etwas besseres für die nation –

deutscher pop an der front



Bis vor einem Jahrzehnt konnten unter Verweis auf reale Phänomene Debatten über den Zusammenhang von jugendlicher Subkultur und Dissidenz, Verweigerung, Systemkritik geführt werden, ohne allzu absurd zu erscheinen. Mehr und mehr diffundieren aber seitdem widerwärtig-reaktionäre Elemente in den als heile Welt gedachten Underground. Die an sich schon fragwürdige Trennung von Subkultur und Mainstream wurde zunehmend unschärfer und löste sich, begleitet von einem steten Abnehmen kritischer, linker Stimmen, vollends auf.

Parallel dazu nahm jedoch nicht die Orientierung an der westlichen Popkultur mitsamt ihres globalen Glücksversprechens zu. Ganz im Gegenteil: der Ruf nach dem Partikularen, Eigenen und Eigentlichen schwoll an. Zunächst beteiligten sich primär miefige Rockopas vom Schlage eines Heinz Rudolf Kunze und einzelne Trendsetter, etwa Die Fantastischen Vier, an Forderungen, die „nationale Kultur“ mittels gesetzlich geregelter Quote zu unterstützen. Sahen sie sich zu dieser Zeit noch heftiger Kritik aus den Reihen der Spex- und Feuilletonlinken ausgesetzt, brach das Milieu der NeinsagerInnen im Lauf der 90er Jahre nahezu komplett weg, und immer neue – sich als „Tabubrüche“ inszenierende – Wellen der Regression bahnten sich ihren Weg durch die musikalische Landschaft.

Ähnlich der heimattümelnden Volksmusik suchten die jeweiligen ProtagonistInnen ihr Heil in vormoderner Abkehr vom hedonistischen Popdiskurs. Die Gothic-Szene bereitete mit ihrer Hinwendung zu einem romantischen, rückwärtsgewandten Idealismus den Boden für rechtes Gedankengut und bewies damit, wie schmal der Grat zwischen „Nonkonformismus“ und Faschismus sein kann. Auf jenem wandelten auch die unter dem Begriff der „Neuen Deutschen Härte“ subsumierten Bands à la Rammstein und Witt, die ihre Bejahung von triumphaler Männlichkeit, Riefenstahlästhetik und Schicksalsergebenheit plump als Provokation zu verkaufen suchten.

Um wie viel sympathischer erscheinen da auf den ersten Blick jene aktuell angesagten VertreterInnen des HipHops, Electropunks oder Dancefloor-Pops, deren Codes sich durch moderne Weltoffenheit statt archaischer Rituale auszeichnen. Sie jetten um die Welt, nehmen die richtigen Drogen, tragen modische Klamotten, lauschen angesagten Klängen von Autechre bis Sonic Youth. Und doch sorgen auch sie sich, wie getrieben, um ihre Identität: ihr Deutschtum.


pop erklärt den USA den frieden

Als Startpunkt der Identitätssuche werden die vorgeblich von Friedenswillen getragenen Anti-Kriegs-Manifestationen genannt. Der dem SPD- und Quotenfan Dieter Gorny unterstehende VIVA-Konzern outete sich mittels des omnipräsenten Peace-Symbols als Dienstleister für pubertierende Friedenssehnsüchtige; VJ Sarah bekannte, als ob die Bombardierung Kölns durch die US Air Force unmittelbar bevorgestanden hätte, mutig: „Ich als Deutsche möchte nicht von amerikanischen Bomben eingeäschert werden“. In die selbe Kerbe hieben Statements von Rammstein, Pur, Kelly Family und Songs von DAF, Puhdys oder der an grausamsten Country gemahnende „Bagdad-Blues“ von Fink. Besonders hervor taten sich etliche HipHopper - nicht weiter verwunderlich, rottet sich doch seit Jahren unter dem Banner des „Deutsch-Rap“ zusammen was zusammengehört. Die regierungsfreundlichen Statements von Thomas D, D-Flame oder Gentleman wurden nur noch durch Mellow Mark übertroffen: In seinem veritablen Hit „Weltweit“ beklagt er die Überflutung des Globus durch „us-amerikanisches Fast-Food/Gedankengut/Erbgen(!)“, von ihm als „Verrat der Völker durch die Mörderstaaten“ gedeutet. Via Interview erklärte der gar nicht so sanfte Mark, die „deutsche national-historische Schuld“ habe ihn „fast kritiklos aufsaugen lassen, was uns die amerikanische Kultur an Häppchen vorwarf“.


wo ist zuhause? mia!

Ein ähnliches Problem treibt auch die Initiative „Angefangen“, zu der neben anderen die Bands Mia und „The Aim Of Design ... feat. DJ Deutschland“ gehören, um. Während letztere „als Sprachrohr der Berlin-Brandenburger Deutschen die Jugend im Geiste eines neuen Wertekanons zu Fitness, Hygiene, Pünktlichkeit erziehen“ wollen, verlegen sich Mia erst einmal auf symbolische Aktionen und poetisch verpackte Peinlichkeiten: Gemeinsam mit einer Blaskapelle führten sie 2003 die Love Parade an, um ein Zeichen „für Liebe, nicht für materielle Befriedigung“ zu setzen. Könnte mensch darin mit viel gutem Willen vielleicht noch ein idealistisch aufgeladenes Plädoyer für freien Zugang zu Lust und Begehren sehen, wird jede gutwillige Interpretation mit der einige Wochen darauf erschienenen Mia-Single „Was es ist“ endgültig ad absurdum geführt. Im Text des Liedes wird klargestellt: Die Liebe, die sie meinen, ist keine körperliche, keine individuelle, sondern gilt dem Kollektiv, dem Vaterland. Mit ihm liegen sie händchenhaltend im Bett, von ihm wollen sie geküsst werden, mit ihm wollen sie verschmelzen, auf dass die gemeinsame Zukunft hell leuchte.

Die deutsche Vergangenheit scheint dabei nur andeutungsweise als Kontrast zum Kommenden auf und wird selbstmitleidig als „dunkle Nacht“ umschrieben. Jene „schlechten Zeiten“, in denen – der larmoyanten deutschen Erzähltradition folgend – offenbar vorwiegend die Deutschen und nicht etwa die Juden und andere „Volksfeinde“ litten, sind nun endlich passé: Die erdrückende Last wird abgeworfen und vom Bestehenden und Werdenden abgetrennt, denn „neues deutsches Land“ betreten heißt „frische Spuren in den weißen Strand“ zu machen. Der Entfremdungszustand ist aufgehoben, unschuldig wie kleine Kinder erfreuen Mia sich am neugewonnen Handlungsspielraum und dem ostentativ zur Schau gestellten, unbelasteten Selbstbewusstsein. Wem dermaßen großzügig Glücksgefühle bereitgestellt werden, die/der muss sich selbstverständlich revanchieren, weshalb im vorauseilenden Gehorsam zugesichert wird, etwas „für die Liebe zu riskieren“. Die unbedingte Bereitschaft der Deutschen, sich bis hin zur Selbstaufgabe einzusetzen, das eigene Leben im Kampf für individuellen Interessen übergeordneten Prinzipien zu opfern, die sich gegen Ende des Zweiten Weltkrieges (nicht nur) als Volkssturm materialisierte, wird im popmodernen Kostüm fort- und festgeschrieben. Seltsam unbestimmt bleibt allerdings die Antwort auf die Frage, wem oder was der riskante Einsatz denn nun gilt. Das in „Was es ist“ gesummte „Hmhmhm...“ verweist nicht auf intensive Reflektion, eher steht es paradigmatisch für die Unklarheit über den Gehalt der eifrig propagierten „deutschen Identität“.

Trotz der im Text vorgetragenen strahlenden Freude über die Zukunft handelt es sich bei „Was es ist“ nicht um eine euphorische Hymne im Stile des alten Van-Halen-Gassenhauers „Jump“. Die Stimme der Sängerin „Mieze“ drückt sehnsüchtiges Erwarten aus, während die instrumentale Begleitung an dumpfe, stampfende Marschmusik gemahnt. Gepaart mit der deutschen Identitätssuche kann die heraufbeschworene ambivalente Stimmung nur als Drohung gegen all jene gelesen werden, die sich dem libidinös besetzten unbedingten Willen der Zu-sich-selbst-kommenden in den Weg stellen.


seie(r)nde helden und andere hässlichkeiten

Fröhlich-unverkrampft, allerdings nicht mit der gleichen Offenheit, basteln auch „WirSindHelden“, ebenfalls Vorreiter des „Neo-Berlinismus“, mit an einer neuen nationalen Identität: In ihrem Song „Aurelie“ bringen sie ein derzeit zwar nicht besonders aktuelles, nichtsdestotrotz bezeichnendes Ressentiment zum Ausdruck. Die Titelfigur entspricht dem Bild der dekadenten, wollüstigen und unbeherrschten Französin, die einfach zu schnell auf`s Ganze geht. In überlegener Manier gibt ihr die Sängerin Judith Holofernes Ratschläge für den Umgang mit den „subtil flirtenden“ Deutschen mit auf den Weg. Sie greift dabei zielsicher auf den jahrhundertealten Bilderschatz antifranzösischer Ressentiments zurück: Den Aurelies, die es nur auf körperlichen Genuss abgesehen haben, werden zurückhaltende, disziplinierte Sieglindes bzw. Hans-Huberts gegenübergestellt. Sie haben ihren Körper – im Unterschied zu den unbeherrschten Französinnen und Franzosen – stets unter Kontrolle, um ihn umso besser in den Dienst des Vaterlandes stellen zu können.

Dem Verzicht des kontrollierte Subjekts auf ausschweifende Sexualität entspricht ein Lob der Sparsamkeit: „WirSindHelden“ umweht ein konsumkritischer Gestus, der unter dem Motto „Weniger ist mehr“ als Alternative zu exzessivem Shopping Boykotte und politisch korrekte Bioläden ins Gespräch bringt. Das Unbehagen an der Gesellschaft, das auf „Die Reklamation“ und den zugehörigen Interviews zum Ausdruck kommt, von Linken häufig als zutreffende Kritik am „Neoliberalismus“ gedeutet, fügt sich umstandslos in den Malstrom nationaler Zumutungen ein.

Die unterschwellige Propaganda für den Dienst an der Gemeinschaft macht auch nicht vor der als hedonistisch verschrieenen Mode- und Lifestyle-Szene halt. Magazine wie „Max“ (Cover in Nationalfarben), „Deutsch“ („steht für Toleranz, Weltoffenheit, Pluralismus“) oder „Achtung“, das mit Eisernem Kreuz und Burschenschaftler-PinUps aufwartet, verkaufen die bisher verschmähte Heimat als letzten Schrei. Mit ihren Kollektionen „declaration d’amour à l’allemagne“ und „mutter erde vater land“ platziert sich die Designerin Eva Gronbach als ernstzunehmende Bewerberin um den Titel der deutschesten Deutschen des Jahres. Die FAZ freut sich darüber natürlich schneeköniglich und kann verkünden: „Deutschland ist in Mode“, die Künstlerin kommentiert: „Ich trug sehr viel Demut in mir. Darauf hatte ich keine Lust mehr.“. Bei Engagements in Paris und London habe sie sich als Deutsche kennengelernt, ein vielversprechendes Angebot aus Japan schlug sie aus um nach Köln zurückzukehren. Wahrer Dienst an der Sache also.


generation volkswagen

Die ob einer Band, welche sich kurz nach ihrem Auftritt bei der Revolutionären 1. Mai-Demo mit Vehemenz als Deutschländer Würstchen behauptet, konsternierten Linken müssen zur Kenntnis nehmen, dass „coole Codes“ und „freshe Styles“ nicht notwendig mit ebensolchen Inhalten korrespondieren, sondern als frei flottierende Zeichen durchaus im Dienst der Barbarei stehen können. Andererseits können einst als Synonyme für Schrebergartenmentalität genommene Bilder umgewertet und als heißester Scheiß verkauft werden. Fatal banal. Und so steht Schwarz-Rot-Gold mittlerweile eben für das Heute und Morgen. Wer immer noch unter Verweis auf die Geschichte opponiert ist altbacken, verkrampft, verspießt, gar konservativ im schlimmsten Sinne und findet sich, wie im Mia-Forum, mit der CDU auf eine Stufe gestellt. Ewiggestrig sind in diesem Diskurs nicht primär Landserheftchen, Holocaustleugnung und Führerfanatismus, sondern gerade jene die sich um ein Begreifen der konkreten deutschen Verbrechen bemühen, um deren Grundlagen zu beseitigen und eine Wiederholung zu verhindern.

Solche Vorhaben werfen Schatten auf den „weißen Strand“: Die von Mia ins Spiel gebrachte Metapher benennt in aller Deutlichkeit, was die 89er und 98er begehren: keine streitbaren kritischen Intellektuellen, keine enervierenden geschichtspolitischen Debatten, am besten gar keine Debatten mehr, stattdessen einen dicken Schlussstrich. Mia fungieren hier als Sprachrohr einer Generation, deren überwiegende Mehrheit laut Umfragen zwar nicht um den Inhalt der Nürnberger Gesetze weiß, sich aber nichts sehnlicher als ein „gesundes Nationalbewusstsein“ wünscht. Aufgewachsen nach der „Wiedervereinigung“, wird ihnen schon allein durch die Ausmaße der Tagesschau-Wetterkarte, die nun bis OderNeiße reicht, ein alltägliches Bewusstsein von Größe und Stärke vermittelt. Zugleich ist der von den Alliierten kontrollierte Sonderstatus gänzlich weggefallen. Der neuen „Normalität“ scheint nichts mehr im Wege zu stehen. Befreit jubeln sie „Endlich dürfen wir ...“, überwinden die schon zu lange andauernden Verkrampfungen, lockern die Muskulatur des Volkskörpers. „Letztendlich sind wir eine ganz andere und ich würde sagen bessere Generation und haben die Möglichkeit alles neu zu machen“ (Mia-Forum). Der Wille, das dunkle Kapitel der NS-Zeit abzuschließen, ist also ausreichend vorhanden; fein säuberlich soll eine Trennlinie das Heute vom Damals abschneiden. Dass der zu erschließende „weiße Strand“ die Asche der in den Vernichtungslagern Ermordeten enthält, die Bundesrepublik auf der Shoah gründet, will man nicht (mehr) wissen. Dem Vorwurf der Verdrängung präventiv entgegentretend phantasiert man sich wie Sängerin Mieze eine „endlose Beschäftigung mit der speziellen Vergangenheit“, der man sich von der siebten Klasse bis weit nach dem Abitur hingegeben habe, herbei. Vermutlich hat diese Auseinandersetzung nie stattgefunden, doch man redet sich selbst ein, wie schwer geplagt von der horrenden Last man bisher durchs Leben gegangen sei, von Verboten und Tabus gegeißelt, niedergehalten von dunklen Mächten. Die Vergangenheit kann so einerseits als Geschichte eigenen Leidens erzählt werden, andererseits – qua völliger Entleerung ihres spezifischen Gehaltes – als Jeton in politischen Auseinandersetzungen beliebig eingesetzt werden

Die Bemühungen um Erinnerungsabwehr führen in unschöner Regelmäßigkeit zum Rückgriff auf Walsereien von „Last“, „Dauerpräsenz“ und „Keulen“. Mit einiger Sicherheit kann aber unterstellt werden, dass der Nachwuchs der Nation weder die legendäre Paulskirchenrede noch die Habermas`schen Lobhudeleien auf die „soziale Friedensmacht Europa“ ernsthaft rezipiert hat. Überhaupt gründet die ganze Unternehmung kaum auf Argumenten oder ähnlichen rationalen Methoden, vielmehr wird eine „Ahnung“ oder ein „Gefühl“ zum Ausdruck gebracht und in einen Lifestyle verwandelt. Omipräsent ist die Suggestion eines unbelasteten Neuanfangs. Trotz oder gerade wegen der Verachtung für jegliches Geschichtsbewusstsein bleibt das Neueste Deutschland in einer nationalen Kontinuität befangen, die ihren Ursprung im Kampf gegen die napoleonische Besatzung findet und bis heute fortwirkt.


maxima moralia

Wesentlicher Zug der im Kampf gegen Napoleon ausgeprägten deutschen Ideologie war und ist ein Idealismus, der gegen das Weltlich-Westliche höhere Prinzipien in Anschlag bringt: Angestrebt wird nicht größtmögliches diesseitiges Glück und Freiheit für alle, sondern die Verwirklichung sittlicher Ideen ohne Rücksicht auf das Besondere, die Einzelne. Vor diesem Hintergrund wenden sich Mia gegen einen „übertriebenen“ Bezug auf materielle Werte und konstatieren: "Liebe, Respekt, Toleranz und Mut sind die wahren Werte, durch die eine Gesellschaft wertvoll und gemeinschaftlich oder eigennützig und somit instabil und am Ende gefährlich wird.". Ziel ist dabei nicht einmal die aufgeklärte Demokratie, in der – qua vertraglichem Zusammenschluss – die bürgerlichen Subjekte immerhin vermittelt ihren divergierenden Interessen nachgehen können. Stattdessen blüht die althergebrachte Begeisterung für eine zum homogenen Körper verschmolzene Gemeinschaft wieder auf. Lust und Hingabe werden nicht als individuell erfahrbare definiert, ebenso wenig völlig ausgesetzt, sondern als lediglich durch übergeordnete Kollektive wie der Szene und der Nation bereitstellbare interpretiert. Nicht umsonst fordern Mia penetrant Einigkeit und Geschlossenheit ein, beispielsweise am 1. Mai, dem „Tag der Einheit“, bei dem alle, „ohne davor auf irgendwelche Plakate zu schauen, aus demselben Grund und für dieselbe Sache auf die Straße“ gehen sollten. Ohne davor auf irgendwelche Plakate zu schauen bedeutet, ohne sich davor informiert, diskutiert, einen Begriff von der Sache gebildet zu haben, einer vagen, prä-politischen Ahnung zu folgen. Wer idealistische Schwärmerei materialistischer Erkenntnis vorzieht, ersetzt analog politische durch normative Kategorien, begreift darum den Ist-Zustand als ungerechte Ausbeutung, der die empörten Subjekte im Namen von Solidarität und Fairness entgegengetreten sollen. Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise, wo allerorten der Ruf nach dem Engerschnallen erschallt und Opposition das Bestehen auf einer Utopie, die Überfluss für alle bereitstellt, bedeuteten müsste, besitzt die Aufgabe materieller Forderungen keineswegs einen auch nur verkürzt kritischen Charakter, sondern fließt umstandslos in die objektive Verschlimmerungstendenz ein.

Ein politischer Einsatz, der die Identifikation mit dem Eigenen unabdingbar voraussetzt, kann nicht radikal gegen den eigenen Staat gewendet werden. Die moralische Ideologie, das Wissen um die „wahren Werte“, wird auf den Weltmaßstab übertragen, wo sie sich notwendig gegen diejenigen richtet, die offensiv die gesetzten Normen missachten. Unermüdlich betonen Mia ihre Freude über die überragende Einigkeit, die „85 % der Deutschen auf die Straße gehen ließ gegen einen Krieg, für den Frieden“. Nicht aber gegen irgendeinen x-beliebigen Krieg, sondern gegen einen amerikanischen Krieg gingen die Deutschen, die einige Jahre zuvor noch „schweren Herzens“ Jugoslawien bombardiert hatten, in Stellung und kennzeichneten in Tausenden kleinerer oder größerer Manifestationen die USA als Zentrum der globalen Unmoral. Die aufgepeitschte Volksseele und das Mia-Forum fallen in eins, wenn es um die Benennung der Bush-Administration als „rücksichtslose, profitorientierte, konservative, menschenverachtende Gruppe“ oder „korrupte Tyrannen“ geht. Unter dem einigenden Banner der „sozialen Friedensmacht“ kann man sich nur zusammenrotten, weil der Gründungsmythos „Antikriegsproteste“ über Ab- und Ausgrenzung verlief. Die Opposition zu den als „übermächtig“, „aggressiv“, und „gierig nach Öl“ vorgestellten Amerikanern steigert sowohl das Wohlbefinden der einzelnen Subjekte als auch die Möglichkeit zur Konstitution einer guten, moralisch überlegenen Nation. Mia und große Teile der Linken liefern dank ihres begriffslosen, undifferenzierten Gutmenschentums Deutschland die Legitimation zum dritten Anlauf zur Weltmacht. Während Kerneuropa als kreativ-bunte Spaßaktion en gros imaginiert wird, repräsentieren die USA eine Gefahr, die gestoppt werden muss, da sie nicht gemeinschaftlich geerdet, sondern aufgrund der Beförderung des Egoismus „instabil und damit gefährlich“ sind. Das eigene Regierungspersonal, mit dem man während des Irak-Kriegs so eng verschmolz wie seit langem nicht mehr, wird geradezu zwingend aufgefordert, die brachliegenden Potentiale der durchstartenden Nation zu nutzen.


cool germania geht steil

Wie eine Regieanweisung für die Neueste Deutsche Welle liest sich da ein Bericht der Bundesregierung zur Kulturpolitik, der die „Aufgabe, an der Veränderung einseitiger, oft noch vergangenheitsgeprägter Deutschlandbilder zu arbeiten“, auf die Agenda setzt. Parallel votieren Wolfgang Thierse und Erwin Huber zwecks Abwehr der „amerikanischen Übermacht“ für sprachlich quotierte Radiosendungen und Sigmar Gabriel, Pop-Beauftragter der Bundesregierung, erfreut sich im gemeinsamen FAZ-Interview mit WirSindHelden an deren „gesellschaftskritischer Haltung“. Berliner Republik und Berliner Sound vereint zu Cool Germania: solcherlei Lockerungsübungen bilden sich auch fernab der Szene auf der bundesrepublikanischen Makroebene ab.

In zwei scheinbar entgegengesetzten Modellen wird das deutsche Weltmachtstreben forciert: der alten Schule, die sich auf preußische Tugenden stützt und die historischen Verbrechen leugnet, wo es nur möglich ist, steht ein „aufgeklärter“ Diskurs gegenüber, der nicht trotz, sondern wegen Auschwitz Belgrad bombardiert und Bundeswehrsoldaten in Israel stationieren will. In der Debatte um das „Vertriebenen“-Zentrum stellt sich entsprechend das linksliberale Milieu, das für eine europäisch integrierte Softcore-Variante in Wroclaw votiert, der offen revisionistischen Erika Steinbach, die als Standort für das „Opfer“-Mahnmal Berlin favorisiert, entgegen. Analog zur Großwetterlage ergibt sich so eine popdiskursive Konstellation, in der die Retro-Fascho-Styles propagierende Fraktion, repräsentiert etwa durch die „Neue Deutsche Härte“, mit dem von Mia angeführten „Neoberlinismus“ konkurriert. Beide Versionen zeitigen dabei dieselbe Konsequenz: ein starkes Deutschland als Speerspitze in der Revolte gegen den Westen. Die poppige Variante ist derzeit eindeutig die erfolgversprechendere, da sie wesentlich glaubhafter Läuterung und Harmlosigkeit vermitteln kann. Unbedenklichkeit wird ihr bescheinigt, weil sie eleganter, sensibler und weniger trampelhaft auftritt. Zwar agiert sie ungehemmt mit Schlussstrichforderungen, verpackt in die Rede von der großen „Last“, die abzulegen sei und schwadroniert von „Wunden“, zugefügt durch wild geschwungene Keulen – erscheint in ihrem Revisionismus aber nicht als unbelehrbare Hitler-Wiedergängerin, sondern als geläuterte Demokratin, zudem als ungerecht Verfolgte. Der so geschaffene Opfer-Status und die Behauptung, aus der Geschichte gelernt zu haben, fließen ins idealistischen Weltbild ein, das Resultat dieser Addition ergibt einen moralischen Mehrwert, der nun gewinnbringend in die Realpolitik eingebracht werden kann.

Die perfideste Form, die sich die moralinsaure Heuchelei geben kann, ist die ideologische Figur von der „besonderen Verantwortung“ der Deutschen gegenüber den Missständen der Welt, die dann auch schon einmal zum Bombardement zwingt, um Schlimmeres zu verhindern. Treudoof-besorgt und vom Stigma des Rückwärtsgewandten befreit kann die postfaschistische Demokratie so an Altbekanntes anknüpfen, ohne den impliziten Stahlhelm-Faktor explizit werden zu lassen. Breite Teile der Bevölkerung erfreuen sich an den harmlosen Nettigkeiten der Bundesregierung. Mit gutem Gewissen, ohne einen Anflug von Bauchschmerzen, beteiligen sich auch viele Linke am nationalen Projekt, deren subjektiv gut gemeinter Protest damit objektiv einen Beitrag zur Barbarisierung leistet. Erneut bestätigt sich, dass eine Linke, die primär mit dem Bauch denkt, die Mitbasteln statt Absagen will, nicht auf Umwegen den Kommunismus, sondern direkt den bequemen Platz der moralischen Legitimationsinstanz der Nation ansteuert. Dieses Verdikt trifft Gabi Zimmer und Attac ebenso wie Mia und Eva Gronbach. Der Hype um die genannten Pop-KameradInnen mag bald vorbei sein, das Phänomen als kuriose Randnotiz abgehakt werden, die ProtagonistInnen sich wieder belanglosen Fragen (Party, Liebe, Kleider, Liebe, Party) widmen. Unausweichlich wird jedoch die nächste nationale Mobilisierung anlaufen. Denn wie sich die Wut der Katze beim unmöglichen Unterfangen, ihren eigenen Schwanz zu fassen zu bekommen, sukzessive steigert, kommen die Deutschen nicht zur Ruhe: Sie müssen die durch das Fehlen eines positiven Projekts bedingte Lücke immer wieder durch das Aufspüren und Bekämpfen der scheinbarer moralischer Verfehlungen „der Anderen“ übertünchen.


jeannie bubblegum