Heft 1/99

Die Strategie der Existenzgeldforderung ist in der Linken umstritten. Auch in der diskus-Redaktion wird sie kontrovers diskutiert. Für die einen scheint anhand dieser Debatte, die man teilweise im Netz (www.nadir.org/nadir/initiativ/fels/konferen) verfolgen kann, eine grundsätzliche Auseinandersetzung um linke politische Praxis, die den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen gerecht wird und sich "in's Handgemenge begibt", möglich zu werden. Andere sehen darin eine Neuauflage des sozialdemokratischen Reformismus durch die radikale Linke und lehnen sie deshalb ab. Im folgenden bringen wir mit RE-FORM-VOLUTION und Politik ohne festen Boden unter den Füßen zwei unterschiedliche Einschätzungen dieser Forderung und hoffen auf eine produktive Auseinandersetzung. (Siehe dazu auch "Arbeit . welche Arbeit?" in diskus 4/98)

RE-FORM-VOLUTION
Kritische Anmerkungen zur Existenzgeldforderung

Die gegenwärtigen Diskussionen um eine mögliche Umstrukturierung des Sozialstaates und die Suche nach neuen Formen der Existenzsicherung unabhängig von einer konkreten Lohnarbeit und Arbeitslosen- oder Sozialhilfe sind vielfältig und werden in unterschiedlichen politischen Lagern geführt. Von Modellen wie Bürgergeld, Kombi-Lohn und negativer Einkommenssteuer, die derzeit vom Club of Rome und der FDP diskutiert werden, und die durchaus Nähe zu Vorstellungen von einem Zwang zur Arbeit aufweisen, über Forderungen nach einer besseren Sozialhilfe, diskutiert von den Grünen und der PDS, wird versucht, auf stattfindende Transformationsprozesse des Arbeitsmarktes und damit zusammenhängenden Konsequenzen für und durch den Sozialstaat zu reagieren.1

Auch linksradikale Gruppen beteiligen sich an den Überlegungen, wie denn auf die gegenwärtige "Krise der Arbeitsgesellschaft" zu reagieren sei. Verhandelt wird dabei ein Modell von Existenzgeld: "1500 Mark für alle plus Miete"2 , das mit einer breiten Diskussion um radikale Arbeitszeitverkürzung verbunden werden soll. Diese Forderung soll weder als "reine Gesetzesinitiative noch als bloße taktische Forderung"3 verstanden werden, sondern der Formierung einer neuen linken Bewegung dienen, die "einen Kampf um die Umverteilung von Reichtum und Arbeit" führen will.4

Grundlage der hier nun folgenden Kritik ist die Rezeption verschiedener Texte, die im Vorfeld zur Konferenz zu Existenzgeld und radikaler Arbeitszeitverkürzung, die vom 19. bis zum 21. März in Berlin stattgefunden hat, entstanden sind. Die unterschiedlichen Stellungnahmen der jeweiligen Gruppen sind durchaus heterogen, dennoch soll hier versucht werden, Punkte herauszugreifen, die den jeweiligen Positionen gemeinsam sind. Einerseits geht es um die Frage nach einer neuen politischen Bewegung und andererseits um die Frage, welche Herrschaftsstrukturen durch eine Geldforderung, die sich an den Staat richtet, reproduziert werden. Mit der Existenzgeldforderung soll es darum gehen, "politische Verbindungen zu konstruieren und sich wechselseitig überformende Herrschaftsverhältnisse sichtbar zu machen und zu verändern"5. Ausgehend von diesem selbst gesetzten Anspruch stellt sich die Frage, ob sowohl die Form der Politik, also das Setzen auf eine mögliche Bewegung, die für soziale Gerechtigkeit kämpft, als auch der Inhalt der Forderung, formuliert als Geldforderung, die sich an den Staat richtet, tatsächlich Möglichkeiten sein können, kapitalistische, bürgerliche und patriarchale Herrschaftsstrukturen dieser Gesellschaft zu überwinden. Es geht vor allem um die Frage nach dem Verhältnis von radikaler Gesellschaftskritik und politischer Praxis.


Jenseits von Reformismus und Revolution

Welche Form von Politik steht hinter der Forderung, Praxis jenseits von Reformismus und Revolution machen zu wollen, und wo kann diese innerhalb eines linken Spektrums verortet werden? Wie ist die Überwindung von Herrschaftsverhältnissen durch eine politische Bewegung möglich, die bei einer konstruktiven Beteiligung an den stattfindenden Diskussionen zur Umstrukturierung des Sozialstaates ansetzt?

Innerhalb der Existenzgelddebatte werden Reformismus und radikale Kapitalismuskritik nicht mehr als grundlegender Widerspruch gedacht. Sie werden stattdessen in ein Ergänzungsverhältnis gebracht: Utopien seien erst durch reformistische Forderungen vorstellbar. So werden die reformistischen Tendenzen des Anspruchs auf Existenzgeld durchaus selbst benannt: "Den Vorwurf 'Existenzgeld ist reformistisch' kann man abhaken. Natürlich ist die Existenzgeld-Forderung reformistisch, aber man kann anhand von ihr die Legitimität des herrschenden Verteilungs- und Arbeitsmodells angreifen und damit eine nicht-kapitalistische Alternative wieder vorstellbar machen."6

Dieses Modell der Vermittlung von realistischen Forderungen und Überschreitung der systemimmanenten Grenzen ist vielleicht tatsächlich der Ausdruck einer Suche nach neuen Möglichkeiten grundsätzlicher Veränderungen. Aber Forderungen, die versuchen, das Verhältnis von Reichtum und Armut neu zu organisieren, wie dies mit dem Existenzgeld vorgeschlagen wird, führen durch die damit einhergehende Anerkennung der grundlegenden Strukturmerkmale dieser Gesellschaft zu ihrer Reproduktion. In einer Situation, in der die Überwindung von Herrschaftsverhältnissen nicht mehr vorstellbar ist, könnte die Existenzgeldforderung als Versuch interpretiert werden, die Auswirkungen bestehender Herrschaftsverhältnisse lediglich erträglicher gestalten zu wollen. Kapitalismuskritik wird auf ein Verteilungsproblem verkürzt, in der die Realität der negativen Gemeinsamkeit, das bürgerliche Prinzip des Privateigentums, nämlich der Ausschluß aller vom Eigentum aller anderen, ausgeblendet wird. Dieses Prinzip des Privateigentums, unter das in dieser Gesellschaft auch die Produktionsmittel fallen, legt die Verwertung der Individuen, da sich das Eigentum der meisten Menschen auf ihre Arbeitskraft reduziert, fest. "Ist die Tendenz zum Kommunismus das Streben aus der Kapitalbestimmung als Lohnarbeiter herauszukommen, so klopft der Reformismus diese Bestimmung fest: Ausbeutung vermittelt durch den etwas besseren Verkauf der eigenen Arbeitskraft zum einen, Integration der Produzenten durch Gewinnung als Konsument zum anderen. [ ...] Der Reformismus verharrt so in der kapitalen Bestimmung der lebendigen Arbeit, oder anders ausgedrückt, des einzelnen Individuums als Mehrwertproduzent, als variables Kapital."7 Der Klassenantagonismus im Kapitalismus wird aber durch den Staat erst aufrechterhalten. Die Existenzgeldforderung erscheint nun als Versuch, diesen Widerspruch mit Hilfe dieses Staates abzumildern. Die Vorstellung von staatlicher Abhilfe macht nur Sinn, wenn Ökonomie und Staat als zwei getrennte Bereiche betrachtet werden. So kommen die Leute von F.e.l.S auch zu dem Schluß: "Der Kampf um Befreiung ist ganz wesentlich ein Kampf um die Unterordnung der Ökonomie unter die Politik."8 Mit dieser Vorstellung einer Unterordnung der Ökonomie unter die Politik kann der Staat in seiner Funktion nicht angemessen betrachtet werden, schließlich ist es die Existenz des Staates selbst, die die Verkehrsformen des Kapitals festlegt und garantiert. Die Trennung dieser beiden Bereiche führt zu der Annahme, es gäbe genug Geld, welches der Staat nur richtig verteilen müßte. Damit wird Geld als eine von menschlicher Arbeit unabhängige Größe definiert. Eine Forderung, die mit Geld kalkuliert, affirmiert gleichzeitig Mehrwertproduktion, die nur durch die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft aufrechterhalten wird.


Säkularisierung der Linken

Aus der Erkenntnis, daß eine Revolution nicht einfach durch radikale Kritik herbeizuführen ist, denunziert man diese Kritik als "schlechten Utopismus". Eine Beteiligung an gesellschaftlich stattfindenden Kämpfen erscheint nur durch das Formulieren eigener Forderungen konstruktiv. Unterstellt wird jenen, deren Politik zunächst "nur" radikale Gesellschaftskritik ohne realpolitische Angebote ist, nichts verändern zu wollen.

In der Debatte um das Existenzgeld deutet sich beispielhaft an, daß es eine Umdefinition dessen gibt, wie linksradikale Politik sich auf die kapitalistische Gesellschaft beziehen soll. Aus einem Gefühl, man möchte nicht länger lediglich destruktiv kritisieren und unbeteiligt an politischen Veränderungen sein, wird übergegangen zu einer Haltung der Problematisierung. Man begibt sich mit konstruktiven Vorschlägen auf die Suche nach einer Anschlußfähigkeit an laufende Debatten. Zur Unterstützung dieser Haltung werden Stereotypen von destruktiver, linksradikaler Kritik reproduziert. "Wer Radikalität mit selbstgewählter Isolation verwechselt, hat sich in der Veranstaltung geirrt: Die Evangelisten treffen sich nebenan..."9. Wenn man sich aber mit seiner Kritik in einer marginalisierten Position befindet, dann bestimmt nicht aus freien Stücken. Für radikale Gesellschaftskritik gibt es keine gesellschaftliche Anerkennung. Die Verweigerung, sich auf Problemstellungen der Gesellschaft einzulassen, die man sich selbst nicht stellt, weil sie Teil und nicht Wurzel des Problems sind, ist nicht mit selbstgewählter Isolation zu verwechseln. Lehnt man radikale Gesellschaftskritik als Ausgangspunkt für politische Praxis ab, ergeben sich daraus zwei Möglichkeiten für die eigene politische Praxis: Entweder man agiert pädagogisch und hat eigentlich ganz andere Sachen im Kopf als man zunächst äußert, oder aber man verabschiedet sich auf dem Weg der konstruktiven Kompromisse gänzlich von radikaler Politik. Man grenzt sich ab von "Verbalradikalismus"10 und von Kapitalismuskritik, die "steril" bleibt und "gesellschaftlich nichts in Bewegung setzt". So die Gruppe F.e.l.S. in der Ankündigung für die Konferenz: "Revolutionäre Diskurse, die steril bleiben, weil sie niemanden mobilisieren, sind objektiv betrachtet überhaupt nicht radikal."11 Radikalität hat also weniger etwas mit Erkenntnissen über diese Gesellschaft, die dann zu bestimmten politischen Positionen führen, zu tun, als vielmehr mit der Frage, wie viele Menschen sich durch bestimmte Inhalte mobilisieren lassen. Damit wird Kritik auf eine populistische Strategie reduziert. Die Mobilisierung vieler Menschen ist zwar eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung für gesellschaftliche Veränderungen. Die Vorstellung, daß man Kritik an ihrer tatsächlichen Umsetzung in Praxis messen muß, ist nicht neu, vielmehr entspricht sie einem Verständnis bürgerlich-parlamentarischer Politik, das sich auf den Kampf um Mehrheiten reduziert.

Politische Praxis soll sich am Realisierbaren bemessen: Es soll nicht "um utopische Entwürfe am Reißbrett gehen, sondern um die Anknüpfung an reale Tendenzen in der Gesellschaft. Einstellungen und Lebensweisen, für die nicht Vollbeschäftigung und 40-Stunden-Woche die Quintessenz des Lebens sind, gibt es zahlreich."12 Ausgangspunkt dieser realen Tendenzen ist aber in diesem Zusammenhang nicht eine Analyse realer Herrschaftsverhältnisse, sondern die Beschreibung beobachtbarer Phänomene. Herrschaftsverhältnisse reproduzieren sich nicht bloß durch den Staat und die bestehenden Eigentumsverhältnisse, sondern auch sehr wohl durch Lebensweisen. Die Beschreibung, daß die meisten Menschen nicht mehr in Vollbeschäftigung leben möchten, spricht noch nicht dafür, daß sie gegen die gesellschaftliche Verwertung ihres Lebens als Arbeitskraft sind.


Was heißt hier reale Forderung? Mit der reformistischen Forderung nach Existenzgeld soll also die Vorstellung von Utopie wieder möglich gemacht werden: Die Vorstellung, 1500 Mark im Monat zu bekommen, ist leichter als die Vorstellung von einem Leben in einer befreiten Gesellschaft.

Die Frage der Realisierbarkeit scheint sich damit zunächst auf die Möglichkeit einer neuen sozialen Bewegung zu beziehen. Wie kann die Existenzgeldforderung formuliert werden, so daß sich möglichst viele Menschen anschließen können? Versucht wird der Spagat zwischen einer sozialtechnologischen Geldforderung und der Forderung nach Überwindung der Verhältnisse. Nebensächlich scheint dabei die Frage, wie denn eine institutionelle Realisierung des Rechtes auf Existenzgeld aussehen könnte. An wen, also an welche Institution, soll sie sich richten, wäre eine der Fragen, die in Bezug auf eine mögliche Realisierung zu stellen wäre. Da aber im Vordergrund steht, die Forderung möglichst offen zu formulieren, um zu gewährleisten, daß sich viele Menschen dafür interessieren könnten, wird es nachrangig, sich zu fragen, welche Widersprüche und Herrschaftsverhältnisse die Realisierung dieser Forderung (re)produzieren würde. Wenn man jedoch den Anspruch formuliert, Herrschaftsverhältnisse überwinden zu wollen, ist es nötig, diese Forderung nach Geld, formuliert als Recht, mit ihren Implikationen zu Ende zu denken. Es geht mit der Existenzgeldforderung nicht "um einen Gesetzesantrag, der in der laufenden oder übernächsten Legislaturperiode realisiert werden soll, sondern (um) die Einlösung des Versprechens nach einem 'guten Leben für alle.'"13 Damit wird an eine Instanz oder Autorität appelliert, die die Verantwortung für das gute Leben hat. Doch wer hat denn ein solches Versprechen formuliert und wer soll in der Lage sein ein solches Versprechen einzulösen? Gemeint ist wohl der bürgerliche Staat als Garant formaler Rechte und der Verpflichtung aller auf diese Rechte. Diese Vorstellung einer repräsentativen Instanz, die für das Wohl der Gesamtheit aller Individuen verantwortlich ist, setzt voraus, daß das Individuum als allgemeines gedacht wird, und damit die Unterwerfung des Einzelnen unter das Allgemeine als selbstverständlich akzeptiert wird. So könnte auch der Kampf um das Einlösen des Versprechens auf ein gutes Leben für alle als eine Bestätigung bürgerlicher Herrschaft samt der damit einhergehenden Hierarchien interpretiert werden. Der Ausgangspunkt einer neuen Bewegung, der Kampf um die Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen, schlägt um in einen Kampf für die Erhaltung des "Ganzen", also die Erhaltung des bürgerlichen Staates und der kapitalistischen Produktionsweise. Die Suche nach einer politischen Vermittlung reproduziert den für die bürgerliche Gesellschaft konstitutiven Widerspruch zwischen formaler Gleichheit und realer Ungleichheit. Das, wovon man sich befreien will, wird reproduziert. Herrschaftsverhältnisse würden durch die Auszahlung von 1500,– im Monat an alle nicht berührt.

Wahrscheinlich wäre es tatsächlich so, daß mit der Auszahlung des Existenzgeldes zunächst der Zwang schlechte Jobs annehmen zu müssen reduziert würde. Doch besteht die Gefahr neuer Abhängigkeitsstrukturen und neuer Spaltungen, die mit dem Existenzgeld entstehen würden. Vorstellbar sind dadurch neue Fraktionierungen innerhalb der Klassenverhältnisse: Einerseits die Klasse der Menschen, die von Existenzgeld ausschließlich abhängig wären und andererseits der Menschen, die aufgrund ihrer Qualifikation und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Position eben nicht existentiell auf die Auszahlung eines Existenzgeldes angewiesen wären.


Die Logik der totalen Verwertung

Die Klassengesellschaft, die in den modernen Gesellschaften durch die Logik der totalen Verwertung reproduziert wird, stünde damit also nicht in Frage. Die grundlegende Anerkennung der quasi als natürlich angesehenen kapitalistischen Produktionsweise, die Respektierung bestehender Eigentumsverhältnisse sind das zentrale Merkmal dieser Logik. Emanzipationsbewegungen, die auf eine gerechtere Verteilung setzen, brechen diese Logik, auch wenn es ihr Wunsch wäre, nicht auf.

Die bürgerliche Ideologie impliziert die Vorstellung, daß derjenige vernünftig ist, der seinen Lebensunterhalt nur sich selbst verdankt. Quelle dieser Vernunft ist Arbeit, die Eigentum schafft, die bestehenden Gesetze dienen dazu, dies zu ermöglichen. Gesellschaftliche Anerkennung ist in dieser Gesellschaft nicht von (Lohn-)Arbeit zu lösen. Die prekäre Situation, in der sich Menschen ohne Arbeit befinden, läßt sich nicht nur mit einem Mangel an ökonomischen Mitteln erklären. Lohnarbeit und nicht bloß Lohn ist der zentrale Vergesellschaftungsmodus und dies trotz Aufweichung der Normalarbeitsbiographie. Die Vorstellung, daß Faulheit etwas verdächtiges, gar kriminelles ist, ist weiterhin tief im Bewußtsein verankert. Auch in den Texten rund um das Existenzgeld finden sich Rechtfertigungsmuster, die der Vorstellung von produktiver Verwertbarkeit für das Allgemeinwohl entsprechen: "Hier wird es um die Durchsetzung eines neuen Arbeitsbegriffs gehen, um neue Kriterien für den Zusammenhang von Tätigkeit und der Partizipation am gesellschaftlichen Reichtum." Es kann doch nicht darum gehen, zu beweisen, daß das, was ich tue, von gesellschaftlichem Nutzen ist, bzw. gar zur Steigerung des gesellschaftlichen Reichtums beiträgt. Damit läuft man Gefahr, die Logik der Verwertung eben nur zu erweitern und nicht für ein 'frei von Verwertung sein' zu kämpfen. "Ein erweiterter Arbeitsbegriff würde, weil produktive und kreative Tätigkeiten nicht bloß in Büro und Fabrik verortet werden, auch eine Veränderung der Lebensweise bedeuten." Mit einer solch positiven Bezugnahme auf Produktivität und Kreativität werden Vorstellungen, die sich unter dem Motto "jeder ist sein eigener Unternehmer" zusammenfassen lassen, nicht in Frage gestellt. Tendenzen, die zeigen, daß die Verwertungslogik noch stärker in das Subjekt verlegt wird, lassen sich bereits feststellen. Flexible Leistungsbereitschaft und der schnelle unbürokratische Zugriff auf die Ware Arbeitskraft sind Beispiele aktueller Entwicklungen, die in einer Forderung nach Existenzgeld berücksichtigt werden müßten.


Es gilt zu intervenieren

"Die gegenwärtigen Versuche, das an seinen Rändern kriselnde System von Arbeitsbeziehungen und Sozialstaat neu zu regulieren, deuten eine umfangreiche Umstrukturierung an, in die es zu intervenieren gilt."14 Aus einer Position, die Herrschaftsverhältnisse ablehnt und überwinden möchte, kann eine solche Intervention nur bedeuten, die gegenwärtigen Regulationsversuche zu kritisieren. Vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen, bürgerlicher Grundsicherungsmodelle, kann man sich ausmalen, wie mögliche Umstrukturierungen des Sozialstaates aussehen könnten. Da hilft es auch nicht viel, sich vorzustellen, welche Kriterien man entwickeln müßte, wenn man sich denn in einer Situation befände, in der eine Realisierung der Existenzgeldforderung möglich wäre. "Eine linke Existenzgeldforderung müßte also Kriterien entwickeln, die den vielfältigen Widersprüchen und Kritiken an staatlicher Armutsverwaltung, patriarchaler Arbeitsteilung und rassistischer Diskriminierungen (um nur einige zu nennen) Rechnung tragen. Die Höhe der Summe, die Auszahlung an jede Person und die nicht-bürokratische Vergabe können daher zunächst als solche Kriterien dienen."15 Für das Formulieren der eigenen Position ist es tatsächlich wichtig, eine Vorstellung solcher Kriterien zu entwickeln. Ob man damit allerdings in stattfindende Umstrukturierungen intervenieren kann, bleibt zu bezweifeln. Man läuft damit Gefahr, einen internen Diskurs zu führen und nicht Widerstand gegen gegenwärtige Disziplinierungs- und Ausschlußmechanismen zu leisten. In diesem Sinne: "Das Schlimme erwarten und aussprechen, damit jedoch versuchen, zur Verwirklichung des Besseren beizutragen." (Adorno)

Tanja-Maria Müller

|1| Diese kurze Darstellung der unterschiedlichen Varianten der neuen Existenzsicherung, die häufig im Kern nichts gemein haben, soll lediglich ein Hinweis darauf sein, wer sich gerade an den Überlegungen nach neuen Regulationsweisen beteiligt, also auf welches Feld man sich durch eine Beteiligung begibt.
|2|Arranca!/ak – analyse und kritik (Hg.) 1999: Schluß mit dem Streß! Sonderbeilage zur Arbeitskonferenz für Existenzgeld und eine radikale Arbeitszeitverkürzung. Zur Kritik der Lohnarbeitsgesellschaft. 19-21. März 1999; S.1
|3|Dittmar/Krebs: Arbeit und Existenz, in: neue hanauer zeitung, Nr.105; Winter 98/99, S. 31
|4| Adolphs/Karakayali 1998: Arbeit – Welche Arbeit? in: diskus Nr.4, Dez. 98.; S. 35
|5| Arranca!/ak – analyse und kritik (Hg.), ebd., S. 1
|6| Diskussionspapier der Gruppe f.e.l.S.: Der schwierige Weg zu einem europäischen Kampf gegen das Kapital.
|7| wildcat: Arbeitslosigkeit, Existenzgeld und die Linke
|8| Arranca!/ak – analyse und kritik (Hg.), ebd., S. 1
|9| Diskussionspapier der Gruppe f.e.l.S., ebd.
|10| Adolphs/Karakayali, ebd., S. 36
|11| Diskussionspapier der Gruppe F.e.l.S.: Der schwierige Weg zu einem europäischen Kampf gegen das Kapital
|12| Adolphs/Karakayali, ebd., S. 35
|13| Arranca!/ak – analyse und kritik (Hg.), ebd., S. 1
|14| Adolphs/Karakayali, ebd., S. 35
|15| ebd.