Transnationale Räume

Widerständige soziale Sphären und neuer Modus transnationalen Regierens


»Ich will eigentlich nicht mehr in die Slowakei zurück – aber andererseits will ich auch nicht in Deutschland bleiben und mein ganzes Leben Au Pair und Dienstmädchen sein. Ich habe größere Ziele in meinem Leben. Ich will studieren und eine richtige Arbeit haben. Und das geht hier nicht, dafür muss ich mich für eine kleine Zeit wieder von Deutschland verabschieden.«

Wenn Maria über ihre Zukunft nachdenkt, endet es immer wieder in diesem anscheinenden Dilemma. Ganz offiziell kam sie vor zwei Jahren mit einer kirchlichen Au Pair Agentur nach Süddeutschland und arbeitete in einer dreiköpfigen Familie. Doch mit der Familie hatte sie Probleme. Wie viele osteuropäische Au Pairs, mit denen ich zwischen 1999 und 2001 sprechen konnte, klagte sie nicht nur über Arbeitsüberlastung, sondern auch über mangelnde Anerkennung. Sie brach ab und kehrte Heim. Sie versprach allerdings, wieder nach Deutschland zum Arbeiten zurückzukehren. Nachdem ihr einjähriges Au pair Visum jedoch schon zu dreiviertel ausgeschöpft war, fand sie keine Agentur mehr, die sie legal vermitteln wollte. Für ein anderes Visum zu Arbeitszwecken, beispielsweise als Saisonarbeiterin, hätte sie eine Zeit lang zu Hause bleiben müssen. So reihte sie sich ein in die Schar der osteuropäischen PendelmigrantInnen, die sich im Dreimonatsrhythmus der visafreien Einreise als Touristin zwar legal in Deutschland aufhalten konnten. Eine Arbeitsaufnahme war allerdings untersagt. Wie die meisten Migrantinnen ohne Papiere fand sie jedoch ohne Probleme einen Arbeitsplatz in einer Familie. Sie arbeitete ein gutes Jahr weiter als Au pair, diesmal halblegal. Mittlerweile studiert sie in Deutschland. Doch als Migrantin wird sie in den offiziellen Migrationsstatistiken nicht geführt, da ihre Strategie der Einreise und ihre mobile Migrationspraxis des Pendelns nicht als Migration gilt. Auch die Migrationsforschung hat jene PendelmigrantInnen lange übersehen, da sie durch ihr binäres, raumgebundenes Kategoriensystem von Migration als Aus- und Einwanderung hindurchfielen.

Dabei zeigt ein transnationaler Blick zum einen, dass es sich hierbei um kein neues Phänomen handelt, vielmehr schon die Migrationsprojekte der Gastarbeitsära transnationale Dimensionen beinhalteten. Zum anderen macht er deutlich, dass das neue Europa ein höchst pulsierender Wanderungsraum ist. Die Mobilitätsstrategien der pendelnden TouristenmigrantInnen, KofferhändlerInnen, SaisonarbeiterInnen aus dem Osten als auch die Strategien von MigrantInnen aus dem globalen Süden haben dabei die imaginierten Zentrum-Peripherie-Strukturen längst durchbrochen und tragen zu einer dezentrierten Migrationslandschaft Europas bei, wobei die klassischen Emigrationsländer Südeuropas längst selbst zu Ziel- und Transitländern wurden.

In der öffentlichen Repräsentation des Wanderungsraums Europas herrscht allerdings weiterhin ein anderes Bild vor. Hier ist es die Cap Anamur, die schiffbrüchige MigrantInnen aus dem Mittelmeer zieht, das zur Außengrenze der Europäischen Union ausgebaut wird. Ob in kritischer oder affirmativer Absicht, es ist das Bild einer Festung Europa, die als Kompensationsmaßnahme für die Aufhebung der Grenzkontrollen im Innern diese um so strikter an ihre Außengrenzen vorverlegt. Die Europäisierung der Migrationspolitik, vor allem im Rahmen der EU ergänzt bzw. ersetzt die nationalstaatliche Regulation der Migrationsbewegungen. Vor allem das Schengener Abkommen, das mit der Aufnahme in den Amsterdamer Vertrag 1999 offiziell EU-Politik wurde, steht symbolisch für die zweigleisige Politik, wobei sich ein Intra-EU-Transnationalismus gegen externe Transnationalismen abzuschotten versucht.

Dabei scheint es mir notwendig, die Einsichten der transnationalen Migration mit einer Analyse der EU-Migrationspolitik zu verbinden. Bislang handelt es sich hierbei um zwei getrennt geführte Debatten: so thematisieren die einen – auch ich habe das lange gemacht – transnationale Strategien der Migration als kreative Taktik, die Festung Europa zu unterwandern, während insbesondere die kritischen EU-Studien dagegen die europäisierten Grenzpolitik als Abschottungspolitik thematisieren. Dabei drängt sich die Frage geradezu auf: Sind die transnationalen MigrantInnen Rebellinnen wider die Festung Europa und die durch ihre Strategien der Mobilität aufgebauten transnationalen Räume doch spaces of resistance? Oder anders herum gefragt: Ist die EU-Migrationspolitik, insbesondere ihr Grenzregime, doch nicht so durchgreifend, wie es die vierteljährlichen Presseerklärungen suggerieren wollen, die der illegalen Migration den Kampf ansagen? Sind die transnationalen Migrationsprojekte also ein Ausdruck ihres Scheiterns?

Es geht also darum, mikropolitische Praktiken, wie hier exemplarisch anhand der Au Pair-Migration osteuropäischer Frauen betrachtet, mit der Implementierung der EU-Migrationspolitik in Südosteuropa zu verbinden. Die mikropolitische, ethnografische Perspektive, die die Praktiken der Migration ins Zentrum rückt, kann einen entscheidenden theoretischen Beitrag zur Analyse des EU-Grenzregimes liefern und die Funktion des neuen rebordering vom Kopf auf die Füße stellen. Aber auch andersherum trägt eine Analyse des europäischen Grenzregimes zu einer differenzierten Fassung des Konzepts der transnationalen Räume bei – im Sinne seiner sozialen Erdung. Dabei zeigt sich, wenn wir uns in Anlehnung an Michel Foucault für einen Moment von dem repressionshypothetischen Blick auf Grenzen abwenden, dass das Scheitern nicht als Scheitern zu verstehen ist, sondern ein zentrales Moment der Produktivität des europäischen Grenzregimes ausmacht, welche gerade in der Hervorbringung prekärisierter transnationalisierter Subjekte und »transnationaler sozialer Räume« (Pries 1997) besteht.


Transnationale soziale Räume

Transnationale migrantische Räume sind von vielfältigen Strukturierungsfaktoren geprägt. So lässt sich die Transnationalisierung von Migrationsprojekten wie die der osteuropäischen Frauen zumindest auf drei parallel stattfindende Prozesse zurückführen:

Zum einen gibt es einen Zusammenhang zwischen transnationaler Migration und den Verschlechterungen der Lebensverhältnisse im Osten und Süden der Welt, die bedingt sind durch die anhaltenden ökonomischen Globalisierungspolitiken. In meinem konkreten Fall begründeten alle Au pair-MigrantInnen, mit denen ich sprechen konnte, ihren Weggang mit den sozioökonomischen Auswirkungen der Durchkapitalisierung der postsozialistischen Länder, die Frauen spezifisch treffen.

Zweitens gewähren aber auch die Umstrukturierungspolitiken in den Industriestaaten – insbesondere der Rück- und Umbau der fordistischen Produktionsstätten und fortschreitende Tertiärisierungsprozesse – den NeuzuwanderInnen immer weniger Lebenssicherheit. Hierbei weisen alle gender-sensiblen Migrationsforschungen darauf hin, dass MigrantInnen in Folge ihres Rechtsstatus vor allem im niedrig entlohnten und oftmals informellen Dienstleistungssektor eine magere Anstellung finden. Dabei ist vor allem die Nachfrage nach Hausarbeiterinnen in ganz Europa im Steigen.

Drittens stellt die Transnationalisierung eine Reaktion auf die migrationspolitischen Restriktionen und die anschwellenden Anti-Migrations-Rassismen in den Zielregionen der internationalen Migrationsbewegungen dar, die seit Mitte der 80er Jahre sowohl in klassischen Settler-Communities wie den USA als auch in Europa zu beobachten sind.

Transnationale Migrationsstrategien erscheinen hierbei als kreative Taktik, den Restriktionen der Einwanderungsmöglichkeiten als auch den Diskriminierungen im Migrationskontext auszuweichen und sie zu unterwandern. Vielmehr können die MigrantInnen häufig, indem sie beide Kontexte miteinander verbinden, ihren sozialen Status im Herkunftsland halten, wenn nicht sogar ausbauen. So begründet auch Maria ihre Pendelmigration aus dem Widerspruch zwischen einerseits bestehender Nachfrage nach ihrer Arbeitskraft und andererseits restriktiver Einwanderungspolitik: »Ich mach doch nichts Schlimmes. Die Familien wollen Frauen wie uns. Warum ist Deutschland so streng?«

Angesichts der Aussicht, in Deutschland als Halblegale nur eine Stelle als Dienstmädchen zu finden, entwickelte sie eine Lebenspraxis der zwei Standbeine. Wie viele nutzte sie ihre Urlaubsfahrten nach Hause dazu auszuprobieren, ob sie mit dem in der Migration erworbenen Kompetenzen wieder auf dem heimischen Arbeitsmarkt Fuß fassen oder einen Platz an einer Uni bekommen könnte. Statt in dem im Eingangszitat aufscheinenden Dilemma zu verharren, entwickelte sie Strategien, die Vorteile beider Kontexte auszunutzen und die Hindernisse zu umgehen. So bekam ich eines Tages eine sms mit der Message: »Ich bleibe jetzt in der Slowakei, habe einen Platz an der Uni.« Doch auch dies war nicht ihr letztes Wort. Ein Jahr später teilte sie mir mit, dass sie ein Studienvisum für Deutschland bekommen habe. In den Semesterferien fahre sie nun zum Arbeiten in die Slowakei, nachdem ausländischen Studierenden in der BRD die Arbeitsaufnahme über ein gewisses Stundenkontingent hinaus untersagt ist.

Marias Migrationsbiografie ist trotz ihrer negativen Erlebnisse mit Arbeitgeberfamilien eine relative Erfolgsstory. Sie schaffte einen gewissen Aufstieg, indem sie beide Kontexte strategisch nutzte. Diese Strategie, die sozialen Risiken der Herkunfts- und Migrationskontexte zu transnationalisieren und bewusst abwägend eine Lebenspraxis der zwei Standbeine aufzubauen, die es ermöglichte, spontan und flexibel auf Möglichkeiten zu reagieren, kennzeichnet viele Pendelmigrationen. Andere pendelten jedoch auch als Notlösung, da sie entweder zu Hause aus ökonomischen oder sozialen Gründen nicht mehr Fuß fassen konnten. Oder sie wollten sich in Deutschland niederlassen, doch mussten feststellen, dass es besser war, als Touristin zu pendeln und sich als Hausarbeiterin ohne Papiere zu verdingen als sich gänzlich illegal in Deutschland aufzuhalten.

Mit dem Beitritt der Slowakei zur EU im Mai 2004 hat sich an den arbeitsrechtlichen Bedingungen mit der Aussetzung der ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit durch die meisten EU-Länder nicht viel geändert. Was sich geändert hat, ist freilich die neu gewonnene Bewegungsfreiheit. Der anscheinende Widerspruch, pendeln zu müssen, um bleiben zu können, spitzt sich bei MigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern wie beispielsweise der Ukraine noch zu. Angesichts der erschwerten Pendelbedingungen durch die Unmöglichkeit der visa-freien Einreise als TouristInnen, hat die Perspektive auf Verstetigung des Aufenthalts eine hohe Priorität. Allerdings ist diese nur noch über eine Heirat zu bekommen. So fanden sich viele Overstayers aus diesen Ländern im Status der Illegalität wieder. Doch gerade dies bedeutete, die Verbindung zum Herkunftskontext nicht abreißen zu lassen, der im Falle einer Krankheit oder des Rückzug aus untragbaren Arbeitsverhältnissen zur entscheidenden sozialen Basis wurde.

Der Entzug des Niederlassungsrechts ist ein wesentlicher Grundzug der Einwanderungspolitiken der EU-Länder (vgl. Eleonore Kofman und Rosemary Sales 1998). Seit dem offiziellen Anwerbestopp in den 1970er Jahren hat Deutschland zwar nicht die kontingentierte Arbeitsmigration beendet, doch die Einwanderungsmodi auf temporäre Migrationsformen wie Saisonarbeit und Werksvertragsarbeit beschränkt. Familiennachzug, das Nadelöhr Asyl und Heirat wurden die einzigen Möglichkeiten, einen dauerhaften Aufenthalt zu bekommen. Dies trägt zu der erhöhten Temporalisierung und Mobilität der neuen Migrationsformen bei und führt zu der steigenden Nutzung jener verkleideten Migrationsstrategien wie Au Pair oder der Einreise als Touristin. Unter dem Strich führt diese Migrationspolitik zur weitgehenden Illegalisierung der neuen Migration. Dabei ist von einer überdurchschnittlichen Feminisierung der illegalen Migration zu sprechen, nachdem die verbleibenden erwünschten und legalen Einwanderungsformate männlichen Arbeitsmustern folgen, während Hausarbeit nicht als formale Arbeit anerkannt ist.

In dieser Perspektive erscheinen die transnationalen Migrationsstrategien als kontrafaktisches Produkt einer Migrationspolitik, die sie vorgeblich zu unterbinden versucht – und dabei scheitert. Doch ist es ein Scheitern? Was ist die Messlatte dieser Aussage? Hier wird die reine Programmatik, abgeleitet aus den unzähligen EU-Veröffentlichungen, gegen die unsaubere Umsetzungswirklichkeit gesetzt und die Kluft dazwischen als Scheitern interpretiert. Doch was passiert, wenn wir den Spieß umdrehen und die Umsetzungswirklichkeiten ernst nehmen?


Die flexibilisierte Grenze

Dabei hilft uns ein Einspruch von Bridget Anderson gegen eine allzu euphorische Lesart transnationaler Migrationsräume als spaces of resistance weiter. Sie weist auf einen entscheidenden Widerspruch zwischen den die Grenzpolitiken unterwandernden transnationalen Praktiken und der kontinuierenden Macht der Nationalstaaten hin. Sie schreibt (2001): »the more migration is illegalized the less control the receiving state has, but what the state controls is citizenship and legal presence. So while the power of the state over the entry to its territorial space may be limited its power over the entry to the national social space continues to be strong.«

Es handelt sich hierbei jedoch nicht um zwei unvermittelte, gar widersprüchliche Prozesse. Gerade die nationalstaatliche Macht der Zuweisung unterschiedlicher Rechtsstati bis hinunter zur Illegalisierung stimuliert transnationale Migrationsprojekte. Und diese Macht hat einen Ort – die Grenze – wobei es sich nicht mehr um eine Linie um nationalstaatliche Territorien handelt. Vielmehr hat sich die Topographie der Grenze mit der Europäisierung der Grenzpolitiken dahingehend verändert, dass sie nach innen und weit über die EU hinaus aufgebläht wurde in Grenzräume, -schleier und unterschiedliche Orte wie Flughäfen, Botschaften etc., die flexibel und höchst differenziert unterschiedliche Menschen erfassen. Sie wurde auch in gewisser Weise entterritorialisiert: zum einen kulturalisiert, zum anderen im Sinne von smarten Grenzen informatisiert – so ist die Einrichtung von Informationssystemen zur Früherkennung und zum Datenabgleich auf EU-Ebene am weitesten fortgeschritten. Darüber hinaus wird sie auch zunehmend privatisiert, indem immer mehr nicht-staatliche Akteure wie Fluggesellschaften Grenzfunktionen übernehmen.

Doch was auf den ersten Blick als pure Ausweitung erscheint, ist bei näherer Betrachtung höchst brüchig, unvollendet, widersprüchlich und porös. Die Grenzen, die die EU-Staaten durchziehen und umschließen, sind aufgrund verschiedener Faktoren durchlässig. Wichtige Gründe hierfür sind der ständige Bedarf an migrantischen Arbeitskräften, Korruption (dies scheint auch in Osteuropa eine wesentliche subversive Kraft darzustellen), migrantische Netzwerke, MigrationshelferInnen und vor allem die migrantischen Taktiken des Grenzübertritts selbst (vgl. TRANSIT MIGRATION 2004; Spener 2000). Gemessen am rhetorischen Anspruch ist diese Realität als Scheitern der Grenzpolitiken zu verstehen. Im Sinne bevölkerungs- und arbeitsmarktpolitischer Politiken sind sie jedoch höchst effizient. Denn es ist nicht der Übertritt, der grundsätzlich verwehrt wird. Die Maßnahmen zielen vielmehr darauf ab, dass er erschwert wird und die Kosten hochgeschraubt werden, um die Rechtsansprüche – auch verstanden im Sinne von Forderungen – der potentiellen Einwanderinnen zu reduzieren. Ein Hauptinstrument, die Rechtsansprüche zu limitieren bzw. sie unter dem Deckel zu halten, stellt die Kriminalisierung der Einwanderung dar, indem sie unter den Generalverdacht der illegalen Einreise gestellt wird. Dies wiederum wird durch die Effekte der verschärften Grenzkontrollen ständig materialisiert. Die Grenzpolitiken erfüllen daher die Funktion des policing migrantischer Arbeitskraft, die ökonomisch wichtig, doch politisch bedrohlich ist. Vor diesem Hintergrund verliert die Grenze ihren mythischen Schleier: Jenseits aller Abschottungsrhetorik besteht die Funktion der Grenze eben nicht darin, cross border-Bewegungen zu unterbinden. Ihre Aufgabe ist vielmehr, die Flüsse zu regulieren und die offiziellen Unterschiede zwischen Menschen zu produzieren (vgl. Kearney 1991).

Auf der Ebene der EU-Politik ist ein derartiger Paradigmenwechsel in offiziellen Papieren festzustellen, der auf einer doppelten Einsicht beruht: einerseits Migration nicht unterbinden zu können und andererseits angesichts der großen Nachfrage sie auch nicht gänzlich unterbinden zu wollen. Die Zauberworte heißen nicht mehr Abschottung und Zero-Einwanderung, sondern effektive Steuerung und Management der Migrationsbewegungen zur Regulierung der Arbeitsmärkte. Dies schließt die Regularisierung/Legalisierung bereits im Land befindlicher MigrantInnen genauso ein wie die Aufrechterhaltung der Drohgebärden gegen illegale Einwanderer.

Die Funktion der neuen Grenzen reicht aber noch einen Schritt weiter. Gerade in ihrer Bedeutung als Stationen der Mobilität sind Grenzen zu den privilegierten institutionellen Räumen geworden, wo die staatlichen Apparate biopolitisches Wissen über die Bevölkerungen operationalisieren, sammeln, archivieren und auswerten können. Die Grenzen tragen in diesem Sinne wesentlich dazu bei, »to constitute a population as a knowable and governable entity« (Walters 2002). Dabei scheint im Kontext ökonomischer Globalisierungspolitiken die zentrale Maxime national- bzw. EU-europäischer Governance darin zu bestehen, zwar migrantische Arbeitskraft für die Flexibilisierungs- und Deregulierungsstrategien nachzufragen, jedoch die lebendigen Personen nicht zu wünschen und sie lieber vor den Grenzen zu halten. Die biopolitische Funktion der Grenzregime im Kontext der Globalisierung zielt dann auch darauf ab, die Arbeitskraft von der Person, die sie einkörpert, zu trennen (vgl. Kearney 1991). Effiziente Grenzpolitik bedeutet dann, nicht die Mobilitäten zu stoppen, sondern die soziokulturelle Reproduktion ihrer Akteure auszulagern bzw. ausgelagert zu halten und eine räumliche Trennung der Kommodifizierung der Arbeitskraft von ihrer soziokulturellen Reproduktion herzustellen – sprich sie zu transnationalisieren. Dies scheint der prekäre polit-ökonomische Kompromiss zu sein, zwischen ökonomischer Globalisierung, weiterhin nationalstaatlich verfassten Gesellschaften und den Migrationsbewegungen, die sich nicht unter die ökonomischen Kalküle reduzieren lassen. In diesem Sinne wären transnationale Räume als prekärer kultureller Ausdruck einer polit-ökonomischen Strategie zu verstehen, die auf Transnationalisierung eines Teils ihrer Bevölkerung setzt d.h. auf Mobilität plus Auslagerung der sozialen Reproduktion. Das Phänomen transnationaler Elternschaft, die überdurchschnittlich transnationale Mutterschaft bedeutet, ist die Figur dieses Migrationsregimes par excellence. Hierbei verschränken sich aufs engste die kreative Nutzung des transnationalen Raums als eine der wenigen Ressourcen, die Migrantinnen aus dem Osten und Süden noch zur Verfügung steht, mit der polit-ökonomischen Strategie der Aneignung eben jener gelebten transnationalen Flexibilität. Zugespitzt formuliert: Gerade dadurch, dass immer mehr MigrantInnen illegal wandern und transnationale Existenzweisen aufbauen, kann Arbeitskraft den neuen globalisierten Bedingungen entsprechend regiert werden.


Migration als soziale Bewegung

Das im Eingangszitat formulierte Dilemma und seine Auflösung durch Marias geschicktes Taktieren zwischen der Slowakei und Deutschland zeigt aber auch, dass die Migration ungeahnte und »nicht kontrollierbare« Nebeneffekte beinhaltet und die Frauen »Glückserwartungen« zu realisieren vermögen wie beispielsweise die von allen erwähnte »neue Selbstständigkeit«, die die polit-ökonomischen Strategien links liegen lassen. Jedoch rückt diese Analyse, transnationale Räume nicht als Ende nationalstaatlicher Regulation, sondern als Ausdruck ihrer Transformation im Sinne einer transnationalisierten Biopolitik zu verstehen, die Frage nach citizenship und daran gekoppelter Rechte ins Zentrum der neuen sozialen Auseinandersetzungen. Bislang finden diese Auseinandersetzungen und Widerständigkeiten meist nicht im öffentlichen Rahmen statt. Es sind die sozialen Netzwerke der Migration, die ein Leben auch ohne vollständige Papiere ermöglichen und sich hierbei Tricks, des Tarnens und Täuschens bedienen müssen, beispielsweise wenn die Freundin um einen Krankenkassenschein gebeten wird, jemand anderes den Mietvertrag unterschreibt oder das Auto bei der Versicherung anmeldet. Klassische politische Strategien wie eine gewerkschaftliche Organisierung prallen oftmals an dieser Rationalität ab, die im Kontext der Entrechtung durchaus davon lebt, mobil zu sein, nicht aufzufallen, ohne Sozialversicherungsbeitrag zu arbeiten, um das meiste Geld aus dem Aufenthalt herauszuschlagen und es zu Hause sinnvoll einzusetzen. Denn wer will sich schon in Almanya gänzlich niederlassen. So zeigt der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit bei Doppel-PaßbesitzerInnen auf eindrückliche Weise, dass MigrantInnen selbst mit Passbesitz vor der Entrechtung nicht sicher sind und die Politik weiterhin krampfhaft ihren Souveränitätsanspruch gegen die gelebte Transnationalisierung durchzusetzen gedenkt. Dabei geht es nicht darum, einer defensiven Transnationalisierung das Wort zu reden, allerdings geht es darum, diese Perspektive anzuerkennen, die quer zu allen affirmativen Integrationsgebaren ihre Lebensprojekte aufbaut. Vor allem geht es aber darum, die Transnationalisierung und Mobilität offensiv zu wenden und ein ius domicili, Rechte losgelöst von der Staatsangehörigkeit zu fordern. Auch muss sich eine politische Praxis selbst transnationalisieren und der Europäisierungsoffensive der Grenzregimekonstrukteure eigene europäische Projekte entgegensetzen (vgl. Movements of Migration 2004)

Sabine Hess


[Dieser Text ist eine leicht veränderte Fassung eines Vortrages auf dem 29. Orientalistentag 2004. Er basiert auf der Doktorarbeit, die unter dem Titel »Globalisierte Hausarbeit. Au-pair als Migrationsstrategie von Frauen aus Osteuropa« demnächst im vs-Verlag erscheinen wird, sowie auf gemeinsamen Diskussionen und Forschungen im Kontexts des Projekts »TRANSIT MIGRATION«, einem Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes]



Literatur

Anderson, Bridget (2001): Multiple Transnationalism. Space, the State and human Relations. Working Paper. www.transcomm.ox.ac.uk / working_papers.htm

Kearney, Micheal (1991): Borders and Boundaries of State and self at the End of Empire. In: Journal of Historical Sociology. Bd. 4, Nr. 1, S. 52-74

Movements of Migration (2004). www.noborder.org / esf04 / display.php?id=318. Stand: 11.02.2005

Projekt Transit Migration (2004): Europeanizing transnationalism! Konturen des »europäischen Grenzregimes”. Vortrag. www.transitmigration.org / db_transit / ausgabe.php?inhaltID=6. Stand: 11.02.2005

Spener, David (2000): The Logic and Contradiciton of Intensified Border Enforcement in Texas. In: Andreas, Peter; Snyder, Timothy (Hg.): The Wall around the West. New York / Oxford, S. 115-137

Tomei, Veronica (1997): Europäische Migrationspolitik zwischen Kooperationszwang und Souveränitätsansprüchen. Bonn

Walters, William (2002): Mapping Schengenland: Denaturalizing the border. In: Environment & Planning: Society and Space. Bd. 20, Nr. 5, S.1-38