Der Streik, die Sicherheit und die
Einzäunungen
Repräsentierter Protest
Es fing an mit VVs und kleineren Straßenblockaden,
dann kamen Demos mit Hunderten, dann Tausenden, dann Zigtausendenden
hessenweit und bundesweit, Leitartikel in den Tageszeitungen, sehr
verständnisvolle Kommentare in den Tagesthemen und der erste
Sendeplatz in der Hessenschau, Solidaritätsadressen vom DGB, von
ProfessorInnen und Uni-Präsidenten: Die StudentInnen tragen ihren
Protest vom Campus nach "draußen" - in die Gesellschaft
- und das mediale Echo ist gewaltig; fast scheints so, als hätten
alle darauf gewartet, daß sie die Initiative ergreifen.
Als das alles losging mit dem Bezug auf die Gesellschaft,
konnte sich mensch noch (auch aus guten Gründen) einbilden,
daß hinter all den unkritischen und falschen Parolen ein
emanzipatives Moment seine Wirkung entfaltet, daß - man kennt die
Medien ja nicht anders - jedes "Standort Deutschland"-
Transpi zehnmal abgefilmt wird, während die Bewegung sich
tatsächlich und immerhin soziale Forderungen für alle und
Bildungsmöglichkeiten für alle auf die Fahnen geschrieben
hat; daß in den Tagesthemen paternalistisch jede
Äußerung fürs nationale Wohl vereinahmt wird,
während im blockierten Uniturm eine Debatte über
französische Verhältnisse läuft; usw.
Nachdem der Streik nun einige Wochen alt geworden ist, ist
eine solche Wahrnehmung auch beim besten Willen nicht mehr
aufrechtzuerhalten: Als massiver Mainstream, der sich aktionistisch und
inhaltlich tendenziell konsolidiert, haben sich diejenigen formiert,
die sich als die Chefs von morgen begreifen und sich ihr vermeintliches
Ticket auf die Zugehörigkeit zur Elite nicht
"kapputtsparen" lassen wollen. Wo es in der Aufbruchstimmung
noch relativ einfach war, die damalige inhaltliche Leere von links zu
besetzen, kommt mittlerweile die Drohung gegenüber dem
Draußen selbstbewußt und unbeirrbar daher: "wir sind
eure Soundsos von morgen und wenn es uns jetzt schlecht geht, geht es
euch später auch schlecht". So ist es kein Zufall, daß
dieses Protestpotential allzu offensichtlich marxistisch inspirierte
und offen antinationalistische Redebeiträge ausbuht und
Präsident Meißners Aufforderung, den GEW- Kongreß zum
Thema Antirassismus, auf dem die hessische Bildungsministerin reden
soll, zu sprengen, damit dort nicht über
"Fremdenfeindlichkeit und solche Dinge" (O-Ton Meißner)
geredet wird, mit tosendem Beifall aufnimmt.
So offen und unübersichtlich, wie jede Bewegung schon
über ihre Organisationsformen, ihre schnelle Dynamik und flexible
Reaktionskapazitäten sich formiert, ist es (noch?) nicht
ausgemacht, ob solche Äußerungen wirklich als Ausdruck des
"ganzen" Streiks genommen werden können; aber die
Tendenz zum Dazugehörenwollen und zur Ja- Sagerei ist
unübersehbar.
Da ist es nicht verwunderlich, wenn das
Bewußtsein, daß in dieser Gesellschaft mehr versaut ist,
als nur die Hochschullandschaft, in dieser Streiköffentlichkeit
kaum noch vorkommt. Die eigene Situation mit der Situation anderer zu
verbinden, diese einfache Übung des Nachdenkens, einer Tugend
derer sich gerade Studierende gerne rühmen, würde
klarstellen, daß in dieser Gesellschaft alle Weichen auf Aus- und
Eingrenzung gestellt sind. Damit würde auch deutlich, daß
ein Zusammenhang besteht zwischen der neuerdings mit unglaublicher
Härte betriebenen Politik gegen Obdachlose und sonstige
unerwünschte Elemente auf dem Campus und der auch dieses
Wintersemester wieder verschärften Studiensituation in den
Hörsälen.
Doch eins nach dem anderen:
Die Kantherisierung des Campus
Am 5.11. haben haben die Uni- Verwaltung in Gestalt von
Kanzler Busch, das Studentenwerk, vertreten durch Zoller und Franke-
Weltmann sowie mehrere Beamte der städtischen Polizei,
insbesondere des 13. Polizeireviers und ein Vertreter des
Liegenschaftsamtes, ein verschärftes "law & order"-
Konzept für den Campus besprochen. Im weiteren soll die
"Sicherheit auf dem Campus" zur Chefsache des Kanzlers
erklärt worden sein. Inzwischen mahlen schon die Mühlen der
Verwaltung an einer Umsetzung.
Wesentliche Bestandteile dieses "Konzepts" sind
die feste Etablierung polizeilicher Kontrollen und Schikanen, die schon
in den Semesterferien gestartet wurden, ein zweiwöchiger
intensiver Einsatz von Zivilbullen, um eine "Grundreinigung"
vor allem in der Gegend der Bockenheimer Warte gegenüber der
sogenannten "Drogenszene" durchzuführen, die
Einzäunung der Grünanlagen hinter der Mensa mit
Drehtüren, die ab einem abendlichen Zeitpunkt nur noch als
Ausgang benutzbar sein sollen, sowie den "Rückbau von dunklen
Ecken" auf dem gesamten Campus. Für den Zaun allein ist bis
zum Frühjahr 98 "eine sechsstellige Summe" vorgesehen.
Dieses ordnungspolitische Vorpreschen ist einerseits
vor dem Hintergrund der in Staatspolitik und Medien forcierten
Sicherheitspanik zu begreifen und stellt an den bisherigen
universitären Verhältnissen gemessen ein Novum dar.
Andererseits haben diese Beschlüsse auch eine hausgemachte
Vorgeschichte, die weitere Verschärfungen schon seit langem
erwarten ließ.
Die Indienstnahme "schwarzer Sheriffs" auf dem
Uni- Gelände liegt nun schon einige Jahre zurück.
Studentischer Protest sorgte seinerzeit dafür, daß die
Kleiderordnung von schwarzer Uniformierung auf Zivil umgestellt wurde,
damit war dieses Thema in der studentischen Öffentlichkeit
fürs erste erledigt. Als im Sommer '95 der damals amtierende AStA
die damaligen BetreiberInnen des KoZ durch einen Polizeieinsatz
räumen ließ - schon zu dieser Zeit mit der Parole
"keine rechtsfreien Räume auf dem Campus" - wurde die
Gelegenheit genutzt, um gleich eine Reihe anderer unerwünschter
Gruppen aus dem Studihaus zu verdrängen.
Bei dieser Gelegenheit ließen es sich einige
Hochschulgruppen nicht nehmen, an der Konstruktion von weiteren
Bedrohungsszenarien auf dem Campus mitzubasteln und eine
Säuberung von "kriminellen Gestalten", die dort nichts
zu suchen hätten, einzufordern.
In die gleiche Kerbe schlugen die Parolen des
nachfolgenden Streiks der Angestellten des StW, die "Kriminelle,
Obdachlose, Junkies und Asylbewerber" als Gefahr für Leib und
Leben inszenierten.
Die aktuelle Forcierung von Repressions- und
Ausgrenzungspolitik wird demnach nicht von außen in die
Universität hereingetragen, sondern hat in der Etablierung von
rassistischen und anderen Ausgrenzungswünschen aus der
akademischen Community selbst ihre Entsprechung und Tradition.
Auch der aktuelle "Handlungsbedarf" wurde von
Vertretern hochschulpolitischer Gruppen mitherbeigeredet, die immer
wieder genau wissen, was von ihnen als angehenden PolitikerInnen
erwartet wird und die als brave Bürger die Hatz auf "die
anderen" eröffnen, indem sie ihren "subjektiven"
Sicherheits"empfindungen" freien Lauf lassen. So ist in der
Hochschulbeilage der FR vom 30.10. zu lesen, wie AStA-
Vorstandsmitglied Steffen Ehemann über "Gewaltexzesse von
Jugendgangs" berichtet, mit der Schlußfolgerung, daß
"man keine rechtsfreien Räume dulden kann. (...) Es gibt ein
Maß, wo es zuviel wird." Peter Maroldt von der AStA-
Autovermietung präsentiert sich im gleichen Artikel als besonderer
Kenner "der Szene". Er weiß von prügelnden
Drogenhändlern zu berichten, die Kunden der Autovermietung
abschrecken und wirft der Uni vor, kein "gescheites
Ordnungskonzept" hinzukriegen.
So wird im Zusammenspiel von Unileitung, Medien, Polizei
und Teilen des hochschulpolitischen Spektrums eine Segregationspolitik
realisiert, die ihr Äquivalent in einer Politik hat, welche die
Gruppen, die nicht mehr länger sozial integriert werden sollen,
als gefährlich für Ruhe und Ordnung des deutschen Alltags
inszeniert, um sie nurmehr als Sicherheits- und Kontrollproblem zu
behandeln.
Ein- und Ausschluß
In dieser Entwicklung wird nachvollzogen, was gesamtgesellschaftlich
schon länger auf der Tagesordnung steht. Die Sicherheitspanik wird
zur zentralen gemeinschafts- und konsensstiftenden Identität der
NormalbürgerInnen. Indem man sich gemeinsam über die
"uns alle" betreffenden Bedrohungen vergewissert, konstruiert
man das eigene Kollektiv, das an den Spaltungslinien Deutsche-
Nichtdeutsche, Bürger- Kriminelle, Drogendealer- AnwohnerInnen
"gefährliche Klassen" produziert. Ein "Wir"
-Gefühl, das sich also über eine Bestimmung des
"Anderen" schafft. Wenn z. B. einE AnwohnerIn beobachtet,
daß sich zwei Jungendliche "etwas übergeben", dann
funktioniert der eben beschriebene Mechanismus so, daß er/sie
nicht zwei Personen sieht, sondern zwei Exemplare der extrem
gefährlichen "ausländischen Drogenmafia". Wenn
gegen solche "Bedrohungen" gebetsmühlenartig der Einsatz
des Polizeiknüppels eingefordert wird, dann zeigt das deutlich
die autoritäre Verfaßtheit des Mehrheitsbewußtseins:
die Erleichterung durchs Nach-Unten-Treten.
Bemerkenswert daran ist, daß Ordnungspolitik,
Law&Order, die harte Linie gegen den inneren Feind,
herkömmlicherweise ein Thema war, das von schwer rechts bis ganz
rechts eingefordert wurde (so ungefähr von Dregger bis
Schönhuber). Welchen Stellenwert die Politik der inneren
Sicherheit mittlerweile für die Identität der BRD-
Gesellschaft hat, läßt sich auch daran ablesen, daß
diese Linie inzwischen quer durch die Parteienlandschaft vertreten wird
und auch in linksalternativen Milieus die Präventionsräte und
"runden Tische" aus dem Boden sprießen.
Was tun?
Gerade angesichts dieser ganz großen Koalition ist
eine
Vereinnahmung des studentischen Protests auch in dieser Richtung zu
befürchten. Wenn der Streik etwas anderes sein soll als die
Durchsetzung studentischer Standesinteressen im Rahmen einer durch Ein-
und Ausschlüsse konstituierten Gesellschaft, dann müssen sich
die Forderungen des Streiks zunächst offensiv gegen die aktuellen
Verschärfungen richten. Dies ist zwar keineswegs ausreichend, kann
aber zumindest in die aktuelle Entwicklung eingreifen, die
Sicherheitslogik zurückdrängen und den Beginn einer
allgemeinen Auseinandersetzung um Sicherheitswahn und
Ausgrenzungswünschen darstellen.
1. Der Campus muß offen für alle sein! Gegen die De-
Facto- Privatisierung von öffentlichen Räumen und
rassistische Kontrollen!
2. Kein Abriegelungszaun!
3. Gegen den Einsatz von Polizei - uniformiert oder in Zivil - auf dem
Campusgelände! Gegen private Sicherheitsdienste!
4. Gegenüber der allgegenwärtigen rassistischen und
nationalistischen Hetze muß von studentischer Seite entschieden
Position bezogen werden!
AG "Streik mit Sicherheit"
|