what´s your class identity?

WG: diskus fragt an

 

Re: Klasse gegen Klasse

 

Vor einigen Jahren trieb in Kreuzberg eine Gruppe namens »Klasse gegen Klasse« ihr Unwesen, deren Anschläge die »Yuppisierung« unseres geliebten Arbeiterbezirkes aufhalten sollten. Die Aktionen wurden durchgeführt, nachdem die Klassenkräfte und ihre Wechselbeziehung streng objektiv abgewägt worden waren, wie einst Lenin es riet. Die strenge Analyse der objektiven historischen Lage resultierte in Angriffen auf Einrichtungen der alternativen Luxuskonsumption, die sich vermehrt im Kiez ausbreiteten und die Mieten für den einfachen Arbeiter und seine Familie in unerschwingliche Höhen trieb. So wurde beispielsweise das bourgeoise Edel-Restaurant »Auerbach« in der Köpenicker Straße »gekübelt«. Das heißt, einige Eimer bei der revolutionären Reproduktion angefallener Fäkalien wurden den Angehörigen der parasitären Ausbeuterklasse vor die Füße und über das Hirschragout geschüttet. Ein anderer Anschlag traf den Yuppie-Laden »alimentari i vini« in der Mariannenstraße, in dem sich Angehörige der Yuppieklasse mit den überlebensnotwendigen Konsumgütern eindeckten: eingelegten Artischockenherzen, getrockneten Tomaten, Olivenöl in Blechkanistern, italienischem Parmesan, Wildschweinsalami und Rotweinen, deren Namen die in Lumpen gekleideten Arbeiterkinder, die sich an den Schaufenstern die Nase plattdrückten, nicht einmal aussprechen hätten können, wenn sie denn das Geld besessen und den Mut gefunden hätten, diesen Tempel bürgerlicher Dekadenz zu betreten.

»Klasse gegen Klasse« ist mittlerweile von der Bildfläche verschwunden, das »Auerbach« schloss nach einer zweiten Attacke, diesmal mit einer Handgranate, und wurde kurzfristig durch einen Sexshop ersetzt, das »alimentari i vini« bietet noch heute Aceto balsamico an, der eben nicht bei Plus oder Aldi um die Ecke im Regal steht.

So albern die Klassenkämpferpose von »KgK« auch wirkte und so verschroben die Bekennerschreiben auch waren, die Anschläge waren insofern bemerkenswert, als sie die Symbole einer Schicht trafen, deren Mitglieder sich mehrheitlich gar nicht als Ausbeuter verstanden. Im Gegenteil, die Kunden des »Auerbach« und des italienischen Feinkostladens lasen taz, waren Mitglieder in der »Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft« und früher in der SEW gewesen. Sie waren Ex-Hausbesetzer, Greenpeacemitglieder, aber doch sicher keine Bourgeois? Die Bourgeois wohnten schließlich in Zehlendorf, waren im Tennis- oder Golfclub und ansonsten mit dem Entwurf eines neuen Carports für den Zweitwagen beschäftigt? Opferten Bourgeois ihre Zeit im Kampf für die Integration, für Busspuren und Tempo-30-Zonen auf? Waren sie weltläufig, versuchten sie sich mit Sprache und Gebräuchen der Gegenden bekannt zu machen, wenn sie im Urlaub waren -, mit den Weinen Venetiens, den Festen der Normandie? Die Bourgeois waren in dieser Sicht engstirnige Pauschaltouristen, die CDU wählten und nicht über den Zaun ihres von Gardena-Sprinkleranlagen bewässerten Gartens zu schauen wagten. Kurz, bourgeois, das war der Lebensstil und das Ideal der eigenen Eltern, von dem sich abzugrenzen gelungen war. Überschneidungen mit diesem Lebensstil gab es nur im Bereich der Hochkultur: Oper, Philharmonie, Theater. Ansonsten: die im KadeWe, wir im Bioladen und bei Giuseppe. Die Selbstwahrnehmung war und ist auch heute oft anti-bürgerlich. Wir sind Teil der Intelligenz, Intellektuelle, aber wir gehören nicht der Ausbeuterklasse an.

Dieses mangelnde Klassenbewusstsein ist für Außenstehende (bzw. im Fall der Leser dieser Zeitung wahrscheinlich noch-Außenstehende) schwer nachzuvollziehen. Schließlich haben die meisten Rucola-Linken ihr »Kapital« noch im Schrank stehen, abgesehen von dem in Fonds angelegten.
Die Alt-Linken befanden sich auf einmal auf der anderen Seite der Barrikade. Diejenigen die einst mit »weil du auch ein Arbeiter bist« auf den Lippen demonstrierten, wurden plötzlich als die Mittelklasseschmarotzer angegriffen, die sie geworden waren. Angegriffen als Leute, die es stinknormal finden, fünfmal soviel zu verdienen wie der Kassierer im Supermarkt, die Bauarbeiterin oder die polnische Putzkraft. Leute, deren antibürgerliche Haltung sich darauf beschränkt, eben keinen Mercedes zu fahren, sondern Volvo oder Citroen und nicht Nerz, sondern Goretex-Jacken zu tragen. Von der klassenkämpferischen Pose ist nur noch eine kulturelle Fassade geblieben. Sobald es an die materiellen Privilegien geht, ist diese Schicht ebenso bürgerlich wie die Mercedesfahrer_innen und Nerzträger_innen. Diese Transformation und der einhergehende Selbstbetrug gibt Anlass zur Selbstkritik. Wie bürgerlich bist du? Kulturelle Reform à la Homoehe und Solarenergie oder Abschaffung der Klassengesellschaft? Letztere gegen die eigenen materiellen Interessen. Als Studentinnen sind wir Schmarotzer nicht am Staat, dessen Sozialleistungen wir kassieren, sondern an dem Teil der Gesellschaft, der nicht das Glück hatte, in Wohlstand geboren zu werden. Was für Argumente gibt es dann für eine klassenlose Gesellschaft? Nur moralische. Und was bleibt von denen? So kontraproduktiv die Mittel von »Klasse gegen Klasse« waren und so abstoßend ihr Gewaltfetisch, die Kritik an der »mittelschichtdominierten deutschen Linken« bleibt aktuell.

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