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diskus 2/00
»... Und Alle Bunten Steine Fügen Sich Zu Einem Mosaik Zusammen.« 1
Ende Mai diesen Jahres lud das FrauenLesbenreferat Beldan
Sezen und Olumie Popoola nach Frankfurt ein. In Gedichten, Erzählungen,
Gesang und Bewegung - akzentuiert durch an die Wand projizierte Bilder und
Muster - verdichteten die beiden ihre Suchbewegungen als Frauen of Color
zu einer Performance. Viele ihrer Texte enstanden im Kontext des Buches
»Talking home - Heimat aus unserer eigenen Feder - Frauen of Color in
Deutschland«, in dem verschiedene Autorinnen ihre Texte, Bilder und
Gedichte veröffentlichten. Im Nachfolgenden ist der Text von Selmin
Çaliskan und Modjgan Hamzhei abgedruckt, in dem die beiden Autorinnen ihre
eigenen Überlegungen und Fluchtlinien als lesbische Migrantinnen
beschreiben. Red.
Der 13. September 1995 war ein entscheidender Tag in
der Geschichte der internationalen Lesbenbewegungen. An diesem Tag sprach
zum ersten Mal eine lesbische Aktivistin auf der offiziellen
Weltfrauenkonferenz in Bejing über die Situation von Lesben in ihrem Land.
Die ergreifende Rede Palesa Beverly Ditsies aus Südafrika vor der
UN-Plenarsitzung rief sowohl Begeisterung als auch Tränen auf der Seite
der Zuhörerinnen hervor. Aber es blieb nicht bei diesen positiven
Reaktionen. Im Gegenzug wurde auch ein sehr gängiges und schlagkräftiges
Mittel gegen sie gerichtet:
»Bei einer Pressekonferenz unmittelbar nach Ditsies Rede
sagte eine andere Afrikanerin, daß Ditsies Lesbischsein nur damit erklärt
werden könne, daß eines ihrer Elternteile weiß sein oder aus dem Westen
kommen müsse.« (Anderson 1995, S. 113)
Auch wenn Palesa Beverly Ditsies kämpferische
Stellungnahme und die sichtbare Präsenz von Lesben aus allen Teilen der
Welt auf dieser Konferenz die Absurdität derartiger Behauptungen
offensichtlich machte, lohnt es sich, das weitverbreitete Klischeebild,
Lesben seien weiß und westlich, genauer zu betrachten.
Lesben? Die Gibt Es Bei Uns Nicht!
Auch wir in Deutschland lebenden lesbischen Migrantinnen
sind mit diesem Vorurteil konfrontiert, und zwar in mehrfacher Hinsicht.
Zum einen wird, meist von heterosexuellen Migrantinnen aus unseren
Herkunftsländern, der Widerspruch konstruiert, lesbisch sein und türkisch
bzw. iranisch sein schließe sich aus. In diesem Zusammenhang fällt häufig
der Satz: »Lesben? Die gibt es bei uns nicht!« Lesbisches Leben als
Ausdruck westlicher Dekadenz oder Assimilierung?
Wir sind der Ansicht,
daß es höchste Zeit wird, diesen Mythos zu entlarven als das, was er ist:
Ausdruck heterosexistischer Argumentationsmuster, die uns still machen
sollen. Statt dessen wollen wir endlich anfangen, laut zu werden und
beginnen, unsere Geschichte zu schreiben. Eine Geschichte, die in unseren
Herkunftsländern schon lange vor uns begann.
Wir sind uns des Wagnisses, das damit zusammenhängt, diese
Dinge auszusprechen, bewußt. Über einer offen lebenden lesbischen
Migrantin schwebt immer das Damoklesschwert des Ausschlusses aus der
Community.
In Zeiten eines immer unverblümteren und krasseren
Rassismus gegen MigrantInnen und Schwarze Menschen und Antisemitismus
gegenüber JüdInnen sind unsere Communities jedoch existenziell notwendig.
Auf die Heterokontakte und -freundschaften in unseren
Herkunftsgemeinschaften können wir nicht verzichten. Vieles muß noch
gemeinsam bewältigt und erkämpft werden. Unsere Rechtlosigkeit und der
Wunsch nach einem selbstverständlichen Hiersein, ohne irgendwelche
»Sondergesetze« oder »Sonderbehandlungen« verbindet und verbündet viele
von uns miteinander.
Audre Lordes biographische Beschreibungen der
Situation Schwarzer Lesben in den USA der 50er Jahre weist einige
Parallelen mit unserer Lebenssituation als lesbische Migrantinnen in
Deutschland heute auf:
»Die meisten Schwarzen lesbischen Frauen verbargen ihre
lesbische Identität, weil sie richtig erkannten, wie wenig sich die
Schwarze Gemeinschaft für unsere Position interessierte, und wie viele
andere unmittelbare Bedrohungen es für unser Überleben als Schwarze in
einer rassistischen Gesellschaft gab. Es war schwer genug, Schwarz zu
sein, Schwarz und Frau zu sein, Schwarz, Frau und lesbisch zu sein. In
einer weißen Umgebung Schwarz, Frau, lesbisch zu sein und sich offen dazu
zu bekennen (...) galt bei vielen Schwarzen lesbischen Frauen als glatter
Selbstmord.« (Lorde 1982, S. 265)
Der Verlust der Community hat weitreichende Konsequenzen,
eine lesbische Migrantin, die das riskiert, verliert unter Umständen nicht
»nur« Herkunftsfamilie, politische Zusammenhänge und FreundInnenkreis,
sondern zugleich Solidarität und Unterstützung anderer MigrantInnen sowie
die Verbindung zu ihrer Herkunftskultur, ihren Wurzeln.
Auf der
türkischen Seite ist es schlichte Homophobie und Verlustangst, die uns oft
im Verborgenen hält. Seit Jahren verheimliche ich meinen Eltern, wie ich
lebe. Die Angst, sie zu enttäuschen nach einem sehr entbehrungsreichen
Leben ist sehr stark. Noch schlimmer als die Enttäuschung wäre der sichere
Verlust meiner Eltern. Unerträglicher Gedanke. Durch meine Eltern bin ich
erst auf diese Seite der Erde gekommen. Sie sind meine Wurzeln in der
vertrauten Fremde. Durch sie weiß ich, wer ich bin.
Iki Ucu Boklu Deg×nek2 - Assimilierungsvorwurf und Rassismus
In unseren Herkunftsgemeinschaften setzen wir also einiges
aufs Spiel, wenn wir offen lesbisch sein wollen. Die
Lesbenzusammenhänge, in denen wir zumindest den lesbischen Teil unserer
Identität glaubten ausleben zu können, entpuppten sich auch bald als
äußerst unwirtliche Orte. An diesen sehen sich Lesben einer anderen
kulturellen Herkunft von Seiten der deutschen weißen christlich
sozialisierten Lesben, die die Mehrheit darstellen, einem permanenten
Assimilierungsdruck ausgesetzt. Wenn sie es nicht schaffen oder aber es
ablehnen, sich den vorherrschenden Verhaltens- und Denkmustern anzupassen,
werden sie ausgegrenzt.
Der Rassismus in diesen Lesbenzusammenhängen
erinnert in seinen Konsequenzen an Christa Wolfs »Kein Ort - Nirgends«,
zumindest was dieses Thema der gleichzeitigen Unsichtbarkeit als Lesbe und
Migrantin in der weißen deutschen Frauenszene und in der
Herkunftsgemeinschaft angeht.
In der Erstgenannten ist die lesbische
Migrantin Projektionsfläche für die rassistischen Bilder, die seitens der
Dominanzkultur konstruiert worden sind und die sie ebenfalls zum Paradox
erklären. Das heißt sie lebt als Migrantin und Lesbe einen angeblich nicht
lebbaren Widerspruch.
Die weiße deutsche feministische Szene bewertet
Lesbischsein, wenn auch nicht ganz so offen, als progressiv und Ausdruck
eines erreichten hohen feministischen Bewußtseinsgrades. Da Migrantinnen,
insbesondere islamisch sozialisierte, was ihr Image bezüglich
Emanzipation und Frauenstärke angeht, immer für rückständig, traditionell,
männerfixiert und passiv gehalten werden, käme dann der bewußt
entschiedene lesbische Lebensentwurf für sie erst gar nicht in
Frage.
Es scheint so, als wäre Lesbischsein auch hier eine Erfindung
des Westens. Als hätte es Liebe zwischen Frauen nicht schon immer, auch
jenseits von Sappho gegeben!
Meine Mutter selbst war es, die mich stark genug machte,
um unmögliche Situationen zu meistern. Sie hat mir beides vorgelebt: mich
als Frau und als Türkin stark fühlen zu können. Meine Familie und der
große türkische Kreis um uns herum hatten für mich meinen Lebensweg schon
vorgezeichnet: Berufstätige, Ehefrau, Mutter. Zu ihrem Unglück richtete
ich die eine Stärke auch gegen die an mich ihrerseits gestellten
Forderungen als »türkisches Mädchen«. Die andere Stärke, die sie an mich
weitergab, benutzte ich dazu, mich gegen die Forderung der deutschen
Gesellschaft, »mich doch anzupassen«, zu wehren. Klar war, daß ich mich an
keins von beiden anpassen würde - ich wurde Querdenkerin in beiden
kulturellen Kreisen. Nichtsdestotrotz immer auf der Suche nach einem
Zugehörigkeitsgefühl.
Die von der weißen westlichen Feministin zur Anderen,
sprich unterdrückten Frau gemachte Migrantin erfüllt für diese eine
wichtige Funktion. Mittels der Abgrenzung von deren vermeintlicher
Opferrolle kann sie sich selbst aufwerten. Auch aus dieser Perspektive
scheint unsere Existenz als lesbische Migrantinnen eine Provokation zu
bedeuten, der mit verstärktem Assimilationsdruck bzw. Ausgrenzung begegnet
wird!
All dies ist einem Coming Out als lesbische Migrantin
alles andere als förderlich. Aber wir sind geübt in Balanceakten! Es gab
schon immer Rebellinnen, die sich auf den Weg machten, meist alleine, ohne
Vorbilder und Weggefährtinnen.
»Ich weiß noch, wie das war, jung und Schwarz und lesbisch
und einsam zu sein. Im großen und ganzen war das Gefühl, die Wahrheit und
das Licht und den Schlüssel zu haben in Ordnung, aber oft war es einfach
die Hölle. Wir hatten keine Mütter, keine Schwestern, keine Helden. Wir
mußten allein durchkommen wie unsere Schwestern, die Amazonen, die
Reiterinnen auf den einsamsten Außenposten im König-reich von Dahomey.
(...) Wir entdeckten und erforschten unsere Zuneigung zu Frauen allein,
manchmal heimlich, manchmal trotzig und herausfordernd, manchmal in
kleinen Nischen, die sich beinahe berührten (...) aber immer allein, gegen
ein größeres Alleinsein ankämpfend. Wir hatten da-bei schwere
Entzugserscheinungen, und auch wenn einige von uns, die überlebten, am
Ende ziemlich phantasievoll und zäh wurden, blieben einfach zu viele von
uns auf der Strecke.« (Lorde, a. a. O., S. 208)
Zwei Antworten Auf Die Migration
Zu welchen unterschiedlichen Strategien im Umgang mit dem
Assimilierungsvorwurf der Community auf der einen und dem Rassismus der
Dominanzkultur auf der anderen Seite wir lesbischen Migrantinnen gelangen,
hängt von verschiedenen Faktoren ab. Einer davon ist unsere jeweilige
Klassen- bzw. Schichtzugehörigkeit.
Der Weg Nach Innen . . .
Meine Eltern sind beide einfache Leute vom Land mit so gut
wie keiner schulischen Bildung. Erst 30 Jahre später holten sie zusammen
ihren türkischen Grundschulabschluß in einem Abendkurs nach - wir waren
stolz auf unsere Eltern!
Als meine Mutter ihren ersten Bruch in ihrem
Frauenleben vollzog, war sie 17. Sie verließ das Dorf, um in Ankara als
Dienstmädchen zu arbeiten. Das war auf dem Land sehr ungewöhnlich.
Unverheiratet, ohne Obhut eines Mannes das Dorf zu verlassen und in die
Großstadt zu gehen. Meine Großeltern waren sehr arm und sahen keine andere
Möglichkeit, als eine ihrer Töchter zum Geldverdienen in die Stadt zu
schicken. Meine Mutter war nahezu Analphabetin, als sie das Dorf verließ -
sie brachte sich das Lesen und Schreiben selbst bei und schickte
schließlich voller Wut und Stolz ihren Eltern den ersten
selbstgeschriebenen Brief. Wut - weil sie anstatt zur Schule gehen zu
können schon als Kind arbeiten mußte.
Der nächste Bruch hieß Almanya.
Meine Eltern lernten sich kennen und verliebten sich ineinander. Mein
Vater war Soldat in einer türkischen UNO-Einheit in Südkorea. Damals
konnte er sich entscheiden, zwischen einer Offizierslaufbahn oder einer
»Arbeiterlaufbahn« in Deutschland. Hasan und Fatma heirateten und gingen
in die Fremde. Das anfänglich positive Lebensgefühl veränderte sich im
Laufe der 35 Jahre Deutschland. Die Ablehnung ihrer eigenen Wer-te und die
damit verbundene Herabwürdigung als Mensch ließ sie sich mehr und mehr von
den Deutschen zurückziehen. Innere Migration. Sie entschieden sich für ein
religiöses Leben, was ihnen zumindest ihren Selbstwert als Menschen
zurückgibt und obendrein einen Platz in einer funktionierenden
Gemeinschaft bietet.
. . . Und Die Tarnkappe
Im Gegensatz zu MigrantInnen aus ländlichen Regionen und
ArbeitsmigrantInnen »bewirkt der Assimilationsdruck und Stigmatisierung
durch die Aufnahmegesellschaft bei den schmalen städtischen
Mittelschichtmigranten eine Überangepaßtheit, da die westliche Kultur als
die erstrebenswerte überlegenere Idealnorm für diese verwestlichten
Schichten im Herkunftsland galt« (Kürsat-Ahlers, 1992, S. 110).
Elcin Kürsat-Ahlers bezieht sich hier zwar auf
MigrantInnen aus der Türkei, unserer Erfahrung nach lassen sich diese je
nach Schicht unterschiedlichen Verläufe der Bewältigung von
Migrationserfahrungen jedoch auch bei MigrantInnen aus anderen
Herkunftsländern wiederfinden.
Als Urenkelin, Enkelin und Tochter von bürgerlichen
IranerInnen wurde mir im Kontakt mit meinen Urgroßeltern, Großeltern und
Eltern die Kontinuität ei-ner Orientierung an den Westen über die
Generationen hinweg deutlich. Die Assimilierungsbestrebungen in meiner
Familie, die ich erfahren und analysiert habe, begannen nicht erst mit der
Migration nach Deutschland, sondern viel früher.
»Die bürgerlichen Schichten der weniger entwickelten
Länder prägt ein kollektives Minderwertigkeitsgefühl gegenüber dem Westen.
(...) Die Maßstäbe und Symbole der Erniedrigung werden verinnerlicht,
zumal die städtischen Zuwanderer schon in dem Herkunftsland von ihrer
Unterlegenheit gegenüber dem Westen überzeugt waren.« (ebd., a. a. O., S.
110)
Entsprechend des von meiner Herkunftsfamilie vorgelebten
Entwurfs wählte ich als junge lesbische Migrantin erst mal die
»Chamäleonmethode«, um den scheinbaren Widerspruch zwischen den
Identitätsbereichen »Lesbe« und »Migrantin« zu lösen: Ich machte mein
lesbisches Coming Out, verhielt mich aber als Migrantin angepasst und
unauffällig. Dies wurde mir zusätzlich durch meine Umgebung nahegelegt.
Erst im Laufe der Zeit gelang mir die Synthese, infolgedessen ich mich
heute als »lesbische Migrantin zweiter Generation« definiere.
Welche in vielen Welten gleichzeitig lebt und liebt ist
oft einem Entscheidungszwang ausgesetzt, der eine manchmal an der
Richtigkeit der eigenen Wahrnehmungen zweifeln läßt. Die Entscheidung,
Lesbe oder Migrantin oder aber türkisch oder deutsch, ist unmöglich, wenn
nicht gar absurd.
Aber seitdem ich durch politische Vernetzungen
andere lesbische und schwule MigrantInnen kennenlernte, konnte ich mich
ganzer fühlen. Alle bunten Steine fügen sich zu einem Mosaik
zusammen. Auch die Frage, was eine mehr ist, wäre unsinnig. Ein
angezündetes Haus, ein Schwuler, der verprügelt wird oder ein mißhandeltes
Kind - alles trifft unmittelbar den Lebensnerv. Es gibt aber eine
hierarchische Ordnung der erlebten Ausgrenzung in Deutschland:
Ausländerin, Türkin, Moslemin, Lesbe, alleinerziehende Mutter,
Frau.
Die Erfahrung meines lesbischen »Rauskommens« bereitete
mich auf die weiteren Schritte in meinem Prozeß der Identitätsfindung vor.
Auf die Erfahrungen, die ich als junge Lesbe im Umgang mit dem
Heterosexismus meiner Umwelt und der Bearbeitung von verinnerlichter
Lesbenfeindlichkeit machte, konnte ich später zurückgreifen, als es für
mich als bewußt werdende Migrantin zweiter Generation aus dem Iran um
Rassismus und verinnerlichten Rassismus ging. Dabei nahm meine
Entwicklung den auch von Atkinson, Morten und Sue beschriebenen Verlauf:
»... von Selbsthaß und negativen Überzeugungen zur
Infragestellung und Zurückweisung der Werte der vorherrschenden Kultur und
dann zum Eintauchen in die eigene Kultur (...), bis schließlich ein
integriertes Konzept ihrer kulturellen Identität erreicht wird.« (zit.
nach Falco, 1993, S. 187)
Der Zusammenhang zwischen den beiden Coming Outs wurde
auch von jüdischen Lesben im Rahmen einer von Evelyn Torton Beck
herausgegebenen Anthologie thematisiert:
»Viele jüdische Lesben erleben die Erfahrung des
lesbischen Coming Outs als einen bedeutenden Schritt in Richtung unseres
jüdischen Coming Outs. Viele jüdische Lesben, so auch ich, begannen unsere
Identität als Jüdinnen zu erforschen, nachdem und weil wir unsere
lesbische Identität erforscht hatten.« (Lynne Wander, 1991, S.
102)
Für einige von uns Migrantinnen, Jüdinnen oder Schwarzen
Deutschen verläuft dieser Entwicklungsweg in umgekehrter Reihenfolge.
Dieser Umstand ändert nichts an den beschriebenen Parallelen der Prozesse.
Charakteristisch ist hierbei, daß wir erst einmal unsere »... duale
Identität und das inhärente Dilemma (...) erkennen und (...) verbalisieren
und anschließend diese Aspekte persönlich auszuloten und (...)
integrieren« (Kristine L. Falco, 1993, S. 189).
Offen als lesbische Migrantin zu leben, stellt für mich,
wie für viele andere von uns, in diesem Kontext gesehen gerade eine
Überwindung der beschriebenen persönlichkeits- und schichtabhängigen
Assimilierungs-tendenzen dar. Weitere Aspekte sind beispielsweise meine
als Migrantin zweiter Generation vollzogene Weigerung, eine Entscheidung
zwischen »iranisch« oder »deutsch« sein zu treffen.
Un - Heimliche Lesben
Beiden Modellen, dem Getrenntsein und dem Zusammensein von
Männern und Frauen begegnete ich in beiden Kulturkreisen, dem
türkisch-moslemisch-sunnitischen und dem deutsch-christlichen. Männer und
Frauen hielten sich, wie es auf unseren Dörfern üblich ist, bei größeren
Gesellschaften oft in unterschiedlichen Räumen auf. Als Demütigung oder
Ungerechtigkeit habe ich das nicht erlebt, damals schien es mir, als
hätten sie sich einfach nicht so viel zu sagen. Als Mädchen und
Heranwachsende genoß ich es sehr, meistens unter jungen Frauen zu sein.
(Natürlich hatte jede von uns Schwestern trotz des Verbots ihre heimlichen
Jungenliebschaften.) Das Zusammensein mit anderen jungen Frauen war
aufregend, lebendig rebellisch - so daß die männerfreien Räume der
deutschen Frauenszene für mich weder eine Neuheit noch eine Befreiung,
sondern eher eine Fortsetzung in meinem Leben bedeuteten. Dieses positive
Gefühl funktioniert natürlich nur, wenn die Geschlechtertrennung nicht
alle Lebensbereiche umfaßt und kein von der Gesellschaft oder vom Staat
auferlegter Zwang ist.
Ein gerade unter Migrantinnen, die aus
geschlechtergetrennten Gesellschaften kommen, stark tabuisiertes Thema ist
die Selbstverständlichkeit lesbischer Beziehungen in den entsprechenden
Herkunftsländern. Geradezu eisern wird daran festgehalten, die Existenz
von Lesben zu leugnen, obwohl im vertrauten Freun-dinnenkreis Erotik und
Sexualität unter Frauen durchaus freimütig thematisiert werden. Auf den
ersten Blick erscheint dies widersprüchlich. Bouthaina Shaabans leider
noch nicht ins Deutsche übersetzte Interviewsammlung mit arabischen Frauen
belegt die Brisanz dieser Thematik. In einigen der Interviews äußern die
Frauen sich zu der Häufigkeit lesbischer Beziehungen, erwähnen jedoch
zugleich die Tatsache, daß darüber nicht gesprochen werden
kann.
»Aber die Tatsache, daß in arabischen Ländern mehr Lesben
als in Europa leben, bleibt bestehen. Es sind keine offenen Beziehungen
und die Frauen können nicht darüber reden.« (zit. nach Helie-Lucas, 1989,
S.239)
Die Autorin betont in diesem Zusammenhang jedoch
folgendes:
»Es ist ausgesprochen wichtig, die hier beschriebene
Homosexualität in dem sozialen Kontext der arabischen Gesellschaft zu
sehen. Homosexualität ist hier sehr viel anders, als in den Ländern, wo
sie offener gelebt werden kann. In den arabischen Ländern wird
Homosexualität völlig versteckt, da sie in der Öffentlichkeit als
abstoßend bewertet und völlig abgelehnt wird.« (ebd., a. a. O., S.
239)
Tatsache ist, daß gerade in Gesellschaften, in denen es
traditionellerweise separate Männer- und Frauensphären gibt, immer schon
Frauenbeziehungen gelebt wurden. Dies bedeutet jedoch nicht unbedingt, daß
diese als lesbische Beziehungen zu sehen sind. Heterozentrismus bewirkt
vielmehr, daß sie entweder als vorübergehende Phase im Leben von Mädchen
oder jungen Frauen oder »Notlösung« in Ermangelung anzustrebender
befriedigender Beziehungen zwischen Frauen und Männern betrachtet werden.
Und es entspricht einer gewissen Logik heteropatriarchaler
Gesellschaftsstrukturen, wenn in der Abwertung von Lesben der Radikalität
eines Frauenlebens unabhängig von Männern ein Riegel vorzuschieben
versucht wird. Aber auch wenn Lesbischsein als Lebensentwurf, als
bewußte Präferenz von Frauen in allen Lebensbereichen, gelebt wird, werden
andere Selbstdefinitionen dem Begriff »Lesbe« vorgezogen. Hier in
Deutschland wäre es unter lesbischen Migrantinnen beispielsweise eine
Diskussion wert, ob das türkische Wort »Sevici«, die Liebende, eigentlich
eine Stigmatisierung, als Ausdruck von Widerstand und Selbstbewußtsein
nicht positiv neu besetzt werden könnte. Im türkisch-schwulen Kontext
findet diese Auseinandersetzung schon statt. »Ibne«, umgangssprachlich in
höchstem Maße beleidigend, wird von einigen inzwischen im Sinne eines »gay
proud« verwendet. Hierin drückt sich die Suche nach
Identitätsbezeichnungen aus, die nicht am Ideal der weißen, westlichen
Lesbe orientiert sind.
Vieles, was wir vorfinden, müssen wir daraufhin prüfen, ob
wir es verwerfen müssen oder als Bestandteil eines neuen
Selbstverständnisses verflechten können. Unsere Suche beginnt, endet
jedoch nicht hier. Der Anfang ist gemacht - sichtbar als Migrantinnen
innerhalb der Frauen-Lesbenzusammenhänge und sichtbar als Lesben innerhalb
der Migrantinnenszene.
Gute Aussichten!
Selmin Çaliskan, Modjgan Hamzhei
Anmerkungen:
< 1 > Gekürzte Version aus: Talking home: Heimat aus
unserer eigenen Feder Frauen of Color in Deutschland. Olumide Popoola
& Beldan Sezan (Hrsg.) Amsterdam 1999 Erstveröffentlichung in:
Beiträge zur Feministischen Theorie & Praxis, »Entfremdung Migration
und Dominanzgesellschaft«, #42 Köln 1996
< 2 > Das türkische
Idiom »IÝki ucu boklu deg×nek« bedeutet wörtlich »ein Gehstock, den man an
keinem Ende in die Hand nehmen kann, da beide mit Kot behaftet sind« und
drückt ein Dilemma aus.
txt:
Anderson, Shelley: Wir sind Frauen, die
andere Frauen lieben, in: Ihrsinn 12/95, Lesben International, S. 111 -
116
de la Pena, Terri: Chicana Blues, Berlin 1994
Falco, Kristine L.: Lesbische Frauen-Lebenswelt, Beziehungen, Psychotherapie,
Mainz 1993
Helie-Lucas, Marie-Aimee: Bouthaina Shaaban, Both right
and left handed - Arab women talk about their lives, in: Beiträge 25/26,
Nirgendwo und überall - Lesben, Köln 1989, S. 237 - 241
Kürsat-Ahlers, Elcin: Zur Psychogenese der Migration. Phasen und Probleme,
in: Informationsdienst zur Ausländerarbeit, 3/4 1992, Begegnung mit dem
Fremden, S. 107 - 113
Lorde, Audre: Zami. Eine Mythobiographie,
Berlin 1982
Wander, Lynne: Nice Yewish Girls. A Lesbian Anthology,
in: Ihrsinn 3/91, Das verlorene Wir?, S. 101 - 106
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