diskus 1/98

Widerstand gegen den Widerstand

»Widerstand sind daher auch Handlungen, die nicht notwendigerweise auf eine Beseitigung der nationalsozialistischen Herrschaft gerichtet waren«, wurde man unlängst in der Frankfurter Paulskirche belehrt. Zugeordnet war dieser Aussage, praktisch als plakativer Beleg, eine Fotografie, auf der ein Mann hervorgehoben war, der umringt von einer »Sieg-Heil« grüßenden Masse im Augenblick der Aufnahme den Gruß verweigerte – ob dem im Nazi-Mob Hervorgehobenen der Arm eingeschlafen war oder ob er seine Taschen nach einem Hakenkreuzfähnchen durchforstete, blieb ungeklärt.

Unter Widerstand wollten die Initiatoren der Wanderausstellung Aufstand des Gewissens eine ganze Menge verstanden wissen: Reform-Nazis, die gegen einzelne politische oder militärische Entscheidungen opponierten bis weitsichtige National-Konservative, die sich noch rechtzeitig, nämlich »nachdem der Krieg sinnlos geworden war« (Ausstellungstafel), von den Nazis distanzieren wollten.

Bevor der eigentliche Gegenstand der Ausstellung erreicht ist, werden die Besuchenden an Tafeln zum 1. Weltkrieg und der Weimarer Republik vorbeigeschleust: Apologisierend wird das 3. Reich als geschichtlich determinierte Unabwendbarkeit ausgewiesen – Akteure aus ihrer Verantwortung entlassen. Unter der mit »der verlorene Weltkrieg« betitelten Ausstellungstafel nimmt die eigenwillige Geschichtsbetrachtung der Ausstellungsmacher ihren Lauf. »Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs löste eine Welle patriotischer Begeisterung aus«, war unter anderem zu lesen – ein Weltkrieg, der scheinbar vom Himmel gefallen ist; wer ihn ausgelöst hat, blieb unerwähnt. »Im Felde unbesiegt«, war eine Schautafel pathetisch überschrieben, um gleich noch viel pathetischer zu werden: »Vier Jahre lang haben deutsche Soldaten an allen Fronten des Weltkriegs tapfer gekämpft«, um schließlich bei einer Tafel zur Weimarer Republik zu landen, die mit »die ungeliebte Republik« überschrieben wurde.

Die Entstehung des Nationalsozialismus hatten die Bundeswehrhistoriker unter der Leitung von Oberst Friedhelm Klein schnell erklärt: »Die wirtschaftliche Not führte zur Radikalisierung der Bevölkerung. In der Wahl vom 14. 9. 1930 stieg die Zahl der nationalsozialistischen Mandate sprunghaft von 12 auf 107.« Den Rest erledigte der »Führer« selbst, der auch der Frankfurter Rundschau in einer Widerstands-Ausstellung ein paar mal zu oft präsentiert wird.

Widerständigkeit wurde hingegen ausführlich bei General Franz Halder behauptet – eine »Widerstandslegende«, wie der Münchner Historiker Christoph Hartmann belegte. Der Generalstabschef des Heeres hätte zwar zunächst eine distanzierte Haltung eingenommen, allerdings nur bis Ende 1939 – hier brach die Darstellung der Ausstellung bezeichnenderweise ab. Im Vernichtungskrieg der Wehrmacht, wie die Wehrmachts-Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung den Feldzug gegen die Sowjetunion nennt, mischte Halder jedoch kräftig mit. Über ein Dokument aus dem Sonderarchiv in Moskau lassen sich Halders Vorstellungen nachweisen: »Es handelt sich für Deutschland darum, die neue Ostfront so schnell und so restlos zu liquidieren, daß sie nicht erst unvorhergesehene Ausmaße annehmen kann. Das heißt also, daß Polen in der kürzestmöglichen Zeit vollkommen erledigt werden muß. Wir müssen in der Vernichtung dieses Gegners sozusagen einen Rekord an Schnelligkeit aufstellen. Ich betone das Wort ›Vernichtung‹.« Halder sollte »nicht zum Widerstand gerechnet werden«, interpretiert der Historiker seine Quellen konsequent.

Die restlichen Tafeln gehören dann doch noch dem »militärischen Widerstand«, den längst bekannten Abhandlungen über den »Kreislauer Kreis« oder die Männer des 20. Juli 1944, die eben »das andere Deutschland suchten« – nicht weniger, allerdings auch nicht mehr.

Wehrmachtsdeserteuren war keine Schautafel gewidmet. Viele seien ja auch desertiert, »weil sie eine Straftat begangen hatten oder zu ihren Frauen wollten«, erklärte Pressestabsoffizier Hans Ehlert; die Forschung habe »noch nicht den Stand«, das Thema zu berücksichtigen.

Kurzfristige Irritation, die sich jedoch schnell ob der eindeutigen Einordenbarkeit der Ausstellung in Bestätigung verwandelt, lösten schließlich die Schautafeln über die »Weiße Rose« aus. Wer die »Weiße Rose« als Münchner Studentengruppe erinnert, sah sie hier plötzlich unter »Widerstand wehrdienstleistender Studenten« vereinnahmt.

Bereits im Vorfeld sorgte die am 18. Februar beendete Ausstellung für heftige Auseinandersetzungen. Zunächst wurde der Historiker Hans Mommsen für die Eröffnungsrede eingeladen. Der dem NS-Widerstand wegen dessen »antiliberaler Gesinnung und national-konservative Grundhaltung« kritisch gegenüberstehende Mommsen schien den Frankfurter Verantwortlichen bei ihrer Geschichtsklitterung dann jedoch zu heikel – flugs wurde er wieder ausgeladen.

Für Mommsen und die sich mit ihrem ausgeladenen Kollegen solidarisierenden, die Veranstaltung boykottierenden Wissenschaftler sprach der ehemalige Hamburger SPD-Oberbürgermeister Klaus von Dohnanyi am 25. Januar die Eröffnungsrede. Nicht erst als dieser nach »der großen Ausstellung über den deutschen Widerstand im allgemeinen« fragte, war das politische Interesse dieser Ausstellung klar. Durch die Reduktion auf den fragwürdigen »militärischen Widerstand« soll nicht nur kommunistischer und sozialdemokratischer Widerstand negiert werden. Vielmehr soll die von der zuvor in der Paulskirche gastierenden Wehrmachtsausstellung angekratzte herrschende Geschichtsschreibung durch die kryptische Widerstands-Veranstaltung reinstalliert werden.

Klaus Teichmann