Laßt hundert hibisken blühen!
Es ist kaum zwei Wochen her, da meldete die Frankfurter
Rundschau, die
Polizei zeige sich entsetzt, daß die Frankfurter Bevölkerung
seit einiger Zeit Zivilfahnder z.T. erheblich bei der Arbeit behindert.
Erklären kann sie sich das nur als ein großes
Mißverständnis: Die BürgerInnen hätten die
Kampagne für Zivilcourage "Gewalt-Sehen-Helfen" einfach
falsch verstanden.
Da wird lamentiert über Passanten, die Polizisten
wüst
beschimpften, als diese mal wieder über die üblichen
Verdächtigen herfielen und das obwohl die Beamten nicht einmal
"über die Stränge" schlugen, wie ein Polizeisprecher
versicherte. Ein Blumenhändler jedoch ließ sich durch die
Alltäglichkeit solcher Vorgänge nicht beirren und schlug
einem Polizisten "mit der Faust ins Gesicht" (FR 21.11.97).
In Würdigung dieser beherzten Tat und zur
Erschließung
eines bisher offenbar sträflich vernachlässigten
LeserInnenpotentials ist der Titel dieser Zeitschrift entstanden.
Daß wir zu diesem Zweck nicht Enzian oder Usambara- Veilchen
wählten, verdankt sich der phonetischen ähnlichkeit des
"hibiskus" mit dem Namen einer Frankfurter StudentInnen-
Zeitung, die nunmehr seit vier Jahren nicht mehr erscheint. Doch dazu
später.
"Im Grunde will ich gar nicht schreiben...
Das Schreiben interessiert mich nur, sofern es sich als Instrument,
Taktik, Erhellung in einen wirklichen Kampf einfügt. Ich
möchte, daß meine Bücher so etwas wie Operationsmesser,
Molotowcocktails oder unterirdische Stollen sind und daß sie nach
dem Gebrauch verkohlen wie Feuerwerke." Michel Foucault
Die vorliegende Zeitung ist aus dem gegenwärtigen
Streik
heraus entstanden, die MacherInnen haben sich in verschiedenen Streik-
Arbeitsgruppen zusammengefunden. Gemeinsames Anliegen war es, eine
kritische Auseinandersetzung über Hochschule und Gesellschaft zu
initiieren, die im hektischen Treiben der Aktionen, Vollversammlungen
und Demonstrationen unseres zu kurz gekommen ist. Mit dieser Zeitung
wollen wir eine politische Diskussion führen, die Hochschule im
Kontext gesellschaftlicher Verhältnisse wahrnimmt und thematisiert.
Das Lamento über das "Versagen" der Regierungspolitik
oder das vergleichende Aufrechnen von Haushaltsposten
("Seminarleiter statt Eurofighter") jedoch vermeidet gerade
eine derartige Auseinandersetzung.
Theoretische Reflexion verstehen wir als Form einer
politischen Praxis, die Zeitung
insofern nicht als Forum kritischen ExpertInnentums, das
bescheidwisserisch den Studierenden wohlmeinende Ratschläge
erteilt. hibiskus ist als Beitrag zum laufenden Streik konzipiert und
unter entsprechend abenteuerlichen Bedingungen produziert worden.
Gleichwohl soll das Projekt über den Streik hinaus fortbestehen,
gerade weil eine kontinuierliche Diskussion angesichts der weitgehenden
"Geschichtslosigkeit" auch dieses Streiks nötig
erscheint.
hibiskus ist das Projekt einer Redaktion, die sich mit
ihrem Programm
auf die Tradition des diskus bezieht. Diese Tradition ist brüchig:
Der diskus wurde 1951 zunächst als "Frankfurter
Studentenzeitung" ins Leben gerufen; seitdem hat sich das Profil
der Zeitschrift entsprechend der politischen Konjunkturen stark
verändert: Von der gediegenen, etwas miefigen Gazette der Adenauer-
ära über das Organ der "Massenagitation" in den
70ern bis zur letzten Phase Anfang der Neunziger, als der diskus im
Zusammenhang mit den Wohlfahrtsausschüssen neuen Aufwind bekam.
Insofern wäre ein Bezug auf eine einheitliche diskus-
Tradition mehr
als schwierig. Dennoch: Aufnehmen wollen wir die Idee, eine hochschul-
und gesellschaftskritische studentische Zeitschrift unabhängig und
selbstbestimmt zu gestalten.
Die Umständlichkeiten, die wir mit dem Titel
veranstalten, sind
nicht nur den Liebesgrüßen an die FloristInnen aller
Länder geschuldet, sondern haben etwas mit den juristischen
Gepflogenheiten zu tun, die einen diskus erst zum diskus machen: Die
HerausgeberInnenschaft wird vom Studierendenparlament gewählt, und
der Name ist geschützt.
Wie erwähnt, stellt die Zeitschrift den Versuch dar,
Positionen in
den gegenwärtigen Streik einzubringen, die über die
vorherrschende Forderungsebene hinausgehen. Hier eine kurze
Übersicht über die Texte in diesem hibiskus mit dem
Schwerpunkt Hochschule und Streik.
Im Artikel der AG Französische Verhältnisse II
werden die
Forderungen, die von der Mehrzahl der Streikenden artikuliert wurden,
kritisch diskutiert und deren Kompatibilität mit der herrschenden
Politik aufgezeigt. Anschliessend dokumentieren wir zwei ältere
Beiträge: Der eine beschäftigt sich mit den Streikformen der
Studierenden während der Proteste im Wintersemester 1988/89. Der
andere wurde bereits 1978 diskus veröffentlicht und thematisiert
unter anderem die Widersprüchlichkeit einer auf der
Autonomieforderung basierenden Hochschulkritik.
Joachim Hirsch skizziert anläßlich der aktuellen
bundesweiten Proteste gegen die "Hochschulmisere" die
Reformunfähigkeit der modernen Hochschule und den Einzug
neoliberaler Strategien in die Bildungspolitik.
Die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes wurde im
Rahmen des Streiks
immer wieder erwähnt. In einem kurzen Aufsatz stellen wir die
zentralen Reformvorschläge von Bund und Ländern vor. Wer sich
diese konkreten Änderungspläne im Detail anschaut, muß
sich spätestens dann über die Verbrüderungsabsichten von
PolitikerInnen wundern.
Aus diskursanalytischer Perspektive untersucht Thomas
Höhne die
vielzitierte Roman Herzog-Rede und fragt, ob nicht der Gehalt von
Bildung durch einen Blick "von unten" auf die
"Mikrophysik" des Bildungssystems anders gefüllt werden
könnte.
Als in der diesjährigen Frühjahrsausgabe des
Fachschaftsinfos
(FB 03) die AG "Streikt am Turm" von den Möglichkeiten
schwärmte, die die Blockade von Lehrgebäuden, insbesondere des
AfE-Turms, eröffnet, war nicht abzusehen, daß im Zuge des
aktuellen uniweiten Streiks die Blockade zu einer der wichigsten
Aktionsformen werden ürde. Das Plädoyer für die
"Blockade an sich" legt die Betonung dabei auf die Bedeutung
der "Ereigniskonstruktion".
Der Artikel zur "Sicherheit auf dem Campus"
verweist auf die
nahezu bruchlose Fortsetzung der verschärften Sicherheitspolitik
mit ihren Ein- und Ausschlußverfahren auf dem Terrain der
Universität. Der Text macht deutlich, daß die
Universität als Staatsapparat an diesen Prozessen keineswegs
unbeteiligt ist.
In einem ähnlichen Kontext steht der Aufsatz
"Immer
verdrängt: Frau in der Stadt". Da sich auch ein Teil der
innerhalb der feministischen Bewegung formulierten Forderungen in den
Sicherheitsdiskurs integrieren läßt, setzt sich dieser Text
mit der Frage auseinander, wie reale Gefahren und ängste von Frauen
benannt werden können, ohne damit den Sicherheitswahn zu
legitimieren.
In "Party & Politics" wird das konventionelle
Verständnis von Politik als bierernster Sache auf der einen Seite,
Spaß als apolitischer Veranstaltung auf der anderen Seite, in
Frage gestellt.
Der Hinweis, die Hochschulkrise stehe in einem
gesellschaftlichen
Kontext ist so richtig wie abstrakt. Der Begriff des Neoliberalismus
wird allzu häufig schlagwortartig gebraucht. In
"Neoliberalismus: Weder apokalyptisches Untier noch
Papiertiger" werden zum einen Bedingungen neoliberaler Politik
beschrieben, zum anderen auf die Möglichkeiten und Gefahren
verwiesen, die für linke Positionen durch das Brüchigwerden
des neoliberalen Projekts entstehen.
Wir laden ein zur Heftkritik am Mittwoch 17.12.1997
um 19 Uhr im Club Voltaire, Kleine Hochstraße 5 (U6/U7)
Redaktion hibiskus (Initiative diskus)
Für die finanzielle Unterstützung danken
wir dem Fachschaftenplenum des Streiks 1993/94.
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