Auch ich will ein Buch
(...) Der Streik wurde nicht begonnen mit dem
Gefühl, etwas ändern zu können, sondern hatte
anfänglich mehr Appellcharakter: auf die Misere wurde hingewiesen
und diejenigen, die diese Misere verschuldet haben, aufgefordert, die
Wünsche zu befriedigen.
Wunschzettelcharakter hatte gerade die Resolution, die auf
der Kongreßhallen- Vollversammlung verabschiedet wurde. Nachdem
der Abstimmungsmarathon beendet war, gingen alle mehr oder weniger
zufrieden nach Hause, niemand machte sich Gedanken, wie die
Forderungen durchgesetzt werden könnten. Das Argument, man
müsse sich überlegen, wie man durchsetzt, was man fordert,
kam eher von denen, die dadurch die Forderungen minimieren, nur
'Realistisches' fordern wollten.
Unmittelbarkeit contra Abstraktion
Hier sind wir an einer Konfliktlinie angelangt, die den
gesamten Streik durchzog: ist der Protest politisch oder unpolitisch,
will man nur mehr Mittel oder unterhält man sich auch über
Studieninhalte und Mitbestimmung. Gerieten die ersten Vollversammlungen
zu einer Deklaration des Mangels, so ist trotz des neuen Redens eine
Sprachlosigkeit nicht zu übersehen.
Vor allem die Vehemenz mußte erstaunen, mit der
anfänglich
an dieser Sprachlosigkeit sich geradezu festgeklammert wurde: jede
Kritik traf unverzüglich der Bann des Ideologievorwurfs. Die
hysterische Angst vor 'Instrumentalisierung' deutet einerseits darauf
hin, daß die Studenten 'selbst' und ohne 'Anleitung' etwas tun
wollten, andererseits wurde deutlich, daß bestimmte Dinge einfach
nicht mehr gehört werden wollten, unabhängig davon, ob sie
zutrafen oder nicht, die Studenten sich gegen Reflexion der eigenen
Situation sträubten. Wurde die allgemeine Stimmung 'wir wollen
Sachmittel, keine Politik' durch die Feststellung 'schon unsere
geringsten Forderungen sind politisch' zu überwinden versucht, so
endete dieser rethorische Erfolg in der alten Teilung in neuem Gewand:
'Politik muß sachlich sein, nicht ideologisch.' Verdächtig
ist jeder, der politische Erfahrung hat, jeder, der mit Begriffen
operiert und versucht, die Situation zu analysieren, allein
unverdächtig ist die Unmittelbarkeit. So wird jede Abstraktion zur
Ideologie gestempelt und lieber die Erscheinungswelt für das
genommen, was sie vorgibt zu sein.
Ist es nur Verblendung oder hat sich die Situation, in der
die Studenten heute stehen, tatsächlich verändert?
Die Massenuniversität und ihr Scheitern, der Verfall
der Bedeutung der Universität in der Gesellschaft (als Monopol der
Wissensproduktion und Produktion der gesellschaftlichen Elite) sowie
das Auseinanderfallen der Berufsbilder haben den Status des Studenten
mit zerstört.
War noch bis vor wenigen Jahren der Status als Student in
der Gesellschaft mit einem hohen Distinktionsgewinn versehen, wie
vermittelt auch immer (gerade in der BRD handelte es sich immer um eine
Mischung aus Bewunderung, die an das Faktum der sozialen Macht gebunden
war, und Ablehnung, die sich aus einem tief verwurzelten
Intellektuellenhaß speiste), so hat sich dies in den letzten
Jahren zunehmend gewandelt. Student- Sein findet in der Gesellschaft
keine Bestätigung mehr. Für viele hat sich das Student- Sein
selbst gewandelt: sie bleiben bei den Eltern wohnen, auch unter
Inkaufnahme langer Anfahrtswege. Universität kann dabei weniger
als Spiel- und Freiraum neuer sozialer Erfahrung begriffen werden, als
vielmehr in der Funktion und Verlängerung von Ausbildung.
Dies führt zu einer zunehmenden Distanz unter den
Studenten, denn soziale Bezüge werden nicht mehr über die Uni
hergestellt, sondern verbleiben am Heimatort.
Diejenigen, die einen eigenen Haushalt führen, sind
größtenteils dazu gezwungen, ihren Lebensunterhalt teilweise
oder vollständig selbst zu bestreiten. Das Jobben ist zwar eine
arge Belastung, verschafft jedoch andererseits Anerkennung, sei es auch
nur abstrakt in Form von Geld. Der Job verhilft zur
'Unabhängigkeit'. Man muß sich nicht mehr über das
Student- Sein definieren (dem immer auch so etwas wie Parasitentum
anhaftete) und das ja Anerkennung versagt, sondern gewinnt ein
vermeintliches Selbstbewußtsein über die Arbeit.
Man kann vorweisen, daß man niemandem allzusehr auf
der Tasche liegt und identifiziert sich lieber mit dem Belohnung
versprechenden Job, anstatt mit dem immer mehr zur Enttäuschung
werdenden Studium. Dabei kommt der Student ganz nebenbei dem nach
Flexibilisierung strebenden Arbeitsmarkt entgegen und wird ungewollt
zur Speerspitze einer Umwälzung der Lohn- und
Arbeitsverhältnisse insgesamt (Joachim Hirsch).
Mehr Bücher! Mehr Profs! Mehr Räume!
Der Student ist vielfältig einsetzbar, variabel,
unorganisiert und muckt am Arbeitsplatz nicht auf. Immer häufiger
wird das Studium nicht beendet und nach einigen Semestern direkt ins
Arbeitsleben gewechselt oder schon vor einem akademischen
Abschluß der Einzelne abgeworben und innerbetrieblich
weitergebildet.
Dies führt in beiden Fällen (bei den Eltern
wohnen und jobben) dazu, daß die Universität als
entscheidender Ort für einen bestimmten Lebensabschnitt für
die Individuen zunehmend unwichtig wird. Spielt sie keine zentrale
Rolle mehr im Leben der Studierenden, so ist es auch nicht mehr
zwingend, ihre Rolle in der Gesellschaft, ihre Selbstorganisation und
ihre Inhalte zu reflektieren. Vielmehr wird die Forderung an sie
herangetragen, den Anspruch auf Ausbildung zu erfüllen und da
stehen überfüllte Hörsäle einer erwünschten
Qualifikation allemal im Wege.
Aus dieser Perspektive macht die Forderung 'Mehr
Bücher! Mehr Profs! Mehr Räume!' durchaus Sinn, ohne die
Ausbildung selbst in Frage zu stellen.
Dies wird auch an dem Phänomen deutlich, daß es
gegen Reglementierungen nicht nur keinen Widerstand gibt, sondern diese
zum Teil heftig verteidigt werden. Als Beispiele wären die
Diskussionen um Zwischenprüfungen und vor allem um das
Mindesteinkommen anzuführen.
Beide Beispiele kann man wieder unter dem Begriff der
Anerkennung fassen. Ist die Frage der Zwischenprüfungen noch unter
dem Motto 'ohne Prüfungen schaff' ich nix' vordergründig
erklärt, so verbirgt sich dahinter doch ein starkes Bedürfnis
nach Anleitung, klar erkennbaren Strukturen und Einordnung. Der
Student, der sich in der Masse noch völlig nichtig vorkommt, ist
in der Prüfung plötzlich gefordert, kann sich als Subjekt
fühlen. Besteht er, so erfährt er Anerkennung, wenn auch nur
abstrakt in Form einer Note. Diese Anerkennung ist ihm im normalen
Vorlesungs- und Seminarbetrieb versagt. Es scheint der Eindruck
vorzuherrschen, daß ohne gesellschaftliche Anerkennung in Form
bestandener Prüfungen man kein Recht hat zu studieren.
Eine äußerst hitzige Debatte wurde
verschiedenenorts über die Forderung nach einem Mindesteinkommen
als Ersatz für das stark reduzierte und reglementierte Bafög
geführt. Die Argumente dagegen waren, es sei nicht finanzierbar
und es sei ungerecht, wenn Kinder von reichen Eltern genauso
unterstützt würden, wie Kinder von armen Eltern.
Die Frage warum Studierende überhaupt von ihren
Eltern abhängig sein sollten, wurde geflissentlich
überhört.
Was da im Gewande sozialer Gerechtigkeit daherkam,
entpuppte sich dann eher als Haltung 'niemand soll etwas kriegen, der's
nicht unbedingt braucht'. So war eine 'bessere' Anerkennung, 'sozialer
Schwachheit' durchaus im Sinne der Mehrheit, die weitere Gängelung
durch die Bürokratie blieb jedoch unhinterfragt.
Jenseits der Zuständigkeit der Eltern gilt nur noch
der Grundsatz 'kein Geld ohne Leistung', ohne zu fragen, ob studieren
nicht auch eine Leistung ist und entsprechend finanziert gehört.
Das Mindesteinkommen wäre die Abschaffung des Leistungsprinzips,
die Studenten möchten lieber gerüstet werden für den
Konkurrenzkampf von morgen.
Dies markiert einen Utopieverlust, die Vorstellung eines
besseren Lebens jenseits individueller Karrierezwänge oder
-gelüste. Ergebnis ist ein Sich-Abfinden oder gar Akzeptieren der
Wirklichkeit. (...)
Autoritäre Fixierung und bürokratischer Apparat
Für die in der konservativen Restauration
Aufgewachsenen werden die Bewegungsspielräume immer enger, die
durch die Aufbruchstimmung der späten 60er und frühen 70er
Jahre freigemacht wurden. Der größte Druck geht von der
Arbeitsmarktsituation aus, der absichtlich hoch gehaltenen
Arbeitslosenquote, die die Individuen in die Anpassung zwingt und zu
Bettlern um die eigene Lebensicherung degradiert, dazu auch dem
Wohnungsmarkt, der an leistungsstarken Kleinfamilien orientiert ist,
sozial Schwache, Ausländer und Studenten nahezu ausgrenzt und
letztere damit auch im Elternhaus festhält.
Die Sozialisation in eine ökonomische Angststimmung
hinein, bei gleichzeitig unbeschränkter Konsummöglichkeit,
hat dazu geführt, den Individuen jede grundsätzliche Kritik
an dieser Gesellschaft auszutreiben. Vielmehr führt diese zu
einem autoritären Verhalten, selbst oder gerade dort, wo keine
Autoritäten sichtbar werden bzw. zu einer autoritären
Fixierung dort, wo man sie zu finden glaubt. (...)
Aber vor allem die Selbstorganisation des Streiks macht
autoritäres Verhalten deutlich, jedoch in sehr
widersprüchlicher Weise. Die ganze Spontaneität des Streiks
erschöpfte sich in einer Kreuzungsbesetzung nach der ersten
Vollversammlung und vielleicht einigen kleineren Aktionen. Ansonsten
schafften sich die Studenten gleich zu Beginn einen bürokratischen
Apparat, der zeigt, daß Politik nur aus Fernsehen und
Sozialkundeunterricht bekannt ist. (...)
Autoritäres Verhalten im Streik heißt nicht
einmal, daß sich Autoritäten herausgebildet hätten, die
sich die Massen unterwarfen (das fand gerade nicht statt, deutet also
auf sein Gegenteil hin), sondern umgekehrt, daß Studenten
ständig auf der Suche waren, wer jetzt diese Funktion
übernehmen könnte. Nachdem sie es geschafft hatten, den
Studienbetrieb lahmzulegen, entmündigten sie sich sofort wieder,
weil sie ihre plötzlich erlangte Freiheit nicht zu nutzen
wußten.
Es mußte Ordnung geschaffen und diese mit allen
Mitteln bewahrt werden. Schließlich wurde die Ordnung wichtiger
als jede Selbstverständigung und hysterisch Selbstunterwerfung
gefordert und praktiziert.
Die Furcht, von irgendjemandem benutzt zu werden, der
Verzicht, auf vorhandene Institutionen wie z.B. den AStA
zurückzugreifen und die völlige Neuschaffung von Strukturen
scheinen andererseits darauf hinzudeuten, daß die Studenten
gerade nicht mehr nach dem autoritären Muster reagieren. Das
trifft sicher zu auf Strukturen, die formal demokratischer sind als die
gängigen, nicht jedoch für die Verhaltensunsicherheit
innerhalb dieser Strukturen. Inwieweit hierin eine Politisierung
stattgefunden hat, bleibt abzuwarten. (...)
Positiv ist sicher, daß die Anonymität sich
durch den Streik teilweise aufgehoben hat, die Erfahrung der
Vereinzelung aufgebrochen ist. Dies ist nicht nur die wichtigste
Erfahrung der an dem Streik beteiligten Individuen, sondern auch
grundlegend für die Schaffung von Kommunikationsstrukturen, der
Austausch-, Diskussions- und Handlungsmöglichkeit der einzelnen
untereinander. Die Stufe der Politisierung ist dadurch noch nicht
erreicht.
Vielleicht ist die Wahrnehmung der Möglichkeit von
Handeln ein wichtiger Effekt, eine veränderte Qualität
erreicht Politisierung allerdings erst dort, wo die Widersprüche
der Interessen und der Umgang der Herrschenden mit ihren Kritikern real
erfahren und erlitten wurden.
Gute Beispiele sind die magere bis falsche Darstellung
des Streiks in der Presse, was zu der Besetzung des Rundschau- Hauses
führte (die sogar Erfolg hatte, die Berichterstattung verbesserte
sich), der Besuch von Jurastudenten auf dem Weihnachtsmarkt, der ihnen
schlagartig klarmachte, wie wenig sich die Frankfurter Bürger
mitsamt ihrem Oberbeamten die Weihnachtslaune durch die Probleme der
angehenden Akademiker verderben lassen wollten oder der Ausschluß
von Studenten aus der live übertragenen ZDF-Talk Show in der
Alten Oper.
Überall dort wurde die Ablehnung durch die
Gesellschaft sichtbar, wohingegen der gängige Umgang mit den
Streikenden in Anbiederung bestand, Solidarität heuchelnd der
Interessenkonflikt unter den Tisch zu kehren versucht wurde.
Von der Euphorie zur Selbstüberschätzung
Größtenteils ist dies auch gelungen, weil die
Studenten ihren Protest nie ernst genug genommen haben. So konnte
(Unipräsident) Ring zwei Tage vor der Kongreßhallen-
Vollversammlung freimütig in der Presse erklären, man
müsse den Studenten ein Ventil geben und in der Tat, berauscht von
ihrer eigenen Massenhaftigkeit vergaßen sie ganz, für den
nötigen Druck zu sorgen, um neben viel Sympatie auch mal ein
bißchen Schrecken zu verbreiten.
Die Vermutung liegt nahe, daß im wesentlichen
völlig egal war, was auf der bald legendären Versammlung
abgestimmt wurde, wenn noch bloß ein öffenlichkeitswirksames
Papier verabschiedet war. Nach den Diskussionen und vor allem der
Nicht- Diskussion der Vorwochen war es durchaus verwunderlich, was da
am kritischen Auge und Ohr der Masse vorbei die Hände nach oben
fliegen ließ. Es ist anzunehmen, daß das Stimmvolk seine
eigene Resolution nicht ernst nahm.
Diese Art von PR-Aktion ist gerade das Gegenteil von
Politisierung. Es dient vielleicht für Geschichten, aber ansonsten
war der Effekt der, daß die Bewegung damit zu Ende ging, einfach
auch weil man danach nichts Großartigeres mehr inszenieren
konnte.
Die allgemeine Euphorie während der Streiktage war
relativ stumpf, der eigenen Situation sehr wenig bewußt. Sie war
eine Euphorie nur über sich selbst, verlor darüber den
Überblick und geriet zur Selbstüberschätzung. Der Streik
begann mit einem fast hysterischen Aktionismus, man hetzte von einer
Aktion zur anderen, von Veranstaltung zu Veranstaltung, von
Vollversammlung zu Vollversammlung. Es war, als wolle man sich jeden
Moment der Selbstbesinnung abschneiden aus Furcht, es könne schon
gleich wieder alles zu Ende sein.
Es ist sehr viel passiert, hat sich jedoch schnell
erschöpft. Jede Aktionsform hat sich während des Streiks
irgendwann totgelaufen, so blieb zum Ende hin nur noch Langeweile und
der Wunsch, der Streik möge doch bald zu Ende gehen.
Die Individuen haben sich zwar teilweise als Subjekte
wieder wahrgenommen, ihre Handlungen allerdings nicht bewußt
gesteuert, vielmehr dem Zwang ständiger Aktion unterworfen. Die
Gefahr ist, daß dies alles Episode bleibt, nicht mehr als den
Stellenwert eines Urlaubs vom Unialltag besitzt. Ein Rückfall von
der allgemeinen Euphorie in allgemeine Resignation wäre fatal.
Daran aber mißt sich, inwieweit eine Politisierung
im Streik stattgefunden hat.
Die Offenheit für eine Wiederaufnahme des Protestes
ist gewahrt worden. Ob sie genutzt werden kann, muß die Zukunft
erweisen.
Linke Liste 1989
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