrbar machen, sondern vor allem indem sie die wechselseitige abhängigkeit beschränkt ertragbar machen. damit eröffnen sie aber auch die möglichkeit eines begehrens, dass über das bestehende objekt/subjekt-regime hinausweist. wie oben am beispiel des gesehen-werden-wollens und des sehen-wollens gezeigt, verändern politische kämpfe nicht nur situationen, sondern auch wünsche. auch dort, wo nicht viel verändert werden kann, kann jetzt vielleicht mehr gewollt werden, wird die veränderung wenn schon nicht zu etwas machbaren, dann doch zumindest zu etwas wünschbaren. insofern der wechsel im kräfteverhältnis also direkt die subjektivität wechseln lässt, erzeugt er auch nicht nur ein begehren nach einem anderen leben, sondern auch danach, jemand anderes zu sein.

alles was ich will, ist nichts mit mir zu tun haben

wenn die these stimmt, dass das subjekt die widersprüchliche subjektivierung der objektiven gesamtscheiße ist, und dass subjektivität sich folglich ändert, wann immer ein wandel in den historischen kräfteverhältnissen eintritt, dann wird sich ihre richtigkeit nicht erst im moment der revolution erweisen – die revolution kommt, ich gehe. die these erhebt vielmehr den anspruch, bereits in kleinerem maßstab erfahrbar zu sein. zum beispiel in diesem »streik«. die beobachtbare veränderung der subjektivität müsste dann in verhältnis zu der temporären veränderung der kräfteverhältnisse stehen, wie zu der ausgangssubjektivität. während freundliche resignierte schon durch kleine teilerfolge, durch konkrete erfahrungen von gegenmacht, die abspaltung der gesellschaftlichen verhältnisse von subjektiver gestaltungsmöglichkeit teilrevidieren mussten, - sofern die sogwirkung groß genug war, sich überhaupt an protesten zu beteiligen - war deutlich zu erkennen, dass mehr (räumliche, barrikadenförmige) gewalt nötig gewesen wäre, um die abwesende subjektivität zu einer öffnung ihrer grenzen (und sei es auch nur in richtung glückliche reaktionäre) zu zwingen. das - in frankfurt - dreifache scheitern der blockade des universitären betriebes verhinderte aber vor allem auch das etablieren einer anderen zeitökonomie und verunmöglichte so, dass privatsphäre und öffentlichkeit, individuum und gesellschaft in ein anderes verhältnis gesetzt werden konnten. insofern eine beteiligung an den protesten immer auf kosten der individuellen karriere ging, wurde die einsamkeit des principuum individuationis eher noch verstärkt als gemildert. gleichzeitig ermöglichte es der »streik« wie schon so oft, das gleichsam im schatten der bildungsproteste freiräume erkämpft werden konnten (ivi3), die nichtalltägliche kollektivität erlauben. die richtigkeit der hier aufgestellten behauptungen zum verhältnis von subjekt und geschichte muss sich dann aber nicht nur an den anderen, sondern auch an der eigenen subjektivität erweisen. wenn die these besagt, dass subjektivität und gesellschaft in einer weise verkoppelt sind, dass progressive bewegungen zu einem nachlassen der beschwerden, zu mehr subjektiven glück führen, dann lässt sich diese hypothese sehr leicht verifizieren, bzw. falsifizieren. ihre richtigkeit entscheidet sich an der frage, ob wir, ob ich in diesem streik glücklicher geworden sind. zumindest was mich betrifft, ist das nicht der fall. ich bin nicht glücklicher geworden. dafür aber trauriger.

und vielleicht geht es darum: bedingungen zu schaffen, in denen es möglich wird auszuhalten, wie grässlich diese welt ist, ohne darüber in lähmung, depression oder selbsthass zu verfallen, zu erkennen und auszuhalten wie erbärmlich dieses kleine leben ist, ohne darüber zum arschloch zu werden. vielleicht besteht unter den herrschenden bedingungen in der fähigkeit zu trauern, das glück und die leichtigkeit kommunistin zu sein.

der text ist die abschrift eines in marburg im havanna 8 gehaltenen vortrags. sprachliche form und unschärfe der begriffe verdanken sich diesem umstand.


borderline