diskus 3/98

Haider im Kontext
Populismus in Österreich

Die Schwierigkeiten mit dem Phänomen »Jörg Haider« – ein Synonym für den seit 1985 erfolgreichen (rechten) Populismus in Österreich – beginnen schon damit, daß ständig neu nach treffenden Beschreibungen gesucht wird.

In den meisten österreichischen Medien wird Haider als ein Führer der politischen Rechten in Österreich dargestellt, einer, der dieses Land mit Stammtischparolen aller Art im Sturm übernehmen möchte. Nur wenige Tage später kann es in den Artikeln und Fernsehsendungen aber so aussehen, als ob die gleiche Figur, deren Kanzlerschaft man eben noch angekündigt hatte, völlig am Ende ist, da die Partei von Krisen geschüttelt wird und daß daher der Spuk wohl endlich verfliegt. Kurze Zeit darauf macht dieser für untot Erklärte erneut von sich reden, beispielsweise indem er in einem überraschenden Schachzug wesentliche Elemente der deutsch-nationalen Tradition der FPÖ umstülpt. Das symbolische Herz der Österreicher schlage nun nicht mehr deutsch.

Solche Spiegelspiele zwischen den Medien und Haider haben System. Indem die mediale Öffentlichkeit permanent einen Resonanzraum für widersprüchliche Botschaften herstellt, produziert sie eine semantische Offenheit, in der die eigentümliche Beweglichkeit des ›Objektes‹ Haider entstehen kann. So ist Haider zu einem rechten politischen Führer und zur Verkörperung eines politischen Krisen-Symptoms geworden.

In einer Krise befindet sich nicht nur ein von 1947-1986 in Österreich ganz reibungslos funktionierender Verteilungs- und Bündelungsmodus von Wählerstimmen; in der Krise ist ein politisches Regime und eine Staatsform: der österreichische Versicherungsstaat, das heißt die Formen, Imaginationen und Techniken, in denen die Risiken des Lebens erscheinen, in denen sie kalkuliert und mit denen sie behandelt werden.1

Die Stabilität dieser Formation - die in Österreich als »Sozialpartnerschaft« bezeichnet wird - wurde durch ein Dispositiv hergestellt, das die materiellen Interessen der Bürger genau registriert, geschickt organisiert und einhegt, mit dem Ziel, Risiken zu kompensieren.

Die »Bürger«, Subjekte dieser Formation, lebten nicht nur einen imaginären Vertrag mit diesem Versicherungsstaat, sie haben sich auch einem politischen und sozialen Regime unterworfen, zu dem sie mehr oder weniger ›passende‹ Mentalitäten und Alltagsroutinen ausgebildet haben.

Die Bänder dieses Blocks aus »Politischem Regime + Subjektivierung + Gesellschaftsform« werden seit den 80er Jahren lose. Populismus in Österreich rekuperiert nun die Ent-Identifizierung mit dem Versicherungsstaat in Österreich, organisiert eine eigene Form der Gemeinschaftlichkeit – die imaginär abgeschlossene Gemeinschaft – und entwickelt ein eigenes politisches Regime, einen neo-liberalen (d.h. zugleich starken und schlanken) Staat.

›Populismus in Österreich‹ wird aber an dieser Stelle nicht nur als eine Bezeichnung für die Haider-FPÖ verwendet. Es ist dies auch ein Name für multiple politische Strategien zur ›Regierung‹ einer Krise. Populismus erscheint als eine strategische Hülle, in der verschiedene politische Inhalte zirkulieren können – und die als Hülle für alle politischen Akteure zur Verfügung steht. Doch ist diese Erscheinungsform natürlich ambivalent, da zugleich Inhalte präformiert werden. Der Ausschluß von Ausländern, der Einschluß der Inländer und ihre Anrufung als angeblich »anständige und fleißige Österreicher« samt der militanten Politik des Imaginären haben mittlerweile das gesamte politische Feld in Österreich überzogen und nach ›rechts‹ hin ausgerichtet.

Ende der 80er Jahre war die FPÖ - von ihrer Wählerstruktur her gesehen – eine Partei des militanten Mittelstands und Bürgertums. Binnen weniger Jahre hat sich diese Struktur verändert, und die FPÖ ist zu der Arbeiterpartei in Österreich geworden. Ein Wähleraustausch, über dessen Dynamik und Ursachen die Demoskopie bis heute rätselt.

Die Schwierigkeit der korrekten politischen Einordnung Haiders im Kontext Österreichs ist das Ergebnis einer erfolgreichen Strategie des Objekts, einer Strategie der Ent-Nennung. In Anlehnung an Roland Barthes2 kann man sagen, daß Haider der Politiker in Österreich ist, der nicht bezeichnet werden will, der sich aktiv allen weltanschaulichen Kategorien entziehen möchte (daher seine politische Beweglichkeit), der dabei einzig und allein auf die Wirkungen der Inszenierung seiner Person setzt (daher sein Charisma) und der politische Techniken erprobt, die neue Subjektivierungen hervorbringen (daher seine intensive ideologisch-imaginäre Präsenz in der österreichischen Politik).

Redefiguren des Populismus
Auf eine – vielleich paradox anmutende – Formel gebracht ist Populismus eine Ideologie ohne Weltanschauung.

Diese Formel »Ideologie ohne Weltanschauung« will sagen: Populismus gibt es auf Seiten der Rechten und der Linken; und er kann auch – je nach politischem Kontext – mit ›eigentlich‹ rechten und ›eigentlich‹ linken politischen Inhalten arbeiten. In der wissenschaftlichen Literatur über Populismus ist es beispielsweise keineswegs klar, ob die People’s Party, die im 19. Jahrhundert in Amerika so leidenschaftlich gegen die Geldwirtschaft und gegen das Kreditwesen gekämpft hat, auf Seiten der Rechten oder der Linken einzuordnen ist.

Mit Populismus bezeichne ich also keinen konkreten politischen Inhalt oder eine konkrete Forderung, sondern eher eine bestimmte Art und Weise, wie politische Inhalte ins Feld geführt werden. Populismus ist wesentlich eine durch und durch polemische Strategie. Insgesamt zielt Populismus darauf ab, in der Gesellschaft neue ideologische Bruchlinien zu verankern, die die traditionellen, der Soziologie vertrauten Brüche (Klasse, Alter, Geschlecht, Stadt/Land etc.), zu überschreiben suchen. Dafür werden in etwa folgende rhetorische Redefiguren eingesetzt:

Erste Figur – Populismus betrachtet Politik aus der Frosch-Perspektive: Ihr, die Politiker, seid dort oben und macht eh’ alles unter Euch aus. Wir, die hier unten sind, wir normalen Leute, haben keinen Zugang zu Eurer Politik. Wir sind ohnmächtig, müssen aber die Konsequenzen Eurer Handlungen ertragen.

Zweite Figur – Populismus behauptet, daß Politik unerträglich geworden ist: Jetzt aber wollen wir mit Euch Politikern nichts mehr zu tun haben, denn wir haben es satt, auf diese Weise regiert zu werden. Wir haben den Glauben an den ganzen rhetorischen Klimbim verloren, an Eure leeren Phrasen, die wir nicht mehr hören können und an die sinnlosen Rituale, die wir nicht mehr ertragen.

Dritte Figur – Für Populismus ist Politik immer ein schmutziges und brutales Geschäft: Die leeren Phrasen und sinnlosen Rituale verdecken nur, daß es bei Politik seit jeher im Grunde genommen nur um Siegen und Besiegt-Werden geht. Dabei ist Euch Politikern jedes Mittel recht.

Vierte Figur – Populismus verspricht Befreiung durch einen charismatischen Politiker: [Jetzt wechselt die Perspektive der fiktiven Rede] Nun ist Schluß mit Eurem skandalösen Treiben, weil Ich kommen werde, der Mann, der diesen Saustall ausmistet, der wieder Ordnung schafft. Ich fordere Euch auf, mir und meinen Inszenierungen Glauben zu schenken, denn auf diese Weise könnt Ihr Euch befreien.

Diese rhetorischen Redefiguren sind natürlich starke Verdichtungen; im wirklichen Leben gibt es sie so nicht. Sie sollen verdeutlichen, daß das Besondere an Populismus darin liegt, wie er Politik ›erzählt‹ und wie er dabei dramatis personae erschafft. Populismus erfindet kollektive Sprecher, schreibt diesen Rollen zu und adressiert diese Rollen ganz direkt in den rhetorischen Formeln von Ihr und Euch.

So fordert die Wahlwerbung der FPÖ ihre Adressaten immer wieder ganz direkt auf: »Wählt wie Ihr denkt«, und zwar Haider, weil er »Für Euch« ist.

Populismus kann dies nur tun, indem er die aktuelle Politik und ihre Träger, die Politiker, fortwährend skandalisiert und das Verhältnis der ›Bürger‹ zur Politik extrem anspannt. Populismus muß im Tagesgeschäft von Politik die eben ausgesprochenen Verdächtigungen andauernd beweisen, indem er die angeblichen und tatsächlichen Verfehlungen und geheimen Machenschaften der Politiker aufdeckt.

Diese Ereignisse können aber erst dann skandalisiert werden, wenn für eine wachsende Anzahl von Menschen die ›Sicherungsbänder‹ der Sozialpartnerschaft lose werden, ihre Versprechen hohl klingen und aus inkorporierten Kompromißformen leere Kompromißformeln werden.

Wo Arbeiter früher gezwungenermaßen in die SPÖ eingetreten sind, um dadurch einen Platz im sozialen Wohnungsbau zu ergattern, wählt man jetzt die FPÖ, weil man zwar eine solche Wohnung hat, der symbolische und tatsächliche Wert dieser Wohnung aber unklar geworden ist und die alte Arbeiterpartei SPÖ einen bei der Bewältigung der anderen Probleme des Lebens (z.B. am Arbeitsplatz) nicht mehr protegieren kann. Schließlich hat man ja sowieso niemals wirklich an die Ideologie der SPÖ geglaubt.

Erst durch diese Entwertungen und Irritationen werden mehr oder weniger skandalöse Ereignisse, die in ihrem Kern immer-schon bekannt waren, zu einem Skandal.

Die durch die Produktion der Skandale populistisch erneuerten kollektiven Positionen fasse ich in einem Schema – einem »semiotischen Viereck« – zusammen (s.o.).

Im Zentrum der ganzen Aktivität der FPÖ steht die Position – slot genannt – links oben: Wir. Dieses Wir ist in zwei Entgegensetzungen eingespannt: dominant ist die konträre Opposition im oberen Bereich zwischen »Wir« und »Die-da«, d.h. zwischen den sogenannten Anständigen und Fleißigen in Österreich, die hier als filler dienen, und den regierenden Politikern aus SPÖ/ÖVP und ihren Regierungsprozeduren.

Diese erste Front wird von einer weiteren gestützt, die zwischen denjenigen verläuft, die Nicht-wie-Die-da sind, der normalen Bevölkerung, und denjenigen, die Nicht-wie-Wir sind, den Fremden und Aussätzigen am Rande der Gesellschaft.

Das Funktionieren dieses Schemas kann an einem Textbeispiel Haiders klar gemacht werden. 1992 hat er in einer Pressestunde des ORF ausgeführt:

»Ich war der erste, der in Österreich gesagt hat, es gibt unter den Arbeitslosen eine bestimmte Anzahl von Leuten, die könnten arbeiten, aber die wollen nicht arbeiten. Und ich halte es für falsch, daß wir für Tachinierer Geld ausgeben, die es eigentlich selbst verdienen könnten [rechts unten: Nicht-Wir].

Ich verzichte auf die Stimmen von Leuten, die nicht arbeiten wollen, auf die Stimmen von Leuten, die das Sozialsystem ausnützen. Ich verzichte auf die Stimmen der Privilegienritter, um die sollen sich Rot und Schwarz [rechts oben: Die-da] balgen. Ich versuche die tüchtigen, die fleißigen, die anständigen Leute zu mobilisieren [links oben: Wir].« 3

Arbeitsweise des Populismus in der politischen Kultur Österreichs: Migrations- und Ausländerpolitik
Die FPÖ rückt ein Thema immer wieder in den Vordergrund, die Migrations- und Ausländerpolitik. Dadurch erhält sie ihr aggressives Antlitz und steht im Kontext Österreichs deshalb rechts, weil sie ihren Rassismus tagtäglich offen zur Schau stellt.

Das Thema Migration zirkuliert in der FPÖ-Politik entlang der Achse Wir gegen Nicht-Wir, wobei »gegen« hier wort-wörtlich gemeint ist. Das Verhältnis der beiden Pole ist als kontradiktorisch bestimmt:

  • An der Stelle von Nicht-Wir befinden sich Personen und Eigenschaften, mit denen man sich - hier also das imaginäre »Wir« – niemals arrangieren kann und will. Mit ihnen sind noch nicht mal taktische Kompromisse und Übereinkünfte möglich, weil sie dem Wir gegenüber als wesensfremd erscheinen.
  • In der populistischen Erzählung leben diese Leute mit dem unterstellten Ziel im Land, dem imaginären Wir etwas wegzunehmen. Wobei dieses ›etwas‹ sehr weit gefaßt ist. Geraubt werden kann: Geld, Identität, Frauen oder Männer und damit die sexuellen Energien, Sicherheit, usw...; die Fremden nehmen immer etwas weg.
  • Schuld an ihrer Anwesenheit und damit an diesen vermeintlichen Raubzügen sind natürlich die herrschenden Politiker – das Verhältnis Die-da zu Wir ist das der Implikation. Denn die Politiker haben die Fremden ins Land gelassen.
Die Blaupause dieser ›Großen Erzählung‹ wird auf mehrfache Weise übersetzt. Sie wird popularisiert in den vielen Alltagsgeschichten, die sich Österreicher zu erzählen wissen, und in denen über diese oder jene skandalöse Begebenheit mit Ausländern berichtet wird. Zumeist werden diese Geschichten mit der Formel eingeleitet »Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber ...« und dann folgt eine kleine Geschichte über irgendeine Untat oder Verfehlung, die zumeist auf dem sogenannten Hören-Sagen beruht, d.h. sie ist aus zweiter Hand. Jedenfalls fungiert die Große Geschichte als ein Interpretationsrahmen, mit dem dann die kleinen Geschichten und rassistischen Alltagspraktiken unterlegt werden.

Die Große Erzählung über die Fremden findet aber auch Resonanz in der offiziellen politischen Kultur, und damit meine ich die Parteien im Parlament. Auch hier werden populistische Erzählungen umkopiert: das Grundmuster wird übernommen, die Details jedoch modifiziert.

Wurde vor 1989 noch in Regierungs- und Parlamentskommissionen darüber nachgedacht, Menschen aus anderen Ländern nach Österreich zu holen, um auf diese Weise demographische Lücken zu schließen – besonders junge Leute und gebärfähige Frauen sollten gelockt werden – so hat die österreichische Politik nach 1989, nach dem endgültigen Fall des sog. Eisernen Vorhangs, die nun offenen Grenzen nach Osten und Südosten Zug um Zug engmaschig werden lassen. Weiters wurde den bereits in Österreich lebenden Ausländern das Leben schwer gemacht: der Zugang zu den elementaren Dingen des Lebens wie Wohnung und Arbeit ist besonders limitiert worden.

Dafür wurden zwei verschiedene Typen von Begründungen gegeben:

  • Ein technokratischer Begründungs-Strang, den sozialdemokratische Innenminister bevorzugen: Wenn sie für Abschottung plädieren, dann führen sie statistische Größen an, berufen sich auf Einwanderungszahlen, die einen »Handlungsbedarf« anzeigen würden, und deshalb müsse man »Maßnahmen setzen«. Dies zeigt eine Parlamentsrede von Franz Löschnak, 1990 Innenminister der SPÖ.4

    Er führt aus, daß die internationalen Bemühungen zu lange bräuchten, um die weltweite Migration zu kontrollieren, weswegen nur auf diesem Wege zu agieren die tagtäglichen Probleme in Österreich nicht lösen würde. Österreich, das kleine Land, müsse deshalb zum Selbstschutz greifen.

    Der Regierungsvertreter sieht sich einer Migration gegenüber, die nicht mehr durch routinisierte, vorsorgende und präventive Regierungsaktivität zu steuern ist. In Gefahr stehen die »geordneten Verhältnisse« in Österreich, bewährte politische Konzepte müßten daher scheitern.

  • Den zweiten Begründungs-Strang bezeichne ich als »imaginär-identitären«. Hier steht nicht die Steuerung abstrakter Größen auf dem Spiel, wie in der Rede des sozialdemokratischen Innenministers, sondern hier ist das symbolische Herz des kleinen Landes Österreich in Gefahr.
»Die grüne Fraktion neigt dazu, Realitäten zu übersehen. Wenn ich mit Statistiken aufwarte und meine, daß ein Ausländeranteil von 7 Prozent oder 10 Prozent in Österreich kein Problem macht, dann stimmt das natürlich statistisch gesehen. [...] Wenn Sie sich aber in einige Bezirke Wiens begegeben, [...] dann merken Sie sehr wohl, daß es dort, wo es zu konzentrierten Niederlassungen von Ausländern kommt, selbstverständlich auch Probleme gibt. [...] es geht darum diese Probleme zu minimieren und die geordneten Verhältnisse wiederherzustellen.«5

Auch der ÖVP-Abgeordnete Dr. Pirker sorgt sich um »geordnete Verhältnisse«. Die imaginäre Belastungsgrenze Österreichs ist (noch) nicht in den absoluten Zahlen erkennbar – das wäre der Punkt, an dem die normalisierenden Aktivitäten der Regierung einsetzen müßten, der Punkt, bei dem Sozialtechnokraten schon sehr nervös sind.

Eine Normalitätsgrenze wird erst durch den vom Redner vorgestellten Augenschein gezogen, der sich bei einem imaginativem Rundgang durch die ›riskanten Orte‹ in Österreich ergibt. Das Problempotential entstünde dadurch, daß es dort »zu konzentrierten Niederlassungen von Ausländern kommt«. Der Blick auf gefährliche Bewegungen im Staatswesen könnte, ohne daß ein Bruch mit dem technokratischen Strang stattfinden müßte, zu der Konsequenz führen: ›Wir müssen diese Konzentration vermeiden und die Ansiedlung steuern.‹ Die Aktivität der Sorge würde sich in diesem Falle darauf richten, die Bildung von »Konzentration« zu unterbinden und solche Wohnbezirke zu entflechten.

Doch ist diese Einlassung im Parlament suggestiv, sie verschärft das, was im technokratischen Begründungsstrang nur implizit war, dadurch, daß »Ausländern« gefährliche Eigenschaften unterstellt werden.

Ein Mehr an bedrohlicher Fremdheit (das den wirtschaftlichen Überlegungen angehängt ist) sei der Auslöser dafür, daß, wenn noch weitere Ausländer ins Land kommen würden, »der soziale Friede in Österreich nicht gefördert, sondern gestört werden würde.«

Als Störfaktoren des »sozialen Friedens« – das ist natürlich die Chiffre für die Sozialpartnerschaft und den österreichischen Versicherungsstaat – fungieren hier Ausländer. Da die Zahlen dieses Argument einfach nicht hergeben, mußte es der Abgeordnete imaginativ erfinden.

In den beiden Beispielen aus dem österreichischen Parlament ist aber ein Element des populistischen Schemas verrückt worden. Wo dort unter Die-da die Regierungskonstellation zusammengefaßt wurde, steht in der Rede des ÖVP-Abgeordneten an der gleichen Stelle die Partei der Grünen sowie alle anderen sog. ›Ausländerfreunde‹. Der regierungsamtliche Populismus muß sich selbst im slot Die-da ausstreichen und suggerieren, daß in Österreich eigentlich Grüne und Ausländerfreunde an der Macht seien.

Die untergründige Kohabitation in der Migrationspolitik, ja selbst die Übernahme der scharfen Grenzziehung Ausländern gegenüber, hat aber die Wirksamkeit des FPÖ-Populismus keineswegs minimiert. Denn die Geschichte, die der FPÖ-Populismus erzählt, hat noch eine bedeutsame Facette mehr. Haider hat, etwa indem er die rhetorischen Redefiguren 2 und 3 aktiviert, die strukturelle Möglichkeit, jederzeit auf die obere Achse des Schemas auszuweichen, und die Politiker, die ihm im Parlament eben noch recht gegeben haben, die sogar seine Begründungsmuster übernommen haben, an anderen Fronten als schlechte und korrupte Politiker zu attackieren, mit denen man nichts mehr zu tun haben will.

Populismen als multiple politische Strategien zur ›Regierung der Krise‹
Der Haider-Populismus wird in diesem Text ohne historische Dimension und daher wie eine Art semiotische Kopiervorlage behandelt: die slots bleiben, die filler variieren.

Derzeit sind wir in Europa Zeugen von Haiderschen Kopien in diesem Sinne, die aus einem klar erkennbaren strategischen Kalkül entstanden sind: Verlorene Wählerschichten wieder an die Sozialdemokratie zu binden, was die politischen Klone Tony Blair und Gerhard Schröder versucht haben bzw. versuchen.

Die neue sozialdemokratische Artikulation basiert in beiden Fällen ebenso auf der Inszenierung eines persönlichen Charismas, auf der Anrufung neuer kollektiver Identitäten, und auf einem weltanschaulich sehr beweglichen politischen Programm. Neo-liberale und thatcheristische Projekte sind rosa übertüncht, durch die politische Dynamisierung der Gesellschaft werden neue Arten der Wählerbindung und damit auch neue soziale Bänder etabliert. Tony Blair und Gerhard Schröder arbeiten an Definitionen dessen, was das symbolische Herz – das Wir – einer Gesellschaft ausmacht.

Populistisch ein solches Wir festzustellen, bedeutet aber auch zu definieren, wer NICHT dazugehört. Irgendjemand steht der Kategorie der fleißigen und anständigen Österreicher notwendigerweise gegenüber, solange das genannte Schema verwendet wird. Irgendjemand wird essentiell nicht zur Neuen Mitte in Deutschland gehören, die der Sozialdemokrat Gerhard Schröder propagiert. Im britischen Wahlkampf hat Blair sich explizit abfällig über Bettler und »Schmarotzer« geäußert, die der »new labour« der neuen Mittelschichten fremd seien; im Falle Schröders ist etwas Vergleichbares zu erwarten. Eine populistische Erzählung enthält die konträre Beziehung zum Die-da-slot (das ist die Regierung, die jeweils abgelöst werden soll) und dieses NICHT, zu dem das zu schaffende Wir eine sehr unfreundliche Beziehung aufbaut, weil es erst durch diese sehr unfreundliche Beziehung zu sich selbst findet.

Was passiert aber mit dem Haiderschen Populismus, wenn er Regierungsprogramm wird? Wie verhalten sich die sozialdemokratischen Varianten, wenn die (politische) Macht erobert ist?

Beide werden sich ein »menschliches Antlitz« anlegen. Blair hat sich dieses Antlitz semiotisch gesehen nicht durch Sozialprogramme zugelegt, sondern durch seine geschickten Interventionen nach dem Tode von Lady Di, wo er ›als Person‹ über die Emotionen der Trauernden völlig verfügt hat.

Jörg Haider hat in seiner kurzen Regierungszeit als Landeshauptmann (= Ministerpräsident) des Bundeslandes Kärnten medienwirksam etliche Charity-Projekte begonnen. Und auch Gerhard Schröder wird ein guter Mensch werden, mit oder ohne Joschka Fischer.

Der Unterschied zwischen dem sozialdemokratischen Populismus und der Haiderschen Variante liegt vermutlich darin, daß dieses Antlitz mehr oder weniger stark die häßliche Fratze verdeckt. Doch ist das im Falle Haiders und Schröders jeweils nur eine Prognose. Entscheidend für das Eintreffen derselben ist sicherlich, wie in den sozialen Kämpfen auf die Regierung der Populismen reagiert wird, d.h. wie dissidente politische Kräfte diejenigen, die nicht wie Die-da sind, artikulieren können.

Der Kampf geht also weiter.

Sebastian Reinfeldt


x 1 x Ich beziehe mich hier auf die theoretischen Arbeiten von François Ewald: Der Vorsorgestaat, Frankfurt/M. 1993, sowie Jacques Donzelot u.a.: Die Genealogie der Regulation, Mainz 1995.
x 2 x »Die Bourgeoisie hat beim Übergang vom Realen zu seiner Repräsentierung, vom Ökonomischen zum Geistigen ihren Namen ausgelöscht: sie paßt sich den Fakten an, findet sich aber nicht mit den Werten ab, sie unterwirft ihren Status einer regelrechten Operation der Ent-Nennung. Die Bourgeoisie wird definiert als die soziale Klasse, die nicht benannt werden will.« (Roland Barthes: Mythen des Alltags, Frankfurt/M. 1964, S. 124)
x 3 x Jörg Haider in der Pressestunde des ORF vom 5.4.1992, zitiert nach: Hannes Krall, »Rechtspopulismus am Beispiel Jörg Haider«, in: Journal für Sozialforschung (H.3-4/1992), S. 363-375, S. 366.
x 4 x Stenographische Protokolle Nationalrat XVII. GP, 133. Sitzung, 14. März 1990, S. 15690ff.
x 5 x StPr. Nationalrat XVIII. GP, 76. Sitzung, 8. Juli 1992, S. 8316.