Proteste gegen die Umstrukturierung der Hochschulen gibt es nicht
erst seit heute. Schon das Hochschulrahmengesetz (HRG) von 1971 wurde
als Entdemokratisierung und Zentralisierung der Bildungsplanung sowie
als Versuch, die Hochschulen den Rationalisierungsbedürfnissen des
Kapitals zu unterwerfen, kritisiert.
In der technokratischen Bildungsoffensive wurde die Kritik der
Studentenrevolte von 1968 am Bildungssystem aufgegriffen und gegen sie
gekehrt. Die "tödliche" Umarmung wird dadurch
möglich, daß die Forderungen, die in den Protesten
artikuliert werden, in den hegemonialen Diskurs eingebunden und damit
ihrer ursprünglichen Intention beraubt werden. Solche
Retorsionsprozesse gilt es zu reflektieren, sollen nicht die Proteste
an der Überlastung der Hochschulen mit der Einführung von
Studiengebühren beantwortet werden.
Daß dies passieren kann hat auch mit der immer wieder beklagten
Geschichtslosigkeit der zyklisch wiederkehrenden studentischen Proteste
zu tun. Die Studierenden erwerben ihr hochschulpolitisches Wissen stets
aufs Neue und greifen kaum auf die Erfahrungen der vorhergegangenen
Streiks zurück: Ein Wissen um die Kontinuität der nun drei
Jahrzehnte andauernden Umstrukturierungen an den
Massenuniversitäten ist praktisch nicht existent.
Schon "Ende der siebziger Jahre wurde an der Frankfurter
Universität zwar regelmäßig gestreikt, jedoch gerade
die Regelmäßigkeit ließ diese Aktionen irgendwann zur
Farce werden." (Darmstädter in diskus 1/90)
Der (redaktionell stark gekürzte) Text der Linken Liste
"Auch ich will ein Buch" dokumentiert dies für die
Proteste Ende der Achtziger: Zehn Jahre danach hat sich an den
Forderungen, den Praxisformen und der Kritik kaum etwas geändert.
Die Analyse der damaligen Proteste hat eine erstaunliche
Aktualität. So stand die Beschränkung auf die Forderung nach
Sachmitteln auch schon im Streik von 1988/89 im Vordergrund; die
AutorInnen führen dies v.a. auf die veränderte
gesellschaftliche Situation der Studierenden zurück. Durch den
Statusverlust und die verschärfte soziale Lage wird das Studium
seit den Achtziger Jahren immer weniger als ein Freiraum genutzt.
Für die Mehrzahl der Studierenden ist die Hochschule vor allem
eine Ausbildungsstätte und die Forderung nach "Mehr Geld,
mehr Profs, mehr Räumen" insofern folgerichtig. Eine Kritik
der studentischen Proteste hätte dies zu reflektieren, statt den
Protestierenden abstrakt ihre mangelnde Radikalität vorzuwerfen.
Der Utopieverlust, der sich spätestens in dem Streik 1988/89
bemerkbar macht, scheint aber auch eine Folge der
Umstrukturierungsprozesse innerhalb der Massenhochschulen zu sein.
Auch wenn die herrschaftstheoretischen Zuspitzungen
("counterstrategie") in Reinhard Mohrs Text von 1978
fragwürdig erscheinen, die repressiv-technokratische Formierung
der Hochschulen hat so oder so dazu beigetragen, daß sie zwanzig
Jahre später kaum mehr als ein Ort angesehen werden können,
der eine reale Utopie transportiert.
Der damals von Mohr gegen den "beschränkte(n) Ansatz der
Kritik der technokratischen Hochschulreform" gerichtete Vorwurf,
die Universität werde nicht als Teil der kapitalistischen
Gesellschaft betrachtet, kann auch gegen die aktuellen Proteste erhoben
werden.
Sein Text macht deutlich, daß die Forderung nach der umfassenden
Demokratisierung der Hochschule widersprüchlich bleibt, solange
die gesellschaftliche Arbeitsteilung, auf der sie beruht,
weiterbesteht.
(Red.)
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