The Big Easy

Melting Pot, Ghetto, Themenpark - The Sound Of New Orleans ein Jahr nach der Flut, Part I

von Klaus Ronneberger PDF-Download Download PDF


Historie von New Orleans

Ein Jahr nach Katrina

Grundstrukturen der US-amerikanischen Stadtentwicklung

Suburbanisierung

Mallkultur

Gated Communities

Die hausgemachte Katastrophe

"Ethnic Cleaning"



Historie von New Orleans

Ab Mitte des 16. Jahrhunderts drang die französische Kolonialmacht von Neufundland bis zur Kanadischen Seenkette vor und erreichte 1680 den Mississippi River. Am Einfluss des Missouri entstand 1682 St. Louis. 1683 erreichten französische Abenteurer die Mündung des Mississippi in den Golf von Mexiko und nahmen alle am Fluss liegenden Länder für Franreich in Besitz. Diese Kolonie erhielt zu Ehren des französischen Königs Ludwig XV. den Namen Louisiana. 1718 wurde New Orleans. unter dem französischen Namen La Nouvelle-Orleans zu Ehren von Phillip II. Herzog von Orleans, gegründet.

In einem siebenjährigen Kolonialkrieg (1754-1763) zwischen England und Frankreich, bei dem es auch um die Vormachtstellung in Nordamerika ging, mussten schließlich die französischen Truppen in Kanada kapitulieren. Da Frankreich fürchtete, seine gesamten amerikanischen Kolonien an England zu verlieren, trat es kurz vor Kriegsende (3.11.1762) Louisiana westlich des Mississippis sowie New Orleans an Spanien ab.

Ab 1795 gewährte Spanien den USA in New Orleans das "Recht auf Niederlassung" und erlaubten den Amerikanern, den Hafen der Stadt zu nutzen. 1801 ging Louisiana nach der Eroberung Spanien durch Napoleon I. wieder an Franreich zurück. Zwei Jahre später (1803) verkaufte der französische Kaiser Louisiana für 15 Millionen Dollar an die USA. Die Stadt wurde am 20. Dezember 1803 den USA übergeben. Zu dieser Zeit zählte New Orleans ca. 10.000 Einwohner. Bis zum amerikanischen Bürgerkrieg (1861-65) diente der Hafen von New Orleans auch als wichtige Drehscheibe für den Sklavenhandel.

Das südliche Louisiana gehörte einst zu den am stärksten industrialisierten Regionen des Landes - hier ballten sich Chemie-, Öl- und Plastikfabriken und eine bedeutende Schifffahrtsindustrie. Seit den 1920er Jahren wird in Louisiana Öl gefördert, zunächst in den Feuchtregionen und entlang der Küste, ab Mitte der 1940er Jahre auch "offshore". Vor "Katrina" gab es im Golf von Mexiko fast 6000 aktive Plattformen, die 20 Prozent des US-amerikanischen Erdöls und 30 Prozent des nationalen Erdgases lieferten. Lange Zeit zählte in New Orleans Petrochemie- und Ölfirmen wie Shell oder Texaco zu den wichtigsten Arbeitgebern. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg und verstärkt seit den 1980er Jahren erlebte die Stadt einen massiven Deindustrialisierungsprozess. Wer konnte, zog dem Kapital in der Hoffnung auf einen neuen Arbeitsplatz hinterher. Zählte New Orleans in den sechziger Jahren etwa 630 000 Einwohner, so waren es 2005 nur noch ca. 460 000 Menschen.

Auf diese Weise entstanden rings um New Orleans und entlang der Küste riesige Vororte. Die Ärmsten, die sich weder Auto noch Eigenheim leisten konnten, blieben in der Kernstadt zurück. Vor dem Hurrikan lebten fast 30 Prozent der Einwohner unterhalb der offiziellen Armutsgrenze.(Zum Vergleich: Der nationale Anteil liegt bei knapp 13 Prozent) Bei den Afroamerikanern, die ca. 70 Prozent der Bevölkerung stellten, lag dieser Anteil sogar noch höher. In die Lücke, die der Abzug der Industrie hinterließ, stieß die Drogenökonomie. New Orleans galt wegen der zahlreichen Gangs als einer der gefährlichsten Städte in den USA. Manche sprachen sogar von einer US-amerikanischen "Dritte Welt-Stadt".

Ein Jahr nach Katrina

Der Hurrikan hat mehr als 200 000 Häuser zerstört oder schwer beschädigt, in New Orleans 110 000. Der Kongress in Washington genehmigte zwar 17 Milliarden US-Dollar als Wiederaufbauhilfe, aber kein Hausbesitzer in New Orleans hat bisher auch nur einen Dollar aus dem Fördertopf erhalten.

Die Behörden haben keine Anstrengung unternommen, die übers ganze Land zerstreuten Opfer zurückzuholen. Allein in Houston, der nächsten Großstadt in Texas, leben ein Jahr nach der Katastrophe, noch 150.000 Katrina-Flüchtlinge aus Louisiana.

Die meisten Versicherungen haben sich geweigert, die Privatschäden zu bezahlen. Das Pionierkorps der US-Armee, das für den Bau der Deiche in New Orleans zuständig ist, musste öffentlich das eigene Versagen eingestehen. Die Stadt ist heute vor Hurrikan-Stürmen nicht besser gerüstet als vor einem Jahr. Das Corps kann allerdings für bautechnische Mängel nicht rechtlich belangt werden, da es als Teil der Streitkräfte Immunität genießt.

Die offizielle Zahl von 1836 Toten und 705 Vermissten kann nur als Richtwert gelten. Es muss eher mit noch mehr Toten gerechnet werden.

Allenfalls die Hälfte, vielleicht auch nur ein Drittel der Einwohner sind aus dem Exil zurück. Inzwischen haben viele Evakuierte anderswo eine Bleibe, oder gar einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Die soziale Infrastruktur in New Orleans existiert nur bruchstückhaft: Vier von fünf öffentlichen Schulen sind noch immer geschlossen und nur ein Drittel der Spitäler ist geöffnet, weil es am medizinischen Personal fehlt. Die Nostalgie-Straßenbahn im Zentrum fährt wieder auf und ab, aber ansonsten funktioniert der öffentliche Verkehr kaum.

Selbst Optimisten glauben nicht mehr daran, dass New Orleans schon in wenigen Jahren wieder seinen alten Bevölkerungsstand erreicht haben wird. Das Siechtum einer Großstadt, die ein fester Teil der amerikanischen Seele schien, findet auf nationaler Ebene kaum noch angemessene Beachtung. Washington hat zwar Dutzende von Milliarden Dollar für Nothilfe in der Katastrophenzone am Golf von Mexiko ausgegeben, aber bis heute sind die Behörden nicht fähig, ein langfristig angelegtes Wiederaufbau-Konzept vorzulegen. Obwohl allen klar ist, dass New Orleans schrumpfen wird, drücken sich die Entscheidungsträger vor der politisch brisanten Festlegung, welche Stadtteile beim Wiederaufbau Priorität erhalten sollen. Entsprechende Empfehlungen einer Planungskommission hat Bürgermeister Nagin aus wahltaktischen Gründen beiseite geschoben. Die Rede ist nun von einem Strategieplan für Anfang nächsten Jahres.

Dabei ist das Risiko neuer Überschwemmungen hoch. Die Küste von Louisiana wird im voraussichtlich etwa alle 10 Jahre von einem Hurrikan der "Katarina"-Stärke betroffen sein. Ein aufwendiges Dammsystem, das die Stadt samt Umland selbst vor den stärksten Wirbelstürmen schützen könnte, ist zwar technisch machbar, aber die Kosten für ein solches Großprojekt würden ca. 30 Mrd. Dollar betragen. Das ist ein Mehrfaches der 3,3 Milliarden, die der Kongress für die Reparatur der Dämme bewilligt hat. Experten prognostizieren, dass irgendwann bis zu einem Fünftel von Louisiana, darunter auch New Orleans, für immer in den Fluten versinken wird.

Grundstrukturen der US-amerikanischen Stadtentwicklung

Der Niedergang von New Orleans muss man im Kontext der US-amerikanischen Stadtentwicklung sehen. Drei grundlegende Tendenzen seien hier kurz vorgestellt.

Suburbanisierung

Die Suburbanisierung gehört zu den wichtigsten Prozessen in der US-amerikanischen Stadtlandschaft. Die Tendenz zum Wohnen in Vorstädten reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Das Ideal vom eigenen Haus mit Grundstück und ein ausgeprägter Anti-Urbainmus entsprachen stets der normativen Grundhaltung der nordamerikanischen Mehrheitsgesellschaft.

Besonders ab den 1940er Jahren setzte in den USA ein enormer Suburbanisierungsschub ein, der bis heute anhält. Dank eines wachsenden Konsumpotentials und dem Besitz eines eigenen Autos begannen sich die Mitteklassen an den Stadtrand abzusetzen. Der suburbane Lebensstil war und ist u. a. von dem Wunsch geprägt, Elemente des ländlichen Lebens in den vorstädtischen Wohnort zu integrieren. Dies bezieht sich nicht nur auf die Gestaltung des Hauses oder die Grundstücksgröße. Mindestens ebenso wichtig ist das Bestreben nach möglichst großer sozialer und ethnischer Homogenität. Vor allem in den altindustrialisierten Metropolregionen hat sich ein starker sozialräumlicher Gegensatz zwischen den durch Afroamerikaner geprägten Kernstädten und den überwiegend "weißen" Suburbs herausgebildet. Umgangssprachlich wird dieser Dualismus durch die Formulierung "chocolate city" und "vanilla suburb" treffend umschreiben.

Heute leben mehr als zwei Drittel der US-Amerikaner in städtischen Regionen, davon der größte Teil im suburbanen Raum. Entsprechend liegt der Anteil der suburbs an der städtischen Gesamtfläche bei über neunzig Prozent. Ebenso beeindruckend ist die Verlagerung von Dienstleistungen und Industrie. Das "Verschwinden" der industriellen Produktion aus den traditionellen Stadtkernen hat eine neue geographische Dynamik von Wachstum und Schrumpfung ausgelöst. Die Schwerpunkte des ökonomischen Wachstums liegen gegenwärtig eindeutig in der Peripherie.

Nicht zuletzt unter dem Einfluss der verstärkten Einwanderung aus Lateinamerika und Asien hat der suburbane Raum der Metropolregionen in den vergangenen Jahrzehnten einen starken Zuwachs an Minderheiten erfahren. Aber diese Entwicklung führte nicht zu einer Einebnung der räumlichen Abgrenzungen. Nach wie vor ist die Segregation der Afroamerikaner von allen anderen ethnischen Gruppen besonders stark ausgeprägt. In der US-amerikanischen Gesellschaft determiniert die "Race"-Frage offensichtlich den sozialen Status des Einzelnen. So sind z. B. wohlhabende Weiße von wohlhabenden Schwarzen ebenso stark getrennt wie ärmere Schwarze von ärmeren Weißen.

Mallkultur

Mit der zunehmenden Stadtrandwanderung der Wohnbevölkerung verlagerte auch der Einzelhandel seinen Schwerpunkt in die Peripherie. Mitte der 1950er Jahre entwarf man einen neuen Typus von Einkaufszentrum, der gewisse Cityfunktionen ersetzen sollte. Es handelte sich dabei um eine Anordnung von Geschäften, die zunächst um einen offenen Fußgängerbereich und später als vollständig überdachte und klimatisierte Gebäudeanlage errichtet wurden. Seit Anfang der 1970er hat sich dieser Typus von Einkaufszentrum zur Shoppingmall weiterentwickelt. In solchen Komplexen konzentrieren sich die unterschiedlichsten Konsumfunktionen: Kaufhäuser, Einzelhandelsgeschäfte, Kinos, Gastronomie, Vergnügungsparks, Hotels und Büroflächen. Gegenwärtig verbringt die Mehrheit der US-Amerikaner einen großen Teil ihrer Freizeit in Shoppingmalls und Themenparks.

Der Erfolg dieser Konsumeinrichtungen beruht auch auf dem Gegensatz zwischen idealisierter Nachbarschaft und dämonisierter Kernstadt. Die Mall gilt als architektonische Verkörperung der suburbanen Werte und Normen. Sie steht für einen idealisierten öffentlichen Raum, der frei von Unannehmlichkeiten des Wetters und Verkehrsbelästigungen ist, sowie vor ungewollten Begegnungen mit "andersartigen" Menschen schützt. Zwar bevorzugt die Mittelklassenklientel eine kontrollierte und sichere Umgebung, die sich deutlich von der Metropolenrealität abhebt, gleichwohl gibt es eine weit verbreitete Nostalgie nach historischen Stadtformen. Mit der Suburbanisierung ist die öffentliche Sphäre verloren gegangen und damit auch Bühnen für öffentliche Darstellungen, wie sie einst für Quartiere oder Zentren typisch waren. Diesen Verlust versuchen die Mall-Betreiber durch inszenatorische Arrangements zu kompensieren. Die dabei verwendeten architektonischen Konzepte basieren vor allem auf zwei Klischees: Entweder geht es um die Simulation des heilen Kleinstadtlebens mit Marktplatz und "Downtown"-Straße oder um die Herstellung einer urbanen Atmosphäre in Form von Passagen und Galerien.

Das Einzugsgebiet der Malls beschränkt sich nicht nur auf ihr regionales Umfeld, die Konsumkomplexe sind auch als Touristenziele sehr beliebt. Die "Mall of Amerika" in Minneapolis zieht z. B. mehr Menschen an Disney World. Themenparks wie Disney World und die Shoppingmalls stellen den vorläufigen Schlusspunkt zweier Entwicklungen dar: die Transformation des Konsumverhaltens in einen Erlebnisvorgang und die Funktionalisierung von Raumgestaltung für kommerzielle Vermarktungsstrategien. Dabei ist die bauliche und symbolische Umwelt der Anlagen in hohem Maße von Images und Klischees geprägt, die durch TV, Film, Werbung oder populäre Musik produziert werden und die jeweiligen Vorlieben der Konsumenten mit bestimmen.

Hatte es sich bei diesem Typus von Einkaufszentrum bislang um ein suburbanes Phänomen gehandelt, so findet gegenwärtig eine neuartige Entwicklung statt. Seit den 1990er Jahren fließt ein erheblicher Anteil der Investitionssummen aus der Konsum- und Unterhaltungsindustrie in die amerikanischen Kernstädte. Als Ersatz für fehlende gewachsene Stadtzentren entstehen überall multifunktionale Urban Entertainment Centers, in denen sich Konsum, Freizeit und Unterhaltung noch stärker gegenseitig ergänzen und stützen. Das bekannteste Beispiel ist die Revitalisierung von Time Square/42. Straße in Manhattan, vormals eine Mischung aus Vergnügungs- und Rotlichtviertel. Die Umwandlung dieses zentral gelegenen Distriktes steht exemplarisch für die wachsende "Mallifizierung" der Innenstadt.

Gated Communities

In den USA prägt schon seit langem eine panische Angst der Mittelklassen vor der nicht-weißen Ghettobevölkerung das gesellschaftspolitische Klima. Pathologisierende Erklärungsmuster für die Existenz einer "gefährlichen Unterklasse" gehören zum festen Bestandteil der öffentlichen Debatte. Verelendung oder Armut werden dabei als Folge krimineller Neigungen oder erblicher Veranlagungen betrachtet. Damit einhergehend hat sich in den letzten Jahrzehnten eine repressive "Law & Order"- Politik durchgesetzt, die auch zu einem gewaltigen Anstieg der Einsperrungsrate führte. Mit mehr als zwei Millionen Strafgefangenen haben die Vereinigten Staaten ein Inhaftierungsniveau erreicht, wie man es eigentlich nur von Diktaturen kennt. Darüber hinaus versuchen die städtischen Behörden durch drakonische Ordnungsmaßnahmen die metropolitanen Zentren von Bettlern oder Obdachlosen zu säubern.

Die Furcht vor Verbrechen, Gewalt und Drogen trägt dazu, dass die Mittelschichten sich möglichst von den "Übeln der Großstadt" absetzen. Die Zersplitterung des amerikanischen Siedlungsraums "in ein Meer inselförmiger souveräner Gemeinden" stellt keine "natürliche" Fehlentwicklung eines ungeplanten Stadtwachstums dar. Vielmehr handelt es sich um einen - häufig rassistisch motivierten - Separatismus der Eigenheimbesitzer, der zugleich von einer anti-etatistischen Ideologie zusammengehalten wird. Eine Angleichung der Lebensbedingungen durch zentralstaatliche Institutionen, wie sie etwa hierzulande gesetzlich vorgegeben sind, gelten in den USA als unnötig, sogar als fundamental 'unamerikanisch', da sie grundsätzlich dem amerikanischen Demokratieverständnis, d.h. der Vorstellung von Selbstherrschaft und Selbstverwaltung widersprechen" Die Ideologie des Privatism hat zu einem scharfen Dualismus zwischen einer verarmten Kernstadt und saturierten Suburban Neighborhoods geführt. Während die städtischen Peripherien ökonomisch prosperieren, veröden große Teile der Zentren, in denen vor allem Arme, Obdachlose und andere marginalisierte Gruppen zurückbleiben. Die Folgen für die Fiskal- und Sozialpolitik sind verheerend. So schließt die weitgehende Autonomie der selbständigen Vorortgemeinden auch das Recht ein, eigene Steuern zu erheben. Aufgrund eines fehlenden kommunalen Finanzausgleichs bestehen zwischen den reichen Communities mit hohem Steueraufkommen und armen Gemeinden erhebliche infrastrukturelle Unterschiede. Da Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser oder Bibliotheken zum Teil durch die lokalen Steuern finanziert werden, fehlt es den armen Stadtvierteln an den nötigen Mitteln für eine funktionierende Infrastruktur. Gleichzeitig versuchen die wohlhabenden Siedlungen durch restriktive kommunale Flächennutzungs- und Bebauungsvorschriften unerwünschte Nutzungen auszuschließen. Auf diese Weise gelingt es den Gemeinden weitgehend, die angestrebte soziale Homogenität herzustellen und die subalternen Klassen über die Einkommensbarriere auf räumliche Distanz zu halten.

Als neue Form der Sezession spielen seit den achtziger Jahren so genannte Common-Interest-Developments (CIDs) eine wichtige Rolle. Es handelt sich dabei um Vereinigungen von Hausbesitzern, die öffentliche Einrichtungen wie Parks, Schwimmbäder und Erholungszentren verwalten und kontrollieren. Mit dem Erwerb einer Wohnanlage müssen die Eigner der Mitgliederorganisation beitreten und regelmäßig Gebühren für den Unterhalt des Infrastruktur- und Versorgungssystems bezahlen. Gleichzeitig hat der Käufer eines Hauses eine Reihe von Auflagen, Verpflichtungen und Beschränkungen zu befolgen, die vertraglich genau festgelegt sind. Die Mitwirkung der einzelnen Besitzer bei der Definition der "gemeinschaftlichen Interessen" ist erheblich eingeschränkt. Die Eingriffsmöglichkeiten der Managementleitung in das Privatleben der Bewohner sind hingegen erheblich. In einigen Communities existieren Verordnungen, die das Gewicht der Haustiere festlegen, die Farbe der Zimmerwände bestimmen und das Küssen im öffentlichen Raum untersagen. Andere Gemeinschaften geben zeitliche Limits für auswärtige Besucher vor, verhängen nächtliche Ausgehverbote oder setzen das Recht auf Pressefreiheit außer Kraft. Mitunter darf der Vorstand in den Häusern jederzeit Inspektionen vornehmen oder sogar pornographische Schriften und Sexartikel aus dem Schlafzimmer des Wohneigentümers entwenden. Strukturell weisen die CIDs gewisse Ähnlichkeiten mit den Shoppingmalls auf. In beiden Fällen handelt es sich um Einrichtungen, die vom Niedergang des öffentlichen Raums profitieren und als Ersatz dafür ideale Enklaven anbieten. Die Angst vor allen möglichen Formen einer bedrohlichen "Andersartigkeit" und die Sehnsucht nach Harmonie und Stabilität treibt viele Angehörige der Mittelschichten in Gemeinschaften mit diktatorischen Machtbefugnissen. Die Überwachung ihres Alltags durch eine private "Schatten-Regierung" erscheint vielen nicht als illegitimer Eingriff, sondern vermittelt eher das Gefühl, in einer geschützten Umgebung zu leben. Wie populär die CIDs in den USA sind, lässt sich daran ablesen, dass diese Wohnform mehr als vierzig Millionen Menschen in Anspruch nehmen.

Heute sind Armen und Marginalisierte nicht mehr ausschließlich in den Kernstädten, sondern sind zunehmend auch in den Suburbs präsent. Viele Vorort-Bewohner fühlen sich von dieser Entwicklung bedroht und versuchen ihre Wohnviertel oder Siedlungen durch physische Barrieren und Sicherheitskräfte von der Außenwelt abzuschirmen. Ähnlich wie bei den CIDs privatisieren diese Sicherheitskorporationen häufig öffentliche Aufgabenbereiche und kommunale Dienstleistungen. Die Art der Befestigung kann von ständig besetzten Wachhäusern über eiserne Tore und Mauern bis hin zur elektronischen Überwachung reichen. Solche "umfriedete Gemeinschaften" sind inzwischen zu einem weit verbreiteten Phänomen geworden, das sich vor allem in den Metropolen und in den reicheren Regionen der Südstaaten beobachten lässt. Nach den Schätzungen leben gegenwärtig mehr als acht Millionen Menschen in "Wehrgemeinschaften". Der Boom von überwachten Enklaven steht für eine wachsende "Festungsmentalität" in Amerika. Abgetrennt von Krankheit, Armut und "Andersartigkeit" besitzen die privaten Gemeinschaften keine Verbindung mehr zu den sozialen Dimensionen des städtischen Lebens. Damit verfestigen sich auch die Klassenhierarchien zu einem Kastensystem. Der Wille zur Vertreibung und Ausgrenzung ist tief in der amerikanischen Zivilgesellschaft verankert.

Die hausgemachte Katastrophe

Fest steht: Es waren im Fall von "Katrina", keineswegs allein Naturgewalten, sondern Menschen, die derartige Resultate herbeiführen. In New Orleans wie auch entlang der Golfküste macht der Bau von immer neuen Vororten die natürlichen Barrieren gegen Wirbelstürme und Flutwasser - sprich die Wasseraufnahmefähigkeit des Bodens - durch die Versiegelung kaputt. Ebenso gehen fast 40 Prozent der Küstenerosion auf das Ausbaggern des Mississippi für die Schifffahrt und den Bau von Gas- und Ölpipelines zurück. Die Ursachen für das Küstensterben und das daraus entstehende Gefährdungspotential sind seit Jahren gut dokumentiert. Ja man kann sagen, dass keine Katastrophe in der Geschichte der USA jemals so exakt vorausgesagt wurde.

Nach einer ausführlichen Studie, die Ende der 1990er Jahre erstellt wurde, war definitiv klar, dass bei einem Hurrikan der Stufe 4 die "buchstäbliche Zerstörung" der Stadt drohe. Die Deiche und Küstenbefestigungen von New Orleans sind jedoch so ausgelegt, dass sie allenfalls einem Hurrikan der Stufe 3 standhalten. Zudem hatte eine Computersimulation, die das Ingenieurscorps der US Army im Jahr 2004 durchführte, ergeben, dass schon bei einem Hurrikan der Stufe 3 weite Teile der Stadt überflutet würden.

Die Antwort der Bush-Regierung auf solche Prognosen bestand darin, die drängenden Forderungen der Regierung von Louisiana nach erweiterten Schutzmaßnahmen abzuschmettern. Und auch die Bundesmittel für Deichbauten, vor allem für die Region N. O. wurden wiederholt gekürzt. Das verdankte sich den neuen Prioritäten der Bush-Regierung, die seit "9.11." einen Großteil der zur Verfügung stehenden Mittel für die Terrorbekämpfung verwendet. Als der Chef des Ingenieurscorps der Armee gegen die Kürzung der Projekte zum Überflutungsschutz protestierte, nötigte ihn Bush zum Rücktritt.

Auch bei der nationalen Katastrophenschutzbehörde wurden viele Programme zur Eindämmung von Flut- und Sturmfolgen zusammengestrichen. Zudem ist diese Einrichtung seit 2003 in dem neuen Ministerium für "Homeland Security" aufgegangen. Mit fatalen Folgen: Ein Großteil der Bundesmittel für Katastrophenschutz, die vormals in lokale Projekte der Erdbeben-, Sturm-, und Flutprävention geflossen waren, wird für Antiterrormaßnahmen verwendet.

Bereits im September 2004 hatte es auch heftige Kritik an Bürgermeister Nagin gegeben. Denn beim Nahen des Hurrikans "Ivan" ein Sturm der Stufe 3, hatte er nichts unternommen, um die armen Einwohner zu evakuieren. Während sich die Einkommensstärkeren mit ihren Autos absetzten, warteten die Armen in ihren Vierteln vergeblich auf eine Unterstützung von außen. Als Reaktion auf diese Ereignisse ließ die Stadtverwaltung 30.000 Videos produzieren, die in den betroffenen Quarteiern verteilt werden sollten - wozu es nie kam. Die Videobotschaft lautete: "Wartet nicht auf die Stadt, wartet nicht auf den Staat, wartet nicht auf das Rote Kreuz... geht einfach weg." Das hieß im Klartext, die Armen sollten sich zu Fuß aufmachen, denn Busse oder gar Züge für ihre Evakuierung waren in den staatlichen Plänen nicht vorgesehen. Als dann aber nach "Katrina" verzweifelte Menschen zu Hunderten aus der Stadt fliehen wollten, wurden sie auf der Brücke, die zum weißen Vorort Grentna führt, von der Lokalpolizei zurückgetrieben, die Warnschüsse über ihre Köpfe hinwegfeuerte.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Behörden in New Orleans so mit den Opfern einer Flutkatastrophe umgegangen sind. "Oh all das Weinen und Beten wird dir nicht helfen - Wenn der Deich bricht, wirst du alles verlieren", heißt es in einem Song, den die Bluesgitarristin Memphis Minnie 1929 aufgenommen hatte. Zwei Jahre zuvor war der Mississippi über seine Ufer getreten und hatte auch New Orleans überflutet. Die Schwarzen der Stadt wurden damals zusammen getrieben und während der Wasserspiegel stieg, hinderten bewaffneten Truppen die Eingepferchten daran, zu fliehen. Der Historiker John M. Barry beschreibt in seinem Buch "The Rising Tide", dass die Kapelle eines Dampfschiffes beim Ablegen höhnisch "Bye Bye Blackbird" spielte. Auch die Flut von 1927 war auf Grund von Gier und menschlichem Versagen zur Katastrophe geworden. Zu viele Dämme im Oberland des Mississippi hatten zu einem instabilen Flusssystem geführt. Fast 300.000 Afroamerikaner, die nach der Flut obdachlosen wurden, mussten in unzureichend versorgten Flüchtlingslagern hausen. Das führte zunächst zu Aufständen, dann kam es zu einer massenhaften Abwanderung der Schwarzen in den Norden, die Machtmonopole der weißen Großgrund- und Plantagenbesitzer fielen. Die Flutkatastrophe mit all ihren politischen Folgen für Louisiana galt als eines der Ereignisse, die den Boden für Franklin D. Roosevelts New Deal vorbereiteten. Parallelen zur "Katrina"-Krise drängen sich geradezu auf.

"Ethnic Cleaning"

Nach der Katastrophe hatte sich der schwarze Bürgermeister Ray Nagin, zu der Behauptung verstiegen, dass Gott Hurrikan um Hurrikan schicke, um das Land dafür zu bestrafen, dass es "unter Vorspiegelung falscher Tatsachen" im Irak einmarschiert sei - und weil "wir uns nicht ausreichend um unsere Kinder kümmern in einer Gemeinde, in der 70 Prozent aller Kinder nur ein Elternteil haben:" Offenbar in dem Bemühen, den von "Katrina" besonders gebeutelten Schwarzen Mut zu machen und angesichts bevorstehender Bürgermeisterwahlen, versprach er seinen Zuhörern: "Diese Stadt wird wieder eine sein, in der Afroamerikaner die Mehrheit stellen. Das ist Gottes Wille." New Orleans, werde wieder "a chocolate city" sein.

Dabei ist es kein Geheimnis, dass die kommerziellen Eliten und ihre Verbündeten im Rathaus, die schwarze Bevölkerung am liebsten aus der Stadt drängen würden. So überrascht es kaum, dass manche Leute, die von einem weißen und sicheren New Orleans träumen, in "Katrina" ebenfalls eine göttliche Fügung am Werk sahen. Ein führender Republikaner aus Louisiana vertraute einem Lobbyisten in Washington an, was er über die Ereignisse dachte: "Endlich haben wir den ganzen sozialen Wohnungsbau in New Orleans abgeräumt. Wir hätten das nicht tun können, aber jetzt hat es Gott getan." Schon kurz nach der Flutkatastrophe ließ auch James Reiss, ein der alten Aristokratie entstammender Unternehmer, verlauten, dass die Machtelite von New Orleans darauf bestehe, dass mit dem Wiederaufbau die alten sozialräumlichen Strukturen zerschlagen werden müssten. "Diejenige, die den Wideraufbau dieser Stadt wollen, wollen ihn in einer vollständig anderen Art und Weise: demographisch, geografisch und politisch. Die Art, wie wir hier gelebt haben, wird sich so nicht wieder ereignen, oder wir sind weg."

Bereits im November 2005 hatte eine Gruppe von Städteplanern empfohlen, sich beim Wiederaufbau auf jene Teile der Stadt zu konzentrieren, die hoch genug gelegen und damit im Überschwemmungsfall sicherer sind, und die Wiederbesiedelung der niedriger gelegenen Gebiete zu vertagen. Diese, meist von Schwarzen bewohnten Gebiete, sollten dann als Wasserrückhaltebecken fungieren. Das würde bedeuten, dass die Mehrheit der ärmsten Einwohner von New Orleans nie wieder in ihre Wohnviertel zurückkehren könnte. Einige Offizielle geben auch ganz offen zu, dass man "die Sozialfälle nicht zurückhaben" wolle, vielmehr stattdessen auf eine Diversifizierung der Wohnviertel und den Bau eines Jazz-Centers mit ganzjährig bespieltem Freizeitpark setze. Der Wohnungsbeauftragte der Stadt New Orleans macht dies in aller Deutlichkeit klar: "Die Sozialblocks waren die Rückzugsbiete einiger der berüchtigtsten Gangs unseres Landes. Die Gangmitglieder waren dort willkommen und wurden versteckt, weil sie sich bei den Einwohnern revanchiert haben. Jetzt sollen nur noch diejenigen Leute zurückkehren, die Jobs, gute Zahlungsmoral und einwandfreie Reputation besitzen."

Ebenso äußern viele weiße Einwohner unverholen, dass der Massenexodus aus New Orleans auch seine guten Seiten habe: Endlich sei man auf einen Schlag zahlreiche Sozialhilfeempfänger losgeworden. Unverblümt wird in diesen Kreisen die Hoffnung geäußert, dass die Weißen erstmals seit den frühen siebziger Jahren wieder die Bevölkerungsmehrheit stellen und damit die Vormachtstellung zurückerobern könnten.

Verständlich, dass die Wiederaufbaupläne bei den Afroamerikanern auf heftige Ablehnung stoßen. Paradigmatisch ist dafür die Haltung von Cyril Neville. Das jüngste Mitglied der Neville Brothers lebt wie Hunderte andere Musiker aus New Orleans im Exil - so wie auch Dr. John, Irma Thomas, Allen Toussaint und Fats Domino. Neville will in Austin bleiben und seiner Geburtsstadt für immer den Rücken kehren. Bei einem im Fernsehen übertragenen Benfizkonzert trug er ein T-Shirt mit der Aufschrift: "Ethnic Cleaning In New Orleans." Er spricht zudem aus, was viele Afroamerikaner ablehnen: eine "Disneyfizierung" der Stadt mit Jazz-Themenparks und neuen Hotels, ohne Rücksicht auf jene verarmten Neighbourhoods, die stets das Rückgrat dieser Kultur bildeten.

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