Die Jakobiner, der Mai und die Demokratie

Anmerkungen zum Phantasma und imaginären Horizont von Emanzipation

 

In Zeiten allgegenwärtiger neoliberaler Reformhuberei scheint es etwas verschroben, sich die alten Begriffe von Revolution und Kommunismus nochmals vorzunehmen. Die Auseinandersetzungen, in die sie eingespannt waren, scheinen vergangen, ja vergessen zu sein. Dennoch sind diese Kategorien Teil der Ideologie wie auch des imaginären Horizonts moderner Emanzipationsbewegungen. Als solche müssen sie befragt werden, und zwar hinsichtlich ihrer historischen Rolle wie auch hinsichtlich ihres heutigen politischen Gebrauchswerts. Inwieweit funktionieren sie und haben sie funktioniert als Signifikanten in emanzipatorischen und demokratischen Kämpfen? Inwieweit haben sie das Potential dieser Kämpfe aber auch zugleich untergraben? Ich behaupte, dass die poststrukturalistische Hegemonietheorie, wie sie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe entwickelt und von der Essex School der hegemonietheoretischen Diskursanalyse weitergeführt wurde, zumindest ansatzweise Antworten auf diese Fragen liefern kann. Sie kann das, weil sie drei Momente gleichzeitig berücksichtigt: Das phantasmatische Moment der Ideologie, das diskursanalytische der Politik und das »programmatische« des emanzipatorischen Projekts einer radikalen und pluralen Demokratie. Anhand dieser dreifachen Strategie werde ich im folgenden zu zeigen versuchen, dass im klassischen Emanzipationsdiskurs des Jakobinismus ein apolitisches Phantasma der ideologischen Schließung zu finden ist, das schulbildend für spätere Emanzipationsdiskurse werden sollte. Zugleich ist im Jakobinismus aber auch erstmals eine Form des Populismus und der Hegemonie zu finden, die eine neue politische Logik installierte, wie sie heute von der diskursanalytischen Hegemonietheorie beschrieben wird. Und schließlich finden sich im Diskurs des Jakobinismus Elemente radikaler Demokratie, die für den demokratischen Horizont, in dem jede emanzipatorische Praxis verortet ist, entscheidend wurden. Es soll also um die Geschichte von Emanzipation sowohl als Phantasma ideologischer Schließung wie auch als imaginärer Horizont von Demokratie gehen.

Revolution als Phantasma und Ideologie

Ernesto Laclau hat sechs wesentliche Topoi oder Dimensionen der klassischen Emanzipationsdiskurse, worunter auch der Revolutionsdiskurs fällt, ausgemacht. Er spricht von einer holistischen Dimension (die Revolution erfasst ausnahmslos alle Bereiche des Sozialen), von einer Transparenzdimension (nachdem Macht und Entfremdung aufgehoben sind, wird politische Vermittlung und Repräsentation überflüssig und die menschliche Essenz koinzidiert mit sich selbst), von der Dimension der Präexistenz des zu Emanzipierenden (die der politischen Artikulation vorgängige Existenz eines Akteurs wird postuliert, der in seiner freien Entfaltung behindert ist) und von einer rationalistischen Dimension (die moderne säkulare Eschatologie kann sich nicht mehr auf unergründliche Ratschlüsse Gottes berufen, sondern muss mit dem Prinzip einer absoluten Rationalität zusammenfallen). Schließlich spricht Laclau von der dichotomischen Dimension: »Zwischen dem emanzipatorischen Moment und der sozialen Ordnung, die ihm vorausging, gibt es eine absolute Spaltung, eine radikale Diskontinuität«. [1] Und mit der dichotomischen Dimension hängt eine weitere zusammen, die Laclau die Dimension des Grundes nennt: »Wenn der Akt der Emanzipation wahrhaft radikal ist, wenn er wirklich alles hinter sich lassen soll, was ihm vorausging, muss er auf der Ebene des ›Grundes‹ des Sozialen stattfinden. Wenn es keinen Grund gibt, wenn der revolutionäre Akt einen Rest zurücklässt, der den Transformationsmöglichkeiten der emanzipatorischen Praxis entkommt, dann wird genau die Idee einer radikalen Emanzipation widersprüchlich [2] Im Zuge der Französischen Revolution und genauer: mit dem Jakobinismus betrat dieser Diskurs die Bühne und sollte das Imaginäre der revolutionären Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts weitgehend bestimmen. Einzelne Dimensionen können dabei in den Vorder- oder Hintergrund treten. Es ist zum Beispiel offensichtlich, wie im Diskurs des Kommunismus die Transparenzdimension dominiert. Natürlich können diese Dimensionen hier nicht im einzelnen und anhand von Beispielen besprochen werden, ich werde mich also auf die zwei letzten Dimensionen, die dichotomische und die des Grundes, beschränken, die im jakobinischen Diskurs die größte Bedeutung haben. Die dichotomische Figur begegnet uns dort in Form des Phantasmas des radikalen Bruchs.

Nehmen wir den Anarchisten Sergej Netschajew als Beispiel für den phantasmatischen Charakter dieser Dimension. Saint-Justs Gedanke, dass eine Revolution nicht halb gemacht werden dürfe, da sich der Revolutionär sonst sein eigenes Grab schaufle, wurde im 19. Jahrhundert von Netschajew in aller Konsequenz zu Ende gedacht und affirmativ gewendet. Dass die Revolution ihre Kinder frisst, ist für Netschajew nicht nur kein Problem, es ist eine Notwendigkeit: Die Revolu­tion soll und muss ihre Kinder fressen, da die neue Ordnung keine wie auch immer geartete Verbindung zur alten aufweisen darf, sind doch die Revolutionäre selbst vom Bestehenden kontaminiert. So weist die Revolution zwei völlig getrennte logische Zeiten auf:

In Bezug auf die Zeit enthält der Begriff Revolution zwei gänzlich verschiedene Tatsachen: Den Anfang, die Zeit der Zer­störung der vorhandenen sozialen Formen, und das Ende, den Aufbau, das heißt die Bildung vollkommen neuer Formen, aus diesem Amorphismus. ( ... ) Wir sagen: Eine unvollständige Zerstörung ist unvereinbar mit dem Aufbau und daher muss sie absolut und ausschließlich sein. Die jetzige Generation muss mit der echten Revolution beginnen. Sie muss mit der völligen Veränderung aller sozialen Lebensbedingungen beginnen, das heißt, die jetzige Generation muss alles Bestehende ohne Unterschied blindlings zerstören in dem einzigen Gedanken: möglichst rasch und möglichst viel. Und da die jetzige Generation selbst unter dem Einfluss jener verabscheuungswürdigen Lebensbedingungen stand, welche sie jetzt zu zerstören hat, so darf der Aufbau nicht ihre Sache sein, sondern die Sache jener reinen Kräfte, die in den Tagen der Erneuerung entstehen. [3]

Die Logik des Revolutionärs ist notwendig suizidal, weil er selbst Träger des Alten ist, damit eine Brücke zwischen der alten und der neuen Ordnung schlagen und letztere mit dem Alten kontaminieren würde. Seine Aufgabe kann also gar nicht im Aufbau einer neuen Gesellschaft bestehen, sondern muss sich in der Zerstörung der alten Gesellschaft erschöpfen (einschließlich der Selbstzerstörung des Revolutionärs). Bei Netschajew ist die dichotomische Dimension konsequent zu Ende gedacht. Die Zukunft ist aus Perspektive des Bestehenden nicht einsichtig und nur ex negativo beschreibbar als »das dem bestehenden ekelhaften Zeug Entgegengesetzte«. Darüber hinausführende Gedanken zur Organisation der neuen Ordnung sind »verbrecherisch, da sie nur der Sache der Zerstörung hinderlich sind«. [4] Über die Revolution als neue Ordnung kann nichts gesagt werden, sie ist in jedem Sinne des Wortes ein radikal leerer Signifikant und als solch radikal leerer nicht von dieser Welt (ein völlig entleerter Signifikant wäre nichts anderes als irgendein Geräusch ohne jegliche Bedeutung). Der phantasmatische Charakter dieses Diskurses besteht in der Annahme, dass es möglich sei, einen radikalen Bruch zwischen dem Alten und dem Neuen zu installieren: »Wir müssen uns also aufgrund des Gesetzes der Notwendigkeit und strengen Gerechtigkeit ganz der beständigen, unaufhaltsamen, unablässigen Zerstörung weihen, die so lange crescendo wachsen muss, bis nichts von den beste­henden sozialen Formen zu zerstören bleibt.« [5]

Die Radikalität Netschajews hat den Vorteil der Deutlichkeit, aber wir sollten uns nicht von ihr täuschen lassen: die dichotomische Dimension findet sich genauso in wesentlich weniger pompös auftretenden Emanzipationsdiskursen. Es gibt nur ein Problem am Phantasma des radikalen Bruchs: Jeder Revolutionär zieht, in den Worten von Quentin Skinner, mit dem Rücken voran in die Schlacht. Das heißt, noch der radikalste Revolutionsdiskurs muss sich auf einem vorstrukturierten Terrain bewegen, das ihm selbst nicht verfügbar ist. Revolution und Ancien Regime, die neue und die alte Ordnung werden immer – selbst dort, wo sie in einem noch so radikalen Antagonismus verfangen sind – eine gemeinsame Schnittmenge bilden, da es sich um die Auseinandersetzung zweier Projekte mit Hegemonieanspruch vor dem Horizont ein und derselben Gesellschaft handelt. Mit anderen Worten: Revolutionäre sind nicht vom Mars und Reaktionäre von der Venus, sondern beide sind von der Erde. In der Verleugnung genau dieser Tatsache, im Auslöschen der gemeinsamen Schnittmenge, besteht das ideologische Phantasma.

Doch der Jakobinismus hing noch einem weiteren Phantasma an, das man als »fundationalistisch« (foundationalist) bezeichnen kann: Er ging von der Existenz eines festen Grundes, eines archimedischen Punktes, eines Zentrums der Gesellschaft aus. Dieses Zentrum war es, das es zu besetzen galt – und zwar über eine Strategie, die Gramsci apropos des Leninismus später Bewegungskrieg nannte – und das den archimedischer Punkt bot, von dem aus sämtliche Verhältnisse einer dichotomisch vorgestellten Gesellschaft sich invertieren oder umstürzen ließen. Der klassisch-jakobinische Revolutionsbegriff implizierte also, wie Laclau und Mouffe sagen, »den grundlegenden Charakter des revolutionären Akts, nämlich die Institution eines Punktes der Konzentration der Macht, von dem aus die Gesellschaft ›rational‹ organisiert werden könnte«. [6] In der späteren realsozialistischen Artikulation von Revolution und Kommunismus wurde davon ausgegangen, dass der Grund (die »Basis«) der Gesellschaft in der Ökonomie zu suchen sei und folglich die Sozialisierung der Produktionsmittel als dieser archimedische Punkt dienen könne: gleichsam die Nordwest-Passage zum Kommunismus. Damit wird Politik zur bloßen Frage des Überbaus, eine endlich errichtete kommunistische Gesellschaft zu einer politiklosen Gesellschaft. Solange wir unter Kommunismus die Idee einer endgültig befriedeten Gesellschaft verstehen, in welcher der Staat überwunden, Entfremdung aufgehoben und die Identität des Menschen mit seinem Wesen hergestellt ist, handelt es sich um einen Topos des Apolitischen.

Man sieht, wie der radikale Bruch einem einzigen Fernziel dient, nämlich der radikalen Bruchlosigkeit: Die Radikalisierung des Antagonismus zu einer restlosen Dichotomie zwischen dem Alten und dem Neuen dient der endgültigen Verwerfung aller Antagonismen im Neuen. Dadurch verlässt Emanzipation das Terrain des Politischen und wird zu Ideologie (zum Phantasma) in einem ganz präzisen Sinn: Was einen Diskurs ideologisch macht, ist nicht sein »Inhalt«, noch ist es die »Verzerrung« irgendeiner tieferen Realität, sondern es ist seine Funktion der Schließung des gesellschaftlichen Raums um einen phantasmatischen Kern, die Besetzung des (leeren) Grundes mit einer Substanz (Volk, Nation, Rasse, Klasse, etc.), also letztlich Leugnung der Grundlosigkeit und antagonistischen Verfasstheit von Gesellschaft. [7] Die heute dominante Ideologie der Schließung ist selbstverständlich nicht mehr die der Revolution oder des Kommunismus, sondern die des endgültigen Siegs der westlichen liberal-demokratischen Kapitalismus und des Endes der Geschichte. Wie Stuart Hall bemerkt:

  Die Ideen, die innerhalb eines breiteren Bedeutungsrahmens von Demokratie zirkulieren, wurden auf die Idee der »liberalen Demokratie« heruntergekocht, und die liberale Demokratie ihrerseits wurde reduziert auf das System, das sich nun in der westlichen »demokratisch-kapitalistischen« Welt durchgesetzt hat. Von ihm wird gesagt, es käme so nahe an sein Ideal heran, dass letzteres in allen praktischen Belangen erreicht sei. Zwar müsse man vielleicht hie und da noch ein wenig daran herumbasteln, wie man einen Motor regelmäßig überholen muss, um sicher zu gehen, dass die Maschine reibungslos läuft. Aber im Großen und Ganzen, in seiner Bewegung der Aufhebung und Überwindung, komme das System der vollständigen »Erfüllung« seines Potentials durch seine »Verwirklichung« sehr nahe; es lasse uns endlich, wie Francis Fukuyama behauptet hat, ins Angesicht des »Endes der Geschichte« blicken, insofern keine großen, neuen Konzeptionen von Freiheit und Gleichheit in Aussicht seien, keine tief greifende ideologische Arbeit mehr zu tun bleibe und es keine neuen politischen Ziele gebe, die nicht bereits empirisch in Reichweite wären. Der liberal-demokratische Mensch ist der letzte (natürliche) Mensch. [8]

 

Hall liegt sicher richtig in seiner Kritik der Ideologie des Endes der Geschichte (zur Hegemonie der »liberalen Demokratie« werden wir noch kommen), was aber seltener bemerkt wird, ist die historische Verwandtschaft dieses kapitalistischen Phantasmas mit dem kommunistischen Phantasma. Denn Fukuyamas berühmte These vom Ende der Geschichte ist nichts anderes als die These eines Rechts-Kojèviens – und Alexandre Kojève war es, der sie als Linkshegelianer zuerst formuliert hatte. Für Kojève war Stalin das, was für Hegel – in Kojèves Lesart – Napoleon war: die Verkörperung des Weltgeists in einem Individuum, das gewissermaßen den Schlussstein der Geschichte verkörperte. Und wenn das Ende der Geschichte zugleich das Ende der Politik, das Ende aller Antagonismen bedeutete, dann war es nur konsequent, dass Kojève nach dem Krieg in die französische Bürokratie wechselte und seine Zeit mit Verhandeln und Verwalten verbrachte, aber nicht mit Politik im strengen Sinn. Bereits der Kojève der Nachkriegszeit sah den Kommunismus nicht mehr in der Sowjetunion, sondern in den USA verwirklicht. Fukuyamas US-amerikanische Version des Endes der Geschichte ist also nichts anderes als ein verspäteter – über Leo Strauss in die USA vermittelter – Abklatsch des Kojève’schen Phantasmas. Eine Ideologie, die ihr historisches »Realsubstrat« allerdings im Untergang der Sowjetunion und im Triumph des nordatlantischen Westens besitzt.

Von hier aus ergeben sich zwei Fragen. Die erste ist, wie Politik abseits des Ideologischen beschaffen sein muss, nach welcher Logik also – wenn Ideologie nach der Logik der phantasmatischen Schließung funktioniert – Politik funktioniert. Die zweite lautet, wie im besonderen jene Emanzipationsdiskurse beschaffen sein müssen, die der phantasmatischen oder ideologischen Dimension der Schließung entkommen, wie also das Projekt – oder besser: die Projekte der Emanzipation heute vorgestellt werden sollen. Es mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, aber die Antworten auf diese beiden Fragen gehen ebenfalls auf die jakobinische Tradition der Revolution zurück, nur dass »Revolution« nun anders gelesen wird als in der klassischen Lesart: Zum einen ist der Jakobinismus – abseits von seiner phantasmatischen Dimension – auch jener historische Moment, in dem die politische Logik von Hegemonie (von Populismus im hegemonietheoretischen Sinn) auftritt und wirkmächtig wird. Zum zweiten ist die Französische Revolution nicht nur der Moment der phantasmatischen Gründung und Schließung des Sozialen, sondern, wie Claude Lefort ausgiebig gezeigt hat, sie ist genauso der Moment der Ent-Gründung und Öffnung. [9] Es geht um ihr Verständnis als demokratische Revolution, die einen imaginären Horizont der Logik von Freiheit, Gleichheit und Solidarität aufspannt, der keinen neuen Grund darstellt und doch für heutige emanzipatorische Projekte unüberschreitbar bleibt. Von hier aus ergibt sich die emanzipatorische Aufgabe eben nicht der Überschreitung, sondern der Radikalisierung dieses Horizonts, etwa in Form eines Projekts radikaler Demokratie. Betrachten wir diese beiden Antworten etwas genauer.

 

Revolution als leerer Signifikant und imaginärer Horizont

Was macht die Französische Revolution – und zwar unbeschadet aller heterodoxen Aufwertungsversuche anderer Revolution wie etwa der Amerikanischen bei Arendt – zur Revolution par excellence. Warum hat sich gerade die Französische Revolution als Paraderevolution in unser Bewusstsein gefressen? Einer der Gründe ist genau in der dichotomischen Dimension zu suchen, die im jakobinischen Diskurs als populistischer Bruch zwischen der Republik und ihren (inneren und äußeren) Feinden als moderne politische Logik die historische Bühne betritt. Betrachten wir also die dichotomische Logik nicht in ihrer Dimension als Phantasma, sondern in ihrer Dimension als politische Logik des Antagonismus und letztlich der Hegemonie und des leeren Signifikanten. Schon in seinem ersten Buch Politik und Ideologie im Marxismus. Kapitalismus – Faschismus – Populismus leitet Laclau die Funktionsweise moderner Politik – die hegemoniale Logik des Politischen – vor allem vom jakobinischen Diskurs ab und unterstreicht, »dass der politisch-ideologische Horizont des 19. Jahrhunderts in Europa von zwei Polen dominiert war: dem jakobinistischen popularen Bruch und der transformistischen Reabsorption der popularen Positionen«. [10] Als Beispiele für den Diskurs des popularen Bruchs führt Laclau den Diskurs des Chartismus in England, den des Mazzinismus in Italien und die jakobinische Tradition in Frankreich an, für den Diskurs der Integration führt er den Tory-Diskurs Disraelis an, den der konservativen preußischen Revolution Bismarcks und den transformistischen Diskurs Giolittis in Italien. Im Fall eines populistischen Bruchs spaltet sich das Feld diskursiver Differenzen in zwei antagonistische Diskurse, es homogenisiert sich um zwei sich gegenüberstehende Äquivalenzketten: »Wenn der Aufbau einer Hegemonie durch Transformismus darin besteht, die Widersprüche in Differenzen zu transformieren, besteht der Aufbau einer Hegemonie durch populistischen Bruch darin, verschiedene Systeme von Differenzen, die im traditionellen Herrschaftsdiskurs artikuliert sind, auf das Feld der popularen Äquivalenzen zu verschieben.« [11] Mit anderen Worten, und diese These sollte später in Hegemonie und radikale Demokratie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe zur diskursanalytisch gewendeten Hegemonietheorie ausgebaut werden, homogenisiert sich im Antagonismus das Feld gesellschaftlicher Differenzen gegenüber einem rein negativ definierten Außen: Differentielle Positionen im Feld des Sozialen verdichten sich zu Äquivalenzketten. Der Transformismus wiederum versucht einzelne Differenzen aus diesen Ketten herauszulösen und den Antagonismus zu desartikulieren.

Nun ist, während in revolutionären Diskursen das Äquivalenzmoment des popularen Bruchs überwiegt, die Strategie des Transformismus von, sagen wir, Disraeli bis Blair und von Bismarck bis Schröder historisch hegemonial. Der jakobinisch-populistische Diskurs ist dennoch nicht verschwunden, sondern bleibt als sedimentiertes Reservoir populistischer Anrufungen erhalten, das jederzeit aktualisierbar ist: »Die popular-demokratischen Anrufungen sind zwar überwiegend in den bürgerlichen Diskurs integriert, gehen aber nie ganz in ihm auf und bleiben stets in der Tiefe des politischen Bewusstseins als möglicher Ursprung für eine Radikalisierung.« [12] Allerdings garantieren die Wurzeln dieser Anrufungen im Revolutionsdiskurs noch nicht dessen emanzipatorische Reartikulation. So besteht heute das ganze Problem der europäischen Linken nicht darin, dass ein anti-systemischer Diskurs nicht mehr artikulierbar wäre, sondern darin, dass er tatsächlich artikuliert wird, allerdings von der rassistischen und populistischen Rechten (links-populistische Gegenbeispiele finden sich heute eher wieder in Lateinamerika). Damit wären wir bei einer Analyse des gegenwärtigen europäischen Rechtspopulismus angelangt, um den es hier nicht geht und zu dessen genauerer Untersuchung man übrigens auf die frühe Unterscheidung Laclaus zurückkommen müsste zwischen einem Populismus der Beherrschten, der sich um den Antagonismus »Volk«/Machtblock herum organisiert, und einem Populismus der Herrschenden, der denselben Antagonismus aus dem Machtblock heraus – durch eine Fraktion des Machtblocks – artikuliert. [13] Es sei nur angemerkt, dass der Charakter eines Populismus der Herrschenden in der mühelosen Reintegration rechtsextremer Parteien in den bürgerlichen Block auch auf Regierungsebene zutage tritt, die Krise des neo-korporatistischen Nachkriegskompromisses also mit transformistischen Strategien gelöst wird. [14] Für das Thema Revolution entscheidend bleibt die historische Herkunft der Logik des Populismus aus dem Jakobinismus, und zwar unabhängig von seiner heutigen Artikulation in rechten Diskursen.

Die neo-gramscianische Ausweitung der jakobinischen Tradition in eine allgemeine hegemonietheoretische Diskursanalyse (die trotz ihrer emanzipatorischen Ursprünge sowohl rechte wie linke Diskurse beschreibt) lässt die Kategorie der Revolution als analytische Kategorie nicht unberührt. Lässt man die phantasmatische Dimension des Begriffs hinter sich, ergibt sich die Notwendigkeit eines Umdenkens und Neudenkens dessen, was Revolution als analytischer Terminus wie auch als politischer Begriff bedeuten kann. So kommen Laclau und Mouffe zu dem Schluss: »Natürlich gäbe es nichts am Begriff der ›Revolution‹ auszusetzen, wenn wir darunter die Überdetermination einer Reihe von Kämpfen in einem politischen Bruchpunkt verstehen würden, aus dem eine Vielfalt von politischen Effekten folgt, die sich über die ganze Struktur der Gesellschaft ausbreiten [15] Genau diese Revolutionsdefinition aber basiert auf der Definition des Antagonismus als politischer Logik der Äquivalenzierung von Differenzen. Damit wäre eine analytische Kategorie von Revolution gewonnen. Wie steht es aber um Revolution als Diskurs, bzw. als Signifikant innerhalb heutiger emanzipatorischer Diskurse? Um diese Frage zu beantworten und den Einsatz des politischen Slogans »Revolution« zu untersuchen, müssen wir zwei weitere diskursanalytische Kategorien einführen: die des leeren Signifikanten und die des Imaginären.

Definieren wir behelfsmäßig einen leeren Signifikanten als jene Differenz aus dem Inneren einer Äquivalenzkette, der die Aufgabe zufällt, die Kette als solche zu repräsentieren. Ein hegemoniales Verhältnis besteht in diesem Repräsentationsverhältnis, in dem ein partikulares Element universale Funktion annimmt. Nehmen wir das Beispiel eines Bündnisses einer Reihe von politischen Akteuren (mit dem Vorbehalt, dass eine solche Allianz selbst nur einen Sonderfall einer Äquivalenzkette darstellt): Ein solches Bündnis wird sich um Signifikanten formieren (z.B. »Freiheit« oder »Gerechtigkeit«), auf die sich alle Elemente der Allianz einigen können. Damit sie als umbrella term für die Bewegung als solche dienen können, müssen die Signifikanten ausreichend »leer« sein: je weniger sie konkret bezeichnen, desto mehr können sie umfassen. Daraus folgt als allgemeine Regel, dass die »Länge« der Äquivalenzkette (und damit das Ausmaß der Antagonisierung einer Situation) proportional zur Leere des Signifikanten ist, der die Kette als solche bezeichnet. Die Leere eines Signifikanten ist Index seines hegemonialen Erfolgs. In welchem Ausmaß funktioniert »Revolution« nun als leerer Signifikant? Diese Frage ist offensichtlich immer nur in Bezug auf einen spezifischen historischen Kontext zu beantworten. Obwohl die Ereignisse rund um den Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums vielfach als Revolution bezeichnet wurden, scheint mir der letzte historische Moment in Europa, in dem eine breite emanzipatorische Bewegung sich bewusst um den jakobinischen Signifikanten »Revolution« versammelte, der Mai 68 gewesen zu sein. Und hier war es auch, und zwar nur im französischen Mai 68, wo ein nachkriegseuropäisches Ereignis, das mit dem leeren Signifikanten »Revolution« artikuliert wurde, der analytischen Kategorie der Revolution (der Überdetermination einer Reihe von Kämpfen in einem politischen Bruchpunkt, aus dem eine Vielfalt politischer Effekte folgt, die sich über die ganze Struktur der Gesellschaft ausbreiten) entfernt nahe kam, selbst wenn ihr kein »Erfolg« beschieden war.

Historisch ist einzurechnen, dass unsere heutigen Vorstellungen den französischen Mai 68 durchgehend kulturalisieren und die politische Dimension der Ereignisse ausblenden (eine Kulturalisierung des Politischen, die übrigens selbst wiederum Effekt der bürgerlichen Hegemonie ist). [16] Heute wird 68 erinnert als Revolution einer »Generation gegen ihre Eltern«, als »sexuelle Revolution« oder als »Poprevolution«. Dass es sich in Frankreich um ein real existierendes politisches Bündnis zwischen den verschiedensten Kräften (am sichtbarsten, wenn auch bei weitem nicht ausschließlich, zwischen ArbeiterInnen und StudentInnen) handelte, das im größten europäischen Generalstreik (mit 8-9 Millionen Streikenden) kulminierte, der fast zum Sturz de Gaulles und seiner Republik geführt hätte, wird heute weitgehend ausgeblendet. Damit soll nicht gesagt sein, dass das Feld der Kultur politisch unwichtig wäre, sondern es soll gesagt sein, dass ein politisches Ereignis nachträglich kulturalisiert wurde und seiner politischen Dimension beraubt: Der politische Diskurs des popularen Bruchs wurde wieder in den reiner Differenzen im Feld der Kultur transformiert. Dadurch erscheint sowohl der damalige Einsatz des politischen Signifikanten »Revolution« wie auch die Beschreibung der Ereignisse mit der analytischen Kategorie der Revolution weltfremd. Dieser nachträgliche Effekt des Weltfremden, ja möglicherweise Lächerlichen ist aber Ergebnis einer Verzerrung, die dem heute hegemonialen Diskurs geschuldet ist, in dem der Signifikant »Revolution« keinen Verkehrswert mehr besitzt. Im damaligen Moment hingegen erfüllte er – in gewissem Ausmaß – tatsächlich die Funktion eines leeren Signifikanten – und zwar, so die These, ausschließlich in Frankreich. »Weltfremd« oder »lächerlich« war aus dieser Perspektive der Einsatz des Signifikanten auch damals nur in der BRD oder den USA.

Der Grund dafür ist folgender: Die Mobilisierungskraft eines Signifikanten hängt zusammen mit seiner Position innerhalb eines gegebenen Imaginären. Laclau unterscheidet in der Bewegung der hegemonialen Ausweitung eines bestimmten Diskurses zwei Phasen: Jene des Mythos und jene des Imaginären. Unter Mythos versteht Laclau ein Prinzip, das eine dislozierte, also krisenhafte gesellschaftliche Struktur neu zu ordnen verspricht. Der Begriff ist von Sorels Mythos des Generalstreiks abgeleitet, Laclau bringt aber eine Reihe weiterer, historisch erfolgreicherer Beispiele wie jenes des »Wohlfahrtsstaats« als eines Mythos, der die Operationen der kapitalistischen Gesellschaften rekonstruierten sollte. Ein Mythos bietet auf einem dislozierten Terrain ein neues Prinzip der Repräsentation dieses Terrains, dessen Inhalt selbst nicht aus dem Faktum der Dislokation und Krise ableitbar ist:

  By myth we mean a space of representation which bears no relation of continuity with the dominant ›structural objectivity‹. Myth is thus a principle of reading a given situation, whose terms are external to what is representable in the objective spatiality constituted by the given structure. The ›objective‹ condition for the emergence of myth, then, is a structural dislocation. The ›work‹ of myth is to suture that dislocated space through the constitution of a new space of representation. Thus, the effectiveness of myth is essentially hegemonic: it involves forming a new objectivity by means of the rearticulation of the dislocated elements. Any objectivity, then, is merely a crystallized myth. [17]

Ein Mythos versucht auf einem dislozierten Terrain die Objektivität des Sozialen selbst zu repräsentieren. Erweitert sich diese Repräsentationsfunktion des Mythos so stark, dass er zur Einschreibungsfläche jeder auftretenden Dislokation und jeder sozialen Forderung wird, spricht Laclau vom Horizont des Imaginären:

  The imaginary is a horizon: it is not one among other objects but an absolute limit which structures the field of intelligibility and is thus the condition of possibility for the emergence of any object. In this sense, the Christian millennium, the Enlightenment and positivism’s conception of progress, communist society are all imaginaries: as modes of representation of the very form of fullness, they are located beyond the precariousness and dislocations typical of the world of objects. [18]

Leere Signifikanten sind auf der Ebene des Mythos angesiedelt und konstituieren ein gegebenes Imaginäres. [19] Besitzt ein bestimmter Signifikant im Rahmen eines gegebenen Imaginären eine Kernfunktion, ist also das Imaginären in starkem Ausmaß um ihn herum strukturiert, wird seine Mobilisierungswirkung entsprechend hoch sein. Genau das war in Frankreich der Fall: »Revolution« war im Mai 68 nicht nur Mythos (leerer Signifikant), sondern auch Bestandteil des Imaginären. Der Signifikant war lesbar im Rahmen des französischen Imaginären, er war Teil des französischen Intelligibilitätshorizontes. So müssten wir in einer empirischen Diskursanalyse des französischen Mai 68 nicht nur den Signifikant »Revolution« als Wort untersuchen, sondern die Ankoppelung des gesamtem Diskurses (der sprachliche wie pragmatische Elemente umfasst) an das französische revolutionäre Imaginäre. Dabei würde sich herausstellen, dass z.B. die Errichtung der Barrikaden in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai den Revolutionsdiskurs in die Tradition des 19. Jahrhunderts (die Barrikaden der Kommune) stellte und in ihren Begriffen lesbar machte. Entscheidend aber ist, dass im Nachkriegsfrankreich »Revolution« – worunter natürlich sehr Unterschiedliches (z.B. die unterschiedlichen Phasen der Französischen Revolution) verstanden wurde – sowohl für die Linke als auch für die Rechte als imaginärer Horizont funktionierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die tatsächlich anti-revolutionären konservativen Diskurse der Monarchisten und der radikalen Rechten nicht zuletzt aufgrund ihrer Kollaborationsgeschichte entscheidend delegitimiert. Der Gaullismus war ja nicht nur verbunden mit Autoritarismus und der Hoffnung auf neue nationale Größe, sondern auch mit dem Prestige der Exilregierung und der Resistance, mit dem die kollaborationistische Rechte nicht dienen konnte. Resultat war eine Situation, in der sich sowohl die Linke als auch die gaullistische Rechte innerhalb des Imaginären der Revolution befand. Diese der gaullistischen Rechten wie der Linken gemeinsame Basis des Imaginären der Revolution erklärt übrigens erst, warum jemand wie André Malraux, der als Flieger für die chinesische Revolution gekämpft hatte, Kulturminister unter de Gaulle werden konnte. Es war ihm nämlich problemlos möglich, eine Linie zur französischen Revolution und zum revolutionären Patriotismus zu ziehen: Vor dem Hintergrund dieses Imaginären der Revolution, konnte ein Linker wie Malraux zur Rechten wechseln und dennoch dem Jakobinismus in gewissem Sinne »treu« bleiben [20] :

Nach Malraux war der Gaullismus eine moderne Neuinterpretation der Tradition des revolutionären Patriotismus, der von Michelet und Péguy geschmiedet worden war. Seine natürlich Heimat war die politische Rechte, und trotzdem war der Gaullismus etwas Eigenständiges und zeichnete sich vor anderen Elementen auf der französischen Rechten dadurch aus, dass er die Revolution akzeptierte: Er sah die Nation und die Revolution als untrennbar an. Die trennende Sprache der Klasse auf der Linken verzerrte diese Tradition, die eigentlich de Gaulles Partei gehörte. Der Gaullismus hatte nichts mit den provinziellen Akzenten der traditionellen französischen Rechten zu tun: Er war eine neue politische Mystik, die von der Wiederbelebung der großen und universalisierenden Ansprüche des Jakobinismus gestützt wurde. [21]

Natürlich besteht ein wesentliches Merkmal eines leeren Signifikanten gerade darin, dass verschiedenste Interpretationen sich seiner bemächtigen können. Im Rahmen ein und desselben Imaginären können sich sogar antagonistische Positionen im Rückgriff auf die gleichen Signifikanten formulieren. Wenn sich auch im Mai 68 die politische Debatte bald um die Alternative Revolution vs. Reform gliedern sollte, blieb der Signifikant Revolution für alle Beteiligten lesbar, d.h. im Bereich des Vorstellbaren – und dies, weil der leere Signifikant »Revolution« eine Kernfunktion für das französische Imaginäre erfüllte. Darin unterscheidet sich das französische Nachkriegsimaginäre von dem allen anderen westeuropäischen Länder. In Italien, dem Land, das Frankreich an politische Radikalität wohl am nächsten kam, hatte sich Togliatti bereits nach seiner Rückkehr aus dem Moskauer Exil in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme, der sogenannten »Wende von Salerno«, reformistisch und mehr oder minder wohlwollend gegenüber der Regierung Badoglio präsentiert. Diese »Wende« hatte nicht nur realpolitische Gründe. Der Revolutionsdiskurs selbst war im italienischen Imaginären bei weitem nicht so verankert wie im französischen (es sei denn im Sinne der nationalen »Revolution« des 19. Jahrhunderts, auf die sich noch die Faschisten bezogen hatten) – eine Situation, die sich in der Togliatti zugeschriebenen Formel niederschlug: Alla rivoluzione bisogna pensarci sempre, ma non bisogna nominarla mai.

Damit ist nicht gesagt, dass die »objektive Situation« in Italien in irgendeiner Weise unrevolutionärer gewesen wäre als die in Frankreich, man denke nur an die fortgesetzte politische Krise, an Geheimgesellschaften, Terrorismus, vereitelte Coups etc., die die italienischen Nachkriegsgeschichte stärker kennzeichnen als die französische. Vom Gesichtspunkt der Analyse jakobinischer Diskurse ist entscheidend, dass der Signifikant »Revolution« im Imaginären kein Prinzip der Lesbarkeit finden konnte, keine Attraktivität als Mythos besaß, mithilfe dessen ein disloziertes Soziales hätte restrukturiert werden können. Dasselbe muss natürlich über die BRD gesagt werden: Im Unterschied zum französischen Imaginären war im bundesdeutschen die schiere Möglichkeit einer Revolution undenkbar. Während die »Studentenrevolte« und selbst der Kampf der RAF zwar als chaotische andere Seite der Ordnung konstruiert wurde, lag die Möglichkeit einer tatsächlichen Revolution nie im Bereich des Vorstellbaren. Ein wesentlicher Grund dafür war natürlich, dass – im Unterschied zum französischen Generalstreik des Mai 68 – schlicht die Massenbasis fehlte, was auch den Vertretern des Staates nicht verborgen geblieben sein kann. Nicht unwesentlich dürfte aber auch gewesen sein, dass »Revolution« dem imaginären Horizont der BRD nicht eingeschrieben war, also nicht im Reich des Vorstellbaren und politisch Artikulierbaren lag. Das Gerede der 68er und ihrer 70er-Nachfolger von  Revolution blieb, was es war: leeres Gerede – leer aber nicht im Sinn des leeren Signifikanten. Wollte man die Struktur des Imaginären Deutschlands untersuchen, würde man auf andere hegemoniale Signifikanten stoßen, etwa auf jenen der »sozialen Marktwirtschaft«, wie Martin Nonhoff analysiert hat. Wenn Nonhoff »soziale Marktwirtschaft« beschreibt als »abwesende gesellschaftliche Vollkommenheit, jene perfekte Wirtschaftsordnung, die alle Grundwerte und alle gesamtwirtschaftlichen Ziele vollkommen realisiert« [22] , dann entspricht diese Beschreibung allerdings eher der Funktion einer imaginären Horizonts und weniger der eines mobilisierenden Mythos, und zu einem solchen Horizont, dem sich sowohl konservative wie linke Positionen einschreiben, ist »soziale Marktwirtschaft« in der deutschen Nachkriegsgeschichte tatsächlich geworden. [23] Auch wenn er nicht mehr explizit unter diesem Terminus figuriert, muss sich selbst die a-soziale Reformpolitik der Regierung Schröder noch auf diesen sozialen Diskurshorizont beziehen. Wenn es heute in Deutschland einen Kandidaten für die Rolle des leeren Signifikanten gibt, für einen Mythos, der einen dislozierten Raum mit einem Repräsentationsprinzip versehen und damit lesbar machen soll, dann ist es wohl gute alte Feind der Revolution: die »Reform«. [24] »Revolution« und »Kommunismus« sind heute leer in einem anderen Sinn: sie sind »leer«, weil ihnen nicht der geringste Vorstellungsinhalt mehr zu entsprechen scheint. Sie sind jenseits unseres Imaginären.

 

Kommunismus zwischen Organisation und Bewegung

Bevor ich zur Frage der möglichen oder unmöglichen inhaltlichen Auffüllung dieser Signifikanten im Rahmen eines radikaldemokratischen Projekts komme, muss auf analytischer Ebene noch das Phänomen der Dislokation – mit Gramsci: der organischen Krise – als »objektiver Bedingung« einer Revolution näher beleuchtet werden. In der nicht-jakobinischen deterministischen Theorietradition der Linken hat die Kategorie der Dislokation keinen Platz. Für die erste und zweite Internationale war es völlig klar, dass der Kapitalismus aus »objektiven« inneren Widersprüchen zugrunde gehen würde. Die Stabilisierung des Kapitalismus nach seiner langandauernden aber keineswegs tödlichen Krise in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte ein Umdenken nötig. Erst für Lenin und die dritte Internationale, wie auch übrigens im Austromarxismus, kam es zum Primat der politischen Praxis. Davor regierte, was man vielleicht den Objektivismus der klassischen Revolutionserzählung nennen kann: das Vertrauen auf objektive Entwicklungsgesetze des Kapitalismus, aufgrund derer der Kapitalismus automatisch in sein Gegenteil umschlagen würde: Kommunismus. Dass es nicht so kam, war die Rache Hegels dafür, dass Marx ihn auf die Füße gestellt hatte und dennoch Hegelianer blieb. Heute noch zählen ansonsten durchaus vernünftige Marxisten wie Wallerstein die Jahre bis zum unausweichlichen Zusammenbruch des Kapitalismus. Selbst manche Aktivisten des französischen Mai 68 hatten berechnet, dass die Revolution im Jahr 1972 eintreten würde – einem Jahr, das mit der Unterzeichnung des Gemeinsamen Programms durch die kommunistische und sozialistische Führung dann eher den Zusammenbruch der revolutionären Hoffnungen symbolisierte: »Die Aktionen der Gauchistes waren von der Erwartung beflügelt, dass die Revolution in Frankreich eine reale und bevorstehende Möglichkeit war, und einige gingen sogar soweit, ein bestimmtes apokalyptisches Jahr, 1972, vorauszusagen. In Wirklichkeit brach im Jahr 1972 dieser imaginäre revolutionäre Horizont völlig zusammen [25] Das Phänomen der Dislokation lässt sich weder berechnen noch vorhersagen, es handelt sich um eine reine Kontingenzfigur.

Was wären dann aber die »objektiven Bedingungen« für einen popularen Bruch? Aus hegemonietheoretischer Sicht gibt es nur eine einzige objektive Bedingung, und die besteht in einer Krise des historischen Blocks bzw. der hegemonialen Formation einer Gesellschaft. In eine solchen Krise, in der sich die einzelnen Elemente einer hegemonialen Formation gleichsam entketten und Allianzen auseinanderbrechen, kann das, was Hegemonie ausmacht, nämlich Konsens und freiwillige Zustimmung der Massen zum Status quo, nicht mehr garantiert werden. Es kommt zur Desintegration eines gegebenen Imaginären, das immer weniger Forderungen zu absorbieren in der Lage ist. Solche Situationen führen immer wieder zum überraschenden Ende eines Regimes oder gar ganzer Imperien wie der Sowjetunion. Jede hegemoniale Formation ist ein prekäres Equilibrium, das immer stabiler aussieht als es tatsächlich ist. Daher die allgemeine Überraschung über sein plötzliches Ende. Auf der Ebene der Staatsmacht ist das am deutlichsten: Spätestens wenn der Hegemonieverlust auf die staatlichen Zwangsapparate übergreift und Polizei wie Militär sich weigert, gegen etwa eine demonstrierende Bevölkerung vorzugehen, sind die Tage eines Regimes gezählt. Das jüngste historische Beispiel, das unter diesem Gesichtspunkt einer Revolution nahe kam, war die Massenbewegung gegen das politische Establishment Argentiniens. Aber ist Krise als »objektive Bedingung« nun bloß notwendig oder schon hinreichend?

Entscheidend ist, dass nichts an der Krise selbst ihre Artikulation als »Revolution« präformiert. Es kann alles beim Alten bleiben. Hannah Arendt hat in einem bekannten Interview zur Studentenbewegung genau diese Tatsache – mit ihren eigenen Kategorien – beschrieben:

  [E]s gibt natürlich eine ganze Reihe von Erscheinungen, von denen man ohne weiteres sagen kann, dass sie nach unseren Erfahrungen mit dem Phänomen selbst, die ja nicht sehr alt sind, sondern erst seit der französischen und amerikanischen Revolution datieren – vorher hat es Rebellionen und Staatsstreiche, aber keine Revolutionen gegeben –, zu den Vorbedingungen der Revolution gehören. Also: der drohende Zusammenbruch des Staatsapparates, seine Unterhöhlung, der Verlust des Vertrauens in die Regierung seitens des Volkes, das Versagen der öffentlichen Dienste und anderes mehr. Der Macht und Autoritätsverlust in allen Großmächten ist augenscheinlich, auch wenn er von einer ungeheuren Akkumulation von Gewaltmittel in der öffentlichen Hand begleitet ist, und dieser Zuwachs an Gewaltmitteln kann den Machtverlust nicht kompensieren. Dennoch brauch diese Situation nicht zur Revolution führen. Sie kann erstens mit Konterrevolution, der Errichtung von Diktaturen enden, und sie kann zweitens ausgehen wie das Horneberger Schießen: es braucht gar nichts zu geschehen. [26]

Warum, muss man fragen, kann eine Krise vorübergehen, ohne dass etwas geschieht, ohne dass sie zur Revolution führt? Die Antwort lautet: Die Krise muss durch ein gegenhegemoniales Projekt gelöst werden; wenn keines formuliert wird, tritt eine Art default-Regel ein und die herrschende Formation transformiert die Krise nach ihren Begriffen. Auf ihre Art hat Arendt diese Beobachtung – personalisiert auf die Figur des »Revolutionärs« – zu einem Vorwurf an die Studenten gemünzt:

  Für eine kommende Revolution fehlt vorläufig vor allem eine Grundvoraussetzung, die entscheidend ist: nämlich eine Gruppe wirklicher Revolutionäre. Gerade das, was die linken Studenten am liebsten sein wollen: Revolutionäre – gerade das sind sie nicht. Sie sind auch nicht revolutionäre organisiert; sie haben keine Ahnung, was Macht bedeutet; und sie sind sicher die letzten, die, wenn die Macht auf der Straße liegt und sie wissen würden, dass sie dort liegt, auch bereit wären, sich zu bücken und sie aufzuheben. Genau das machen die Revolutionäre. Die Revolutionäre machen nicht die Revolution! Die Revolutionäre sind diejenigen, die wissen, wann die Macht auf der Straße liegt und wann sie sie aufheben können! [27]

Verstehen wir »den Revolutionär« hier nicht als Individuum, sondern im Sinne Gramscis als kollektiven organischen Intellektuellen, d.h. als organisiertes politisches Projekt, das einen kollektiven Willen organisiert, dann wird schlagartig klar, worum es im Verhältnis von objektiver Bedingung und subjektiver Reorganisation geht: Die Krise ist objektiv im Sinne von unverfügbar. Sie »liegt auf der Straße« und ist nicht selbst das Produkt der Revolutionäre, die sie vor-finden und aufheben, nicht aber auslösen. Natürlich kann sie sich aus einer Reihe konkreter Ursachen zusammensetzen wie Krieg, Bürgerkrieg, ökonomische Rezession oder plötzlich erkennbare Schwächen eines Kolonialregimes, aber als Krise – d.h. als Dislokation des symbolischen Raums einer hegemonialen Formation – ist sie grundlos, denn sie ist selbst der Topos der Kontingenz. Sie zeigt, dass sich die Dinge ändern können – und das sie ab sofort geändert werden können. Diskursanalytisch gesprochen besteht die Krise in einer Desintegration des Imaginären, das immer weniger Signifikanten an sich binden kann. Nur unter der Bedingung, dass das alte hegemoniale Imaginäre zerbröselt, kann ein Gegenmythos sich zu einem neuen Imaginären ausdehnen. Dieser Wechsel findet auf der Ebene des Paradigmas statt, ist also keine partielle Angelegenheit, selbst wenn das herrschende Imaginäre nie den gesamten sozialen Raum umfassen kann (denn dann wäre ein hegemonialer Sieg ein für allemal sichergestellt und Politik verschwunden, worin ja genau die phantasmatische Behauptung der Ideologie besteht). Nur wenn der Gegenmythos zum neuen Intelligibilitätsparadigma wird, also die Mittel bereitstellt, mit deren Hilfe alle sozialen und politischen Vorkommnisse auf seine Weise »verstehbar« werden, füllt er die Rolle des Imaginären aus. Aber das muss organisiert werden.

Seltsamerweise ist es gerade der Kommunismus als politische Bewegung, die uns daran erinnert, dass Politik nicht ohne eine Form der Organisation zu haben ist. Dabei ist Kommunismus als Adjektiv einer Partei vergleichsweise jung. Nachdem im August 1914 die Zweite Internationale an der Frage des ersten Weltkriegs zerbrochen war, zerbrachen die sozialistischen Parteien nach dem Ende des Weltkriegs in sich, was überhaupt erst zur Gründung kommunistischer Parteien und, im März 1919 in Moskau, der Kommunistischen Internationale führte. 1923 sollten auf der anderen Seite die Zweite Internationale und die Internationale Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Parteien zur Sozialistischen Arbeiter-Internationale fusionieren. Der Kommunismus in seiner Parteiform entsteht also erst ein Dreivierteljahrhundert nach dem »Kommunistischen Manifest« in einer völlig veränderten historischen Situation und mit einem Gegner innerhalb der Linken, der mit den von Marx und Engels so verhassten Sozialutopisten überhaupt nichts mehr gemein hatte, im Gegenteil. Während die historische Urform der Partei mit dem Jakobinerklub wieder einmal in der Französischen Revolution zu finden ist, ist die moderne Form der (Avantgarde-)Partei die Erfindung Lenins und hat mit Marx oder Marxismus wenig zu tun. Aus der ökonomistischen Sicht der Zweiten Internationale sollte der Kapitalismus ja plangemäß an seinen inneren Widersprüchen zerbrechen, was die Frage der politischen Organisationsform (eine Frage des Überbaus) sekundär werden ließ. Eine neue Frontstellung sollte sich erst mit den Ereignissen um 1968 und ihren Folgen ergeben, nämlich als Front zwischen Parteiform und Bewegungsform. Natürlich gab es immer schon andere Organisationsformen neben der Partei. Doch der organisierte Versuch, eine Pluralität von Identitäten zu einem gemeinsamen Projekt außerhalb einer Partei zu universalisieren, beginnt erst mit der ersten Welle der britischen New Left bzw. der französischen nouvelle gauche, also in den späten 40er und 50er-Jahren. Wie Michael Kenny in seiner Studie The First New Left schreibt:

  The New Left also sought to re-evaluate some of the left’s core values and assumptions in the context of the social and economic changes slowly reshaping the political landscape. Above all, the movement’s intellectuals sought to address the pluralization of social identities evident in the modern world, exploring the implications of this process for socialism. The New Left’s sensitivity to the diverse interests of different constituencies – school leavers, teachers, immigrant ›communities‹ and new-town dwellers, for example – merged with an instinctive celebration of grassroots mobilisation within civil society. Whereas previously, these groups had been recognised as ›objects‹ of concern by the  left (of they were notice at all), for the New Left, their particular interests and experiences had to be unified within a more expansive and diverse coalition – a new ›historical bloc‹, in Gramscian terms. [28]

Dieser erste Versuch der New Left war zwar als »historischer Block« gedacht, politisch aber wenig effektiv. Erst mit und nach 68 universalisiert sich diese Politikform, wird sichtbar und gewissermaßen historisch wirkmächtig. Vor allem in Frankreich vertieften die Ereignisse des Mai die gegenseitige Abneigung jener, die innerhalb, und jener, die außerhalb von Links-Parteien organisiert waren. Ähnlich wie die (Spartakus-)Kommunisten im Moment der Revolution von der Sozialdemokratie »verraten« worden waren, fühlten sich die Gauchisten des Mai von der KPF verraten, der nicht zuletzt unterstellt wurde, die eigentliche Form der Partei würde sie schon zur Kollaboration mit dem System und der repräsentativen Demokratie zwingen. In der BRD schienen in den 70ern K-Gruppen und Spontis ihre diametral entgegengesetzte Organisationslogik bzw. -unlogik in aller Konsequenz zu Ende zu denken, bis sich der Kreis schloss und sie sich bei den Grünen wieder trafen. In Italien war der Hass der außerparlamentarischen Gruppen – am wichtigsten die 1969 als Form der »gemeinsamen Organisation aller Avantgarden« (Sofri) gegründete Lotta Continua – auf die KPI nicht geringer als der Hass der Gauchisten auf die KPF. Anders als die moskautreue KPF hätte vom Standpunkt ihrer Parteiideologie die in der Tradition Gramsci/Togliatti stehende »eurokommunistische« KPI – die in dieser Frage auch durchaus innerlich gespalten war – ohne weiteres sich zur Bildung eines neuen hegemonialen Projekts mit der außerparlamentarischen Bewegung aufschwingen können (hier hat die heutige Rifondazione in ihrem Verhältnis zur italienischen Antiglobalisierungsbewegung ihre Lektion gelernt). In der Praxis waren beide Parteien, KPF und KPI, gleichermaßen staatstreu.

Von dieser Erfahrung ausgehend entwickelten sich verschiedenste alternative Organisationsformen jenseits der Partei, die aber zumeist von solchen Schwächen geplagt waren, dass sie mittelfristig entweder verschwanden oder wieder in neue Parteigründungen mündeten. Der behelfsmäßige Begriff der Bewegung, der sich dafür eingebürgert hat, ist nicht hundertprozentig glücklich, da auch der Faschismus sich als Bewegung verstand. Und wenn Jörg Haider einmal die FPÖ programmatisch als Bewegung positionieren wollte, so kann man sich denken, an welche Tradition er damit anknüpfte. Doch in seiner progressiven wie in seiner reaktionären Verwendung deutet der Begriff auf den Willen hin, die Parteiform zu transzendieren. Dagegen steht Kommunismus heute für das Festhalten an der Parteiform. Wie gezeigt, ist die Verknüpfung des Adjektivs kommunistisch mit der Form der Partei wesentlich jünger als der Marxismus selbst, dennoch ist sie für uns so naturalisiert, dass man sich heute kaum ernsthaft als KommunistIn verstehen kann, ohne in einer Partei organisiert zu sein. Als in den frühen 90er-Jahren die PCI-rifondazione anstand, wäre für die »Neugründer« eine Aufgabe der Parteiform einer Aufgabe des Kommunismus gleichgekommen. Wie der ehemalige 68er-Aktivist und Mitbegründer der Rifondazione Raul Mordenti schrieb, und wohl nicht ohne ironischen Unterton, sei es für KommunistInnen unumgänglich, eine neue Massenpartei zu gründen und nicht etwa eine lockere Allianz, ein »Netzwerk« oder ein Studienzentrum. [29]

Das Paradox kommunistischer Parteien ist heute, dass sie von ihrem Anspruch her Massenparteien sein müssten, es aber kaum irgendwo sind. Trotzdem ist die Parteiform nicht ersatzlos zu streichen und die Bewegungsform – und sei es die der »Bewegung der Bewegungen« – kritiklos zu umarmen. Parteien besitzen gegenüber temporären Assoziationen einige schlagende Vorteile: Im Unterschied zu partikularen, korporatistischen Organisationen einer bestimmten Interessensgruppe (wie Lobbys und Gewerkschaften) und zu Single-Issue-Bewegungen universalisieren Parteien ein politisches Projekt und machen es damit politisch anschlussfähig. Sie synthetisieren verschiedene Forderungen und Ideologeme zum Horizont einer Weltanschauungen, wodurch sie einem rein individualistischen Überzeugungsshopping (heute der Hunger, morgen die Wale, übermorgen der Friede auf Erden etc.) einen Strich durch die Rechnung machen, wirken also prinzipiell politisch ent-individualisierend. Deshalb tragen sie auch zur Permanentisierung eines politischen Projekts bei, da das Schicksal des Projekts nicht allein am Engagement einzelner Individuen hängt, die irgendwann mal an einem burn-out zugrundegehen, sondern durch institutionalisierte Strukturen dauerhafter getragen werden kann. [30] Selbstverständlich besitzen Parteien auch unzählige pragmatische Nachteile, die man nicht extra aufzählen muss. Was sie als Option im Rahmen eines emanzipatorischen Projekts gegenwärtig ausschließt, ist grundlegender: Was der Parteiform entgegensteht, ist die eigentliche Subjektivierungsform der »multitude«, deren ProtagonistInnen ihre individuell gewonnenen (Gewissens-)Positionen einer Parteilinie nie unterordnen würden. Die Figur des hedonistischen und doch »mündigen Konsumenten« hat in den Protestbewegungen seit 68 – und letztlich auch in den Antiglobalisierungsbewegung – die Figur des grauen »Parteisoldaten« endgültig aus dem Feld geschlagen. Was von der Parteiform – und mit ihr vom Kommunismus als politischer Kraft (nicht als politikfreies Phantasma) – trotz alledem gestellt wird, ist genau die Frage nach der Organisation. Eine Frage, die von der Subjektivierungsform der Überzeugungs-shoppenden Politmonade, und sei sie noch so aktivistisch, nicht beantwortet wird. In diesem Sinn bleibt die Partei als abwesende anwesend, auch wenn wir uns heute den Ort der Partei nur noch als von den Bewegungen durchkreuzten Ort vorstellen können. [31]

Deshalb sollte man sich hüten, den Anschluss ans jakobinische ideologische Phantasma der Partei statt ans jakobinische politische Imaginäre der demokratischen Revolution zu suchen. Slavoj Zizek etwa verfällt dieser Verwechselung, wenn er heute noch die Jakobiner gegen die Girondisten beschwört: »Die entscheidende ›leninistische‹ Lehre heute lautet folglich: Politik ohne die organisatorische Form der Partei ist Politik ohne Politik, so dass die Antwort auf diejenigen, die einfach nur die ›neuen sozialen Bewegungen‹ wollen (...), dieselbe ist wie diejenige der Jakobiner auf die girondistischen Kompromissler [32] Zizek vergisst hinzuzufügen, dass die jakobinische Antwort an die »Kompromissler« die Guillotine war. Ich hoffe, das wäre nicht auch Zizeks Antwort an die Verteidiger der »neuen sozialen Bewegungen«. Dennoch trifft historisch zu, dass der Jakobinerklub die Urform der modernen politischen Partei war und dass Politik ohne Organisation keine Politik ist. Zizeks ultra-jakobinischer Kurzschluss besteht aber darin, die Parteiform als einzig politische Organisationsform darzustellen. Die Form der Partei mag die historisch bedeutendste und unter bestimmten Umständen effektivste Form politischer Organisation sein, sie ist aber bei weitem nicht die einzige und ist heute nur in Hinsicht auf parlamentarische Repräsentation zwingend, keinesfalls aber in Hinsicht auf politische Organisation tout court. [33] Die derzeit alle bedrängende Frage nach einer dauerhafteren und durchschlagskräftigen Organisationsform der »Bewegung der Bewegungen« wäre damit nur phantasmatisch beantwortet, nicht politisch.

Revolution, Kommunismus und der demokratische Horizont

Wenn der Signifikant Kommunismus (wie auch andere emanzipatorische Signifikanten) heute leer ist, dann nicht im Sinne des »leeren Signifikanten« Laclaus, der leer ist aufgrund seines Mobilisierungserfolges. Nennenswerte Mobilisierungswirkung entfaltet der Signifikant Kommunismus nicht mehr. Er ist für uns leer in einem anderen Sinn: ihm scheint kein Vorstellungsinhalt mehr zu entsprechen. Das wiederum ist Effekt seiner Niederlage, Effekt des hegemonialen Siegs der Gegenseite im Sinne der »Undenkbarmachung« der radikalen Alternativen zum Status quo des liberal-demokratischen Kapitalismus. Was ist historisch geschehen? Ich würde sagen, der Prozess  ist am besten beschreibbar als Prozess 1) der Ausweitung von »Demokratie« zum unüberschreitbaren Horizont politischer Artikulation; und 2) der Hegemonisierung dieses Horizonts durch ein partikulares »Projekt«, nämlich das des westlichen liberal-demokratischen Kapitalismus. Die Ausweitung von Demokratie zu einem imaginären Horizont bedeutet schlechthin, dass nach dem Wegfall historischer Alternativen (die sich, z.B. als »Volksdemokratien«, selbst übrigens schon in der Sprache der Demokratie formulierten) politische Projekte nur dann Intelligibilität erringen und Repräsentationsanspruch einfordern können, wenn sie sich in irgendeiner Weise an den Diskurs der Demokratie ankoppeln. Dieser Horizont überlappt keineswegs mit der »freiheitlich demokratischen Grundordnung« der real existierenden Demokratie Deutschlands. Letztere ist selbst nur ein hegemonialer Versuch, den Horizont auszufüllen. Letztlich ein staatlich geprägter Versuch, dem sein Partikularismus ins Gesicht geschrieben steht. Der demokratische Horizont ist viel umfassender und bietet nicht-staatlichen oppositionellen Diskursen gleichfalls eine Einschreibungsfläche. Allerdings ist unbestreitbar, dass das partikulare Projekt des westlichen liberal-demokratischen Kapitalismus auf globaler Ebene weitgehend abgesichert, wenn auch nicht unangefochten ist. Diese Lage hat Folgen für emanzipatorische Projekte, die sich vor allem im Ausschluss und der Undenkbarmachung bestimmter Signifikanten zeigen. So wäre der Prozess der politischen Disqualifizierung des Signifikanten »Kommunismus« nicht anders rückgängig zu machen als durch die Gegenhegemonie eines erfolgreichen kommunistischen Projekts – und es gehört nicht viel prophetisches Talent zur Vorhersage, dass dieses kaum noch auftreten wird. So gesehen entspricht dem Diskurs des Kommunismus – wie auch dem der Revolution – kein politisches »Realsubstrat«: ihre Verwendung ist durch die gegenwärtige Kräftekonstellation nicht gedeckt. Es lässt sich ganz unnostalgisch konstatieren, dass der Diskurs des Kommunismus innerhalb der gegenwärtigen hegemonialen Formation nicht universalisierungsfähig ist, es sei denn im Zuge einer radikaldemokratischen Reformulierung. Doch genauso wenig wie die Hegemonie des liberal-demokratischen Kapitalismus das Ende oppositioneller Politik bedeutet, bedeutet das Ende des Kommunismus das Ende von Emanzipation.

Dafür gibt es einen historischen und einen strukturellen Grund. Was letzteren betrifft, ist klar, dass das Spiel zwischen Mythos und imaginärem Horizont nicht abstellbar ist. Wäre es abgestellt, dann hätte ein partikularer Mythos den universalen Horizont der Gesellschaft ein für allemal erobert, Politik wäre verschwunden, Gesellschaft hätte ihren Grund gefunden. Diese Vorstellung hatten wir bereits als ideologisches Phantasma vom, sei es kommunistischen, sei es kapitalistischen Ende der Geschichte beschrieben. Das hegemoniale Spiel ist also aus prinzipiellen Gründen unabschließbar, was impliziert, dass keine hegemoniale Formation ewig währt. Eine hegemoniale Formation wird immer angreifbar bleiben. Der historische Grund besteht wiederum darin, dass der demokratische Horizont – genauso wie seine Besetzung oder »Einfärbung« durch ein partikulares Projekt – selbst Produkt einer kontingenten historischen Entwicklung ist, die in sich ambivalent bleibt. Diese Ambivalenz ist bereits im Ursprung moderner Emanzipationsdiskurse, am Diskurs des Jakobinismus nachweisbar. Darauf weist Laclau hin:

  Think of the ambiguity of Jacobinism during the French Revolution. On the one hand, it constitutes, without doubt, the starting point of modern totalitarianism: the dissolution of the plurality of the social by terror, the affirmation that society must be radically reconstituted from a single political point, the postulation of a rationality and complete transparency in social relations. But, on the other hand, all this is done in terms of an empty and indeterminable universality: the rights of man and of the citizen, and this is incompatible with the concentration of legitimacy in one point of the social fabric – on the contrary, the egalitarian logics tend to disperse and diversify it. The very indeterminacy of the terms in which the subjects of rights are defined implies that these may be indefinitely expanded, in all directions, without any positive content binding them necessarily to a specific type of society. [34]

Auf der einen Seite wirkt im jakobinischen Diskurs das ideologische Prinzip der Schließung, auf der anderen die egalitäre Logik – unter anderem manifestiert in der Kategorie der Menschenrechte –, die jede Schließung unterhöhlt. Laclaus These wäre sogar noch dahingehend zu erweitern, dass die Französische Revolution mit den Kategorien von Freiheit, Gleichheit und Solidarität den emanzipatorischen Horizont der Moderne aufgespannt hat, aus dem sich kein Projekt herausstehlen kann, ohne seinen emanzipatorischen Anspruch aufzugeben. Das heißt nicht, dass diese Kategorien nicht in ein kompliziertes und nie vollständig aufgehendes Spiel eintreten würden (z.B. wird vom liberalen Demokratiediskurs eine individualistische Version der Freiheit in den Vordergrund gerückt, vom Diskurs der »Volkssouveränität« wiederum eine kollektivistische der Gleichheit, etc.). Doch mit diesen Kategorien ist der Horizont möglicher emanzipatorischer Sprachspiele etabliert. Daran ist politisch nichts »Reformistisches«. Bedenkt man seine historischen Wurzeln in der Französischen Revolution, dann ist der demokratische Horizont alles andere als unrevolutionär. Entscheidend ist, dass – im Unterschied zu einer gewissen marxistischen Hermeneutik des Verdachts – sich eine »bürgerliche« Revolution von ihrer ehemaligen »Klassenbasis« emanzipiert hat: sie wurde zur demokratischen Revolution, weil sich von ihr her der Horizont des demokratischen Imaginären aufspannte und für jede emanzipatorische Politik – bürgerliche wie nicht-bürgerliche – verbindlich wurde. [35] Aus Sicht des Projekts der Radikaldemokratie geht es heute weder um scheinbar revolutionäre Überschreitung dieses Horizonts, noch um dessen transformistische »Reform« im Sinne seiner Verengung, sondern um die Ausweitung des demokratischen Imaginären und Radikalisierung der emanzipatorischen Kategorien von Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Reformistisch lässt sich das nur in einer bestimmten Hinsicht nennen: nämlich hinsichtlich der Zurückweisung der dichotomischen Dimension, der Transparenzdimension und der Dimension des Grundes. In genau diesem Sinn positioniert sich ein Radikaldemokrat wie Laclau als »Reformist«: »Nicht etwa, weil meine sozialen Bestrebungen bescheiden wären, sondern weil ich nicht glaube, dass Gesellschaft als solche so etwas wie eine Fundierung hätte. (...) Selbst die Ereignisse, die in der Vergangenheit Revolutionen genannt wurden, waren nur die Überdetermination einer Vielzahl von Reformen, die weite Aspekte der Gesellschaft abdeckten – aber in keiner Weise ihre Totalität. Die Idee, die ganze Gesellschaft auf den Kopf zu stellen, macht keinen Sinn [36]

Reform im radikaldemokratischen Sinn hat somit nichts zu tun mit Reformismus im traditionellen Sinn. Strukturell (nicht physisch) betrachtet ist Reform sogar immer gewaltförmig. Der bereits erwähnte Kojève, der selbst die Oktoberrevolution noch miterlebt hatte, behauptete bekanntlich, beim französische Mai 68 hätte es sich um keine Revolution gehandelt, weil kein Blut geflossen sei – was übrigens faktisch falsch ist. Damit machte er zum Kriterium und Index jeder Revolution die Gewalt. So gesehen wären Revolutionen gewaltförmig per Definition, da sich der totale Bruch mit dem Status quo gar nicht auf andere Weise bewerkstelligen ließe. Eine »friedliche Revolution« – von der Nelkenrevolution etwa bis zu den Vorgängen rund um den Fall des Sowjetimperiums – wäre eine contradictio in adiecto. Der eigentliche Punkt ist aber, dass die Gewalt der Reform zugleich mehr und weniger ist als bei Kojève. Sie ist weniger, insofern sie nicht notwendigerweise etwas mit physischer Gewalt zu tun hat, worauf Kojève ja den Gewaltbegriff verkürzt. Sie ist mehr, insofern nicht nur Revolution, sondern auch Reform strukturell gewaltförmig ist, da sie notwendigerweise den Status quo verändert, Kräfteformationen verschiebt und bestehende Interessen verletzt. Gegen Rortys Idee der Konversation und implizit auch gegen Habermas’ Idee des herrschaftsfreien Diskurses besteht Laclau darauf, dass jede Reform, so wünschenswert sie sein mag, mit einem Moment der Gewalt verbunden ist, und dass daran prinzipiell nichts zu bedauern ist:

  Aber wenn ich auf der einen Seite versuche, Revolution in Reform neu zu verorten, bin ich auf der anderen Seite sehr dafür, die Dimension von Gewalt in der Reform neu einzuführen. Eine Welt, in der Reform ohne Gewalt stattfindet, ist keine Welt, in der ich leben wollte. Sie könnte entweder eine absolut eindimensionale Gesellschaft sein, in der 100 Prozent der Bevölkerung jeder einzelnen Reform zustimmen, oder eine, in der die Entscheidungen von einer Armee von Sozialingenieuren getroffen würden, mit Rückendeckung durch den Rest der Bevölkerung. Jede Reform beinhaltet die Veränderung des status quo, und in den meisten Fällen wird das existierende Interessen verletzen. Der Prozess der Reform ist ein Prozess von Kämpfen, kein Prozess einer leisen, stückweisen, technokratischen Konstruktion. Und daran ist nichts zu bedauern. [37]

Dass jede Politik, die diesen Namen verdient, den Status quo verletzt, ist eine Selbstverständlichkeit und kein Vorrecht der sogenannten Revolutionen. Jeder Streik etwa bedient sich nicht allein der Überzeugungskraft des besseren Arguments oder der »Vernunft«, sondern impliziert ein Moment von Gewalt, das die Antagonisten zum Nachgeben zwingen soll. Laclau kommt schließlich sogar zu dem Schluss, dass »die Existenz von Gewalt und Antagonismus die eigentliche Bedingung einer freien Gesellschaft ist [38] Das Phantasma einer Gesellschaft, von der Macht, Antagonismus und Gewalt völlig eliminiert wurden, entspricht zwar bestimmten Dimensionen des klassischen Emanzipationsbegriffs (etwa seiner Transparenzdimension), ist aber gerade darin ideologisch. Gewalt ist sowohl Bedingung der Möglichkeit als auch Bedingung der Unmöglichkeit einer freien Gesellschaft. [39]

Im Unterschied zur jakobinischen Herrschaft der Terrors wird im radikaldemokratischen Diskurs das Moment der Gewalt allerdings ausbalanciert durch die Annahme der Abwesenheit eines Grundes und durch die Dekonstruktion der dichotomischen Dimension. Laclau unterscheidet folgerichtig zwischen popularem Bruch und demokratischem Bruch: Während im ersten Fall der gesamte soziale Raum tendenziell um einen einzigen Antagonismus versammelt wird, kommt es im zweiten Fall zu einer Ausweitung und Pluralisierung von Antagonismen in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen. Obwohl darin immer die Gefahr des Transformismus lauert, wird ein radikaldemokratisches Projekt eher die Strategie des demokratischen Bruchs verfolgen. Die Entwicklung seit Kriegsende – und in einem starken Schub seit 68 – deutet auf exakt diese Pluralisierung von Emanzipation im Singular zu einer Vielzahl von Emanzipationen um Plural. Heute können wir beobachten, dass diese sich in der »Bewegung der Bewegungen« wiederum temporär zusammenfinden, und zwar innerhalb des demokratischen Horizonts. [40] Von punktueller Revolutionsrhetorik einmal abgesehen, geht es dort nicht um die Forderung nach Revolution im klassischen Sinn, sondern um Prozesse der Demokratisierung, etwa die Demokratisierung der nationalen und internationalen Marktregelungsmechanismen. Damit lassen die gegenwärtigen Emanzipationsbewegungen endgültig das jakobinische Phantasma hinter sich, ohne dabei das jakobinische Imaginäre zu verlassen. Der demokratische Horizont selbst funktioniert aus Sicht des radikaldemokratischen Projekts nun als Prinzip nicht der Schließung, sondern der Öffnung: Demokratie bezeichnet nicht eine Regierungsform neben anderen, sondern ist der Name für das Prinzip der Grundlosigkeit und Nicht-Schließung (der Kontingenzakzeptanz), wie es bereits im jakobinischen Imaginären angelegt war. Diese Ausweitung des demokratischen Imaginären lässt also den Begriff von Emanzipation und Demokratie selbst nicht unberührt. Oder wie Joachim Hirsch mit Bezug auf Laclau und Mouffe sagt:

  Wenn es darum geht, die demokratische Entwicklung auf immer weitere gesellschaftlicher Bereiche auszudehnen, so werden damit auch die Begriffe von Demokratie, Freiheit und Emanzipation anders, komplexer, vielfältiger. Demokratisierung ist nur als Kampf und Auseinandersetzung um divergierende Demokratie-, Gesellschafts- und Emanzipationsvorstellungen denkbar. Entscheidend ist, politische und institutionelle Formen zu findend, in denen diese Konflikte offen und öffentlich ausgetragen werden können und in denen es möglich wird, Übereinstimmungen zu erarbeiten und Kompromisse zu formulieren. [41]

 


[1] Ernesto Laclau: Emanzipation und Differenz, Wien: Turia + Kant 2002, S.23.

[2] Ibid., S:23-4.

[3] Sergei Netschajew: Worte an die Jugend, Berlin 1984, S.19.

[4] Ibid., S.22.

[5] Ibid., S.22-3.

[6] Ernesto Laclau und Chantal Mouffe: Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus, Wien: Passagen 1991, S.242. Die Bemerkung ist allerdings angebracht, dass zwei Dimensionen strikt zu unterscheiden sind, auch wenn sie historisch ineinander verschlungen sind: die Rhetorik des Grundes und die Logik der Kontingenz. Der reine Ereignischarakter einer Revolution deutet – unbeschadet ihrer phantasmatischen Formulierung – auf die prinzipielle Kontingenz des Sozialen und der vorangegangenen, naturalisierten Ordnung: Sei es die Ordnung des Ancien Regime, sei es die Ordnung einer korrupten Clique von Herrschenden oder die Ordnung der Kolonialherren im Fall antikolonialer Revolutionen. Allein schon indem sie stattfindet, beweist eine Revolution die Kontingenz dieser und implizit jeder Ordnung. Sie ist das quod erat demonstrandum der Kontingenz. Wie jedes Ereignis im strikten Sinn hat sie revelatorischen Charakter: sie enthüllt die Grundlosigkeit von Gesellschaft und ruft dennoch zugleich alle möglichen Gründungsversuche ins Leben.

[7] Vergl. zu dieser Reformulierung des Ideologiebegriffs das Kapitel »Tod und Wiederauferstehung der Ideologietheorie« in Laclau: Emanzipation, a.a.O.

[8] Stuart Hall: »Demokratie, Globalisierung und Differenz”, in Okwui Enwezor et al. (Hg.): Demokratie als unvollendeter Prozess, Ostfildern: Hatje Cantz 2002, S.24.

[9] Diese Entgründung und Öffnung besteht nach der berühmten These Leforts in der Entleerung des Ortes der Macht von seiner transzendenten Gründungsinstanz (der König wird geköpft), sowie unter anderem in der Trennung der Sphären der Macht, des Rechts und des Wissens. Für einen Überblick s. Oliver Marchart: »Die politische Theorie des zivilgesellschaftlichen Republikanismus: Claude Lefort und Marcel Gauchet«, in André Brodocz und Gary S. Schaal (Hrsg.): Politische Theorien der Gegenwart II, Opladen: Leske + Budrich 2001, S.161-192. Genaugenommen wäre die Position der Jakobiner weder eine demokratische des Leerhaltens des leeren Ortes der Macht, noch eine totalitäre der Verleugnung seiner Leere sondern sie bestünde in der Annahme, dass man den Ort der Macht besetzen müsse, genau um ihn leer zu halten.

[10] Ernesto Laclau: Politik und Ideologie im Marxismus. Kapitalismus – Faschismus – Populismus, Berlin: Argument 1981, S.182.

[11] Ibid., S.184

[12] Ibid., S.101.

[13] Zu letzterem Laclau: »Wenn der herrschende Block eine grundlegende Krise erlebt, weil eine neue Fraktion ihre Hegemonie zu errichten versucht, dazu aber in der bestehenden Struktur des Machtblocks unfähig ist, kann eine Lösung darin bestehen, dass diese Fraktion die Massen aufruft, ihren Antagonismus gegen den Staat zu entwickeln.« Ibid., S.151-2.

[14] Vergl. dazu Oliver Marchart: ›Austrifying Europa: Ultra-Right Populism and the New Culture of Resistance,‹ in Cultural Studies 16(6), 2002, S.809-819; und ›The »Fourth Way” of the Ultra-Right. Austria, Europe, and the end of Neo-Corporatism,‹ in Capital & Class Nr. 73, Frühjahr 2001, S.7-14.

[15] Laclau und Mouffe: Hegemonie, a.a.O., S.242.

[16] Vergl. Kristin Ross: May ’68 and Its Afterlives, Chicago: University of Chicago Press 2001.

[17] Ernesto Laclau: New Reflections On the Revolution of Our Time, London: Verso 1990, S.61.

[18] Ibid., S.64.

[19] Laclau: »As a collective imaginary represents the very form of ›fullness‹, the latter can be ›embodied‹ by the most diverse of contents. In this sense, the imaginary signifiers forming a community’s horizon are tendentially empty and essentially ambiguous«, ibid. S.65.

[20] Was ihn allerdings nicht daran hinderte, 1968 das Land vor der Wahl zwischen »Reform« und »Revolution« zu sehen und natürlich die Partei der »Reform« zu ergreifen.

[21] Sunil Khilnani: Revolutionsdonner. Die französische Linke nach 1945, Hamburg: Rotbuch Verlag 1995, S.57.

[22] Martin Nonhoff: »Soziale Marktwirtschaft – ein leerer Signifikant? Überlegungen im Anschluss an die Diskurstheorie Ernesto Laclaus«, in Johannes Angermüller, Katharina Bunzmann, Martin Nonhoff (Hg.): Diskursanalyse: Theorien, Methoden, Anwendungen, Berlin: Argument 2001, S.203.

[23] Die »soziale Marktwirtschaft« wäre dann ein Mythos, der zum Imaginären wurde, insofern nämlich sich sämtliche Kräfte des politischen Spektrums auf diesen Mythos beziehen. Unterschiedlichste Politiken werden innerhalb des imaginären Horizonts, also innerhalb der Horizontes der »sozialen Marktwirtschaft« verhandelt.

[24] In einer Situation solch überragender Dominanz eines bestimmten Diskurses haben es gegenläufige Diskurse unendlich schwer, Glaubhaftigkeit und Praktikabilität für sich zu requirieren. Idealtypisch gibt es nur zwei mögliche Strategien: Entweder man weist den hegemonialen (»Reform«-)Diskurs an sich zurück, das erfordert allerdings die Artikulation eines sichtbaren Gegenangebots, das von einem anfänglichen Plausibilitätsdefizit gekennzeichnet sein wird, da es dem vom hegemonialen Diskurs geprägten Alltagsverstand zumindest anfangs zu widersprechen scheint. Oder man akzeptiert das Terrain des hegemonialen Diskurses und nutzt die Leere des gegebenen Signifikanten, um ihn mit dem eigenen Projekt aufzufüllen. In diesem Fall muss das Projekt natürlich ebenfalls sichtbar formuliert werden, was derzeit kaum erkennbar ist.

[25] Khilnani: Revolutionsdonner, a.a.O., S.217.

[26] Hannah Arendt: Macht und Gewalt, München: Piper 1970, S.110f.

[27] Ibid., S.111.

[28] Michael Kenny: The First New Left. British Intellectuals After Stalin, London: Lawrence & Wishart 1995, S.5.

[29]   Raul Mordenti: La Rivoluzione. La nuova via al comunismo italiano, Mailand: Marco Tropea 2003, S.190.

[30] Ausführlicher dazu wie auch zur These, dass die Partei dennoch nur als abwesende anwesend bleiben kann, sh. Oliver Marchart: »Der durchkreuzte Ort der Partei«, in Gerald Raunig (Hg.): Transversal. Kunst und Globalisierungskritik, Wien: Turia+Kant 2003, S. 204-10; als elektronisches Dokument unter: http://www.republicart.net/disc/empire/marchart02_de.htm

[31] Sh. Marchart: »Der durchkreuzte Ort der Partei«, a.a.O.

[32] Slavoj Zizek: Die Revolution steht bevor. Dreizehn Versuche über Lenin, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002, S.132-3.

[33] Um Missverständnissen vorzubeugen, jede politische Organisation besitzt auch ein Moment der Repräsentation (ohne Welt ohne Repräsentation wäre genau eine vollständig transparente Welt), aber nicht notwendigerweise der parlamentarischen Repräsentation. An diese denkt allerdings Zizek sowieso nicht.

[34] Laclau: New Reflections, a.a.O., S.170.

[35] So macht es einen Unterschied, ob etwa die Arbeiterkämpfe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts als jenseits des demokratischen Horizonts oder als Vertiefung der demokratischen Revolution verstanden werden.

[36] Ernesto Laclau: Emanzipation, a.a.O., S.161.

[37] Ibid., S.162.

[38] Der Grund dafür ist darin zu suchen: »dass Antagonismus aus der Tatsache resultiert, dass das Soziale keine Pluralität von Effekten ist, die von einem vorgegebenen Zentrum ausstrahlen, sonder dass es pragmatisch und von vielen Standpunkten aus konstruiert ist. Aber genau weil es eine ontologische Möglichkeit von Zusammenstößen und Unebenheiten gibt, können wir von Freiheit sprechen.« Ibid., S.163-4.

[39] So Laclau: »Einzelne Formen der Unterdrückung können eliminiert werden, aber Freiheit existiert nur, insofern die Verwirklichung totaler Freiheit ein sich immer zurückziehender Horizont ist. Eine vollständig freie Gesellschaft und eine vollständig determinierte Gesellschaft wären (...) exakt dasselbe.« Ibid., S.164.

[40] Vergl. hierzu Oliver Marchart: ›Demonstrationen des Unvollendbaren. Politische Theorie und radikaldemokratischer Aktivismus‹, in Okwui Enwezor et al. (Hg.): Demokratie als unvollendeter Prozess, Ostfildern: Hatje Cantz 2002, S.291-306.

[41] Joachim Hirsch: Herrschaft, Hegemonie und politische Alternativen, Hamburg: VSA 2002, S.204.