Zerschlagt die Universität!
(diskus 1/78)
(...) Von Anfang an erstaunt der beschränkte Ansatz
der Kritik der technokratischen Hochschulreform. Es wird
unwillkürlich der Eindruck erweckt, als sei erst jetzt der Versuch
unternommen worden, die Hochschulen in das kapitalistische
Verwertungssystem zu integrieren, als sei die "Autonomie" der
Universität je Realität gewesen.
Gleichzeitig wird die reale gesellschaftliche Situation
der Hochschulen außer acht gelassen. Diese ist gekennzeichnet
u.a. durch einen massenhaften Ausbildungsbetrieb mit inhaltlicher und
formaler Reglementierung der Studiengänge, durch fehlende
berufliche Perspektiven und psychischen Streß/ Isolation, aber
auch durch teils latente, teils offene Unruhe, im neudeutschen
Sprachgebrauch oft als Sumpf bezeichnet.
Gerade unter diesem Aspekt sind Ordnungsrecht,
Aushöhlung der Verfaßten Studentenschaft und
Regelstudienzeit keine Randerscheinungen, sondern konstitutive Elemente
der repressiv-technokratischen Formierung der Hochschulen.
Doch wozu dient diese Hochschulreform, auf welchem
gesellschaftlichen Hintergrund ist sie entstanden, und welche
Interessen haben wir? Bis Ende der sechziger Jahre waren die sozialen
Selektionsmechanismen im Bildungssystem noch derart im Einklang mit den
sozialökonomischen Verhältnissen, daß Studieren
automatisch hieß, die soziale Stufenleiter emporklettern, einen
akademischen Abschluß erwerben gleichbedeutend war mit der
realistischen Aussicht, eine qualifizierte, sozial adäquate
Berufsposition zu erhalten. Damit war zugleich die ständige
Reproduktion einer gesellschaftlich funktionsfähigen Elite
gesichert. Selbstverständlich konnte auch zu dieser Zeit von einer
"Autonomie" der Universität keine Rede sein. Gegen was
hat wohl die Studentenbewegung von 1968 rebelliert!?
Der politische Charakter von Wissenschaft und Ausbildung
in den Hochschulen war durch die kapitalistische Gesellschaft schon
immer ebenso bestimmt wie konkrete Studieninhalte, deren
universitäre Vermittlungsformen und ihre einzelnen repressiven
Ausformungen. Auf diesem Hintergrund entsprach die Forderung
"Marx an die Uni" dem Willen vieler Studenten, sich nicht
länger als Elite für das kapitalistische System produzieren
zu lassen. Daß der Protest auch in seinen scheinbaren
Teilerfolgen letztlich mißlang, lag gerade an der
gesellschaftlichen und politischen Durchdringung der Hochschulen.
Deshalb hieß es ja auch "Kampf der bürgerlichen
Universität", "Kampf der bürgerlichen
Gesellschaft".
Einzig die Formen der gesellschaftlichen Durchdringung der
Hochschulen ändern sich mit der sozialökonomischen
Entwicklung des spätkapitalistischen Systems (Modifizierung der
Subsumtion unter das Verwertungssystem). Wenn "Autonomie"
jedoch nur der Begriff für bestimmte begrenzte wissenschaftliche
und institutionelle Freiräume ist, dann muß gesagt werden,
daß diese "Autonomie" ihre gesellschaftlich-
politischen Funktionen hatte, die heute weitgehend zu Dysfunktionen
geworden sind.
Die "Reformphase" der frühen siebziger
Jahre, in der die SPD die Erweiterung der Bildungschancen, also auch
die Chancen des Hochschulzugangs, propagierte, ließ das Modell
einer demokratischen und offenen Massenuniversität entstehen, in
der kritische Intellektuelle den Demokratisierungsprozeß der
Gesellschaft unterstützen sollten. Der große Wahlsieg der
SPD 1972 war Ausdruck einer verbreiteten und besonders von
Intellektuellen genährten Hoffnung, die BRD-Gesellschaft sei
für prinzipielle Reformen mit emanzipativer Perspektive offen. Als
sich seit 1974 eine permanente sozialökonomische Krise zu
etablieren begann, wurden die Vorstellungen von einer demokratischen
Massenbildung über Bord geworfen und durch quantitativ-
ökonomische Krisenargumentationen ersetzt.
Die Konsequenz waren die drastische Beschränkung des
Hochschulzugangs (Numerus clausus), inhaltliche Reglementierung von
Studiengängen und zunehmende Repression im gesamten Bildungssystem
(verstärkte Vorselektion). Der bisherige Höhepunkt dieser
Entwicklung schlug sich im Hochschurahmengesetz und in den Gesetzen der
Länder zur Anpassung and das HRG nieder. Allerdings wurden die
starken Beschränkungen des Hochschulzugangs wieder teilweise
aufgehoben, um das Arbeitslosenproblem zeitlich zu verschieben und zu
mildern.
Daß Quantität in Qualität umschlagen kann, wird
nirgends deutlicher als an der Misere des kapitalistischen
Bildungssystems. Nicht nur werden die ideologischen Begriffe wie
Freiheit der Wissenschaft, Chancengleichheit, sozialer Aufstieg etc.
durch die Realität der Hochschulen für viele auf zynische
Weise inhaltsleer, auch das quantitative Problem des akademischen
Arbeitsmarktes wird zunehmend unlösbar.
In dieser Situation hat die technokratische
Hochschulreform u.a. qua Studienreformkommission die Aufgabe, bestimmte
Lehrinhalte und Forschungsgegenstände zu eliminieren, dafür
andere festzuschreiben, Selektionsmechanismen funktionaler zu
gestalten, noch gezielter sozial angepaßte Fachidioten zu
produzieren, die Flexibilität akademischer Arbeitskräfte zu
erhöhen usw. Jeder einzelne Zweck, und es gibt noch viel mehr,
für den diese Hochschulreform von ihren Urhebern konzipiert ist,
läßt die immanente Widersprüchlichkeit schon erkennen,
wie sie in ihren Auswirkungen zutage treten wird.
Einzelwirkungen mit repressiver Tendenz werden kollidieren
mit den gesellschaftlichen und universitären Verhältnissen,
die gerade auch durch staatliche Maßnahmen mit hervorgerufen bzw.
verschärft werden. So werden z.B. angepaßte Fachidioten mit
bundeseinheitlichem Prüfungswissen sicher keine strahlenden
Berufsperspektiven haben, sondern allenfalls eine gut strukturierte
Reservearmee dequalifizierter akademischer Arbeitskräfte bilden
(jederzeit austauschbar). Desgleichen stößt die genormte
"Flexibilität" dieser Arbeitskräfte an die Grenze
der Erfordernisse auch kapitalistischer Berufsqualifikationen, die auf
bestimmter Ebene mehr verlangen als Paukwissen (siehe z.B.
"Kreativität", "Kontaktfreude",
"Menschenkenntnis", "Innovationsfähigkeit",
"Anpassungsvermögen an neue soziale Bedingungen", bed.
Selbständigkeit etc.).
Der Prozeß der Rationalisierung wird
auch vor dem akademischen Fachidioten nicht haltmachen. Ein
quintärer Sektor, auf den unsere Schmalspurstudniks dann
ausweichen und
Krupps¹
Rat zufolge sich neue Arbeitsplätze
erkämpfen könnten, ist leider nicht in Sicht. Auch die
Spekulation mit der "repressiven Befriedung" könnte sich
längerfristig als Schuß nach hinten erweisen. Denn
frustrierte Massenstudenten, die mit dem Diplom in der Hand vor dem
Arbeitsamt Schlange stehen, könnten sich ja unter gewissen
Umständen motzig gebärden und nicht bereit sein, auf den
nächsten Pillenknick zu warten.
Doch weder quantitativ-ökonomistische Argumentationen
(Studentenlawine, Unis zu teuer etc.) noch scheinbar qualitative wie
"Verbesserung der Berufschancen" bilden den entscheidenden
politischen Hintergrund der gegenwärtigen Hochschulreform.
Auch die spätkapitalistischen
Massenuniversitäten verkörpern im Bewußtsein
großer Teile der Bevölkerung - u.a. aus der Tradition der
bürgerlichen Bildungsideologie heraus - eine gesellschaftliche
Utopie.
Die Utopie von der Beschäftigung mit interessanten
Dingen ohne Stechuhr im Rücken, die Utopie von befreiender
Muße, ja die Utopie vom alltäglichen Faulenzen. Gerade das
Geschimpfe von Passanten bei Studentendemonstrationen - "Geht erst
mal was schaffen, Gesindel, faules!" - zeigt die Projektion
eigener Wünsche nach interessantem Müßiggang, nach
einem Leben in täglicher wirklicher Freiheit. Dabei wird die reale
Existenzweise der Studenten zwar verzerrt wahrgenommen und
reaktionär interpretiert, aber die Bedürfnisse sind
offensichtlich. Und gefährlich. Denn seitdem die Arbeiter- und
Kleinbürgerkinder an die Unis strömen, der gesellschaftliche
Wert der Diplome sinkt, das Sozialprestige von Akademikern entsprechend
abnimmt und auch Hochschulabsolventen arbeitslos werden, wird das
Universitätsstudium nicht mehr in dem selben Maß wie
früher als Privileg einer kleinen sozialen Elite angesehen.
Wenn immer mehr studieren, auch wenn sie nicht
versprechen, Einsteins, Hegels und sonstige Genies zu werden,
rückt die (real verzerrte) Utopie näher.
Angesichts der ständig wachsenden Freisetzung
gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit (hier: Freisetzung von
Arbeitskräften) kann solche Utopie unter Umständen eine reale
Kraft gewinnen, die zu einer potentiellen Gefahr für das System
werden könnte. Wie viele Jugendliche und Erwachsene, die jetzt
arbeitslos sind, wollen überhaupt noch 8 Stunden täglich
unter den gegenwärtigen Bedingungen arbeiten, wenn sie sehen,
daß auch ohne sie Waren im "Überfluß"
produziert werden!?
Um nicht gefährlich konkrete Fragen zur
gesellschaftlichen Arbeitsteilung (Hand- und Kopfarbeit), zur
Verteilung der Arbeit insgesamt und deren gesellschaftlichen Nutzen
massenhaft aufkommen zu lassen, muß darauf geachtet werden,
daß Lernen und Studieren in den Hochschulen nicht interessanter
aussieht als kapitalistische Durchschnittsarbeit.
Daher ist die Vernichtung der konkreten gesellschaftlichen
Utopie die Counterstrategie des Staates. Daher die Bestrebungen, die
Hochschulen den Mechanismen des Fabriksystems anzunähern. Der
dauernd öffentlich aufgetischte hinrnrissige Vergleich von
"Studienplätzen" mit "Arbeitsplätzen" ist
eine propagandistische Variante in dieser Richtung.
In dieser Situation zu sagen, die Linken müßten
die "Autonomie" der Hochschule wollen, "weil gute
politische und wissenschaftliche Arbeit nur am Arbeitsplatz (!) in der
Hochschule selbst stattfinden kann", ist zwar kühn, mutet
aber durch und durch mittelalterlich an. Die Bauernkriege liegen hinter
uns.
(...) Die zunehmende soziale Perspektivlosigkeit des
Studiums schlägt sich einerseits in verstärktem individuellem
Rückzug und Sich-allein-Durchboxen nieder, andererseits in
diffuser Unruhe unter den Studenten, die sozialen Aufstieg in dieser
Gesellschaft für sich entweder als Fiktion oder ihn bewußt
ablehnen.
Der größte Teil dieser Studenten begreift sich
als links oder linksradikal, wiewohl nicht verschwiegen werden soll,
daß es auch linksradikale Aufstiegschancen gibt. In den 10 Jahren
seit 1968 sind massenhaft Erfahrungen mit politischer und
wissenschaftlicher Arbeit an der Uni gemacht worden.
Die inhaltlichen und institutionellen Errungenschaften der
Studentenbewegung (Politökonomie, Imperialismustheorie etc.,
Tutorien, Arbeitsgruppen, Studienkollektive etc.,
Gremien"mitbestimmung" etc.) sind durch die gesellschaftliche
Entwicklung und die universitäre Praxis unterdessen derart
desavouiert und integriert worden, daß viele linke Studenten
entweder dem "linken" Seminarbetrieb (gilt vor allem für
die Geisteswissenschaften) den Rücken gekehrt oder ein total
instrumentelles und damit entpolitisiertes Verhältnis zur
universitären Theoriebildung und -vermittlung entwickelt haben.
Dazwischen schwimmt eine Masse von politisierten Studenten, die, von
dem akademischen Wissenschaftsbetrieb angewidert, aber ohne
alternative Lebens- und Arbeitsperspektive, auf diffuse Weise ihren
trotz aller Desillusionierung verbliebenen Interessen und
Ansprüchen hinterherjagen.
Die Masse der nichtlinken Studenten hat seit eh und je ein
instrumentelles Verhältnis zur Uni gehabt, das durch die
Berufserwartung und die damit verbundene soziale Position in der
Gesellschaft bestimmt war. Trotz der strukturellen Veränderungen
von Universität und Gesellschaft dürfte dieses
Verhältnis zur Uni sich nur durch wachsende Unsicherheit und
steigende Unzufriedenheit modifiziert haben.
(...)Wenn die Hochschulen in einen widersprüchlichen
Umstrukturierungsprozeß hineingetrieben werden, der als
gesellschaftliche Counterstrategie soziale Utopien vernichten,
fundamentaloppositionelle Gesellschaftskritik unterbinden,
universitäre Massenausbildung den veränderten
Kapitalverwertungsbedingungen anpassen, eine neue soziale Elite
hervorbringen und trotz aller Repression ein Mindestmaß an
politischer Legitimation aufrechterhalten soll, wenn die Hochschulen
also tendenziell den Strukturen des kapitalistischen Fabriksystems
angeglichen werden sollen, dann ist das Beharren auf der
"Autonomie" der Hochschule und die daraus folgende Strategie
politischen Widerstands unsinnig und falsch.
Dem gesellschaftlich widersprüchlichen Prozeß
der kapitalistischen Ökonomisierung der Hochschulen müssen
wir unsere eigenen Interessen und Vorstellungen entgegensetzen, wenn
wir nicht den objektiven Entwicklungen hilflos hinterherlaufen und
unsere Bedürfnisse und Utopien den herrschenden Technokraten
opfern wollen.
Die Krise an den Hochschulen, wie sie sich seit Jahren
entwickelt und verschärft, macht uns immer klarer, daß
unsere Forderungen nach sozialer Praxis, nach gesellschaftlich
befreiender und subjektiv befriedigender Wissenschaft in und mit dieser
Universität nicht zu erfüllen sind, auch nicht durch die
progressivste Reform! Solange die Hochschulen im Rahmen des
kapitalistischen Bildungssystems ihre Funktion halbwegs und
krisenbehaftet erfüllen, so lange werden wir an dieser Uni leiden.
Mehr oder weniger. Die Unreformierbarkeit dieser Universität ist
keine wissenschaftliche These, sondern massenhaft erfahrene
Realität.
"Wenn alle das Recht haben zu studieren, so
dürfte das Studium, da es aufhört, das Privileg einer Klasse
zu sein, auch kein Recht auf irgendein anderes Privileg beinhalten. Man
müßte dann akzeptieren, daß Akademiker mit der Hand
arbeiten, was dazu führte, daß nun die gesellschaftliche
Arbeitsteilung sowie jede Form der Hierarchisierung der Aufgaben in
Frage gestellt und abgelehnt wurden ... Weder ist sie (die
Universität, R.M.) funktional hinsichtlich der Forderungen der
kapitalistischen Wirtschaft, noch hinsichtlich der Forderungen jener,
die den Kapitalismus stürzen wollen; sie vermittelt weder eine
'nützliche Kultur', noch eine 'rebellische Kultur' ... Sie
vermittelt eine 'universitäre Kultur', das heißt eine von
jeder produktiven oder politisch aktiven Praxis entfernte Kultur ...
Es kann also nicht darum gehen, daß man die Universität
reformiert, man muß sie vielmehr zerstören..." (A.
Gorz, aus: Sozialistisches Jahrbuch 3, Berlin: Wagenbach 1971)
Der Kampf gegen die technokratische Hochschulreform
muß im Zusammenhang mit einem Kampf für die Zerstörung
der Universität gesehen werden. Nicht die
Studienreformkommissionen sind das Hauptübel, sondern die
Universitäten selbst, der solche Regelungen aufgestülpt
werden müssen, damit sie überhaupt noch einigermaßen
"effektiv" funktioniert.
Die Krise der Universität ist letztlich die Krise der
kapitalistischen Arbeitsteilung. Deshalb kann unser Ziel nur die
Aufhebung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und der sozialen
Hierarchie sein, was für uns konkret heißt: die Uni
zerschlagen.
Die Ökonomisierung der Massenuniversität
müssen wir als gesellschaftlichen Prozeß begreifen, der
punktuell und konkret die Trennung von Kopf- und Handarbeit als das
offensichtlich werden läßt, was sie tatsächlich ist:
Moment sozialer Herrschaft.
Deshalb ist nicht "Autonomie" unser Ziel,
sondern Öffnung der Hochschulen für jugendliche und
erwachsene Arbeitslose, Frauen, Ausländer, ja, für alle.
Zerschlagt die Universität: Befreit sie von ihrer
Funktion und Position innerhalb der gesellschaftlichen Organisation der
Arbeitsteilung!
Das heißt: Das Chaos vorantreiben, bis diese Uni
für Krupp & Co. endgültig unbrauchbar und unbeherrschbar
wird.
Das heißt: Nicht vergessen, was wir wollen.
Festhalten an der konkreten Utopie einer Gesellschaft, die
auf der Grundlage einer Produktion von Gebrauchswerten nur einen
"Sachzwang" kennt: Freiheit.
Es lebe die Hochschulguerilla!
Wir wollen alles.
Reinhard Mohr
¹ Gemeint ist Hans
Jürgen Krupp;, damals Universitätspräsident in
Frankfurt/M. <zurück zum Text>
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