diskus 1/00

›There is no Fifth Option‹

Über ›welfare to workfare‹ und den Zwang zur Arbeit

Interview zur New Labour Politik mit Jamie Peck

›Get on your bike‹ liessen konservative Minister Arbeitslose und verarmte ›welfare dependants‹ in den 80ern wissen. Wer, weil nicht ausreichend eigen- verantwortlich, innovativ und entrepreneurial, die ›choices‹ nicht nutzen konnte und wollte und vom Arbeitsmarkt und der warenförmigen Produktion ausgespuckt wurde, musste daran selbst schuld und ein potentieller Sozialschmarotzer sein. Wer jammernd andere für die eigene Misere verantwortlich macht, dafür aber gern ›welfare‹ empfängt, erscheint Neoliberalen allemal als die niedrigste Form des ›individuellen Nutzenmaximierers‹, der - rational kalkulierende Homo oeconomicus, der wie alle anderen - notwendige Anstrengung und Einkünfte gegenrechnet und sich für ein komfortables Leben ›on benefits‹ entscheidet. ›Welfare‹ - in der Vorstellung von Geld ohne Gegenleistung - führt für Thatcherists direkt zu moralischem Verfall, Drogensucht, Auflösung der Familie, ›lone mothers‹ und, worst of all, einer Untergrabung der unsichtbaren Hand des Marktes. Zwei Strategien kristallisierten sich daher im neoliberalen Projekt heraus. Einerseits wurde der Wert von Sozialleistungen im Vergleich zur Reallohnentwicklung kontinuierlich reduziert. Andererseits wurden finanzielle Transfer-leistungen sukzessive an Gegenleistungen der ›claimants‹, wie ›counselling‹, Umschulungen, Gemeinschaftsarbeit und ›job-placements‹ gebunden. Zusam- mengefasst werden diese Strategien unter dem Begriff ›workfare‹. Insbesondere im Umkreis regulationstheoretischer Konzepte wird davon ausgegangen, dass (keynesianische) Wohlfahrtsstaaten durch sogenannte ›workfare‹-Staaten abgelöst werden. Sozialleistungen und öffentliche Dienste orientieren sich immer weniger an gesellschaftlichen und individuellen Bedürfnissen (needs) und werden den ›Notwendigkeiten‹ des (Arbeits-)Marktes und Standortwettbewerbs untergeordnet. Nicht den Ausschlüssen vom gesellschaftlichen Leben durch die Zwänge und Dynamiken der kommodifizierten Verteilung von Lebenschancen soll entgegengewirkt werden, sondern Inklusion soll nur über die verpflichtende Teilnahme an der warenfömigen Produktion erreichbar sein. Die neoliberale Deregulierungs- und Privatisierungspolitik, die v. a. auf den Rückzug der Politik fixiert war, geriet zum entstehenden post-fordistischen ›workfare‹-Staat mehr und mehr in Widerspruch. Staatliche Intervention und pro-aktiver Einsatz öffentlicher Gelder zur ›Aktivierung‹ und ›Befähigung‹ (enabling and facilitating) der Bevölkerung stellen hingegen für den third way der Neuen Sozialdemokratie kein Problem dar. Hier wird auch der Unterschied zwischen New Labour und dem Thatcherismus deutlich - New Labour ›provides the bike‹.

Über New Deal, ›welfare to workfare‹ und die wichtigs-ten Politiken New Labours sprach Roland Atzmüller mit Jamie Peck, Professor am Department für Geografie an der Manchester University. Peck arbeitet aus regulationstheoretischer Perspektive zur räumlichen Konfiguration post-fordistischer ›workfare-Regime‹ und zur Entwicklung britischer und US-amerikanischer Arbeitsmarkt- und Ausbildungspolitik.

Was sind die wesentlichen Elemente des New Deal welfare-to-work Programms? Handelt es sich um eine spezifisch blairistische Strategie?

Der New Deal kann auf zwei Arten betrachtet werden. Einerseits gibt es eine Kontinuität zur konservativen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, andererseits kann auch von einem radikalen Wechsel, einem third way, gesprochen werden. Der symbolische Wechsel durch den New Deal bezieht sich auf die verpflichtende Teilnahme - also den Zwang (compulsion), an diesem Programm teilzunehmen. Und das ist von besonderer Bedeutung. Die Konservativen waren in dieser Frage immer eher zurückhaltend, auch wenn es für sie zur ›Förderung‹ von Arbeitsbereitschaft und der Einführung eines strikten Benefit-Regime attraktiv gewesen sein mag. Sie befürchteten aber, ›compulsion‹ könnte die öffentliche Hand durch die Hintertür verpflichten, für Ausbildungsmöglichkeiten zu sor- gen oder gar Arbeit zu schaffen und damit die öffentlichen Kassen dauerhaft belasten. Erst mit Tony Blair wurde der Zwangscharakter von welfare-to-work Programmen ein Bestandteil der Labour-Politik. Bis dahin war der Widerstand gegen ›compulsion‹ eines der klarsten Prinzipien von Labour. Dieser Einsatz von öffentlichen Mitteln, der Neoliberalen Sorgen bereiten würde, stellte einen third way dar. Ähnliche Programme hatte es schon früher gegeben, trotzdem wird eine Art Jahr-Null Gefühl rund um den New Deal verbreitet, als handle es sich um etwas völlig Neues. Aber das war mit allen Programmen in den letzten 20 Jahren so.

Der New Deal ist also auch ei- ne widersprüchliche Fortsetzung von Arbeitsmarkpolitik als Dis- ziplinierungsstrategie und ›Beschäftigungstherapie‹, wie sie et-wa von den Konservativen seit Anfang der 80er u. a. gegen die Gewerkschaften und als Reaktion auf die Aufstände in den ›inner cities‹ (1981, 1985) 1 verfolgt wurde?

Ja, die Konservativen waren 1979 auf einem anti-korporatistischen, Anti-Gewerkschafts- Ticket gewählt worden und versuchten jede Institution mit gewerkschaftlicher Einbindung abzuschaffen. Die wichtigste Ausnahme war die MSC (Manpower Services Commission), deren Budget bis 1987 sogar verzehnfacht wurde. Die Konservativen sahen darin eine effektive Möglichkeit, das Arbeitslosenproblem zu ›behandeln‹, d. h. bei Bedarf rasch eine Vielzahl von Umschulungs- und Ausbildungs-Programmen für Arbeitslose zu entwickeln. Sie institutionalisierten damit eine individualistische, angebotsorientierte Umschulungsstrategie für Arbeitslose. Für Kritiker stand MSC daher für "ministry of social control". In der ersten Hälfte der 80er, als die Arbeitslosigkeit stieg, war ein besonders hartes Regime gegen Arbeitlose für die Tories nicht möglich. Ich denke, ihre Sorge wegen der ›inner-city riots‹ war sehr real. Als die Arbeitslosigkeit zurückging, machten sie die Umschulungsprogramme für Erwachsene zu Quasi-workfare-Programmen, weswegen die Gewerkschaften sich schließlich aus dem MSC zurückzogen. Die Konservativen privatisierten die Berufsausbildung. Sie begannen mit aktiven Job-Such-Maßnahmen für Arbeitslose und verschärften das System finanzieller Unterstützungen. Als in den frühen 90ern die Rezession begann, mussten sie ihre Politik wieder etwas lockern, um auf die steigende Arbeitslosigkeit zu reagieren. Erst als die Rezession ausklang, begannen sie wieder mit der workfare-Idee zu liebäugeln. Piven und Cloward haben auf diesen zyklischen Verlauf der Armutspolitik seit den ›Poor Laws‹2 hingewiesen. Floriert der Arbeitsmarkt, wird Disziplin von den staatlichen Autoritäten am rigorosesten umgesetzt. Das war in den letzten Jahrzehnten das Muster in GB. Dieser Kontext existiert auch für den New Deal.

Aber werden derartige Maßnahmen nicht erst durch populistische Kampagnen gegen ›non-deserving poor‹ und ›work-shy‹ in Perioden hoher Arbeitslosigkeit vorbereitet?

Sicher. Es gibt außerdem kumulative Effekte. Der zyklische Ablauf von Politik gegen Arbeitslose heißt nicht, dass bestimmte Maßnahmen in Rezessionen wieder völlig liberali- siert werden. In diesem kumulativen Prozess wurden die Prinzipien des beveridgianischen Wohlfahrtssystems nach und nach erodiert. Wir sind in einer Situation angelangt, die der US- amerikanischen, wo welfare ein schmutziges Wort wird, ähnelt. Politiker wollen nicht mit der Verteidigung von Wohlfahrtsempfängern, Leuten also, die versagt haben, in Verbindung gebracht werden.

Könnte man sagen, dass welfare to work angesichts aller Widersprüche, v. a. ›Middle England‹3 zufriedenstellen soll?

Die Frage ist ja, warum für New Labour ›compulsion‹ so wichtig war, warum sie ein derartiges Getöse darüber machten, dass es keine ›fifth option‹ gäbe, dass es ein ›toughes‹ Programm sei etc., wenn die Job Seekers Allowance doch de facto ›compulsory‹ ist. Das war eindeutig an Middle England gerichtet. Die Strategie orientierte sich an den ›Steuerzahlern‹, die weniger für welfare ausgeben wollen, aber wenn sie schon müssen, dann wollen sie sicher sein, dass das Programm ›tough‹ ist. Dann fühlen sie sich gut. Ob das Programm funktioniert, ist da Nebensache.

Und wie ist das mit dem Klientel? Wie weitreichend ist ›compulsion‹ und ab wann ist eine arbeitslose Person dem ausgesetzt?

1996 haben die Konservativen die Job Seekers Allowance (JSA) eingeführt. Dadurch wurde das überkommene System der finanziellen Arbeitslosenunterstützung durch ein weitaus aktiveres Regime abgelöst. ›claimants‹4 müssen zeigen, dass sie aktiv Arbeit suchen, um JSA zu erhalten. Können oder wollen sie eine Arbeitsstelle, die ihrem Job- officer als vernünftig erscheint, nicht annehmen, verlieren sie die Unterstützung. Um in ein New Deal Programm für 18 - 25 Jährige zu kommen, ist es notwendig, 6 Monate JSA erhalten zu haben. Das heißt, jemand muss schon mit sehr gravierenden Hindernissen am Arbeitsmarkt konfrontiert sein. Diese können persönlicher Natur sein und mangelnde Ausbildung betreffen oder aber schlicht auf das Nichtvorhandensein von Jobs verweisen. Die erste Phase des New Deals, der ›gate way‹5, dauert zwischen 4 und 6 Monate und soll die unterschiedlichen Möglichkeiten der jeweiligen Person ausloten. Dann gibt es 4 Möglichkeiten - ein subventionierter Platz in einem privaten Unternehmen, ein Vollzeit-Ausbildungsplatz, ein Platz in einem Programm im ›voluntary sector‹ oder in der ›Environmental Task Force‹. Durch die vorgeblichen Wahlmöglichkeiten wird ›compulsion‹ zu etwas Spezifischem. Verpflichtende Programme in den Staaten oder auch die Experimente der Konservativen, beschränkten sich meist auf einzelne Programme. Diese Art von Zwang ist leichter zu bekämpfen. Schwieriger ist es, gegen ›compulsion‹ im New Deal aufzutreten, da die Regierung immer auf die Wahlmöglichkeiten hinweist. Gleichzeitig wird aber immer betont: "There is no fifth option".

Auf welchen Kreis von Personen zielen die Programme des New Deal ab? Es scheint, als ziele das Programm vor allem auf junge Arbeitslose, männlich, schwarz, die in den ›inner cities‹6 leben, ab?

Der größte Teil des New Deal-Programms zielt auf 18 - 25-jährige Langzeitarbeitslose, drei Viertel dieser Gruppe sind männlich. Diese wohnen v. a. in den ›inner city‹ areas, in öffentlichen Sozialbauten und den niedergehenden Kohlerevieren. Die anvisierten Gruppen sind äußerst unterschiedlich und leben in Gegenden, wo es schlicht keine Arbeitsplätze gibt. ›Compulsion‹ sei notwendig, heisst es, da diese Leute vergessen oder niemals gelernt hätten zu arbeiten. Sie hätten keinen Arbeits-Ethos und seien abhängig von Wohlfahrt. Welfare-to-work soll zuerst die individuelle ›employability‹ erhöhen, unter der Annahme, ein Job würde schon folgen. Warum aber finden sich dann diese Leute eher in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit, warum schwankt ihre Zahl mit den wirtschaftlichen Zyklen? New Labour's Erklärung ist völlig inadäquat. Diese Leute sind, wo sie sind, da es keine Beschäftigungsmöglichkeiten in den niedergehenden und verarmten Städten gibt.

Welche Effekte wird der New Deal auf die sogenannte ›Target population‹ haben?

Das Ganze hat eine Art perverse Logik. ›Employability‹-Strategien sind am effektivsten für Leute, die dem Arbeitsmarkt am nächsten sind, und bei einer etwaigen Transition in Beschäftigung unterstützt werden. Diese hätten aber vielleicht auch so Arbeit gefunden. Die Warteschlange für Jobs wird gemäss ›employability‹ organisiert. Damit wird der Vorrang der Markt-Kriterien in der Verteilung von Lohnarbeit anerkannt und durch ›public policy‹ sogar noch verstärkt. Die Kriterien der Unternehmer sind die ein-zigen, die zählen. ›Public policy‹ bestätigt diese, verhärtet und intensiviert sie sogar. Ironischerweise wurde New Deal als eine soziale Inklusionsstrategie verkauft. New Deal organisiert die Verteilung von Arbeitsplätzen jedoch nach Marktgesetzen. Es ist daher möglich, von verstärkter Exklusion aller anderen zu sprechen. Da wird ein verpflichtendes Programm gemacht für Leute, die ohnehin kaum Möglichkeiten sehen, eine Beschäftigung zu finden. Wozu also sollen sie sich das antun? Wenn sie vielleicht ihre Existenz anders sichern können, werden sie das tun. Das war auch das erste, was ›policy-maker‹ überrascht hat. Eine weitaus größere Zahl von Leuten als erwartet hat sich ganz einfach entzogen. New Deal hat daher in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit eher Abschreckungscharakter, JSA zu beantragen.

Wer setzt den New Deal um? Meines Wissens werden damit auch Privatunternehmen betraut; so etwa in Hackney/London eine Leiharbeitsfirma.

Die Frage der Privatisierung im New Deal wird kaum diskutiert. Je länger die Planung lief, desto mehr wurden private Organisationen einbezogen. Waren zuerst 2 von 140 lokalen ›delivery units‹ für Private vorgesehen, wurde dann diese Zahl auf 10 erhöht. Jetzt gibt es in jeder Region des Landes eine völlig privatisierte ›delivery unit‹. In den New Deals employment zones für über 25-jährige Langzeitarbeitslose werden sogar die Hälfte (von 30 lokalen Einheiten) durch den privaten Sektor umgesetzt. Eine schleichende Privatisierung also.

Was ist der Lohn für New-Deal Stellen im Privatsektor? Der minimum-wage (3,6 £) oder der Satz, der gewöhnlich für den jeweiligen Job bezahlt wird?

Der New Deal subventioniert Stellen im Privatsektor mit 60 £ im Monat. Anfangs glaubten einige Unternehmer, dies sei der vorgesehene Lohn. Die betroffenen Personen sollten unter den jeweils in den Betrieben vorherrschenden Bedingungen beschäftigt werden. In den anderen 3 Bereichen wird die Arbeitslosenunterstützung etwas erhöht. Die Regeln in Bezug auf den Arbeitsmarkt sind äußerst lax. Unternehmen können all ihre Strategien und Regeln bei Arbeitskräfteeinstellungen einsetzen, die schon bisher ethnische Minderheiten ausgeschlossen haben, Jobs nach geschlechtsspezifischen Stereo-typen konstruiert haben etc. Im New Deal geht es darum, Leute unter den vorherrschenden Arbeitsmarktbedingungen in Lohnarbeit zu zwingen, nicht darum, diese zu verändern.

Gibt es irgendwelche Regeln für Unternehmer, die New Deal-Teilnehmer übernehmen? Es handelt sich ja für diese Unternehmen nicht zuletzt wegen der Subvention, um Billigarbeitskräfte?

Stringente Regeln sind eher gering gehalten, um die ›bürokratische Last‹ für Unternehmer zu minimieren. Die Annahme ist ja, dass junge Leute nicht bereit sind, zu den Bedingungen der Unternehmen zu arbeiten. Das zu verändern ist Priorität. Die, die das Programm umsetzen, sind vermutlich froh, überhaupt Unternehmen zur Teilnahme zu bewegen. Da besteht kein Interesse, sich auf irgendwelche Streitereien über Beschäftigungspraktiken einzulassen; würde auch nicht zum ›pro-business-image‹ von New Labour passen.

Was ist die Rolle des öffentlichen Sektors?

Alles in allem sind die Stadtverwaltungen und der voluntary sector eher auf der progressiven Seite zu finden. Die Regierung musste überhaupt erst dazu gebracht werden, deren Teilnahme an den Programmen zuzustimmen. Ich wäre überrascht, würden sie das einfach ausnutzen. Das hängt sicher mit der Stärke der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst zusammen. Wichtig ist eher, dass der Anteil des öffentlichen Sektors so klein ist. Nur 2,5 % der bereitgestellten job-placements sind dort. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die Gewerkschaften eine Prekarisierung der Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor verhindern wollen. Außerdem wird damit argumentiert, dass der öffentliche Sektor finanziell unter Druck stehen würde.

Sie haben intensiv zu workfare und der Entstehung von ›workfare-states‹ gearbeitet. Könnten sie eine kurze Beschreibung der ›work-fare state‹ These geben?

Prinzipiell begannen meine Überlegungen zu workfare in einer Zeit - in den 80ern -, als es sich dabei nur um ein paar isolierte Versuche in den 70ern und 80ern in den USA zu handeln schien. Reine workfare-Strategien sind auch heute noch selten. Bis Mitte der 90er sah ich in workfare eher ein ideologisches Symbol, als einen organisierenden Rahmen für einerseits eine aktive Kritik der Wohlfahrtssysteme und andererseits ein Mittel ein anderes Regime zu konstruieren. M. E. beginnt workfare immer mehr diese letzteren Funktionen zu übernehmen, selbst wenn eindeutige Erfolge (im Sinne der Erfinder) weiterhin selten, lokal begrenzt und kurzlebig sind. Die erfolgreichen workfare-Programme der letzten 30 Jahre sind an einer Hand abzuzählen. Je mehr workfare-Strategien in der Realität scheiterten, desto intensiver wurde diese Politik - zumindest in den USA. Vielleicht zielt die Dynamik ja auch mehr auf die Zerstörung von ›welfare‹ - aber workfare definiert diese Reform und Restrukturierungsstrategie. Workfare-Programme verbinden ›compulsion‹, Verhaltensveränderungen der Betroffenen und ein ausschließlich angebotsseitiges Verständnis von Arbeitslosigkeit und Armut. Es ist ein workfare-Regime vorstellbar, das sich gegenüber dem deregulierten, gespaltenen Arbeitsmarkt völlig passiv verhält, diesen als natürliches Artefakt sieht und durch Sozialpolitiken dessen Dynamiken stützt und fördert. Es gibt keinen Mindestlohn oder nur einen sehr niedrigen, finanzielle Unterstützungen werden mehr und mehr an die Teilnahme am Arbeitsmarkt gebunden. Wohlfahrtssysteme schufen nach Claus Offe zumindest partiell gesellschaftlich anerkannte Schutzbereiche gegen Lohnarbeit. Für Individuen bzw. bestimmte Gruppen war es unter gewissen Bedingungen legitim, zumindest in bestimmten Perioden ihres Lebens, z. B. wegen Krankheit, Alter und anderer gesellschaftlichen Verpflichtungen auch eine Existenz außerhalb der Lohnarbeit zu haben. Eine workfaristische Inklusionsstrategie weist dies zurück und betont, dass die Kommmodifizierung der Arbeitskraft und die maximale Einbindung in Lohnarbeit zentral seien.

Korrespondiert das nicht mit jüngsten Überlegungen zu der Entstehung sogenannter schumpeterianischer workfare-Regimes, wie sie etwa von Bob Jessop vorgebracht wurden?

Mit dem Konzept des schumpeterianischen workfare-Regimes versucht Bob Jessop zu verstehen, wie workfare quasi-schumpeterianische Formen von Wirtschaftspolitik ergänzen könnte. Anstelle direkter Steuerung koordiniert und lenkt der Nationalstaat lokale und sektorale governance-Regime, indem er den Wettbewerb zwischen diesen fördert. Das wird auch bei welfare-to-work sichtbar, wo in einer Art institutionellem Darwinismus lokale Verwaltungen um die Programmgelder konkurrieren müssen. Dadurch wird eine permanent destabilisierte Form lokaler governance geschaffen, die offen ist für alle externen Stimuli, sich als Investitionsmöglichkeit anbieten muss und bereit ist, um öffentliche Gelder zu konkurrieren. Workfare-Regime dienen der Regionalisierung von governance.

Es gibt also zwischen workfare und der regionalen Restrukturierung Großbritanniens der letzten Jahre einen Zusammenhang?

Workfare ist mit Dezentralisierung assoziiert, da es ja eine aktive, rechte Kritik an big government und dem Nationalstaat darstellt. Ob das notwendig oder zufällig ist, steht noch zur Debatte. Mainstream-Analytiker und Befürworter von workfare betonen, dass eine Umsetzung nur lokal und dezentralisiert gelingen kann. Die Programme sollen nach den Notwendigkeiten der lokalen Arbeitsmärkte und den Bedürfnissen der lo-kalen Unternehmer sowie der jeweiligen ›Kundengruppe‹ geplant werden. Dezentralisierungsstrategien im Zusammenhang mit workfare bedeuten nicht, dass tatsächlich Kontrolle auf die lokale Ebene verlagert wird.

Ist Dezentralisierung für die Realisierung von workfare-Programmen notwendig, damit die individualisierten, angebotsorientierten Programme auf die Reproduktionssphäre der Menschen (Familienstruktur, lone mothers, ›dissoziales‹ Verhalten wie Sucht, Kriminalität, Alkohol ...) zugreifen können?

Ja, das ist der Fall. Obwohl wir in GB auch eine Tradition zentraler Interventionen haben, die ähnliche Ziele verfolgt. Für umfassende Reformen ist eine Verlagerung der Ebenen notwendig, um Widerstände zu brechen. Seit den Poor Laws ist zu beobachten, dass dann, wenn Wohlfahrts-Regimes disziplinierender und auf die Erzwingung von Lohnarbeit ausgerichtet werden, dies gleichzeitig dezentraler umgesetzt wird. Wohlfahrtsbürokraten sitzen den ›claimants‹ direkt gegenüber und können moralische, politische und ökonomische Urteile über den Zugang zu Unterstützung und über die damit verbundenen Auflagen treffen. Diese Art von unmittelbarem Management und Mikroregulierung von Armut war immer assoziiert mit lokalen Verwaltungen.

Warum ist Dezentralisierung so wichtig für die neo-liberale Restrukturierung GBs jenseits von workfare?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Der britische (Wohlfahrts-)Staat war stets äußerst zentralisiert und einheitlich. Dezentralisierungen, etwa unter den Tories, verliefen ursprünglich recht zögerlich. In den 80ern waren die lokalen Stadtverwaltungen in den großen Städten zentrale Orte des Widerstandes gegen den Thatcherismus - der sogenannte ›municipal socialism‹7. Daher haben die Konservativen in den 80ern versucht, eine alternative Struktur für ihre Politik auf lokalem Level aufzubauen, um die linken councils zu umgehen. Insbesondere in der späteren Phase des Thatcherismus und unter den Major-Regierungen spielten lokalpolitische Strategien eine wachsende Rolle. Der Markt-Liberalismus war an eine Grenze gestoßen und alternative Regulationsformen mussten gesucht werden. Daher verfolgten sie gewisse ›empowerment‹-Strategien auf lokaler Ebene und versuchten, eine alternative institutionelle Präsenz aufzubauen, was sich aber als erstaunlich schwierig herausstellte.

Welche politischen Effekte ergeben sich aus workfare?

Man kann auf abstrakter Ebene behaupten, dass das schumpeterianische workfare-Regime heute das Ma-kro-Regime darstellt. Diese Programme sind sehr attraktiv, obwohl sie noch nicht einmal nach ihren eigenen Kriterien erfolgreich sind. Inneffektiv oder nicht, sie sind die einzige kohärente Geschichte, die es zur Zeit gibt. Es gibt wenig kohärente Verteidigungen der Wohlfahrtssysteme, wie etwa Diskussionen zu Grundeinkommen und dergleichen. Mehr noch, workfare-Strategien desorganisieren Opposition auf der lokalen Ebene. Gewerkschaften, ›community-organisations‹ u. ä. müssen lokal auf workfare antworten, wegen dessen ausdifferenzierender Natur. Es ist extrem schwierig, darüber hinausgehende Strategien zu entwickeln, da workfare von New York bis Manchester anders ist. Workfare nimmt den Wunsch nach Reform auf und zerstört dabei zugleich Alternativen. Workfare intensiviert Ungleichheiten am Arbeitsmarkt, subventioniert die Schaffung prekärer Arbeitsverhältnisse, normalisiert und stabilisiert die Situation am unteren Ende des Arbeitsmarktes, die sie als natürlich akzeptiert. Workfare macht prekäre Arbeitsverhältnisse zu einem sozialpolitischen Ziel.

1) Im Gefolge der verheerenden sozialen Auswirkungen des Thatcherismus und der Ersetzung von Wohlfahrtsprogrammen und Umverteilungsmaßnahmen durch polizeiliche Behandlung der entstehenden ›dangerous classes‹ kam es in den ›inner cities‹ immer wieder zu Aufstandswellen, den sogenannten ›inner city‹ riots.
2) Britische Armengesetzgebung von 1830. Piven, F. und Cloward, R.: (1993) Regulating the Poor: The Functions of Public Welfare, (updated ed.). New York: Vintage.
3) Middle England bezieht sich v. a auf die (neu entstandenen) Mittelklassen im Süden und Südosten Englands und den Midlands, die in den 80ern conservative gewählt haben.
4) Claimant ist, wer um Sozialleistungen ansucht.
5) Intensive counselling- und Interviewphase für New Deal TeilnehmerInnen.
6) Sammelbegriff für Gebiete innerhalb der Grenzen großer Städte (aber außerhalb des Stadtzentrumes im engen Sinne). De-Industrialisierung betraf in Großbritannien die in Städten v. a. im Norden angesiedelten Betriebe. Arbeitslosigkeit und Verarmung waren die Folge. Dies betrifft v. a. die in diesen Gebieten konzentrierte schwarze Bevölkerung und hier oftmals junge Männer, denen Alternativen jenseits traditionell männlicher Berufspfade in der Industrie versperrt blieben.
7) Insbesondere in den traditionell Labour dominierten Städten im Norden sowie London (sogenannte Metropolitan Councils) formierte sich ein Gegenprojekt zum autoritär-populistischen Neoliberalismus Thatchers. Lokal unterschiedlich war dieses nach dem Eintritt linker AktivistInnen in die Anfang der 80er nach links gerückte Labour Party entstanden und beruht oft auf Koalitionen mit den Neuen Sozialen Bewegungen (Frauen, Schwule und Lesben, Anti-Rassismus). Die Metropolitan Councils wurden 1986 zerschlagen und abgeschafft.

siehe auch: "Blairs Cool Britannia: Thatcherismus mit menschlichem Antlitz. Interview mit Bob Jessop", in: diskus 3/98, S. 27-31