diskus 1/98

Vom Verschwinden des ideellen Gesamtstudenten,
dem Kampf gegen Windmühlen, selbstgenügsamen Inhaltismus und anderen Streik-Phänomenen

Ist der Unistreik kläglich gescheitert? Der Verdacht liegt nahe, daß viele der AktivistInnen sich nach ihrem Protesterlebnis nun zurückziehen, um sich wieder den »eigentlichen«, sprich privaten, Seiten des Studiums zu widmen – ob sie nun stolz sind auf die eigenen Taten oder eher resigniert.

Gerade die größeren Unmutsbekundungen an den Hochschulen (zuletzt 1978, 1988/89 und eben 1997/98) scheinen nach einer merkwürdig naturwüchsigen Regel aufzukommen. Breite Protestwellen schwappen offenbar nur alle zehn Jahre über die gesamte bundesdeutsche Hochschullandschaft, während die zwischenzeitlichen Streiks lokal oder gar fachbereichsspezifisch begrenzt bleiben. Dies liegt wohl kaum an einer Verschärfung der Studienbedingungen durch die Kultusbehörden im zehn-Jahres-Rhythmus, denn die entsprechenden Anlässe, wie überfüllte Seminare, verschärfte Prüfungsordnungen oder Zulassungsbeschränkungen, gehören zum universitären Alltag. Sicher hängt das Aufkommen studentischen Widerstands von einer Reihe verzwickter Umstände ab. An dieser Stelle soll nun auch keine Prognose gewagt oder gar verkündet werden: Laßt uns alles für’s Jahr 2007 vorbereiten! Zumal sich dann wohl die allermeisten Aktiven des vergangenen Streiks nicht mehr an der Universität aufhalten werden und die wenigen Verbliebenen womöglich vollauf damit beschäftigt sind, sich um Mittelbauposten zu prügeln. Aber genau dies ist schon die Pointe der Geschichte. Eine neue Protestwelle scheint immer erst dann loszurollen, wenn sich die alten Häsinnen und Hasen des legendären letzten Großstreiks vom Felde getrollt haben. Zehn Jahre Ruhe als Preis für jeden Streik?!

Es wäre nun zu wünschen, daß diesem Streik einmal kein dickes Ende folgt. Deshalb ist es wichtig, sich von ein paar Illusionen und Mißverständnissen bezüglich studentischer Streiks zu verabschieden, die schon während des Streiks eher hinderlich waren – und im Nachhinein erst recht. Denn wie die ProtagonistInnen den vergangenen Streik beurteilen und wie sie die eigene Geschichte darin erzählen, ist konstitutiv für ihr zukünftiges Agieren in der Universität.

Das Justieren der Meßlatte
Wer einen Streik für gescheitert erklärt, muß seine Kriterien offenlegen. Gemeinhin gilt als Maßstab für Proteste, welche konkreten Reformen der großen Politik abgetrotzt und welche Kürzungen verhindert wurden. Neben den eher maßlosen und unbestimmten Parolen »mehr Geld« und »Bildung für alle« standen Abschaffung aller Zulassungsbeschränkungen, Demokratisierung der Hochschulen und Einführung eines grundsichernden Existenzgeldes in den progressiveren studentischen Forderungskatalogen.

Gemessen daran war der Streik ein Flop. Zwar feierten die StudentInnen die in der Hochphase des Streiks zugebilligte Mittelerhöhung – welche die vorangegangenen Streichungen noch nicht einmal ganz ausglich – als ersten handfesten Triumph. Zudem ist Hochschulpolitik inzwischen bei der einen oder anderen etablierten Partei (etwa bei den Grünen oder der FDP) zu einem wichtigen Wahlkampfthema geworden. Und daß die SPD sich doch noch dazu durchrang, die Verabschiedung des neuen Hochschulrahmengesetzes an ein befristetes Verbot von Studiengebühren zu koppeln, mag durchaus als Teilerfolg gelten.

Doch nicht allein die Kritischsten dürften von dieser Bilanz eher enttäuscht sein. Wenn der Uniprotest sich darauf beschränkte, ein bißchen mehr studentisch-bewegtes Salz in die partei-politische Suppe zu geben, die Einführung von Studiengebühren um ein paar Jährchen zu verschleppen und die Kanzlerdämmerung zu beschleunigen, hätte sich die ganze Mühe, zumindest für radikaleren AktivistInnen, nicht gelohnt.

Kampf dem Neoliberalismus?
Enttäuscht von den manifesten Folgen des Streiks dürften in jedem Fall diejenigen sein, die sich von den Protesten weit mehr als die überfälligen Hochschulreformen, nämlich ein Signal für den Widerstand gegen die neoliberale Umgestaltung der Gesellschaft erhofften: Ein Leuchtturm gegen den Neoliberalismus sollten die Unistreiks sein, auf daß sich weitere unzufriedene Gruppen, wie die Arbeitslosen oder die gesetzlich Krankenversicherten, mobilisieren ließen. Endlich würden die Leute auf die Straße gehen und sich wehren. Die Proteste hätten gezeigt, daß sich die geplanten gesellschaftlichen Umstrukturierungen (pfui!) nicht ohne weiteres über die Köpfe der Betroffenen hinweg (buuuh!) durchsetzen ließen.

Daß die heiße Phase schnell abkühlen und Ernüchterung einsetzen würde, war vorauszusehen. Und daß sich die StudentInnen mit anderen bislang isoliert agierenden Bewegungen einfach so verbinden – und womöglich noch zum Sturm (auf das Kanzleramt, die Bundesbank, die Microsoftzentrale?!) agitieren ließen – gehört wohl eher ins Repertoire politischer Romantik. Zwar war der Feind Neoliberalismus schnell identifiziert, die Schwierigkeit, diesem Gegner konkret zu begegnen, dafür um so größer. Bezeichnend war die verlegene Suche nach Demonstrationszielen, mit dem Ergebnis, daß niemand so recht wußte, was man jetzt eigentlich vor der Deutschen Bibliothek zu suchen habe. Und daß das hessische Kultusministerium, Bonn oder die Börse glücklichere Orte darstellten, darf gewiß bezweifelt werden.

Gegen den Neoliberalismus zu sein und ihn zum allgemeinen Pappkameraden aufzubauen, ist nichts Radikales, vielmehr geradezu en vogue. Das Praktische am Neoliberalismus, daß man sich auf ihn als Feind schnell einigen kann, weil fast jede darunter verstehen kann, was sie will, ist zugleich sein Haken. Neoliberale Strategien sind leider keineswegs so klar zu identifizieren wie angenommen, sondern hochflexibel, und wer neoliberale Politik durchsetzen will, wird tunlichst vermeiden, das häßliche Wort in den Mund zu nehmen. Skepsis ist auch gegenüber denen angebracht, die sich lautstark zu GegnerInnen dieses »Feindes der Menschlichkeit« stilisieren, hindert sie das doch nicht daran, ihre eigene Politik mit neoliberalen Elementen zu garnieren.1 So wird auf dem hochschulpolitischen Terrain zwar gerne gegen die »neoliberale Bildungsoffensive« gewettert, diese Frontstellung bleibt aber abstrakt genug, um parallel dazu etwa Universitäts-Ranking-Listen in Kombination mit der Stärkung konservativer Bildungs-Ideale einzufordern. Oder DozentInnen wettern gegen ökonomische Kriterien bei der Beurteilung der Forschung, die schließlich frei zu sein habe, und wollen zugleich die Last der Lehre mindern, indem die StudentInnen stärker nach Leistung zu beurteilen seien. Oder StudentInnen verwehren sich gegen ein Studium nach Scheinen, um zugleich die ProfessorInnenschaft mittels Evaluierung härter an die Kandarre zu nehmen, vielleicht gar den Beamtenstatus in Frage zu stellen. Offensichtlich ist das mit dem Neoliberalismus also nicht ganz so einfach.

inhaltsleer – apolitisch – mediengerecht?
Nun zeugten viele studentische Forderungen besonders zu Beginn des Streiks nicht unbedingt von einem ausgefeilten politischen Programm. Streikauslösend dürfte eher die Dreifaltigkeit von fehlenden Profs, Büchern und Stühlen2 gewesen sein als der Kampf gegen den Neoliberalismus. Diese Beobachtung führte wohl auch zu dem vernichtenden Urteil, daß der Streik apolitisch sei und die heutige StudentInnengeneration sowieso weder kritische Inhalte hätte noch durch Radikalität besteche. Das war gerade auch von denen zu hören, die sich gewöhnlich nicht durch ein generelles Desinteresse an Protesten auszeichnen und vor Jahren womöglich noch selbst den Streik organisierten.

Allzu schwer fiel es ihnen in der Tat nicht, Gründe für die eigene Trägheit zu finden. Was die einen bereits vor dem Streik wußten, nämlich daß sich das Engagement nicht lohne, dämmerte manchen aus der Leuchtturmfraktion erst währenddessen oder im nachhinein. Recht zu geben schienen ihnen dabei die weitverbreiteten beim-Wort-nehmen-Aktionen (à la »hinter den Scheinen herlaufen«, »die Bildung geht baden« oder »die Bildung wird mit Füßen getreten«), leeres Gerede von »miserablen Studienbedingungen« statt gesellschaftstheoretischer Entwürfe auf den Vollversammlungen oder auch der peinliche Aufmarsch vor der Deutschen Bibliothek, wo den DemonstrantInnen nichts besseres einfiel, als »Bücher, Bücher, Bücher« zu skandieren. Und bewies nicht das allgegenwärtige lucky strike-Logo den affirmativen Bezug auf die herrschenden Verhältnisse, die Kapitulation vor der Welt des Marketing, in der nur noch die mediengerechte Aufbereitung zählt?

Ob es nun progressiver ist, seine Kritik so kundzutun, daß es niemand mitbekommt oder mit möglichst wenig Aufwand den größten diskursiven Effekt zu erzielen, mag jedem selbst überlassen bleiben. Eine Kapitulation vor den herrschenden Verhältnissen ist dagegen, die mangelnden Inhalte nicht zum Anlaß zu nehmen, beim Stopfen der Löcher zu helfen, sondern den AktivistInnen nur »Präzisiert mal eure Forderungen!«, »Wie steht ihr eigentlich zum Humboldtschen Bildungbegriff?« oder »Habt ihr noch nie was von kritischer Interdisziplinarität gehört?« um die Ohren zu hauen. Blinder Aktionismus ist nur die Kehrseite jener Haltung, die den Protest erst dann in Erwägung zieht, wenn die Programmatik gründlich ausdiskutiert und die Partei gegründet ist.

Die Spaltung zwischen denen, die nur mehr Geld, Profs und Stühle fordern und denjenigen, denen es um eine grundsätzliche Kritik der Hochschulstrukturen geht, prägte bereits den 88er-Streik. Damals waren die Fronten klarer, denn den Ruf nach mehr Geld nutzte der damalige Bildungsminister Möllemann, um mit zwei Sonderfinanzprogrammen den Protest an den Hochschulen zu bändigen und weiterreichende Forderungen wie Demokratie, kritische Interdisziplinarität oder Anti-Diskriminierungsprogramme ins Leere laufen zu lassen. Heute allerdings unterstützt die Politikprominenz die Forderung nach struktureller Veränderung, wenn auch mit eigenen Akzenten. Mit etwas Glück, mögen die Kultusbeamten spekulieren, könnte sich der studentische Protest gegen die ererbten Privilegien der ProfessorInnenschaft wenden lassen, die als hartnäckigster Bremser bei der Umgestaltung der Hochschulen ausgemacht wird.

Wie auch immer, die banale Forderung nach mehr Geld könnte sich als die radikalste Parole des Streiks erweisen. Schließlich liegt ein Großteil der Unzufriedenheit mit der Universität in dem Beschluß der Kultusministerkonferenz von 1978 begründet, die vorangegangene Öffnung der Universitäten zwar nicht zurückzunehmen, zugleich aber jede proportionale Mittelaufstockung zu verweigern – so lange eben bis die Studierenden es selber merken, daß das mit der Massenuniversität für alle einfach nicht klappt.

Allein die Unverfrorenheit, nicht aufzurechnen, woher das ganze schöne Geld denn kommen soll, unterläuft den allzeit präsenten Sparzwangwahn: Uns interessiert nicht, wieviel Geld da ist – wir wollen das Unmögliche! Gewiß sprengt solch maßloses Ansinnen, frei nach Guevara3 und Derrida4, den Konsens über vermeintlich unveränderbare ökonomische Gesetzmäßigkeiten nicht automatisch. Kritik müßte dann aber nicht dort ansetzen, wo hinter der Forderung nach Geld noch keine Inhalte zu erkennen sind, sondern an der Stelle, wo die Streikenden beginnen, sich in die Rolle des Bundesfinanzministers zu imaginieren, alternative Haushaltsentwürfe formulieren und statt auf Bildung lieber auf Eurofighter und Transrapid verzichten möchten.

Standesgemäßer Ruck der Eliten?
Der Vorwurf, die meisten StudentInnen seien bloß naiv und unpolitisch, gehörte noch zu den harmloseren. Schließlich gab es auch die Parole: Hier ruckt’s! Für pessimistische Streik-BeobachterInnen war dies nun alles andere als ein Zeichen leuchtenden Widerstands gegen herrschende Politik, sondern im Gegenteil der nationale Schulterschluß mit denen da oben. Die vereinzelten Transparente, mit denen eifrige Studis vermeldeten, daß die nachgerade überzitierte präsidiale Ermahnung nach Beendigung des Reformstaus nun unten angekommen sei, enthüllten das eigentliche Wesen des studentischen Streiks.

Demo-Rufe wie »Wir streiken für den Standort D!« oder »Bildungsnot ist Deutschlands Tod!« wurden gerne als Beweise dafür genommen, daß die meisten AktivistInnen bestenfalls ihre individualistische Sorge darüber zum Ausdruck bringen wollten, möglicherweise die angestrebte Elite-Position nicht zu erreichen und deshalb auf ihre Bedeutung für das nationale Wohlergehen hinwiesen. Mit ihren Forderungen nach Zulassungsbeschränkungen und Studiengebühren (»bin ja schon eingeschrieben und Papa zahlt’s«) wären die Proteste schlechtestenfalls nur eine Stimme in dem Choral »Wir sind bereit zur inneren Erneuerung Deutschlands«.

Klassisch linke Positionen hatten es freilich auch nicht gerade leicht. Trat eine linke, feministische oder antirassistische Gruppe etwas provozierender auf den Vollversammlungen auf oder machte sie gar die KommilitonInnen für die diskriminierenden Verhältnisse mit verantwortlich, konnte sie sich der Buhrufe aus dem Auditorium sicher sein. Das hängt gewiß damit zusammen, daß sich ein Großteil der Studierenden eher als unpolitisch wahrnimmt und linke Zuspitzungen als unsachlich und fehl am Platze beschimpft. Jede radikale Kritik an den ganz normalen Verhältnissen wird so als verkrampft polit-ideologisch ausgeschlossen. Warum das die linken KritikerInnen allerdings verwundert, bleibt ein Rätsel. Genausowenig wie sich die studentischen Gruppierungen an der Universität oder auch die Parteien und die übriggebliebenen Basisorganisationen insgesamt eines regen Andrangs erfreuen, war auch zu erwarten, daß die Studierenden etwas anderes im Kopf haben als der Rest der Bevölkerung. Weder schützt ein Hochschulabschluß vor Dumpfbackigkeit noch verschieben sich durch einen Streik urplötzlich die politischen Einstellungen.

Den Streik für wahlweise höchst widerständisch, unpolitisch oder reaktionär zu halten, ist gleichermaßen fatal. Dieser Streik war gerade dadurch gekennzeichnet, daß es in einer relativ offenen Situation verschiedene Strömungen gab, die um die Definitionsmacht im Streik kämpften. Daher waren alle Versuche der Streikenden, die unterschiedlichen Interessen auf einen Nenner zu bringen, zum Scheitern verurteilt. Mühsam wurde am ideellen Gesamtstudenten gebastelt (Gelächter links), der mit deutlicher Stimme klare Forderungen stellt: Einigkeit als oberste Maxime (Applaus rechts).

Auf dem StudentInnen-Kongreß Bildung und Gesellschaft (BUG) Anfang Januar in Berlin wurde zwar versucht, die Gegensätzlichkeit der studentischen Positionen durch Homogenisierung zu überwinden. Das Ziel, einen »Forderungs- und Maßnahmenkatalog zur inhaltlichen Positionierung der Studierenden« (Programmheft BUG) zu erstellen, der sich sehen lassen konnte, wurde aber nicht erreicht.

In aufsteigenden Plenumsinstanzen sollten die Debatten aus den Arbeitsgruppen in Thesen komprimiert und Konsensfähiges von Umstrittenem getrennt werden. Schlußendlich, so die Hoffnung, läge das konsensuale Destillat der studentischen Debatten in knackigen zwölf Forderungen vor. Spätestens als jede(r) TeilnehmerIn mit fünf blauen Klebepunkten ausgestattet wurde, die hinter die Lieblingsthesen zu heften waren, artikulierte sich breiter Unmut – noch jede interessante Diskussion wurde von Verfahrensfragen zunichte gemacht. Was letztlich in den Forderungskatalog wanderte, ist das durchgepeitschte Resultat derjenigen Gruppen, für die sich Politik ohnehin auf Lobbyarbeit beschränkte, die das organisatorische Knowhow beherrschten oder denen die Rolle als Politmacker gefiel.

Die Idee des BUG steht für den Versuch, sich am gängigen Politikmuster auszurichten, wonach Politik das ist, was andere machen: Eigene Aktivitäten werden auf das Erstellen von Forderungen reduziert, statt sich um Selbstorganisation und Koordination politischer Gruppen zu kümmern, die unterschiedlichen Streikerfahrungen auszutauschen und die eigenen Diskussionen weiterzuführen – auch oder gerade wenn dies bedeutet, sich dem vorherrschenden politischen Schema zu verweigern.

Insofern ist das allgemein diagnostizierte Scheitern der BUG-Planung eher als Erfolg zu werten: Man kann froh sein, daß diese Repräsentation studentischer Standesinteressen mißlungen ist und die politischen Gegensätze nicht hinreichend übertüncht bzw. ausgedünnt werden konnten. Offenbar ist es immer weniger möglich, von einem gemeinsamen Interesse der Studierenden auszugehen. 1988/89 war dies zumindest beim Ende des Streiks in Frankfurt noch anders: Da gab es grandiose Verabschiedungen in der Festhalle, man konnte einen Forderungskatalog vorweisen, ließ diesen dann links liegen und ging wieder seiner Wege.5

don’t worry about 2007
Ist der Streik nun kläglich gescheitert oder nicht? Es kömmt wohl ganz darauf an, wie man ihn interpretiert. Auffällig ist, daß diejenigen, die sich emphatisch in den Streik gestürzt haben, letztlich leicht dort ankommen, wo ältere Streikgenerationen schon länger stehen: beim prinzipiellen Mißtrauen gegenüber studentischen Protesten. Von der Illusion, politischer Protest sei nur dann erfolgreich, wenn sich greifbare Ergebnisse zeitigen oder sei als linker nur dann zu würdigen, wenn sich eine immer größere Anzahl von Menschen unter den richtigen politischen Parolen zusammenfinden, ist es nur ein Katzensprung zur Resignation, die dann für die nächsten zehn Jahre jeglichen praktischen Widerstand an der Universität verunmöglicht – und womöglich nicht nur dort.

Gebracht hat der Streik auf jeden Fall etwas: Vom Contenanceverlust manch einer souveränen Akademikerin bis zur praktischen Einübung antiautoritären Ungehorsams; und immerhin trug er auch dazu bei, daß sich einige StudentInnen über ihre privaten, seminar- oder fachbereichsspezifischen Grenzen hinweg (dauerhaft) organisierten. Für die Freunde der verblichenen inhaltsschweren Zeiten läßt sich dieser Sachverhalt auch etwas anders formulieren: »Die Fortschritte in der aufgeklärten Spontaneität der schon selbsttätigen Gruppen und der Aktivierung der bislang unbewegten Gruppen sind historisch höher zu bewerten als die Erleichterungen und Rechte, die als Folgen der Kämpfe eventuell von den Regierungen gewährt werden ...«(Hans-Jürgen Krahl, 1968).

Vorläufig kann festgehalten werden, daß (a) sich die Hochschule samt den Interessen, der in ihr Agierenden, viel diffuser darstellt als gemeinhin angenommen, (b) die Studierenden, bloß weil sie studieren, keine klügeren, kritischeren oder aufgeklärteren Menschen sind, (c) ein Streik keine lineare Angelegenheit ist, die von den ersten Unmutsbekundungen zur Erfüllung der Forderungen, mithin zur Revolution führt, sondern bloß eine politische Praxis, bei der die Normalität des Alltags punktuell aufgehoben werden kann.

Es kömmt jetzt also darauf an, die Erfahrungen des Streiks richtig zu interpretieren, denn die theoretische Aufbereitung des Streiks prägt die künftige Praxis. Außerdem wurde lange genug gejammert. Wer die meisten AktivistInnen des vergangenen Streiks nun aus guten Gründen für weitgehend langweilig-reformistisch hält, möge dazu beitragen, ihnen ihre dominante Stellung streitig zu machen.

AK unmögliche Verhältnisse III

x 1 x vgl. Hans-Peter Krebs: Neoliberalismus – weder apokalyptisches Untier noch Papiertiger. In: hibiskus 0/97
x 2 x vgl. AG Französische Verhältnisse II: La misère de l’éducation universitaire ou du monde en générale? In: hibiskus 0/97
x 3 x »Seien wir realistisch – versuchen wir das Unmögliche!«
x 4 x »Das Un-Mögliche (...) ist nicht das Utopische. Im Gegenteil. Das Un-Mögliche gibt dem Wunsch, der Handlung und der Entscheidung die Bewegung. Das Un-Mögliche ist die Figur des Wirklichen selbst.«
x 5 x vgl. Linke Liste 1989: Auch ich will ein Buch. In: hibiskus 0/97