diskus 1/98

Nach der faktischen Abschaffung des Asylgesetzes im Sommer 1993 war aus staatlicher Perspektive das Wesentliche zur Abschottung der deutschen Grenzen getan. Seitdem haben sich die Lebensbedingungen für Flüchtlinge in der Bundesrepublik nach und nach immer weiter verschlechtert. So droht Flüchtlingen, die aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden können – also nur »geduldet« sind – mittlerweile der Entzug von Sozialhilfe und der damit verbundenen Krankenversicherung.

Da die Aussichten, hier als legaler Flüchtling anerkannt zu werden, zunehmend gegen Null tendieren, werden immer mehr Menschen in die Illegalität gedrängt; sei es, weil sie die »falschen« Fluchtgründe und Herkunftsländer haben oder die falschen Fluchtwege (über »sichere Drittstaaten«) wählten.

Die bundesweite Kampagne »kein mensch ist illegal« wird in den kommenden Monaten solche staatlich-institutionellen Formen rassistischer Ausgrenzung thematisieren und bekämpfen. Aus dem breiten Bündnis stellen wir mit den beiden folgenden Beiträgen zwei Gruppen vor, die »Initiative gegen Abschiebung« aus Frankfurt/M. und die internationale KünstlerInnengruppe [cross the border]. (Red.)


kein mensch ist illegal!

» ... Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu entscheiden, wo und wie er leben will. Der Regulierung von Migration und der systematischen Verweigerung von Rechten steht die Forderung nach Gleichheit in allen sozialen und politischen Belangen entgegen, nach der Respektierung der Menschenrechte jeder Person unabhängig von Herkunft und Papieren.
Deshalb rufen wir dazu auf, MigrantInnen bei der Ein- und Weiterreise zu unterstützen. Wir rufen dazu auf, MigrantInnen Arbeit und Papiere zu verschaffen. Wir rufen dazu auf, MigrantInnen medizinische Versorgung, Schule und Ausbildung, Unterkunft und materielles Überleben zu gewährleisten.«

aus dem Aufruf kein mensch ist illegal

Die Initiative kein mensch ist illegal stellte sich auf der Dokumenta X im Sommer 1997 der Öffentlichkeit vor. Getragen wird sie von einem breiten Spektrum antirassistisch arbeitender Gruppen – von autonomen bis zu gewerkschaftlichen und kirchlichen UnterstützerInnen, von MigrantInnengruppen und Projekten aus der Kunst- und Kulturszene. Den in der Frankfurter Rundschau und in der taz-Beilage im Dezember 1997 erschienenen Aufruf der Initiative haben bis heute ca. 300 Organisationen und mehr als 2000 Einzelpersonen unterzeichnet.

Mit der Initiative soll ein Gegengewicht geschaffen werden zu Rassismus und populistischer Hetze gegen MigrantInnen und Flüchtlinge in Medien und Politik. Auch vor dem Hintergrund des Bundestagswahlkampfes, in dem mit den Parolen »Mehr Innere Sicherheit« und »Arbeit für Deutsche« auf Stimmenfang gegangen wird, will die Initiative breitere Bündnisse gegen Rassismus etablieren, die Ursachen und Gründe für Flucht und Migration aufzeigen und in den Diskurs um »Illegalität« eingreifen. Doch auch über die Wahl im September hinaus soll der antirassistischen Arbeit der einzelnen Gruppen inhaltlich und politisch mehr Gewicht verliehen werden.

Ein zentraler Punkt des Aufrufs ist die Aufforderung zu konkreter Unterstützung Illegalisierter.

»Illegal« zu sein, ist keine dem Mensch anhaftende Eigenschaft, sondern wird mittels staalicher Praktiken produziert: durch Abschottung von Grenzen und systematische Verschärfung von Einreise- und Aufenthaltsbedingungen. So ist es mittlerweile nahezu unmöglich, auf legalem Wege nach Europa und insbesondere in die BRD zu kommen. Grenzen trennen nicht nur Territorien. Illegalisierung schafft Grenzen in allen Alltagssituationen, überall dort »wo Menschen befürchten müssen, nach Papieren gefragt zu werden«.

Legalisierung?
Innerhalb des kein mensch ist illegal-Bündnisses gibt es Bestrebungen, bereits jetzt vom Staat die Aufhebung des Illegalen-Status für alle »ohne Papiere« zu fordern: Eine solche Legalisierung wäre in der Form denkbar, daß alle, die sich in einem bestimmten Zeitraum offiziell melden, unabhängig von Aufenthaltsdauer und Herkunftsbedingungen Papiere und Aufenthaltsrechte bekommen. Natürlich greift die Legalisierungsforderung als realistische Teillösung nicht die systematische Produktion von Illegalität an, würde aber hier und jetzt die Situation der Illegalisierten verbessern.

Ein Blick auf die Bewegung der Sans Papiers zeigt, daß eine Legalisierungsforderung auch Gefahren birgt: Dort kämpfen seit etwa eineinhalb Jahren Illegalisierte unerbittlich für ihre Aufenthaltsrechte. Nach einer »Legalisierungsofferte« der Regierung erhielten von 150.000 Sans Papiers, die einen Legalisierungsantrag gestellt hatten, nur 60.000 eine »carte de sejours« für ein einjähriges Aufenthaltsrecht, 30.000 wurden bisher abgelehnt. Mit dem Datenmaterial der Legalisierungsanträge steht nun aber den staatlichen Behörden ein gefährliches Instrument zur reibungsloseren Abschiebung der abgelehnten BewerberInnen zur Verfügung.

Die konkrete Konsequenz aus der Kritik an globalen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen ist die radikale Forderung nach offenen Grenzen (und der Aufhebung der Nationalstaaten). Diese Forderung ist jedoch wegen der Breite des Bündnisses nicht konsensfähig und deshalb als Parole für die Initiative nicht geeignet.

Die Entrechtung Illegalisierter schafft einen Markt extrem ausbeutbarer Arbeitskräfte, Dumping-Löhne drücken auf den legalen Markt. Der Konkurrenzkampf verschiedener Anbieter der Ware Arbeitskraft wird genutzt, um den Abbau sozialer Standards weiter voranzutreiben. Um dieser Konkurrenz entgegenzuwirken, wird in der Initiative diskutiert, inwieweit ein breiter Zusammenschluß mit anderen marginalisierten und deklassierten Gruppen realisierbar ist. Auch hier steht Frankreich gedanklich Pate: Dort hat sich die Arbeitslosenbewegung mit den Sans Papiers solidarisiert. Einen Zusammenschluß »der ohne« – ohne Arbeit, ohne Wohnsitz, ohne Papiere, etc. – wäre sicherlich auch in der BRD wünschenswert, doch sind hier zur Zeit ähnlich starke Bewegungen nicht auszumachen. Ob die bundesdeutschen Gewerkschaften als Partnerinnen für einen solchen Zusammenschluß in Frage kommen, wird u.a davon abhängen, ob nationalchauvinistische Positionen innerhalb der Gewerkschaften dominant werden.

Im Rhein-Main-Gebiet wird die Initiative vor allem vom »Aktionsbündnis gegen Abschiebung«, einem Zusammenschluß verschiedener antirassistisch arbeitender Gruppen, getragen. Es fanden bisher zwei Veranstaltungsreihen im Januar und März ‘98 statt. Themenschwerpunkte waren hier u.a. Frauen auf der Flucht, Illegalisierung und die Lebenssituation Illegalisierter (z.B. im Hinblick auf Gesundheitsversorgung), Fluchthilfe und eine für Sommer ‘98 geplante MigrantInnenkarawane.

Illegalität und Gesundheit
Wichtig ist, daß Illegalisierte an der Gesetzeslage vorbei Zugang zur »Regelversorgung« bekommen und nicht mit einer »Hinterhofmedizin« sonderversorgt werden. Die UnterstützerInnengruppe Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum e.V. etwa, bietet heute, nach einer anderthalbjährigen Aufbauphase, die Möglichkeit, für die Betroffenen medizinische Versorgung durch niedergelassene ÄrztInnen verschiedener Fachrichtungen und auch Klinikaufenthalte zu organisieren.

Da, wo Unterstützungsprojekte originär sozialstaatliche Aufgaben übernehmen, stellt sich die Frage, inwieweit eine Vereinnahmung durch den Staat stattfindet, inwieweit also gesetzlich produzierte Lücken gefüllt und dadurch staatliche Institutionen entlastet werden. Aber auch die Inpflichtnahme anderer offizieller Stellen wie z.B. der Gesundheitsämter, würde Gefahr laufen, die ungleiche medizinische Versorgung festzuschreiben. Nach den bisherigen Erfahrungen aus Bochum und ähnlichen Projekten vermindert der öffentliche und politisch offensive Umgang mit dieser konkreten Unterstützungsarbeit die Möglichkeit der staatlichen Vereinnahmung und stellt auch einen gewissen Schutz für die Arbeit dar.

Frauen, Flucht und Migration
Flucht kann aus verschiedenen Gründen für Frauen etwas komplett anderes bedeuten als für Männer. Zwar machen Frauen einen großen Teil der weltweit sich auf der Flucht befindenden Menschen aus, doch ist es nur einem geringen Teil der Frauen möglich, in die BRD zu gelangen. Die Gründe dafür liegen zum einen häufig in den kulturellen und familiären Lebensbedingungen der Frauen in ihren Herkunftsländern – so stehen die für die Flucht notwendigen Ressourcen (Geld, Bildung, etc.) eher den männlichen Familienmitgliedern zur Verfügung – zum anderen in den »Zielländern«, die frauenspezifische Fluchtgründe nicht anerkennen und den Frauen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht verweigern.

Die Flucht- und Migrationsgründe für Frauen sind vielfältig: Frauen fliehen um ihrer Kinder willen, aus Verantwortung für das ökonomische Überleben ihrer Familien, vor Verfolgung aufgrund von Verstößen oder Widerstand gegen frauenfeindliche Traditionen, wegen Verwandtschaft oder Ehe mit verfolgten Personen etc. Auch die Bedingungen auf der Flucht selbst stellen sich für Frauen anders dar als für Männer. Oftmals haben sie ihre Kinder dabei, werden dadurch unbeweglicher und sind stärker gefährdet, entdeckt zu werden und sind sexuellen Übergriffen von Soldaten, Sicherheitskräften und vermeintlichen Helfern ausgeliefert.

Doch ist es nach den Erfahrungen der agisra (Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexistische und rassistische Ausbeutung) nicht immer eine Flucht im klassischen Sinne, die Frauen nach Europa bringt. Frauen werden auch zur Migration überredet, indem ihnen z.B. neue Chancen und große Verdienstmöglichkeiten zur Unterstützung ihrer Familien vorgetäuscht werden. Hier angekommen, befinden sie sich oft in der Zwangslage, das Geld für die »Vermittlung« und für das Leben unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in Privathaushalten, Prostitution oder anderen Arbeitsbereichen ohne Rechte und Schutz aufbringen zu müssen.

Fluchthilfe und Hetze gegen »Schlepper«
Die Kriminalisierung von Fluchthilfe tritt besonders plastisch bei den ostdeutschen Prozessen gegen TaxifahrerInnen zutage. Diese werden vom Bundesgrenzschutz (BGS) aufgefordert, in Grenznähe »ausländisch« aussehende Fahrgäste über einen Funkcode beim BGS zu melden. Bei Unterlassung drohen ihnen Anzeigen wegen »Schleuserei«, die in einigen Fällen schon zu Haftstrafen geführt haben, weitere Verfahren stehen aus. Die Kriminalisierung und Einschüchterung der TaxifahrerInnen scheint zu fruchten: In vielen grenznahen Städten ist es nicht-deutsch aussehenden Menschen bereits nicht mehr möglich, Taxi zu fahren.

Auch die Bevölkerung wird zur »Mithilfe« aufgerufen, offensichtlich erfolgreich. Denn laut Statistik des BGS, der in Grenznähe sogenannte Bürgertelefone für »Hinweise« eingerichtet hat, finden 60–80% der »Aufgriffe« durch Denunziation statt.

In der Rede von »Schleppern« und »Schleusern« wird die Hilfe bei der Einreise in die »Festung Europa« mit dem Diskurs um Organisierte Kriminalität verwoben. Flüchtlinge selbst tauchen im Bild der »Schlepperei« nur als Objekte auf. Fluchtgründe oder Motivationen für Migration spielen dabei keine Rolle. Das Bild der »skrupellosen Schlepperbanden« liefert die Möglichkeit, mit der Hetze gegen diese »organisiert-kriminellen Täter« dort Fluchthilfe zu diffamieren, wo die »Bedrohung durch illegal Eingereiste« noch im Widerspruch zur medialen Darstellung von Hungernden oder Bürgerkriegsflüchtlingen steht.

Während Fluchthilfe aus humanitären Beweggründen zwar ebenfalls kriminalisiert, jedoch weniger öffentlich diskreditiert wird, stellt die Rede vom »Geschäft mit dem Elend« eine Falle: Kommerzielle Fluchthilfe scheint auch in der »moralisch sauberen« Linken tabuisiert zu sein. Es soll nicht geleugnet werden, daß die Notlage Fliehender zum Teil auch rücksichtslos ausgenutzt wird. Doch gilt es zu betonen, daß die ökonomischen Gesetze dieses Schwarzmarktes von dem Grad der Grenzsicherung, also von der Notwendigkeit der Hilfe zur Einreise abhängen.

Für einen heißen antirassistischen Sommer!
Neben den Veranstaltungen und Aktivitäten, die unter dem Logo kein mensch ist illegal in den verschiedenen Städten stattfinden, sind für den Sommer bundesweite Aktionen geplant. Zu überregionalen Höhepunkten dieses »heißen antirassistischen Sommers« gehören die beiden Grenzcamps im polnisch-tschechisch-deutschen Dreiländereck: für die Zeit vom 3. – 7. Juli 1998 ist ein Frauen/Lesben-Camp geplant, zwischen dem 26. Juli und 2. August soll ein gemischtes Camp stattfinden. Ziel der Camps ist es, mittels öffentlichkeitswirksamer Aktionen und mit phantasievollen Interventionen den Ablauf der Grenzsicherung zu stören und die deutschen GrenzlandbewohnerInnen in ihrem rassistischen Konsens zu irritieren. Daneben soll ein Kulturprogramm mit Parties (z.B. Radical Rave aus Berlin) und Konzerten auch BesucherInnen aus den polnischen und tschechischen Grenzgebieten anziehen.

Karawane
Parallel zur kein mensch ist illegal-Kampagne, die vor allem im UnterstützerInnenspektrum verankert ist, haben auch MigrantInnen und Flüchtlinge ein Bündnis gegründet, das für August/September 1998 eine Karawane durch die Bundesrepublik plant. Damit soll eine Verbindung geschaffen werden zwischen Flüchtlingen, MigrantInnen, AntirassistInnen und Menschenrechtsgruppen. Die Karawane soll auf die Entrechtung von Flüchtlingen und MigrantInnen aufmerksam machen und den verschiedenen Gruppierungen innerhalb dieses Spektrums die Möglichkeit bieten, ihre Probleme öffentlich zu machen und aus der Anonymität herauszutreten.

Zu Fuß, mit dem Fahrrad und für größere Strecken auch mit dem Bus sollen in vierzig Tagen etwa dreißig Städte besucht werden, letzte Station wird Köln sein, voraussichtlich am 20. September 1998. Der Zeitraum wurde bewußt gewählt, um der befürchteten rassistischen Hetze im Bundeswahlkampf etwas entgegenzusetzen.

Die Karawane soll von den lokal arbeitenden Gruppen mit Veranstaltungen und Aktionen öffentlichkeitswirksam empfangen werden. Drei Stationen sind für die Zeit vom 6. bis 12. September auch im Rhein-Main-Gebiet geplant, es steht aber noch nicht fest, wie der »Empfang« der Karawane gestaltet werden soll.

Initiative gegen Abschiebung (IgA),
Frankfurt am Main


Adressen & Termine
kein mensch ist illegal
c/o Forschungsstelle Flucht und Migration e.V.
Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin, Tel.: (0172) 8910825
Fax: (0561) 713458 (c/o BARI), e-mail: grenze@ibu.de

Die als Informations- und Diskussionsforum erscheinenden Rundbriefe von kein mensch ist illegal sind für 20,– über die AG3F (Metzgerstr. 8, 63450 Hanau, Tel./Fax: (06181) 184892, e-mail: AG3F@OLN.comlink.apc.org ) abonnierbar.

Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen.
Internationaler Menschenrechtsverein, Kornstr, 51, 28201 Bremen, 0421-5577093, Email: mail@humanrights.de.
Nächstes Karawane-Treffen für die Organisation von Aktionen im Rhein-Main-Gebiet: 22. 4. 98, 22 Uhr, Internationales Bürgerhaus, Lange Straße 29, Ffm.