theme park city
urbane milieus in computerspielen


Mit dem Internet haben traditionelle urbane Metropolen ernsthafte Konkurrenz bekommen. Virtuelle Räume verändern herkömmliche Städte und stellen neue Öffentlichkeiten her. Sie sind Strukturen, in denen Menschen kommunizieren, arbeiten und Computerspiele spielen, in denen wiederum urbane Szenarien vorkommen.


Folgen wir zum Beispiel Duke in der neuesten Version von Duke Nukem, einem Actionspiel mit einer langen Geschichte, nach Manhattan. Dort müssen dank der grellgrünen, Mutationen auslösenden Glibbersubstanz Glopp zahlreiche Mutanten bekämpft werden. Wie immer arbeitet der muskelbepackte Duke in ärmellosem Shirt und Sonnenbrille mit Waffen, die manchmal fast so groß sind wie er selber; die Feinde sterben unter Verstreuen ekliger Bröckchen und zahllose Mädels in extrem gewagtem Outfit wollen gerettet werden. Außer Bullenschweinen (wilde Eber in NYPD Uniform), Babes, Mutanten und Duke gibt es in diesem New York keine Bewohner. Obwohl Duke Nukem schon wegen der Möglichkeit, nach Herzenslust Gegner nieder zu machen, und nicht zuletzt wegen Dukes coolen Sprüchen in dem ohnehin reichlich ironischen Spiel (wo sonst muss man noch Frauen im Bikini retten?) so spannend ist, faszinieren doch auch die für das Genre des Shooters sehr klassischen Szenarien: Die Stadt aus der Ferne, erleuchtete Wolkenkratzer, tief unter den Dächern das Rauschen und Hupen des Verkehrs und das verschwommene Glitzern bunter Leuchtreklamen. Das Bild scheint typisch für große Städte, gesehen zuletzt in Lost in Translation, wo Charlotte am Fenster sitzt und auf die Lichter Tokios blickt. Höhe ist wichtig, denn erst wenn man von oben auf eine Stadt hinuntersehen kann, wird sie so richtig groß. Duke steigt auch in die U-Bahn hinab: endlose, verlassene Tunnel, heruntergekommene trostlose Bahnsteige voller Graffiti und tödlich schnelle, scheinbar führerlos vorbeirasende Züge. Noch schlimmer wird es weiter unten: die Kanalisation, unter tropfenden Ablaufgittern durch stinkende Kloaken gefüllt mit Glopp, der die Ratten mutieren lässt. Je tiefer Duke vordringt, desto mehr nähert er sich gleichsam dem historischen (industrialisierten) Kern der Stadt: dampfende, ratternde Maschinen einer unterirdischen Fabrik, gleichzeitig Maschinenraum und Hort von noch mehr Mutanten. Alles wird überwacht von kleinen fliegenden Kameras, die Fotos schießen und Duke verfolgen, sobald sie ihn entdecken. Alles vermittelt das Bild einer aus einem geheimen Zentrum gesteuerten Stadt mit einer Schaltzentrale, zu der Duke vordringen muss, um den Ober-Bösen zu erledigen, der alles überwacht und heimlich die Fäden zieht.

Von Anfang an waren Shooter-Spiele in düsteren Endzeit-Szenarien angesiedelt, die sich am besten als Ambiente für richtige Schießereien eignen. Ob die dunklen Gänge eines Nazi-Schlosses oder Fantasy-Dungeons, auf jeden Fall unheimlich und alles andere als nett. Beliebt als Gegend auch die Stadt, hat sie doch in den gruseligeren Versionen zahllose dunkle Ecken voller schießwütiger Krimineller.

Eine der wenigen Ausnahmen ist No One Lives Forever, in dem Agentin Kate Archer im James Bond-Stil auch mal durch schnuckelige Kleinstädte laufen darf. Ansonsten sind helle, hübsche Welten wie die der Fachwerkhäuserstädte in Echtzeitstrategie- und Aufbauspiele verbannt. Anno 1503 gibt es grundsätzlich keine dunklen Ecken. Historische Urbanität hat deutlich weichere Züge, sie ist verklärt nostalgisch und selbst wenn neunzig Prozent der Bevölkerung aufgrund der eklatanten Misswirtschaft eines sadistischen Spielers Hunger leiden, sind die Häuschen 1A Gründerjahre. Komische Sache, das mit den Genres.


»Das ist jetzt aber nicht realistisch«

Es ist schwer zu trennen, welche Elemente eines Spiels der Ausmalung einer Szene dienen, welche hauptsächlich für die Storyline notwendig sind und welche Details einfach deswegen auftauchen, weil die Programmierer das gerade für eine gute Idee hielten. Alles, was dargestellt wird, ist nur insofern interessant, als es das Spiel schneller, spannender oder immersiver macht, zu Spielspaß und Performance beiträgt und dazu dient, den Spieler in eine fremde Welt zu entführen.

Immersion bedeutet, Teil der Welt des Spiels zu werden, in sie einzutauchen; der Bildschirm löst sich auf, als hätte jemand die Zellophanfolie weggenommen. Beim Auftauchen, dem Übergang zur Alltagswelt gibt es allerdings auch Irritationsmomente; die verschiedenen Elemente müssen erst wieder ihren entsprechenden Realitäten zugeordnet werden, um die momentane Verwischung aufzulösen.

Bestimmte Inkonsistenzen und Irritationen können einen Spieler vorzeitig aus dem Spiel werfen. Deswegen ist eine bestimmte Art von Realismus notwendig. Gerade bei physikalischen Phänomenen ist es sehr wichtig, dass sie im Umfeld des jeweiligen Spiels Sinn machen. Schon immer großen Erfolg hat zum Beispiel die Möglichkeit, alle Objekte manipulieren zu können. So sind ja beispielsweise die Autorennspiele am witzigsten, bei denen man in der nächsten Runde noch die Stelle sehen kann, wo man erst in den Graben und dann volle Kanne gegen einen Baum gerast ist.

Realismus ist dabei abhängig von der jeweiligen Bezugs-Realität; es besteht ein großer Unterschied zwischen dem, was im beginnenden 21. Jahrhundert und was in einem Computerspiel realistisch ist. Ziel ist Kohärenz innerhalb der Parameter einer Realität oder virtuellen Realität, die in dem Moment als logische und in sich abgeschlossene Welt betrachtet wird. Trotzdem hat der Realismus des Spiels sehr viel mit der alltäglichen Realität zu tun, denn um eine Szene im Spiel realistisch zu machen, wird versucht, das zu treffen, was sich Menschen unter der spezifischen Thematik vorstellen. Es geht dabei nicht darum, wie es »wirklich« ist: die meisten Leute wissen, dass es in einem echten Abwasserkanal viel langweiliger ist, aber das wird akzeptiert, schließlich ist es ja ein Spiel. Die Phantasie und Vorstellungskraft, die angeregt werden soll, und die dann ein Eintauchen bewirkt, reagiert offensichtlich recht empfindlich und launenhaft auf Darstellungsweisen. Sind diese zu realistisch oder nicht realistisch genug, wird der Spieler aus dem Spiel geworfen. Sind sie zu verkürzt oder nicht verkürzt genug, kann man sich die Sache nicht mehr vorstellen. Es geht eher darum, das Gefühl zu bekommen, sich wirklich in einer anderen Welt zu befinden. Es wird versucht, Stimmungen zu erzeugen, die die Atmosphäre bestimmter Szenarios unterstreichen. In Computerspielen wird hierfür sehr viel mit Klischees gearbeitet. Klischees sind wichtig zum Ankurbeln der Phantasie, denn gerade in ihrer Kürze transportieren sie eine Menge an Informationen: Sie werden verwendet, um schnell und einfach viel zu sagen. Gleichzeitig werden Computerspiele so zu Produzenten romantischer Bilder. Hier gibt es die kitschigsten Sonnenuntergänge, die gnadenlosesten Schurken und die größten Helden. Es geht dabei auch darum, was sich Spieler – abhängig vom Genre des Spiels - von Szenarien erwarten, und so werden wir wohl auf ewig aus der vertrauten Isoperspektive zusehen, wie kleine Männchen Tempel bauen und winzige Karawanen den Markplätzen ferner Metropolen zuwandern.


Virtuelle Themenparks

Die oft wilden Zusammenstellungen verschiedenster Details, die eine Wüste in einem Spiel mit mehr Pyramiden versehen als es in ganz Ägypten gibt, kennt man aus Vergnügungsparks. Computerspiele sind insofern virtuelle Themenparks, ähnlich den Hotels in Las Vegas. Wer schon einmal in Cesars Palace übernachtet hat, weiß, wovon ich spreche. In schamloser Weise ist dort alles zusammengetragen, was so allgemein unter »alten Römern« verstanden wird, Gladiatoren, antik aussehende Statuen, massenhaft Säulen, Mosaiken und Pferdewagen, ein cooles, ekklektizistisches Konglomerat nur für extrem humorvolle Altphilologen (leider nicht für Umberto Eco, siehe seine Aufzeichnungen Über Gott und die Welt). Allerdings weiß jeder, was gemeint ist. Kein Spiel entsteht aus dem Nichts. Spielentwickler haben ihre individuelle Rezeption eines alltäglichen diskursiven Raums, der geprägt ist durch Professionalisierungsprozesse, öffentliche Debatten (zum Beispiel über die Gefährlichkeit von Computerspielen), Geschichte, Literatur und andere Spiele. Selbst wenn sie das Spiel in einer Space Bar oder in der Kälte Neverwinters ansiedeln, so sind dies in gewissem Sinne doch sehr typische Orte für viele Menschen der Gegenwart. Schließlich sind weder Barkeeper mit rosa Tentakeln (wie sie einem in der Space Bar begegnen) für einen Science Fiction-Fan besonders ungewöhnlich, noch sind es Elfen, Zauberer und die Tatsache, dass bei Kämpfen ausgewürfelt wird, wer der Stärkere ist, für einen erfahrenen Rollenspieler des Fantasy-Genres (dem das Spiel Neverwinter Nights angehört).

Wie alles andere auch, sind diese Spiele historisch, gesellschaftlich und technisch um die Jahrhundertwende des zweiten Jahrtausends entstanden. Die Entwickler müssen sich ja auch darauf verlassen können, dass die Spieler bestimmte Diskurse teilen, dass sie also zum Beispiel wissen, dass bei steigender Anzahl der aufzusammelnden Waffen die Entfernung zum Endgegner sinkt.

Viele öffentliche Räume entstehen heute nicht mehr in der realen Architektur, sondern im virtuellen Raum der Medien und Netze. Im Internet bilden sich neue Gemeinschaften und über den Globus verstreute soziale Beziehungen, in denen Raum und Zeit andere Bedeutungen erlangen; es stellen sich plötzlich Fragen wie die, ob man einem überwiegend amerikanischen Counterstrike-Clan angehören möchte, wenn das bedeutet, dass die Matches meistens mitten in der Nacht ausgetragen werden. Der Cyberspace dient gleichzeitig als Fortsetzung der Malls, der Freizeitparks, der Kaufhäuser und anderer Erlebnisformen, was sich ja auch in den Themenparks der Spiele widerspiegelt. Die meisten Menschen unserer Breitengrade leben in überall sehr ähnlichen Siedlungen (sehr schön dargestellt im englische-Vorstädte-Level von Silent Storm), mobil durch Individualverkehr und angeschlossen an die Urbanität durch die Technologien der Telekommunikation. Sie spielen mit immersiven Medien und verändern damit nicht nur ihren Alltag sondern auch den öffentlichen Raum, in den sie ihre tragbaren Medien wie eine Glasglocke mitnehmen: »Das ist Telepolis, die Stadt der Zukunft.«1

Und Duke Nukem läuft weiter in die dunklen Hafenviertel, Brackwasser schwappt an die großen Frachtkähne, hinter den Containern lauern die Ungeheuer: New York muss immer noch gerettet werden.

Katharina Kinder


.notes

--> 1 Florian Rötzer: Telepolis: Abschied von der Stadt. In: Ursula Keller (Hrsg.), Perspektiven metropolitaner Kultur, Frankfurt am Main 2000.

.games

--> Anno 1503. Electronic Arts 2003.

--> Duke Nukem Manhattan Project. Ubisoft 2002.

--> No One Lives Forever 2: A Spy in H.A.R.M.'s Way. Fox Interactive 2002.

--> Neverwinter Nights. Atari UK LTD 2002.

--> The Spacebar. Segasoft 1997.

--> Silent Storm. Big Ben 2003