"Immer verdrängt: Frau in der Stadt"?1
Feministische Stadtplanung und öffentlicher Raum

   Die "Sicherheit" von Frauen an öffentlichen Orten, in der Nacht, auf der Straße, etc. dient als wichtiges Argument zur Legitimierung von städtischen und privaten Kontrollen, Repressionsmaßnahmen und städtischen Umstrukturierungen. Auch ein Teil feministischer Forderungen, z.B. solche, die mehr Überschaubarkeit von Plätzen, Straßen und Haltestellen einfordern, lassen sich in diesen Diskurs einfügen und sollten daher kritisch hinterfragt werden. Hinzu kommt, daß der Frauenbewegung - zurecht - der Vorwurf gemacht wurde und wird, daß sie behauptet, für alle Frauen zu sprechen, die von ihr zum Ausdruck gebrachten "allgemeinen Frauenbedürfnisse" jedoch implizit die der weißen Mittelklassefrau sind und andere Unterdrückungsverhältnisse und Lebensrealitäten ausgrenzen oder unsichtbar machen. Von einer homogenen Identität "Frau" muß also Abstand genommen werden Dies bedeutet zugleich, daß erstens "Wir Frauen" als Kampfbegriff gegen eine patriarchal strukturierte Gesellschaft nicht die Basis antisexistisch orientierter Politikformen sein kann und zweitens feministische Unternehmungen begrenzt sind (und leicht zum Lobbyismus werden), wenn sie andere hierarchisierte Gesellschaftsstrukturen ausblenden.
   Die kritische Reformulierung feministischer Standpunkte kann allerdings auch nicht bedeuten, Gewalt gegen Frauen (die u.a. auch im öffentlichen Raum stattfindet) unter den Tisch fallen zu lassen. Die Unterdrückungsverhältnisse laufen auch entlang der Geschlechterlinie und finden ihren Ausdruck in realen sexistischen Gewalterfahrungen.
   Das Dilemma in dem sich praktische feministische Politik (wie auch Theorie) somit befindet, läßt sich wohl am einfachsten dadurch beschreiben, daß darüber, geschlechtsspezifische Lebensrealitäten und Gewalterfahrungen zum Ansatzpunkt für politisches Handeln zu machen, zugleich wieder gesellschaftlich vorstrukturierte Kategorien und Zuschreibungen reproduziert werden.
Exemplarisch wollen wir aus gegebenem aktuellen Anlaß auf die Diskussion um die "Sicherheit" auf dem Frankfurter Unicampus eingehen. Dabei geht es in diesem Artikel weniger darum, eine Kritik der Pläne von Univerwaltung und Polizei zu formulieren. Vielmehr soll die Frage gestellt werden, welche Positionen möglich sind und welche nicht, wenn sowohl patriarchalen Gewaltstrukturen, als auch Ausgrenzung, Rassismus und Sicherheitswahn im städtischen Raum entgegengetreten werden soll.

Wege

   Angsträume oder Bedrohungsräume heißen in der feministischen Diskussion jene Orte, die Frauen ungern durchschreiten. Tiefgaragen und Fußgängerunterführungen gelten als klassische Beispiele gebauter Gewalt gegen Frauen. Daß 90% sexistischer Gewalt im engsten Familien- und Bekanntenkreis stattfindet, wird zwar manchmal angemerkt, dennoch wird die Vorstellung von der Frau als (potentielles) Opfer besonders im öffentlichen Raum fixiert. Bedrohungsräume werden in diesem Zusammenhang durch folgende Kriterien klassifiziert: "dunkel, schlecht beleuchtet/ still, verlassen/ unübersichtlich wegen Ecken und Bepflanzung/ unangenehmes Publikum".2
   Für den Campus sind in dem von Unileitung und Ordnungsbehörden entwickelten Konzept zwei verschiedene Sicherheits-, bzw.Raumstrategien vorgesehen. Diese sind gewiß nicht "feministisch" inspiriert, stehen den Vorstellungen einer "frauengerechten Stadt" aber auch nicht entgegen.
   Die Grünanlage hinter dem Mensagebäude soll nachts gleich komplett abgesperrt werden. Sie ist so unübersichtlich und wer will es schon verantworten, all diese Bäume abzuhacken? So kommt dort auch keine Frau in Gefahr - außer sie macht sich kriminellerweise die Mühe, über den Zaun zu klettern. Tut sie das, wäre sie damit auch wieder "selbst schuld, falls etwas passiert".
   Der weitläufige (nachts angeblich menschenleere) Campus dagegen soll beleuchtet und überwacht werden. Das ist dann der richtige Weg für die Frau.
   Beachten sollte sie dabei bitte diesen Ratschlag, der dem Buch "Sicherheitstips für Frauen", einem Selbstverteidigungsratgeber, entnommen ist: "Lassen Sie sich nicht mit Alkohol- oder Drogenabhängigen ein. Vermeiden Sie Blickkontakt, und gehen sie schnell weiter."3 Eine andere Möglichkeit besteht allerdings darin, wie es bereits konzipiert ist, den Campus überhaupt erst menschenleerzu machen, indem die, die sich derzeit dort aufhalten, vertrieben werden.
   Die Bedrohung, die ein schlecht ausgeleuchteter Platz wie der Campus für (alle) Frauen darstellen soll, steht daher nur in einem scheinbaren Gegensatz zu anderen "Angsträumen", die bezüglich Frankfurt aus der Mediendiskussion hinreichend bekannt sein dürften: Das Bahnhofsviertel, die Konstablerwache und andere Orte (seit neuestem auch die Bockenheimer Warte) gelten darin als "gefährlich".

Büsche

   Ein Erfolg feministischer Bemühungen seit den 70er Jahren besteht sicher darin, zumindest in Teilen der Gesellschaft ein Verständnis dafür durchgesetzt zu haben, daß Frauen eine Berechtigung haben sich - sogar im berühmten Leichtfertigkeits-Minirock - im sogenannten öffentlichen Raum selbstständig zu bewegen und durch ein derartiges Verhalten nicht per se als "selbst schuld, falls ihnen was passiert" zu gelten. Eine andere Errungenschaft besteht darin, in den als "allgemein" verkündeten Politikkonzepten (wie u.a. auch in der Stadtplanung) den eingeschlechtlichen, männlichen Blick sichtbar zu machen und zu betonen, daß die Bedürfnisse von Frauen darin ausgeschlossen sind.
   Nimmt eine solche Politik jedoch institutionalisiertere Formen an, wie mit der Frauenbewegung Anfang der 80er Jahre geschehen, können Affinitäten und Anschlußfähigkeiten an den herrschenden Diskurs die Folge sein: Forderungen wie das Zurechtstutzen von Bäumen, Übersichtlichkeit von Plätzen und Straßen und gute Ausleuchtung in der Nacht, wie sie seit Mitte der 80er Jahren von feministischen Stadtplanerinnen gestellt werden4, schließen direkt an das Interesse staatlicher Ordnungshüter an.
   Um erstmal bei den Büschen zu bleiben, heißt es beispielsweise in dem Band "Sicherheit im öffentlichen Raum", der 1991 von FOPA (Feministische Organisation von Planerinnen und Architektinnen) herausgegeben wurde: "Die Anzahl der Eingänge und der Wege zu den Eingängen sind zu begrenzen. Der Eingang soll so dicht wie möglich an der Straße liegen. (...) Entlang der Wege zum Eingang sollen entweder Bäume oder Gras und niedrigwachsende Sträucher angepflanzt werden. Dadurch läßt sich gewährleisten, daß die Wege gut sichtbar und überschaubar sind." Parallelen zu den für den Campus vorgesehenen Maßnahmen (s. obenstehenden Artikel "Streik, Sicherheit und Einzäunungen") sind da leicht zu erkennen.
   Andere waren allerdings schon früher als die FOPA oder Uni-Kanzler Busch da. Um die Bekämpfung von Kleinkriminalität und Vandalismus zu erleichtern, forderte schon 1979 das BKA in der Studie "Städtebau und Kriminalität" beispielsweise, daß "Parkplätze (...)möglichst nicht mit Deckung bietenden Gebüschen gegliedert sein" sollten. Ging es im ersten (feministischen) Fall inhaltlich eigentlich um die Prävention von Gewalt gegen Frauen5 und im zweiten (polizeitechnischen) um die Begünstigung der Verbrechensbekämpfung, so lassen sich diese beiden Konzeptionen aktuell im Diskurs um Sicherheitskonzeptionen und Ausschluß verbinden.
   Nischen (hier städtebaulich: Buschwerk, dunkle Ecken, Hauseingänge,etc.) gelten in beiden Konzeptionen als Orte der Gefahr, des Verbrechens und des Unkontrollierten. Nischen sind aber auch Rückzugsräume und Orte der Subversion und dies an die Adresse der feministischen Stadtplanerinnen: Nicht alle Menschen, die gerne mal unbeobachtet sind, nicht alle Obdachlosen, nicht alle Menschen, die angesichts verstärkter "Uniformpräsenz" Ängste und Unwohlsein erleiden sind männlichen "Geschlechts". Die Vorstellungen von der "frauengerechten Stadt", die hell und übersichtlich sein soll, korrespondiert eben direkt mit den Vorstellungen anderer an Kontrolle und Überwachung interessierter Institutionen.

"Belebte" Orte

   Bei einem Treffen, das die Absicht verfolgte, sich gegen die Kontroll- und Vertreibungspläne hinsichtlich des Frankfurter Unicampus auszusprechen6 , kamen die zu Beginn des Artikels beschriebenen Schwierigkeiten wieder auf: Frauen sind "wirklich" gefährdet, es gibt "wirklich Ängste", einer (ein Mann in diesem Fall) "sei wirklich schon dreimal zusammengeschlagen worden". Grob läßt sich das Dilemma dieser Diskussion folgendermaßen umreißen: Wie lassen sich diese Probleme thematisieren, ohne damit zugleich in den Sicherheitswahn einzusteigen. Reale Gefahren, aber auch Ängste (die die Bewegungsfreiheit einschränken) könnten nicht einfach als konstruierte entlarvt und damit abgetan werden. Also sei es von Nöten, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Frauen, die im StudentInnenhaus wohnen, müssen gezwungenermaßen den Campus auch in der Nacht überqueren.
   Als konstruktiver Vorschlag tauchte auf besagtem Treffen die Idee auf, den Campus in der Nacht zu beleben, indem z.B. das KOZ nachtnächtlich geöffnet werde und dadurch mehr Leute präsent seien: soziale Kontrolle versus Kontrolle durch die Obrigkeit. An dieser Idee sind mehrere Punkte zu kritisieren: Nach der 1995 vom AStA angeforderten polizeilichen Räumung des damaligen BetreiberInnenkollektivs scheint klar, daß das KOZ in der derzeitigen Trägerstruktur für niemand der an diesem Treffen Beteiligten als Ort angesehen wurde, der "eigenen" Vorstellungen entspricht und dementsprechend genutzt werden könnte. Da es mit dem Vorschlag eines Nacht-KOZ nicht darum ging, sich dieses wieder anzueignen, bleibt als einziges Interesse an der "Belebungsidee" die Herstellung von "Sicherheit". Es gibt kein Interesse an der Struktur der Einrichtung, sondern nur daran, daß irgendwas los ist auf dem Campus? Aber es ist doch was los. Der Vorschlag impliziert, daß die Leute, die sich unter anderem auch auf dem Campus aufhalten, nicht die richtigen BeleberInnen seien, sondern - feministisch gesprochen - in die Kategorie des "unangenehmen Publikums" gehören.7 Eine solche Argumentation knüpft bruchlos an den herrschenden Ausschlußdiskurs an. Es ließe sich - in einer leichten Zitatumwandlung aus dem Zusammenhang der Innenstadtaktionen - die Frage stellen: was wollen "wir" eigentlich auf dem Campus - außer Sicherheit?
   Der Frankfurter Campus hatte bis vor nicht allzu langer Zeit zwei große Vorteile: Er war einerseits öffentlicher Ort, der allen Leuten zugänglich war und andererseits Nische (ganz ohne Büsche) und Rückzugsraum, da staatlich Uniformierte auf dem Gelände nur begrenzte Zugriffsmöglichkeiten hatten. Daran hat sich einiges geändert. Der Campus wird zunehmend "homogenisiert", d.h. daß sich Menschen, die als unerwünscht definiert werden, nicht mehr dort aufhalten sollen und ist damit nur noch einer begrenzten Öffentlichkeit zugänglich. Die Polizei dagegen erhält die Befugnis und den Auftrag zu kontrollieren und zu überwachen.
   Soziale Kontrolle - auch feministisch oder sonstwie inspirierte - bedeutet, v.a.D. wenn es sich um ein Projekt handelt, das stark an herrschende Ordnungsvorstellungen angelehnt und nicht durch eigene herrschaftskritische Positionen und Projekte gestützt ist, an diese Strukturen angebunden zu sein. Auch davon weiß das BKA schon länger. Im oben bereits zitierten Bericht heißt es: "Eine rechtsstaatliche unproblematische Stärkung oder Gewährleistung von informeller Sozialkontrolle ist nur dann vertretbar, wenn sie sich nicht jenseits, sondern in der Nähe und Hand in Hand mit den Trägern der formellen Sozialkontrolle entwickelt, und d.h. in Tuchfühlung mit der Polizei."8 Die werden wir so also nicht los.

antipat & Stadt


1 So übertitelt (ohne Fragezeichen) ist ein Artikel in der taz- Hamburg vom 11.03.1989, in dem thematisiert wird, daß sich "Stadtplanung (...) an ökonomischen Gesichtspunkten und männlichen Bedürfnissen" orientiere. <zurück zum Text>
2 "Gewalt - Ein Thema für die Stadt- und Landschaftsplanung", Arbeitsbericht, GhK Kassel 1993 <zurück zum Text>
3 Louise Rafkin, Sicherheitstips für Frauen, Stuttgart 1996, Originaltitel der us-amerikanischen Ausgabe: "Street Smarts" <zurück zum Text>
4 ...und sich ihrer eigenen Logik folgend auch weiterentwickeln und Maßnahmen wie Videoüberwachung oder Kontrollgänge durch staatliche und private Sicherheitsdienste nicht zurückweisen. <zurück zum Text>
5 Prävention nach der Logik "Wenn sich niemand verstecken kann, können Frauen nicht überfallen werden" - wo versteckt sich jedoch der männliche Aggressor in der "Privat"wohnung, in der der größte Anteil sexistischer Gewalt stattfindet? <zurück zum Text>
6 s. nochmals den Artikel "Streik, Sicherheit und Einzäunungen" <zurück zum Text>
7 s. die Kategoreien weiter oben aus "Gewalt.", GhK Kassel <zurück zum Text>
8 BKA-Bericht "Städtebau und Kriminalität" Wiesbaden, 1979, S.23 <zurück zum Text>



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