nationalsoziologie

dass sich ehemalige linke dem gesellschaftlichen mainstream anpassen, ist sicher nichts neues. für dieses phänomen gibt es beispiele genug: daniel cohn bendit, andré glucksmann, matthias beltz, stefan aust - um nur einige zu nennen. wenn aber linke, zumal solche, die als exponenten der 68er revolte galten, zu rechtsradikalen mutieren, stellen sich doch einige fragen. so zum beispiel die, ob es sich hier um biographische brüche handelt oder aber um kontinuitäten einer vielleicht immer schon zum nationalismus tendierenden strömung innerhalb "der" linken. historische beispiele finden sich selbst für einen so extremen wandel wie den vom sozialismus zum faschismus viele, eines der berühmtesten dürfte hier das benito mussolinis sein, der es vom chefredakteur der zeitung der sozialistischen partei italiens "avanti" zum führer der faschisten und "duce" von italien brachte. im folgenden wird es allerdings um nicht ganz so prominente ex-linke gehen, die sich, aus der studentinnenbewegung der 60er-jahre kommend, ihren weg hin zur extremen rechten gebahnt haben.

zu den bereits seit vielen jahren im nazi-spektrum operierenden ehemaligen mitgliedern des sozialistischen deutschen studentenbundes (sds) günter maschke und reinhold oberlercher sind in letzter zeit zwei weitere vertreter der 68er-bewegung gestoßen: horst mahler, ehemals sds-mitglied, apo-anwalt und später mitbegründer der rote armee fraktion sowie der berliner soziologieprofessor bernd rabehl, der ende der 60er jahre zusammen mit seinem freund rudi dutschke in der gruppe "subversive aktion" mitarbeitete und bis 1968 im sds-bundesvorstand saß.

ende vergangenen und anfang diesen jahres erschienen in der rechtsradikalen zeitschrift "junge freiheit" zwei artikel, in denen die genannten herren ihre überzeugungen in aller klarheit formulierten. so versuchten mahler, maschke und oberlercher in einer "kanonischen erklärung" ehemaliger sds-mitglieder die geschichte der antiautoritären revolte von 1968, und damit auch ihre eigene, als kampf für die nationale sache neu zu interpretieren: die 68er-bewegung steht in ihren augen "weder für kommunismus noch für kapitalismus [...] nicht für die amerikanisierung der welt, nicht für die zerstörung der völker und der familien durch kommerzialisierung von allem und jedem, nicht für die ausbreitung von job-mentalität, schlechter musik, pornographie, rauschgift, kapital, verbrechen und kapitalverbrechen, - sie steht für das gegenteil. [...] das deutsche '68 war der zweite [!] deutsche revolutionsversuch gegen die weltherrschaft des kapitals: deswegen wurde es als 'linker faschismus' tituliert" (mahler/maschke/oberlercher: "kanonische erklärung zur bewegung von 1968", in: junge freiheit 10/99). zwar ist es nicht völlig von der hand zu weisen, dass damals wie heute viele linke bis heute dumpfen antiamerikanismus und antisemitismus mit imperialismusanalyse verwechseln und mythen nationaler befreiung kritiklos übernehmen, nationalistische argumentationen also auch bisweilen weit in "linke" diskurse hineinragen - die intention der autoren ist hier aber mehr als durchsichtig. am äußersten rechten rand des politischen spektrums angelangt, geht es ihnen um zweierlei: einmal um die verklärung des (scheinbaren) bruchs in der eigenen biographie zu einer konsistenten geschichte nationalrevolutionärer intellektueller, und zum anderen darum, sich innerhalb des rechten spektrums als unentbehrliches bindeglied zwischen linken und rechten im sinne einer neurechten "querfrontstrategie" auszuweisen. gerade im falle mahlers, der viele jahre für seine tätigkeit in der raf im gefängnis saß, sind, allen positiven bezugnahmen der raf auf kategorien wie "das volk" zum trotz, einige geistige verrenkungen nötig, um das bild des immer schon aufrechten nationalisten glaubhaft erscheinen zu lassen. die raf wird so schon einmal zu einer neuauflage der ss: "der sozialistische deutsche studentenbund (sds) spielte eine der jenenser urburschenschaft vergleichbare rolle als nationalrevolutionärer initiator. der zu beginn der 70er jahre sich bildende waffen-sds (rote armee fraktion) setzte die tradition eines karl sand, eines major von schill und eines ernsthaften waffenstudententums fort. in der tragischen ermordung des arbeitgeberpräsidenten hanns-martin schleyer traf der waffen-sds einen ss-mann, der die position der nationalrevolutionären volksgemeinschaft zugunsten derjenigen eines anführers eines klassenkampfverbandes verraten hatte" (ebd.). das unverhohlene anknüpfen an die tradition der ss zeigt deutlich, dass man es hier nicht einfach mit geschichtsklitterern, sondern mit intellektuellen vordenkern eines militanten neonazismus zu tun hat. mahler begnügt sich allerdings nicht mit der publikation seiner ansichten in zeitschriften der neuen rechten, sondern versucht sich offensiv mit der "nationalen sammlungsbewegung" "unser land" in der öffentlichkeit gegen "überfremdung" und den "ausverkauf deutscher interessen" zu positionieren.

bernd rabehl hatte sein début als salonfaschist im dezember vergangenen jahres, als er vor der pflichtschlagenden münchner burschenschaft "danubia" eine rede zum thema "nationalrevolutionäre ansätze 1968 und die heutige lage der deutschen" hielt. der artikel erschien - zum entsetzen vieler seiner ehemaligen sds-mitstreiterinnen - kurz darauf im neurechten theorieorgan "junge freiheit. rabehl weist sich dort, in typisch neurechter manier, als tabubrecher aus, dem es einzig darum gehe, allen vermeintlichen "denk- und diskussionsverboten" zum trotz, unpopuläre tatsachen offenzulegen. rabehls vortrag konzentriert sich wesentlich auf zwei argumentative kerne: zum einen beklagt er die auflösung der "nationalen kultur" der deutschen vor dem hintergrund von "asylanten- und flüchtlingsströmen aus der ganzen welt", auf der anderen seite ist er bestrebt, die geschichte des sds, unter besonderer berücksichtigung seiner und dutschkes person, als eine nationalrevolutionäre zu rekontextualisieren.

er entwirft in seiner rede ein bedrohungsszenario der "überfremdung", das in seinen rassistischen stereotypisierungen eher an rep- oder npd-hetzschriften als an einen soziologieprofessor erinnert. in seiner wahnhaften projektion erscheinen alle nicht-deutschen als mitglieder bewaffneter banden von "drogendealern" und "fanatikern". im folgenden sei eine etwas längere passage aus rabehls rede zitiert, die deutlich machen dürfte, dass die zuordnung des berliner professors zur extremen rechten wohl kaum eine übertreibung darstellt: "nicht primär die asylanten- und flüchtlingsströme aus der ganzen welt bedrohen den ethischen und moralischen zusammenhalt der zentraleuropäischen völker, sondern der import der partisanenformationen der internationalen bürgerkriege und kriegsschauplätze geschieht durch den zuzug hochorganisierter und gleichzeitig religiös oder politisch fundamentalistisch ausgerichteter volksgruppen, die keinerlei interesse haben, sich in den gastländern zu integrieren oder sich ruhig zu verhalten. diese länder werden genutzt als strategische rückzugs- und versorgungsgebiete, als eine art 'befreite gebiete', wo steuern eingetrieben, rekruten ausgehoben werden, kämpfer sich erholen können, schulung und militärtaktische ausbildung erfolgt und ganze volksgruppen militärisch und politisch geformt werden. stadtteile, straßenzüge, dörfliche gebiete werden herausgebrochen aus dem geographischen und politischen zusammenhang und neu definiert. [...] mit dieser 'besetzung' gehen hand in hand illegale geschäfte, drogenhandel, bestechung, korrumpierung von polizei und behörden, illegaler menschenhandel und über die fundamentalistische ausrichtung von politik und religion der aufbau eigener verwaltung, recht und moral. [...] es ist also nicht der deutsche fremdenhaß, der die deutschen vorbehalte gegen die fremden schürt, sondern deren verhalten" (bernd rabehl: "ein volk ohne kultur kann zu allem verleitet werden", in: junge freiheit 52-53/1998).

es sind nicht so sehr die deutschnational gewendeten rhetorische versatzstücke aus zeiten, in denen rabehl noch den befreiungskampf des vietnamesischen volkes pries ("partisanenformationen"), die hier ins auge springen, eher schon die systematische verkehrung von tätern und opfern: unter dem stichwort "befreite gebiete" fallen ihm nicht etwa die "national befreiten zonen" ostdeutschlands ein, in denen menschen mit falscher haut- und haarfarbe totgeschlagen werden, sondern einzig in seiner phantasie existierende gebiete, die unter die kontrolle von "ausländern und asylanten" geraten sein sollen - nicht das denken und tun von menschen, die solchen anderer herkunft ihre existenz streitig machen, will er kritisieren, sondern behaupten, die opfer rassistischer gewalt seien durch ihr verhalten am rassismus selbst schuld. die deutschen haben sich ja bekanntlich in ihrer geschichte immer nur gegen andere zur wehr gesetzt!

die interessen des "deutschen volkes" sieht rabehl durch eine unfähige und korrupte politische klasse verraten und verkauft, mit billigsten populistischen argumentationsfiguren begibt er sich in die rolle eines "das-volk-wachrüttelnden" mahners: "so sollen 16jährige teilhaben am wahlklamauk und werden die unterschiedlichen 'einwanderer' verdeutscht, früher die kasachstandeutschen für die cdu, jetzt die bunten völker der türken und nordafrikas für grüne und spd" (ebd.). das "einfache volk" wird von ihm in schutz genommen gegenüber politikern, die die deutschen aus bloßem wahltaktischen kalkül den fremden horden auslieferten, indem sie diese "verdeutschten" (wo doch jede/r wissen müsste, dass man deutsche/r nur von blutes wegen sein kann).

rabehls versuch, einen schlussstrich unter die nazivergangenheit deutschlands zu ziehen, erinnert dabei übrigens frappant an walser: "der schuldpranger der deutschen verbrechen im zweiten weltkrieg soll alle kommenden verbrechen überdecken, und ein volk ohne kultur kann zu allem verleitet werden, zumal es von 'eliten' beherrscht wird, die von 'außen' geprägt werden und keine innere verantwortung tragen" (ebd.). die erinnerung an die planmäßige vernichtung von sechs millionen juden ist rabehl als ein, einer bruchlosen identifikation mit der deutschen geschichte im wege stehender, "schuldpranger" zutiefst lästig. auch wenn die logische verbindung zu den "deutschen verbrechen im zweiten weltkrieg" unklar bleibt, versucht er hier, mit der idee, dass deutschland von von außen gesteuerten eliten beherrscht werde, das "deutsche volk", analog den weltverschwörungstheorien der nazis, in schutz zu nehmen.

rabehl wäre aber nicht rabehl ohne rudi dutschke. da er '68ff nicht durch irgendwelche intellektuellen großtaten hervorgetreten ist, muss er immerzu "seinen alten freund rudi" (der sich, nun schon fast zwanzig jahre tot, auch nicht mehr gegen rabehls vereinnahmungen wehren kann) bemühen, um als autorität darüber sprechen zu können, wie es '68 "wirklich" war. aus der auch bei dutschke zugegebenermaßen vorhandenen affinität zu bestimmten nationalistischen positionen leitet der "zeitzeuge" rabehl, alle internationalistischen positionen unterschlagend, eine durchgängig nationalistische motivation in dutschkes denken her - er wird bei ihm, ohne dass er dies anhand irgendwelcher textstellen belegen müsste, sogar umstandslos zum "nationalrevolutionär" erklärt.

überhaupt erscheint alles was damals geschah bei rabehl als ausdruck eines sich anbahnenden nationalen aufbruchs. so wird die allgemeine ablehnung der interventionistischen amerikanischen außenpolitik, die in den protesten der studentinnen gegen den vietnamkrieg ihren höhepunkt fand, und das entsetzen angesichts der niederschlagung des prager frühlings durch sowjetische truppen, von rabehl ohne umschweife als deutschnationale revolte interpretiert: "sie [die revolte] war damals vor allem antiamerikanisch und antirussisch eingestimmt" (ebd.). warum rabehl seine, dutschkes und der ganzen studentinnenbewegung "dark side" der verblüfften öffentlichkeit erst jetzt, nach immerhin gut 30 jahren, präsentiert, bleibt wohl sein geheimnis.

im verlauf seiner rede vor den im "vollen wichs" versammelten "burschen" halluziniert sich rabehl dann immer weiter in die rolle desjenigen, der zusammen mit rudi dutschke den nationalrevolutionären umsturz plante: "der vietnamkongreß vom februar 1968 stand bereits unter der zielsetzung, keimformen einer europäischen befreiungsfront zu legen, um die großmächte und kollaborateure aus zentraleuropa zurückzudrängen [...], koordiniert [werden] sollte der illegale aufbau nationaler befreiungsgruppen." (ebd.) letztlich aber - und damit wird rabehls verschwörungstheorie komplett - wurde ihr projekt durch "geheimdienste aus ost und west" vereitelt und "auf dutschke ein attentat verübt" (ebd.).

festzuhalten bleibt aber - den rabehl'schen zwangsvorstellungen zum trotz -, dass auch schon '68 diverse nationalistische argumentationsmuster in vermeintlich "linken" diskursen zu finden waren. die '68er-bewegung aber als eine - wie auch immer - kohärente politische strömung zu begreifen, ist eine unzulässige abstraktion: '68 bestand aus einer vielzahl politischer akteurinnen, die ihre unterschiedlichen positionen in teils heftigen konflikten austrugen. so löste sich der sds, dessen minimalkonsens mehr als brüchig geworden war, bereits 1970 auf. die studentinnenbewegung zerfiel damit auch organisatorisch in verschiedene gruppen (undogmatische linke, spontis, k-gruppen, feministinnen, usw.).

wenn auch rabehls "nationales 68" so nicht existiert hat, gab es doch, besonders im maoistischen und antiimperialistischen spektrum, eine bedenkliche häufung antiamerikanischer und antisemitischer/antiisraelischer stereotype: erinnert sei hier nur an den (an sich berechtigten) frankfurter häuserkampf, als sich verschiedene maßgebliche akteurinnen nicht entblödeten, gegen die "jüdischen spekulanten" zu wettern oder die flugzeugentführung von entebbe, als deutsche "antiimperialistinnen" die passagiere nach juden und nicht-juden selektierten. aber auch bei teilen des vietnam-protests und der späteren friedensbewegung ließe sich leicht ein deutschnationale motive verratender antiamerikanismus nachweisen. wolfgang pohrt schrieb dazu bereits 1982: "mag sein, daß schon während des vietnam-protests ein verstecktes nationalistisches ressentiment der damals noch verborgene sinn antiamerikanischer militanz gewesen ist, das schlechte ende einer bewegung strahlt notwendig auf ihren ursprung zurück. der ursprung erschließt sich eben erst retrospektiv [...] und wenn die neue linke nun zu allem überfluß auch noch patriotisch wird, dann sind die demonstrationen gegen den amerikanischen krieg in vietnam eben nicht der anfang einer revolutionären und antiimperialistischen bewegung gewesen. [...] vielleicht also damals schon der stille wunsch 'amis raus', oder einfach 'raus', ganz gleich, ob juden, ausländer oder amis, welcher sich in der aus tausend kehlen gerufenen demonstrationsparole 'amis raus aus vietnam' laut gehör verschaffte, vielleicht war in der rede vom tapferen vietnamesischen volk das adjektiv nur alibi, um das substantiv in den mund zu nehmen" (wolfgang pohrt: "endstation. über die wiedergeburt der nation" 1982. vergleiche hierzu auch den artikel: "fische schwimmen" in der zeitung "sinistra!", nummer 3, frühjahr 1999).

leider reicht es nicht aus, die ausweitung rechtsextremer denkfiguren auf den universitären diskurs kopfschüttelnd zur kenntnis zu nehmen - sie müssen aktiv bekämpft werden. zwar sind bernd rabehl in berlin oder karl otto hondrich in frankfurt alles andere als singuläre phänomene; sie sind "bloß" professoren, die sich, als "mutige tabubrecher", besonders weit aus dem fenster gelehnt haben. gerade damit erfüllen sie aber eine wichtige funktion: als linksliberale intellektuelle, für die sie von vielen trotz ihrer faschistoiden ausfälle immer noch gehalten werden, ermöglichen sie einen brückenschlag zwischen rechtsextremismus und universität. rechte ideologie findet so heraus aus der braunen schmuddelecke und kann sich, mit den akademischen weihen der soziologie ausgestattet, in das zentrum der bürgerlichen gesellschaft vortasten. gerade deshalb ist es wichtig, den nationalsoziologen ihr terrain streitig zu machen und sie in ihrer funktion als wissenschaftliche autoritäten zu delegitimieren.

ebenso wichtig wäre es aber auch, horst mahlers "montagsdemonstrationen", die dieses jahr bereits mehrfach in verschiedenen städten deutschlands - unter anderem auch dreimal in frankfurt - stattfinden konnten, zu verhindern. egal welche politische bedeutung man nun mahlers person zumessen mag, die "montagsdemonstrationen" haben auf jeden fall gezeigt, dass sich erstmalig seit langer zeit wieder an die hundert faschistinnen (darunter viele npd-funktionäre und jn-kader) in der frankfurter innenstadt versammeln konnten, ohne dass sich eine breitere öffentlichkeit daran gestört hätte.

einer normalisierungsstrategie von rechts, die darauf abzielt, rassistische thesen im akademischen diskurs zu verankern und nazi-kundgebungen zum gewöhnlichen bestandteil des stadtbildes zu machen, könnte unserer meinung nach aber (noch) einiges entgegengesetzt werden.

(sinistra! januar 2000)