Überlegungen zur Kontinuität des Antisemitismus in der deutschen Linken

Vorweg

Die in den letzten Jahren - erfreulicherweise - angestoßene Debatte über Antisemitismus in der (deutschen) Linken treibt mitunter seltsame Blüten, die es unserer Auffassung nach notwendig machen, historisch und theoretisch die Problematik bestimmter Positionierungen aufzuzeigen. Texte, Plakate, postings bei linken Internetseiten u.v.m. zeigen nur zu deutlich, dass eine kritische Auseinandersetzung mit Antizionismus / Antisemitismus in Teilen der gegenwärtigen Linken noch nicht angekommen zu sein scheint. Es soll nicht darum gehen, irgendjemandem böse Absichten oder gar bewusst antisemitische Argumentationen, die in der heutigen Linken zudem fast völlig verschwunden sind, zu unterstellen. Vielmehr soll auf strukturell antisemitische Argumentationen, deren Tendenz in verkürzter Kapitalismuskritik des öfteren aufscheint, die aus Unreflektiertheit und/oder aus einer nichtgeführten Debatte resultieren, eingegangen werden. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass mensch grundsätzlich zwischen offenem, i.e. plumper Judenhass, strukturellem, auf den wir später noch ausführlich zu sprechen kommen werden, sekundärem, i.e. den Juden im Nachhinein eine Mitschuld an der Shoah zu geben, und Vernichtungsantisemitismus unterscheiden muss.

Die historische Betrachtung erhält ihre Notwendigkeit aus der Geschichte der Solidaritätsbewegungen, insbesondere der Palästinasolidarität, da gerade dort ein sich als Antizionismus verdeckender Antisemitismus offen zu Tage trat und sich immer weiter entwickelte. Deshalb beginnt der Text mit dieser, um zu einer Betrachtung der gegenwärtigen linken Diskussion zu gelangen und auf die tendenziellen Gefahren einer verkürzten Kapitalismuskritik aufmerksam zu machen.

1. Die unrühmlichen Aspekte linker Geschichte nach der Shoah

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zeigten sich weite Teile der bundesdeutschen Linken philosemitisch: der Aufbau des Staates Israel wurde bewundert, Wiedergutmachungszahlungen an diesen gefordert, Juden und Jüdinnen gar als die besseren Menschen dargestellt. Die "Nachkriegslinke vertrat dezidiert proisraelische Positionen, trug maßgeblich zum Zustandekommen des Wiedergutmachungsabkommens von 1952/53 bei und engagierte sich in der ersten Hälfte der sechziger Jahre für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel, die die Regierung Adenauer bis 1965 hinauszögerte. Doch die stereotype Bewunderung von Israel und der israelischen Gesellschaft, die Begeisterung für die Kibuzzim und die Heroisierung der jüdischen Pioniere (während die palästinensische Bevölkerung keine Erwähnung fand), sind Belege dafür, dass der Pro-Israelismus der Linken nicht nur aus dem Bewusstsein politischer Verantwortung folgte, sondern auch von Befangenheit, latenten Schuldgefühlen sowie dem Bedürfnis geprägt war, sich gegenüber dem Ausland wie in Abgrenzung zur CDU-Regierung als das ‚bessere Deutschland' zu bewähren".

Der Sieg der israelischen Armee im 6-Tage-Krieg von 1967 leitete einen Wendepunkt im Verhältnis der deutschen Linken zu Israel ein. In kurzer Zeit kippte der Proisraelismus um in die Rhetorik vom ‚imperialistisch-faschistischen Staatsgebilde'. Israel wurde nunmehr als aggressive Besatzungsmacht oder imperialistischer Brückenkopf der USA im Nahen Osten begriffen. Gleichzeitig rückte die palästinensische Bevölkerung in den Blickpunkt, die Fatah, als in Deutschland bekannteste Gruppe der PLO, bekam in der Wahrnehmung der Linken einen immer größeren Stellenwert. An diesem Umschwung wird deutlich, dass Israel immer nur als Projektionsfläche der deutschen Linken diente. Der schuldbeladene Philosemitismus, der ebenso von Schuld befreien sollte, wie die antiisraelische Wendung, in der Israel als faschistisch und die PalästinenserInnen zu den "besseren Juden" - da sie Widerstand leisteten - erklärt wurden. In der zwanghaften Suche nach Identifikation mit "wahren" AntifaschistInnen, die der Widerstand gegen das Naziregime im Besonderen, aber auch die gesamte deutsche Geschichte nur marginal zu bieten hatte, entdeckte die Linke die Kämpfe unterdrückter "Völker" im Trikont. Gerade die Intifada nahm in den Solidaritätsbewegungen der späten 60er, 70er und frühen 80er Jahre eine zentrale Rolle ein, und dies nicht zufällig. Das den Bewegungen zu Grunde liegende anti-imperialistische Weltbild zeichnet(e) sich "durch zahlreiche Affinitäten zum antisemitischen Weltbild aus: Auch hier verkennt eine vereinfachende Sicht Herrschaft als Fremdherrschaft und Ausbeutung als fremde Machenschaft. Auch hier sieht man‚Völker' existenziell bedroht durch eine Verschwörung von bösen Kapitalisten und imperialistischen Politikern. Auch hier zeigen sich die Suche nach kollektiver ‚nationaler' Identität wie auch ein manichäistisches Denken, das das Weltgeschehen sauber in Gut und Böse sortieren will". Die Betrachtung des Israelkonflikts auf dieser Folie musste zwangläufig zu klar antisemitischen Denkweisen führen. Die PalästinenserInnen wurden zum guten "Volk" verklärt, welches sich dagegen wehrte, von den Israelis von "seinem" Boden vertrieben zu werden. Die klar antisemitischen Züge dieser völkischen Denkweise werden deutlich bei einem Flugblatt der "FreundInnen des palästinensischen Volkes e.V." aus Hamburg von 1998: Auf einer dort abgedruckten Karrikatur entwurzelt ein Israelischer Soldat mit einem Bagger einen palästinensischen Bauern mitsamt Erde und einer Pflanze. Der "wurzellose Jude", dargestellt mit Hakennase und Davidstern, reißt den im wahrsten Sinne des Wortes bodenständigen Volksgenossen von seiner Scholle Land . Durch die rassistischen Typisierungen werden "die Juden" zu Aggressoren - und im Endeffekt zu faschistischen Imperialisten -, die die im Boden Verwurzelten vertreiben. Die Affinitäten dieses anti-imperialistischen Denkens zu einer Blut-und-Boden-Ideologie sind nicht zu übersehen. In guter alter antisemitischer Tradition wird hinter dem Zionismus das internationale Finanzkapital vermutet, von einer "zionistischen Weltbewegung" gesprochen (Al Kamrah 1986) und die Behauptung aufgestellt, "die zionistischen Multimillionäre, die in allen Teilen der Welt leben..., treffen sich immer wieder in privaten Konferenzen, um Israels Aggression zu unterstützen"(Antiimperialistisches Informationsbulletin 1971) und der Zionismus zum "Feind aller Völker" erklärt (Autonome Nahostgruppe Hamburg 1989).

Ebenfalls ekelhaft mutet der Versuch zahlreicher linker Gruppen an, das Handeln der Israelischen Regierung und Armee, wenn nicht gar das aller Juden und Jüdinnen, die mensch in diesem Zusammenhang lieber als ‚Zionisten' titulierte, mit dem der deutschen Nationalsozialisten zu vergleichen, teilweise sogar gleichzusetzen. So behaupteten z.B. die Schwarzen Ratten / Tupamaros Westberlin in einem Flugblatt von 1969 "aus den vom Faschismus vertriebenen (!) Juden sind selbst Faschisten geworden, die in Kollaboration mit dem amerikanischen Kapital das palästinensische Volk ausradieren wollen." Weiter unterstellen sie, dass "jede Feierstunde in der BRD unterschlägt, dass die Kristallnacht von 1938 heute tagtäglich von den Zionisten in den besetzten Gebieten, in den Flüchtlingslagern und in den israelischen Gefängnissen wiederholt wird." Eine andere Version der Gleichsetzung fand sich 1974 im KBW-Theorieorgan ‚Kommunismus und Klassenkampf: "Genauso gerecht wie die Zerschlagung des Deutschen Reiches gewesen ist, genauso gerecht wird auch die Zerschlagung des Israelischen Kolonialstaates sein." In vielen Fällen wurde dem Staat Israel also das Existenzrecht, welches aufgrund der Erfahrung der Shoah - viele Juden und Jüdinnen konnten dem nationalsozialistischen Vernichtungsregime nicht entkommen, da sie kein Asyl in anderen Staaten fanden - gerade in der deutschen Linken eine Selbstverständlichkeit sein sollte, nicht nur in Frage gestellt, sondern negiert. So schrieb der Arbeiterkampf, ein Pamphlet des KB 1973: "Der Konflikt im Nahen Osten kann nicht anders gelöst werden als durch die Zerschlagung des zionistischen Staates." Die Interim fasste sich kürzer und titelte 1992: "Israel muss weg!" Der permanente Hinweis der AntiimperialistInnen darauf, man sei nicht antisemitisch, und mensch solle doch die Unterscheidung zwischen ‚Juden' und ‚Zionismus' (Israel) machen, die doch selbst nicht gemacht wird, da sie sich auf eine Bewegung beziehen, die sich von Anbeginn an "treibt die Juden ins Meer" auf die Fahnen geschrieben hatte, kann nur schwer die Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit verdecken; denn nur durch die Verdrängung, Relativierung und das Vergessen kann der eigene autoritäre Charakter, der sich doch selbst links sieht, hemmungslos in der Identifikation im Völkischen aufgehen. Dass der Antizionismus der deutschen Linken nichts ist als ein sich selbst verschleiernder Antisemitismus, belegen die Beispiele, als Linke die so folgenreiche Nazi-Parole "Kauft nicht bei Juden" in ein antiimperialistisches "boykottiert Israel" transformierten. Bezeichnend ist die Polarisierung, die Unfähigkeit einer differenzierten Sichtweise, die nicht alles in Gut und Böse teilt, die Unfähigkeit, berechtigte Kritik an konkreter Politik, auch an der der Israelischen Regierung, zu machen, und der Zwang, alles in das manichäische antiimperialistische Weltbild pressen zu müssen. Gravierend sind auch Aktionen und Stellungnahmen der militanten Linken. So feierte die RAF beispielsweise den Anschlag eines palästinensischen Terrorkommandos auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München als "antiimperialistisch, antifaschistisch und internationalistisch", bezeichnete Moshe Dayan als "den Himmler Israels", welcher "...Krokodilstränen [vergießt]. Er hat seine Sportler verheizt, wie die Nazis die Juden - Brennmaterial für die imperialistische Ausrottungspolitik" und bezichtigt Israel des "Nazi-Faschismus" .

Auch die Revolutionären Zellen bekleckerten sich nicht gerade mit Ruhm, als sie 1976 bei einer Flugzeugentführung die Fluggäste in ‚Juden und Nicht-Juden' teilte. Erschreckender als diese Tat ist aber, dass deshalb kein Aufschrei des Entsetzens durch die bundesdeutsche Linke ging. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass sich die RZ 1991 von diesem Teil ihrer Geschichte distanzierten. Dies ist ein Beispiel dafür, dass ein Umdenken in Teilen der Linken eingesetzt hat. Die Ende der 80er Jahre eingesetzte Diskussion um Antisemitismus/ Antizionismus hat durchaus Früchte getragen. Äußerungen wie "Zionistische Schlächter eskalieren Krieg gegen das palästinensische Volk" (Spartakist 2001) oder "Palästina das Soweto Israels" (So oder So 2001) sind seltener zu lesen und müssen zudem mit deutlicher Kritik rechnen. Es fällt aber auf, dass in linken Internetforen, wie z.B. Indymedia, auf jede Kritik an Antisemitismus mit heftigen Abwehrreaktionen einiger geantwortet wird, ohne auf die Argumentationen einzugehen. Statt dessen werden die KritikerInnen als völkische (!) Sekte denunziert, die eine Querfrontstrategie (!!) betreibe. Diesen Linken scheint die Tatsache entgangen zu sein, dass Gestalten wie Horst Mahler gerade über antisemitische Argumentationen versuchen, eine Querfront herzustellen. Im Übrigen scheint in weiten Teilen der sogenannten Antiglobalisierungsbewegung eine fundierte Theorie eben des Kapitalismus zu fehlen, was einige Probleme aufwirft, die wir im Folgenden darzustellen versuchen.

2. Die Problematik einer verkürzten Kapitalismuskritik

"Seit je zeugte antisemitisches Urteil von Stereotypie des Denkens."
(Horkheimer / Adorno; Dialektik der Aufklärung)

Grundmerkmale antisemitischen Denkens sind die Aufteilung der Welt in Gut und Böse - in der verkürzten Kapitalismuskritik in Gut und Börse - eine Dichotomisierung verbunden mit Personifizierung des Abstrakten, die zum Zwecke hat, das Unverstandene zu verstehen, ohne es durchschauen zu müssen und die oben bereits erläuterte Konstruktion kollektiver Identitäten.Weite Teile der sogenannten Anti-Globalisierungs-Bewegung kritisieren Phänomene des Kapitalismus, ohne die Totalität der Waren- und Wertvergesellschaftung zu erfassen. Durch diese Beschränkung auf einige Erscheinungen begeben sie sich tendenziell in die Nähe zu strukturell antisemitischen Argumentationssträngen. Gerade weil sie Gefahr laufen, stereotyp Ungerechtigkeiten, die notwendig durch die Wertvergesellschaftung, den Kapitalismus, hervorgebracht werden, erklären zu wollen, d.h. Benachteiligte und Übervorteilte werden erkannt und die Übervorteilten als die Schlechten gebrandmarkt. Das Herrschaftsverhältnis wird zwar erkannt, aber es wird naturalisiert, indem den Herrschenden ihr Handeln vorgeworfen und so dargestellt wird, als wäre der böse Wille eben jener für alles verantwortlich. Dem liegt neben einer oberflächlichen Betrachtung auch ein falsches Verständnis von Ideologie zugrunde, die den Satz aus der Deutschen Ideologie von Marx, die herrschenden Gedanken seien auch immer die Gedanken der Herrschenden , verkürzt als Manipulationsthese begreift und daraus eine Kapitalismusanalyse bastelt. "Vielmehr geht es um die von der spezifischen Form des gesellschaftlichen Verkehrs selbst hervorgerufenen‚ objektiven Gedankenformen' (MEW 23:90), die sich als scheinbar natürliche Kategorien zur Analyse dieses Verkehrs anbieten, so dass dann umgekehrt diese spezifisch gesellschaftlichen Verhältnisse als unabänderliche ‚Naturform' von Gesellschaft erscheinen." D.h. eine Kritik des Kapitalismus, die nicht auf den Fetischcharakter der Ware eingeht, ist nichts anderes als eine fetischisierte Wahrnehmung der Gesellschaft und unfähig, diese zu durchschauen. Es ist unablässig an dieser Stelle näher auf den Fetischcharakter einzugehen. Dazu muss die Ware, dieses"sinnlich übersinnlich Ding" , genauer betrachtet werden. Sieht mensch einen Tisch an, so ist es ein Tisch; ist dieser Tisch aber Ware, d.h. für den Tausch produziert, so zerfällt er in zwei Teile: in Tauschwert und Gebrauchswert. Das Ding - die Ware - hat also einen Doppelcharakter. Während der Gebrauchswert als konkretes sichtbar bleibt, tritt der Tauschwert nur in der abstrakten Vermittlung über den Tausch auf und verschleiert die Gründe seiner Bestimmung. Die Wahrnehmung der Ware als reinen Gebrauchswert lässt den Tauschwert, i.e. den Wert, als eine natürliche Eigenschaft der Ware erscheinen und nicht als Produkt verausgabter Arbeit(szeit), als gesellschaftliches Verhältnis.

"Das Geheimnis der Warenform besteht also darin, dass sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen." Wenn also nun die Ware als rein dinglich erscheint, erscheint das Geld, als Ausdruck des Werts, als "Manifestation des bloß Abstrakten, als ‚Wurzel allen Übels'" . Die konkret erlebte Arbeit wird als natürlich und notwendig anerkannt, zum Guten erklärt - das der warenproduzierenden Arbeit inhärente Herrschaftsverhältnis wird nicht in Frage gestellt - und zum Gegenprinzip des undurchschauten und mit Attributen wie wurzellos, international und parasitär versehenen Finanzkapitals stilisiert. Genau an dieser Stelle wird der Bezug zu strukturell antisemitischen Argumentationen deutlich, da "die Merkmale der den Juden vom modernen Antisemitismus zugeschriebenen Macht - Abstraktheit, Nicht-Fassbarkeit, Universalität, Mobilität..." sich in der Konstruktion des verschwörerischen Finanzkapitals wiederfinden. Verschwörerisch, weil häufig in antikapitalistischen Argumentationen das Böse in Geld oder einzig im Dollar als Weltwährung, personifiziert wird. Gerade die alleinige Bezichtigung des Dollars als "Übeltäter" weist nahe Affinitäten zu den antisemitischen Verschwörungstheorien, die an der amerikanischen Ostküste, oder genauer in der Wall Street das Finanzzentrum und so die heimliche Herrschaftszentrale der Welt entdeckt haben wollen, auf. Es kann nicht darum gehen, internationale Institutionen wie Weltbank, WTO etc. als Ursache des sich permanent transformierenden warenproduzierenden Systems zu sehen, sondern sie müssen als Ausdruck dessen analysiert werden. Die einseitige Bezugnahme auf diese Institutionen verliert die Totalität der vollständig durchkapitalisierten Gesellschaft aus dem Blick und impliziert, mensch könne sich irgendwie dem im Alltag doch entziehen. So wird eine grundsätzliche Analyse verhindert, was sich in strukturell antisemitischen Argumentationen niederschlagen kann. Besonders verheerend wird die verkürzte Kritik, wenn den schwer fassbaren internationalen Institutionen eine positiv gewertete nationale Volkswirtschaft entgegengestellt wird, was in antiimperialistischen Kreisen auch heute noch häufig vorkommt. Eine Analyse die sich positiv auf Volk, Nation und konkrete, aber eben doch warenproduzierende Arbeit bezieht, diese gar vor dem wurzellosen, abstrakten internationalen Finanzkapital beschützen will, hat aber auch gar nichts Emanzipatorisches an sich. Das personifizierte Abstrakte vernichten zu wollen ist, im Gegenteil, eine zutiefst reaktionäre Forderung.
"Diese Form des Antikapitalismus beruht also auf dem einseitigen Angriff auf das Abstrakte. Dieses Denken begreift nicht, dass das Abstrakte und das Konkrete gemeinsam einen Widerspruch konstituieren, wobei die wirkliche Überwindung des Abstrakten - der Wertseite - die historische Überwindung des Widerspruchs selbst sowie jedes seiner Seiten einschließt."

3. Ausblick oder "Nie wieder Deutschland"

Eine umfassende Kapitalismuskritik muss notwendigerweise neben der Betrachtung der Phänomene eben gerade eine Analyse des Abstrakten im Konkreten unternehmen, d.h. die propagandistische Formel vom Gegensatz der "schaffenden Arbeit" und "raffenden Nicht-Arbeit", die in obiger Argumentation der guten Nationalökonomie so unschön hervorscheint, muss als Lüge entlarvt werden. Des weiteren darf nicht nur das Geld in Frage gestellt werden, sondern die Gesellschaftsformation, die ein allgemeines Warenäquivalent benötigt. Nicht ein einzelner Ausdruck der kapitalistischen Verhältnisse darf in den Mittelpunkt der Kritik geraten, sondern das System in seiner Gänze. "Jeder ‚Antikapitalismus', der die unmittelbare Negation des Abstrakten versucht und das Konkrete verklärt - anstatt praktische und theoretische Überlegungen darüber anzustellen, was die historische Überwindung von beidem bedeuten könnte - kann angesichts des Kapitals bestenfalls gesellschaftlich unwirksam bleiben. Schlimmstenfalls wird es jedoch politisch gefährlich; selbst dann, wenn die Bedürfnisse, welche der ‚Antikapitalismus' ausdrückt, als emanzipatorische interpretiert werden können.
Die Linke machte einmal den Fehler, zu denken, dass sie das Monopol auf Antikapitalismus hätte, dass alle Formen des Antikapitalismus zumindest potentiell fortschrittlich seien. Dieser Fehler war verhängnisvoll, nicht zuletzt für die Linke selbst" .

operation annie + sinistra!