Nitribitt ist kleiner als eine Partei und größer als ein Salon

Die Themen springen vom Hundertsten ins Tausendste, von critique sociale & critique artiste zum Holocaust-Mahnmal, von Ali G. zu Sandra Bernhard, vom Irak in die Weserstraße, von zeitgenössischer Kunst in Afrika zu Fragen der Politisierung instrumentaler Musik. Musik ist immer dabei. Getränke auch.

Nitribitt entstand 2002 aus der Not. Die Not fehlender Zusammenhänge, Plattformen, Kneipen, Pop, Debatten treibt Leute zusammen, die nach den gängigen sozialen, geschlechtlichen und politischen Formatierungen nicht unbedingt zusammengehören. Vollbeschäftigte und Studierende, 50er Jahrgänge und 80er Jahrgänge, Popleute und Politleute, Eheleute, Monogame und Polymorphe. Manche halten sich für linksradikal, andere für links, andere wissen nicht so recht, alle sind nicht zufrieden mit den Verhältnissen, wie sie sind. So viel Gemeinsamkeit.

Die Idee: Nitribitt - Frankfurter Ökonomien, regelmäßige Veranstaltungen an wechselnden Orten, niederschwellig, offen, speziell, konkret. Rosemarie Nitribitt: in den 50er Jahren berühmt als Lebedame, Callgirl, Prostituierte, Liebhaberin von Männern wie Frauen, begehrte Frau mit engen Beziehungen zu Mächtigen, Reichen und Einflussreichen. Ihre Gäste empfing sie in einem Apartment am Eschenheimer Turm, gegenüber dem Rundschauhaus, das jetzt auch den Frankfurter Ökonomien zum Opfer gefallen ist.

Nitribitt lädt ein zum Gespräch an neuralgischen Punkten der Stadt. Das Apartment der Nitribitt war zu klein für Nitribitt, das Rundschauhaus zu groß, andere Orte passen besser und erzählen von Frankfurter Politökonomie. Die erste Veranstaltung handelt von prekären Arbeitsbedingungen, Zwangsflexibilisierung und Selbstoptimierung. Wie werden vermeintlich linke, emanzipatorische oder sonst wie aufregende Errungenschaften künstlerischer Avantgarden wie Punk oder Techno von der Gegenseite gehijackt? Der Ort dafür ist die Oskar-von-Miller-Straße, ein undefinierter Raum zwischen Kunst, Nachtleben und Abseits, eingezwängt zwischen legalem Sex-Strich und illegalem Arbeits-Strich. Geblieben ist der Sex, mit der Großmarkthalle ging der Arbeitsstrich, mit der Europäischen Zentral Bank geht das Oskar-von-Miller-Projekt. Frankfurter Ökonomien.

Weitere neuralgische Punkte: dreimal Weserstrasse, einmal Obdachlosentreff, zweimal Japangalerie Goto (auch schon weg, Frankfurter Ökonomie ist schnell!), mal zum Leben im Bahnhofsviertel, mal zum Lachen mit Ali G. oder Tank G*rl. 11 Monate 9/11 im 22.Stock an der Uni, nun ja. Über den Irak-Krieg reden wir in einer ehemaligen Moschee und heutigen Kunstraum in Offenbach.

Bald muss Nitribitt feststellen, dass die Stadt gar nicht so viele neuralgische Punkte hat, jedenfalls keine, an denen Nitribitt stattfinden kann. Neue Leute kommen, andere wechseln Stadt und Leben. Die Suche nach Orten schlaucht die Gruppen-Economy, stupid. Nitribitt wird im Herbst 2004 sesshaft im Atelierhaus im ehem. Polizeipräsidium. Der Ort gibt Stoff her für einen Roman zu Frankfurter Ökonomien, irgendwann.

Wenn die Winter nicht zu kalt sind ist das ein guter Platz für Nitribitt. Hier floppt eine Veranstaltung zur nächsten Documenta - viele Gäste, wenig Debatte. Der internen Zufallsdynamik folgend beschäftigt sich Nitribitt gerade mit der sog. Tele-Revolution in Rumänien, ein Filmfundstück Farockis gab den Ausschlag. Über den Sinn einer Veranstaltung zur Lage von Pop & Politik in den USA wird derzeit diskutiert, Bush-Bashing allein hilft nicht weiter.

So sieht's aus mit Nitribitt im Juni 2006, drei Tage vor der WM, drei Tage nachdem 500.000 Menschen der Sky-Arena beiwohnten.

Nitribitt - Frankfurter Ökonomien
Kontingent, unformatiert, dogmatisch, unterfinanziert, interdisziplinär, romantisch