Heft 4/98

Reproduktionstechnologie, Pränataldiagnostik und genetische Checks


Nach einer künstlichen Befruchtung - in vitro, also außerhalb des Körpers der Frau - kam 1978 das erste Kind aus der Retorte in Großbritannien zur Welt. Damals verstand man unter Fortpflanzungstechnologien fast ausschließlich die In-vitro-Feritilisation. Seitdem hat sich einiges in diesem Bereich getan. Nicht nur die Techniken werden immer vielfältiger, sondern die Reproduktionsmedizin wirkt sich zunehmend auch auf gesellschaftliche Vorstellungen über Fortpflanzung aus. So wandelte sich auch das Verständnis darüber, was »biologische Elternschaft« ist. Zu Vokabeln wie Spermien, Eizellen, Befruchtung oder Geburt kamen neue Begriffe wie Leihmutterschaft, Embryonentransfer oder Eizellenspende hinzu. Einige Techniken, wie eben die In-vitro-Fertilisation oder Methoden der pränatalen Diagnostik, finden zwischenzeitlich breite Anwendung. Andere, wie die Präimplantationsdiagnostik, stehen kurz vor der Anwendung und werden in den nächsten Jahrzehnten nochmals zusätzliche rechtliche und ethische Probleme aufwerfen.


Künstliche Befruchtung

Die In-vitro-Fertilisation (IVF) erfährt als vermeintliche Lösungsstrategie gegen Unfruchtbarkeit breite Akzeptanz. So nehmen inzwischen rund 100.000 deutsche Paare jährlich die Angebote der IVF wahr.1 Problematisch ist nicht nur die seit der Entwicklung der IVF kaum veränderte hohe Mißerfolgsrate, die immer noch bei rund 90 Prozent liegt.2 Diese Zahl zeigt, daß die IVF zur Routine geworden ist, obwohl sie immer noch ein experimentelles Verfahren an Frauen ist. Weiterhin sind neben den physischen auch die psychischen Belastungen - durch die Hormongaben und den operativen Eingriff bei der Eizellentnahme - erheblich.3 Die Auswirkungen, die ein Scheitern der Behandlung auf Frauen hat, sind kaum Gegenstand der Diskussion. Indem sich Medizin und Forschung auf die Technisierung der Zeugung konzentrieren, wird auch die Suche nach alternativen Behandlungsmethoden von Unfruchtbarkeit verhindert.


Vorgeburtliche Diagnostik

Methoden der vorgeburtlichen Diagnostik, wie die Ultraschalluntersuchung oder die Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung), sind in der Schwangerschaftsvorsorge Routine geworden. Mit der Ausweitung der vorgeburtlichen Diagnostik auf genetische Tests ist eine Verknüpfung zwischen Reproduktionstechnologie und Gentechnologie vollzogen worden. Noch stärker als bisher können Bedingungen an die »Qualität« des ungeborenen Kindes gestellt werden. Auf die Frage: »Würden Sie abtreiben, wenn bei dem Embryo eine Veranlagung zur Fettleibigkeit festgestellt würde?« antworteten immerhin 20 Prozent der Befragten mit »Ja«.4

Vorgeburtliche Gentests tragen nicht nur zur Ausweitung von Untersuchungen bei, sondern je mehr krankheitsverursachende genetische Defekte »entdeckt « werden, desto breiter wird auch das Spektrum der pränatalen Gen-Diagnostik selbst. Die genetischen Checks implizieren, daß Krankheit und Behinderung etwas Vermeidbares und/oder zu Vermeidendes seien. Wird ein »genetischer Defekt« diagnostiziert, so bleibt den Frauen und ihren PartnerInnen letztlich nur noch die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch, da es für die meisten durch Pränataldiagnostik vorausgesagten Krankheiten keine Therapiemöglichkeiten gibt.

Angesichts einer gesundheitspolitischen Entwicklung, die vorrangig von ökonomischen Erwägungen geleitet ist, wird zunehmend eine Diskussion um »Lebensqualität« geführt und die eugenischen Implikationen einer selektiven Diagnostik werden immer deutlicher. Frauen sehen sich schon heute in der Pflicht, sämtliche vorgeburtlichen Untersuchungsmöglichkeiten auszuschöpfen, um die Geburt eines behinderten oder kranken Kindes auszuschließen.5 Der gesellschaftliche Druck, dem Frauen nach einer diagnostizierten Behinderung ihres Kindes hinsichtlich der Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch ausgesetzt sind, ist groß. So gab es in den USA bereits Fälle, in denen bei einer positiven Diagnose den Eltern der Zugang zu einer Versicherung verweigert wurde. Auch hierzulande sehen sich Frauen u.a. von ihrem sozialen Umfeld gedrängt, alle Möglichkeiten der Pränataldiagnostik auszuschöpfen. Schwangere Frauen befinden sich in einer Streßsituation, in der sie sich zudem einer gesamtgesellschaftlichen Stimmung ausgesetzt sehen, in der eine »Eugenik von unten« mitschwingt. Es fehlt eine psychosoziale nicht-direktive Beratung, die vor einem Test die damit verbundenen Risiken und die möglichen Konsequenzen des Wissens eingehend behandelt. Fraglich ist, ob GynäkologInnen diese Betreuung und Beratung anbieten können. Denn diese befinden sich spätestens nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Ende letzten Jahres in einer Konfliktsituation. Demnach können ÄrztInnen auf Schadensersatz verklagt werden, wenn sie nicht umfassend über pränataldiagnostische Methoden und Abbruchmöglichkeiten beraten haben oder ein nichterwünschtes Kind einen Schwangerschaftsabbruch überlebt.6 Es gibt bisher nur sehr wenige Beratungsstellen, wie zum Beispiel CARA e.V. in Bremen, die ein nicht-direktives, unabhängiges Beratungskonzept vertreten.7


Präimplantationsdiagnostik - die Ausweitung der Pränataldiagnostik

Zur Zeit gibt es Versuche und Bestrebungen, pränataldiagnostische Möglichkeiten noch weiter zu optimieren. So soll der Zeitpunkt der Untersuchungen immer weiter nach vorn gelegt werden. Die Präimplantationsdiagnostik (PID) bietet eine deutliche Erweiterung der genetischen Diagnosemöglichkeiten an. Bei der PID werden im Reagenzglas befruchtete Eizellen vor einer möglichen Implantation einer genetischen Diagnose unterzogen und nur für »tauglich« befundene Embryonen implantiert. Ob bei Einführung der PID ein Indikationskatalog erstellt werden soll und was in diesen aufgenommen werden soll, ist umstritten; zur Diskussion stehen: Muskoviszidose, Morbus Tay-Sachs, Muskeldystrophie, Hamophilie und FragilX-Syndrom.

Bei der Diskussion über eine Anwendung von PID und den eugenischen Implikationen muß jedoch in Betracht gezogen werden, daß sich PID von den bisher angewandten Methoden gundsätzlich nur dadurch unterscheidet, daß die Selektion außerhalb des Körpers der Frauen (in vitro) und zu einem sehr frühen Zeitpunkt (im Acht-Zell-Stadium des Fötus) im Labor durchgeführt wird. Von den BefürworterInnen wird insbesondere das Argument der psychischen und physischen Belastung eines Schwangerschaftsabruches bei positiver Diagnose ins Feld geführt, die bei Anwendung der PID vermieden werden könnte.8 Daß PID nur im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung und ihren Belastungen für Frauen denkbar ist, wird meist nicht erwähnt. In jedem Fall wird nach einer In-vitro-Fertilisation eine Pränataldiagnostik durchgeführt, die etwaige »Behinderungen« und »Störungen« des so erzeugten Embryos feststellen soll.

Hierzulande ist PID noch durch das Embryonenschutzgesetz untersagt. Es gibt jedoch Bestrebungen, der Anwendung durch eine Gesetzesänderung die Bahn frei zu machen.9 In einigen europäischen Ländern wird PID bereits angewandt, so daß nun vor der Gefahr eines »PID-Tourismus« gewarnt wird. Ökonomisch Bessergestellte könnten eine Präimplantationsdiagnostik im Ausland durchführen lassen. Grundsätzlich ist bei der PID auch zu diskutieren, inwieweit sie das Profil der In-vitro-Fertilisation insgesamt verändert. Mit der PID geht es bei der Anwendung der künstlichen Befruchtung nicht mehr länger nur um die Behandlung von Unfruchtbarkeit, sondern gleichzeitig soll die Geburt eines »gesunden« Kindes sichergestellt werden.


Reproduktionstechnologien im internationalen Kontext

Betrachtet man die Reproduktionstechnologien im internationalen Kontext, so sind die Versuche der Steuerung und Kontrolle der Fortpflanzung in den industrialisierten Ländern der nördlichen Hemisphäre von der Sorge um die sinkenden Geburtenraten, die steigenden Unfruchtbarkeitsraten und die »Qualität« des Nachwuchses geleitet. In den Ländern des Südens wird dagegen nach wie vor das Szenario eines unkontrollierten Bevölkerungswachstums gezeichnet. Richten sich die auf Geburtenverhinderung abzielenden Maßnahmen der Familienplanung vorwiegend auf Frauen des Südens, so lassen sich hierzulande selektiv ausgerichtete bevölkerungspolitische Maßnahmen, die auf die Verhinderung von Kranken und Behinderten abzielen, nicht mehr übersehen.

Die meisten der hier zum Einsatz kommenden Methoden der Fortpflanzungstechnologien werden in Ländern des Südens zum Teil in einem anderen Kontext ebenfalls bereits angewandt. So dienen beispielsweise Fruchtwasseruntersuchungen in Indien schon seit Jahren vorwiegend zur Früherkennung des Geschlechts. Ist es weiblich, wird die Schwangerschaft in der Regel abgebrochen, denn ein Mädchen zu gebären, wird in der indischen Gesellschaft zumeist als die schlechtere Wahl angesehen.10

Frauen sind sowohl in den industrialisierten Ländern als auch in den Ländern des Südens die Zielgruppe der BevölkerungspolitikerInnen und FortpflanzungsmedizinerInnen. Der globale Zusammenhang, in dem die Entwicklung der Fortpflanzungstechnologien steht, wird auch anhand der Verbindungslinien innerhalb der Forschung deutlich: So hat die Verhütungsmittelforschung ihren Ursprung in der Sterilitätsforschung. Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit gelten als Krankheiten, die es zu behandeln gilt und die angewandten Methoden zur Vermeidung von Schwangerschaften werden zunehmend der Kontrolle der Frauen entzogen. Ein Beispiel hierfür ist die Entwicklung von immunologischen Verhütungsmitteln, von sogenannten Impfstoffen gegen Schwangerschaft.11 Verabreicht werden soll der Impfstoff gegen Schwangerschaft am besten gleich als Kombinationsimpfung mit anderen Impfstoffen, so daß Frauen nicht mehr wissen, was oder wogegen ihnen etwas verabreicht wird.


Diskussion um Gen- und Reproduktionstechnologien

Obwohl in den 80er Jahren die Kritik an den Reproduktionstechnologien vor allem von Frauen getragen wurde, die sich mit Reproduktionstechnologien als bevölkerungspolitische Maßnahmen im internationalen Kontext befaßten, gibt es heute kaum noch Widerstand von Frauen. Es fehlt bis heute nicht nur eine historische Reflexion darüber, warum sich die politischen Initiativen der Frauenbewegung gegen Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin der 80er Jahre auflösten. Auch Untersuchungen darüber, wie sich die Reproduktionstechnologien und ihre erweiterten Methoden und Anwendungsmöglichkeiten auf Frauen auswirken, gibt es kaum.

Die zunehmende Technisierung der Fortpflanzung und die Verbindung zwischen Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik wird mittlerweile jedoch von einem breiten gesellschaftlichen Spektrum, wie kritischen MedizinerInnen, PatientInnenorganisationen, kirchlichen und unabhängigen Verbänden und einer breiten Öffentlichkeit mit Sorge betrachtet. Selbst die Bundesärztekammer warnte bereits vor den Folgen der zunehmenden »Abtreibungsroutine« nach pränataldiagnostischen Untersuchungen (epd, 24.3.1998). Die Diskussion wird jedoch häufig nur auf der Ebene der technischen Anwendungsmöglichkeiten und den dafür nötigen rechtlichen Rahmenbedingungen geführt und die Entwicklung der Reproduktionstechnologien, die damit befaßte Medizin und Forschung und deren Auswirkungen, nicht, wie es nötig wäre, im gesellschaftlichen und internationalen Gesamtkontext betrachtet.

Gabriele Pichlhofer
(wissenschaftliche Mitarbeiterin für den
Bereich Reproduktionstechnologien
beim Gen-ethischen Netzwerk Berlin)

[1] Wolfgang Löhr: Retortenkinder. Gen-ethischer Informationsdienst (GID) 128, August 1998, S. 19 - 21.
[2] Barbian Elke/Berg Giselind: Die Technisierung der Zeugung. Pfaffenweiler 1997
[3] Renate D. Klein (Hg.): Das Geschäft mit der Hoffnung. Erfahrungen mit der Fortpflanzungsmedizin - Frauen berichten. Berlin 1989
[4] I. Nippert/J. Horst: Die Anwendungsproblematik der pränatalen Diagnose aus der Sicht von Beratenen und Beratern. TAB-Hintergrundpapier Nr. 2. Gutachten im Auftrag des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Münster 1994
[5] Vgl. Eva Schindele: Schwangerschaft. Zwischen guter Hoffnung und medizinischem Risiko. Hamburg 1995
[6] Zum Urteil des BVerfG Beschl. v. 12.11.97: Theresia Degener, Die Geburt eines behinderten Kindes als Schaden? Rundbrief Nr. 5, April 1998, Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik, Ffm.
[7] vgl. Eva Schindele 1995
[8] FOCUS MUL 14, Heft 2, 1997
[9] Vgl. Stellungnahme der Ethik-Kommission der Medizinischen Universität zu Lübeck, August 1996
[10] Vgl. Gena Corea: MutterMaschine. Von der künstlichen Befruchtung zur künstlichen Gebärmutter. Berlin 1986
[11] Vgl. Judith Richter: Vaccination against Pregnancy. Miracle or menace? London & New Jersey 1996