Heft 4/98

Editorial

»Sicher gibt es eine genetische Veranlagung für Homosexualität. Aber wenn Mann eine wunderschöne Frau kennenlernt, kann alles auch ganz anders ausgehen.«
So oder so ähnlich H. G. Gassen,
wissenschaftlicher Berater der
Gen-Welten-Ausstellung, früh morgens auf hr3


Frau hört, es tagen Ethikkommissionen; einschlägige Magazine preisen die Entdeckung des Legasthenie-Gens und das Thema Klonen inspiriert die satirischen Geister zu bizarren Foto-Montagen. Solches sind die Ereignisse, an denen sich die öffentlichen Debatten über Sinn, Nutzen und Gefahren von Gentechnologien aufhängen. Ist die G-Tomate wirklich lecker, wird die Schöpfung gekränkt und, nun mal Hand auf's Herz, ist Dolly ethisch korrekt? So groß die Dokumentationsseite in der Frankfurter Rundschau auch aufgemacht sein mag - die öffentliche Debatte erfaßt den Komplex Gentechnologie nur höchst selektiv und zwar meist nach der Regel der »ethischen Skandalisierbarkeit«.  Die Prophezeihung, Krebs heilen zu werden, mag zwar für die Akzeptanzbeschaffung von Gentechnologie in der »Gesellschaft« durchaus relevant sein. Die Durchsetzung bestimmter Forschungsrichtungen realisiert sich aber jenseits des zivilgesellschaftlichen Disputierens zentral in den Kooperationen von Ministerien, konzerneigener Forschung und entsprechend ausgestatteten Instituten und nicht zuletzt in der wissenschaftlichen Alltagspraxis.  In den Labors haben sich längst funktionstüchtige Produktionsroutinen etabliert, dort werden wissenschaftliche »Durchbrüche« registriert und wird über die weitere Entwicklung entschieden. (siehe hierzu auch »Ein runder Tisch ...«)

Sofern man kritische Positionierungen zum Thema Gentechnologie von linker Seite ausmachen kann, sind diese meist recht eindeutig: Gentec als die Technologie der Konzerne, als »Risikotechnologie« und als Mittel optimierter Normierungs-Kontroll-Politiken. Politisch ist solche Ablehnung von und Widerstand gegen Gentec unter den gegenwärtigen Verhältnissen angebracht. Es läßt sich schlicht argumentieren, daß Gentechnologie vorrangig ein Profitgeschäft ist, (weltweite) ökonomische Abhängigkeiten eher verschärfen wird und die Ausbeutung und Zurichtung der Leute als Arbeitskraft zu intensivieren droht. Gleichwohl ist ein merkwürdiges Defizit konstatierbar, was eingehendere Auseinandersetzungen betrifft. Das hat unseres Erachtens durchaus damit zu tun, daß man sich bei genauerer Analyse des Feldes Gentec unversehens vor einige Probleme gestellt sieht. Hierfür ein paar Beispiele:

Je genauer man sich mit dem Thema Gentec beschäftigt, umso schwerer über- und durchschaubar wird das Feld. Schon die Fülle spezialisierter Teilbereiche wie Medizin, Repro, Agrar- und Lebensmittelindustrie, Humangenetik, etc., läßt vermuten, daß sich die einzelnen Bereiche im Hinblick auf ihre Problematiken, ihren Forschungsstand, ihre institutionelle Positionierung und Förderung, also auch ihrer »Zukunftsfähigkeit« stark unterscheiden. Stärker noch als in anderen Bereichen ist es in diesem Feld hochspezialisierten Wissens nicht nur schwierig, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was gemacht wird, sondern auch das wie entzieht sich meist dem Wissen/Verständnis von Nicht-ExpertInnen. Das macht die Strategie eines kritischen Gegendiskurses voraussetzungsreich, schwierig und anstrengend. So sehr die Verfügung über kritisches Wissen punktuell hilfreich sein mag, so sehr läuft eine solche Strategie aber Gefahr, Bescheidwissen zum notwendigen Ticket  »legitimer« Kritik zu machen und damit die ganze Debatte gegen Einwände von »Außen« zu immunisieren.

Die Pränataldiagnostik (siehe Reproduktionstechnologie ...) verspricht, schon vor der Geburt als solche definierte »Defizite« und »Gefahren« identifizieren und vermeiden zu können. Was sich populistisch als erweiterte Entscheidungs- und damit Freiheitsspielräume für die »Beteiligten« ausgibt, ist als neue Variante, »Wertigkeiten« von Leben zu bemesssen, rigoros zu kritisieren. Was aber sind die Kriterien, anhand derer man einen Zugriff verhindern will? Sicher die darin enthaltenen Definitionen von »unwertem Leben«, die ermöglichte Selektion desselben und die Ideologie der vermeintlichen Wahlfreiheit. Eine Ablehnung der Pränataldiagnostik bedeutet aber möglicherweise, den »natürlichen Ablauf« einer Schwangerschaft zu verteidigen und damit die Grenze des Zugriffs genau dort zu errichten, wo dies auch die Lebensschutzfraktion tut.

Eine weit verbreitete Tendenz ist es, das Übel und die Gefahren der Gentec in zukünftigen Schreckensszenarien auszumalen; alles droht nach Belieben normier- und manipulierbar zu werden. Eine solchermaßen argumentierende Kritik findet sich jedoch ganz schnell in der Falle des Gen-Determinismus; denn sie gibt dem Glauben an die determinierende Macht der Gene eher recht, als daß dieser wirkungsvoll destruiert würde. Daß andererseits die gerne vermeldeten »Entdeckungen« etwaiger  Lasterhaftigkeitsgene die offensive Verbreitung von Lügen darstellt, gehört wohl eher selbstverständlich zum linken common sense. Jenseits solch offenkundiger Blödheiten findet frau sich aber ganz schnell mitten in der Diskussion darüber wieder, wofür die Gene denn nun »eigentlich« verantwortlich sind und wofür nicht. Alkoholismus? Quatsch. Die identische Vorliebe für Parkbänke bei eineiigen Zwillingen? Auch nicht. Die optische Ähnlichkeit der Beiden? Na ja ... vielleicht ... in gewisser Hinsicht.  Der Versuch auf solche Fragen letztgültige Antworten zu finden, scheint nicht nur wenig erfolgversprechend; mehr noch tendiert er dazu, seinerseits die »wirkliche« Trennungslinie zwischen dem Sozialen und dem Natürlichen finden zu wollen. Jenseits der Frage, was denn nun der Natur gemäß sei und deshalb in technischen Verfahren auch »erfolgreich funktioniert«, sind Genetik und Gentechnologie als ein Wahrheitsprogramm anzusehen, in dem Vorstellungen von Natur und technischen Machbarkeiten als Wahrheiten gesellschaftlich durchgesetzt werden (siehe Risiken und Nebenwirkungen). Der Maßstab, sich gegen Gentec zu wenden, kann nicht der »Schutz der Natur« vor den rabiaten Eingriffen der Gentechnologie sein (zumal solche Kritikmuster immer ganz dicht bei konservativen Bewahrungsambitionen stehen); vielmehr geht es um die »Eingriffe ins Soziale«, d.h. beispielsweise die naturalisierende Begründung oder Festschreibung sozialer Verhältnisse. Teil einer subversiven Wahrheitspolitik, die sich gegen den Boom biotechnologischer Annahmen richtet, wäre es demnach, die Definitionen und Verfahren der Gentechnologie als (wissens-)politische Entscheidungen kenntlich zu machen und in ihren (ideologischen und materiellen) Machteffekten zu kritisieren.

Eine Diskussion darüber, ob Gentechnologie, richtig eingesetzt, nicht auch Chancen bieten könnte, bleibt abstrakt und irreführend. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ... Genetik ist weder neutrales Wissen oder beliebig nutzbare Technik, noch läßt sich davon absehen, von welchen Interessen und Zwecken sie gesellschaftlich bestimmt ist. Gentec ist daran zu messen und zu kritisieren, welches Wissen sie derzeitig konkret erzeugt und verbreitet, und an den Anwendungen, die sie (potentiell) zeitigt. DIE ZEIT meldete jüngst, daß die Leute in den weißen Kitteln nun daran gehen, eine »Ethnobombe« zu entwicklen, die die biotechnologische Bekämpfung von »Stämmen und Völkern« mit unterschiedenem Genpool ermöglichen soll.

Außerdem: Der Artikel Wie man eine neutrale, dienende Haltung einnimmt beschäftigt sich mit den seit langem andauernden Auseinandersetzungen um das politische Mandat der Verfaßten Studierendenschaft. Mit diesem Text unterstützt der diskus auch die Kampagne »FÜR das politische Mandat« und eine derzeit in an der FU-Berlin stattfindende Veranstaltungsreihe zum Thema.

Das Interview mit Alfred Jachman zum IG-Farbenhaus (Das Haus, die Tafel, der Umzug) wurde anläßlich des Treffens von Überlebenden des Konzentrationslagers Buna/Monowitz geführt, das im Oktober in Frankfurt stattfand. Mit dem Interview beginnen wir eine Serie, die sich in den folgenden Heften mit der Geschichte des Gebäudes, der Be-, Auf-, Ver- und Abarbeitung deutscher Vergangenheit und dem Umzug der Universität Frankfurt dorthin auseinandersetzen wird.

Die Berliner Gruppe fels organisiert für den März nächsten Jahres eine Veranstaltung zum Thema »Existenzgeld«, die auch vom diskus mitgetragen wird. Nicht nur als Vorausschau finden sich in diesem Heft die Texte Arbeit - welche Arbeit? und Der garantierte Lohn/Die Verkürzung der Arbeitszeit. 

Die diskus-DNA


Release-Party: Donnerstag, 10. 12. 1998,  Parkhaus, Junghofstr. 14, 21 Uhr

Öffentliche Heftkritik: Mittwoch, 13. 1. 1999, Raum 106 im Studierendenhaus, 19.30 Uhr