Die Bedeutung des Aufstandes der Zapatistas |
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Kirsten Neumann und Malte Lantzsch | ||
Einleitung | weiter | |
Im Januar 1996 rief die EZLN zum »Ersten Interkontinentalen Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus« auf und veränderte damit das Koordinatensystem der Solidaritätsbewegung. Adressaten des Treffens waren nicht mehr hauptsächlich die Mexiko-Gruppen, sondern die sozialen und politische Bewegungen der Linken, auch wenn diese erst mal nicht reagierten. Die neue Parole hieß: »Gegen die Internationale des Schreckens, die der Neoliberalismus darstellt, müssen wir die Internationale der Hoffnung aufstellen.«
Spannend war der Aufruf der Zapatistas wegen zweier Faktoren: Erstens gab es nach dem Zerfall des realexistierenden Sozialismus und der damit verstärkten Krise der Linken erstmals wieder so etwas wie einen Hoffnungsschimmer in der allgemeinen Ratlosigkeit. Und zweitens entsprach das plurale, offene Konzept des Treffens dem, was viele Restlinke aus dem Scheitern des realen Sozialismus als Lektion verinnerlicht zu haben schienen: Bloß keine führende Rolle der Partei mehr und bloß keine verbindliche politische Linie!
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Chronologie und Hintergründe des Aufstandes und die Gründung der EZLN (1) | weiter / zurück | |
1974 kommt es zu Zusammenstössen zwischen den Fuerzas Armadas de Liberacion Nacional (Bewaffnete Kräfte der nationalen Befreiung – FALN) und paramilitärischen Gruppen (die von Großgrundbesitzern bezahlt und beauftragt wurden), sowie Militärverbänden in Gemeinden der Selva Lacandona im mexikanischen Bundesstaat Chiapas, in dem es bereits damals sehr große Landkonflikte gegeben hat. Die Guerilla wurde von Militanten der Studentenbewegung von 1986 gegründet, die nach dem Massaker von Tlaltelolco auf das Land gegangen sind.
Die FALN oder auch FLN konnte ein großes Netz von Guerillagruppen rund um Ocosingo, einer Stadt in Chiapas, aufbauen. Anfang der 80er Jahre kehrten einige von ihnen wieder in die Städte zurück und der Rest (6 Leute) gründete am 17. November 1983 die EZLN. Die EZLN versteht sich seit damals als bewaffneter Arm der sozialen Basisbewegungen in Chiapas.
Am 12. Oktober 1992, dem 500. Jahrestag der Landung von Kolumbus in Amerika, zogen rund zehntausend indigene KleinbäuerInnen aus den umliegenden Dörfern nach San Christóbal. Im Zentrum der Stadt zerstörten sie die Statue von Diego de Mazariegos, der 1527 das Hochland von Chiapas unterworfen hatte, ein Symbol für die jahrhundertelange Ausbeutung der LandarbeiterInnen mit dem Prinzip der Schuldknechtschaft. In Chiapas, einer der fruchtbarsten Regionen Mexikos, sind die vielen Latifundien eine grausame Tradition, der Ausbeutung von LandarbeiterInnen. Bis heute sind landlose ArbeiterInnen gezwungen, ihr Geld als TagelöhnerInnen auf beispielsweise Kaffeegroßplantagen zu verdienen und bekommen oft nicht mehr als einen Hungerlohn für ihre Arbeit.
Warum nahm die EZLN den bewaffneten Kampf auf? In den Dörfern Chiapas fehlen zum größten Teil die elementarsten Grundlagen zum Leben: Es gibt keine Gesundheitsversorgung, Menschen sterben an heilbaren Krankheiten, es gibt keine ausreichenden Bildungsmöglichkeiten, die Analphabetenrate ist erschreckend hoch, es gibt nicht genügend zu essen, 70 Prozent der Kinder sind unterernährt, es gibt kaum Strom und fließendes Wasser, die Säuglingssterblichkeit und die Sterberate von Frauen bei der Geburt sind extrem hoch, die Lebenserwartung niedrig, in vielen Dörfern gibt es keine Kanalisation, die Löhne sind niedrig, die Arbeitslosigkeit hoch.
Am Tag des Aufstandes der EZLN trat NAFTA in Kraft. Die Existenz vieler KleinbäuerInnen stand auf dem Spiel, und deshalb richtet sich der Aufstand auch explizit gegen das Abkommen. Der NAFTA-Beitritt Mexikos ist der Höhepunkt des neoliberalen Kurses der Regierung. Bereits 1986 trat Mexiko dem General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) bei und stellte damit die Weichen für die Durchsetzung des neoliberalen Konzeptes, in dessen Zuge es etwa zu massiven Privatisierungen von Staatsbetrieben, der bereits erwähnten marktorientierten Landreform, Einschränkungen von Staatsausgaben und Subventionskürzungen kam. Durch das GATT kam es zu einer Importabhängigkeit Mexikos, die Importe stiegen viel schneller als die Exporte, das Budgetdefizit stieg immer mehr an. Die Dependenz der mexikanischen Ökonomie besteht vor allem zu den USA. In Vorbereitung auf NAFTA fielen alle gesetzlichen Beschränkungen für den Import von Getreide und Kaffee, also jenen Produkten, die eine wesentliche Lebensgrundlage mexikanischer Bauern darstellen.
Am 21. Februar 1994 begannen Gespräche zwischen VertreterInnen der EZLN und RegierungsvertreterInnen. Die EZLN forderte u.a. eine wirklich demokratische Wahl, den Rücktritt der PRI-Regierung und den Einsatz einer Übergangsregierung, Strom für alle chiapanekischen Gemeinden, Revision des NAFTA, kostenlose Bildungsmöglichkeiten, Krankenhäuser, Kinderkrippen, etc. für die Gemeinden Chiapas´, Enteignung der Großgrundbesitzer und Übergabe des Landes an die Campesinos, Autonomie für die indigenen Gruppen, Freiheit für alle politischen Gefangenen, Entschädigung jener Familien, die Schäden durch die Bombardements der Regierungstruppen erlitten hatten, sowie der Kriegswitwen und Waisenkinder, Verfahren gegen die letzten drei Gouverneure von Chiapas, keine Prozesse gegen KämpferInnen, Mitglieder oder SympathisantInnen der EZLN (vgl. [Topitas1994]).
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Situation in Mexiko ähnlich wie in den 90ern: Einige wenige GroßgrundbesitzerInnen kontrollierten den Großteil des Landes. 1910 kam es im Bundesstaat Morelos zu Aufständen gegen das Díaz-Regime, woraufhin Díaz zurücktrat. Daraufhin übernahm Francisco Madero die Macht, er führte die versprochene Agrarreform jedoch nicht durch. Emiliano Zapata, der die Agragista anführte, aberkannte daraufhin im »Plan von Ayala« Madero die Präsidentschaft und forderte eine Neuaufteilung des Großgrundbesitzes. 1913 putschten die Regierungstruppen gegen Madero und General Huerta kam an die Macht. Er versuchte die zapatistischen Armeen zu zerschlagen. Im Norden bildeten sich zwei Widerstandsgruppen: die Constitucionalistas unter Venustiano Carranza und die División del Norte unter Pancho Villa. Es kam schließlich zur Niederlage Huertas und Carranza ernannte sich zum Präsidenten. Er wurde jedoch nicht anerkannt und Zapatas und Villas Armeen marschierten in Mexiko-City ein. Daraufhin floh Carranza. 1917 wurde eine neue Verfassung verabschiedet. Im Artikel 27 war Zapatas Forderung, dass das Land denen gehören sollte, die es bearbeiten, enthalten. 1991 wurde dieser Artikel durch die Regierung Salinas geändert. 1919 wurde Zapata im Auftrag Carranzas ermordet. Carranza selbst wurde auf Befehl seines Nachfolgers Obregón getötet, Pancho Villa wurde 1923 ermordet. In Morelos führte Zapata eine Agrarreform durch: Die Großgrundbesitzer wurden enteignet und ihr Land an die Bauernfamilien verteilt. Es entstanden selbstverwaltete, nach basisdemokratischen Prinzipien regierte Dorfgemeinschaften. Durch eine Agrarreform der mexikanischen Regierung in den 20ern wurde diese Autonomie weitgehend zerstört. Die EZLN bezieht sich sowohl in ihrem Namen als auch in ihren Forderungen auf Emiliano Zapata. Die EZLN rief für den August 1994 zu einem Treffen aller fortschrittlichen mexikanischen Kräfte auf. Und so trafen sich 6000 Delegierte vom 6. bis 9. August 1994 in Aguascalientes in Chiapas zur Convención Nacional Democrátia (CND). Inhaltlich einigten sie sich auf die folgenden Ziele für das politische System Mexikos: die Durchführung von fairen, demokratischen Wahlen, die Auflösung des Einparteiensystems der Staatspartei PRI, Einsetzung eines/einer Übergangspräsidenten/-in und die Korrektur des neoliberalen Wirtschaftskurses. Schließlich erfolgte noch ein Aufruf zur Stimmabgabe gegen die PRI bei den bevorstehenden Wahlen. Die EZLN verstand sich nur als Gastgeberin des Demokratischen Nationalkonvents und beschränkte ihre Teilnahme auf 20 Delegierte.
Für den 21. März 1999 riefen die Zapatistas die mexikanische Bevölkerung zu einer Consulta Nacional auf, einer Befragung der Zivilgesellschaft. Es ging darum, ob indigene Rechte in die mexikanische Verfassung aufgenommen werden sollen, ob der Krieg der mexikanischen Regierung gegen die Zapatistas beendet werden soll, der Bundesstaat entmilitarisiert werden soll (zehntausende Soldaten und tausende Paramilitärs sind anwesend), ob die Verträge von San Andres durch die Regierung umgesetzt und der dort aufgenommene Dialog fortgesetzt werden soll. Drei Millionen Menschen beteiligten sich daran und stimmten zu 95 Prozent positiv über die Forderungen der EZLN ab. Schon 1995 hatte eine solche Befragung stattgefunden, nämlich darüber, ob die EZLN bewaffnet weiter kämpfen oder Verhandlungen mit Mexikos Regierung führen soll. Damals beteiligten sich an die 2 Millionen Menschen an der Befragung. Es handelt sich dabei nicht um offizielle Abstimmungen, sondern sie werden von den Zapatistas selbst in ganz Mexiko organisiert und können somit auch keine gesetzlichen Verbindlichkeiten durchsetzen.
1999 zogen bei der Befragung 5000 Zapatistas in die mexikanischen Kommunen, um die Consulta durchzuführen. Tausende andere Freiwillige halfen bei der Organisation mit. Möglicherweise wird die Befragung folgenlos bleiben, da sie eben keinen offiziellen Status hatte. Was die Zapatistas damit aber in der Öffentlichkeit deutlich machen konnten, ist, dass ihre Forderungen breite Unterstützung in der mexikanischen Gesellschaft finden. Es handelt sich auch um eine Methode, die zu Aufklärung und Vernetzung beiträgt. Bei der Befragung 1995 sprach sich eine große Mehrheit dafür aus, dass die EZLN in eine zivile politische Kraft umgewandelt wird. Dies geschah dann auch Anfang 1996, die EZLN behielt jedoch ihre Waffen und meinte, dass sie sie solange nicht abgeben wird, bis ihre Forderungen
durchgesetzt sind.
Das Internet spielt eine sehr große Rolle bei der EZLN. Anfang 1990 wurde in Mexiko das alternative Netzwerk La Neta gegründet, das vor allem von Frauengruppen benutzt wurde. 1993 wurde La Neta in Chiapas mit dem Ziel, NGOs zu vernetzen, eingeführt. 1994 wurde das Netzwerk an das Internet angeschlossen. Über das Internet informiert die EZLN die Medien über die Übergriffe der mexikanischen Regierung und über ihre Forderungen. Dadurch ist es für die Regierung viel schwieriger, die öffentliche Meinung durch Manipulationen in den Medien gegen die EZLN zu mobilisieren. Manche BeobachterInnen meinen, dass sich die Zapatistas durch ihre Internet- und die daran angeschlossene Medienpräsenz vor noch stärkerer Repression schützen und die mexikanische Regierung zu Verhandlungen zwingen konnten.
»Dies, so nun Ronfeldt, habe es Gruppen, die gegen die mexikanische Staatspartei PRI arbeiten, ermöglicht, oft schon wenige Stunden nach irgendwelchen Versuchen der Regierung Zedillo, die Situation zu kontrollieren, internationale Aufmerksamkeit und Unterstützung zu bekommen. Was die mexikanische Regierung letztlich dazu gezwungen hat, die Fassade der Verhandlungsbereitschaft mit der EZLN zu erhalten, und in vielen Fällen ein Einschreiten der Armee in Chiapas und damit brutale Massaker an den Zapatisten verhindert hat« ([Wehling1997], S. 157). Um solche oder andere Aktivitäten progressiver Gruppen im Internet zu verhindern, sei es nötig, so Ronfeldt, dass sich das US-Militär dezentral in Netzwerkform organisiere. Durch die Nutzung des Internets wurden die Aktivitäten der Zapatistas nicht nur technisch vernetzt, sondern es entstand auch ein soziales Netzwerk der Solidarität, das sich das Internet als Kommunikationsmedium aneignete. Über diese netzwerkförmige Organisationsweise meinte Marcos 1995: »Wir haben dadurch von Demonstrationen, Liedern, Filmen und anderen Dingen erfahren, die nicht mit dem Krieg in Chiapas [...] in direkter Verbindung stehen. Und so haben wir erfahren, dass sich viele Dinge bewegen und dass ›NEIN ZUM KRIEG‹ in Spanien und in Frankreich und in Italien und in Deutschland und in Russland und in England und in Japan und in Korea und in Kanada und in [...] gerufen, und in vielen anderen Ländern zumindest gedacht wurde [...] wenn ihr alt seid, könnt ihr euren Enkeln zuhause sagen: ›Ich habe damals, Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, auch für Mexiko gekämpft, von zuhause aus, aber ich war dennoch bei ihnen, und ich weiß, sie wollten nur, was alle Menschen wollen, denn auch sie sind Menschen, sie wollten Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit‹« (zitiert nach [Wehling1997], S. 166). Als Vicente Fox am 1. Dezember 2000 sein Amt antrat, beendete er damit die 70 Jahre währende Regentschaft der Institutionellen Revolutionären Partei (PRI), die seit 1928 den Präsidenten in Mexiko stellte. Als deren Kandidat im Juli 2000 dem Kandidaten der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) Vicente Fox unterlag, war das eine Sensation, die im Land als »Zeitenwende« oder »Mauerfall« gefeiert wurde. Ob damit auch der sogenannte Chiapas-Konflikt beigelegt werden kann, bleibt abzuwarten. Erste Schritte sind getan: Strategische Militärstützpunkte sind seit Antritt der Fox-Regierung abgebaut, ein Teil der inhaftierten Oppositionellen wurde freigelassen und der Kongress wird über ein bislang offiziell blockiertes Abkommen zu »Indio-Rechten« beschließen.
| (1) EZLN - Ejercito Zapatista de la Liberacion Nacional (Zapatistische Armee zur nationalen Befreiung) | |
Gehorchend Regieren und Fragend gehen im Tempo des Langsamsten | weiter / zurück | |
Das Politikverständnis der EZLN und die Zentralen Begriffe: Neoliberalismus, Demokratie und Zivilgesellschaft | ||
Die EZLN ist keine klassische Guerrillabewegung, sie tritt zu einem Zeitpunkt in die Öffentlichkeit, an dem international viele nicht geglaubt haben, dass es einen deutlichen emanzipatorischen linken Widerstand gegen Herrschaft und Ausbeutungsmechanismen geben kann. Der strategische und inhaltliche Bruch der EZLN mit einer weltweiten revolutionären Tradition, zeichnet sich zum Einen in der Tatsache, dass die Zapatisten weder zum Ziel haben, die Regierung zu stürzen, die staatliche Macht zu erobern oder ausschließlich um das Erlangen materieller Verbesserungen kämpfen, sondern eine Stärkung und das Entstehen lokaler, regionaler vernetzter Kämpfe für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit anstreben. Im Konzept der EZLN gibt es kein klassisches revolutionäres Subjekt, wie bei anderen revolutionären Bewegungen allein die Arbeiterklasse beispielsweise, die durch eine revolutionäre Avantgarde mobilisiert werden soll und der Widerstand dem übergeordneten Ziel die Befreiung derselben subsumiert ist, sondern liegt in der Vertretung der Interessen und Forderungen derjenigen, die sich der EZLN angeschlossen haben und an ihrer Gründung beteiligt waren, vor allem indigene Gruppen und KleinbäuerInnen in Chiapas. »Dies ist der Moment um euch allen mitzuteilen, dass wir den Platz nicht einnehmen wollen und nicht können, von dem sich einige erhoffen, dass wir ihn einnehmen; den Platz von dem aus alle Meinungen, alle Wege, alle Antworten, alle Wahrheiten ausgehen. Das werden wir nicht machen« (6.8.1994 vor dem demokratischen Nationalkonvent; EZLN 1994; 310 zit. in Ana Esther Ceceña, Reflexion einer Rebellion, 2000) Der Aufstand entsteht nicht mit dem Fokus Staat, sondern eine zentrale Rolle spielt dabei der Kampf gegen die Unterdrückung und Ausbeutung und ein zentraler Aspekt darin ist die Nationalität und Universalität dieses Kampfes, bezüglich politischer Inhalte aber auch Politikformen. Der politische und strukturelle Wandel des Kapitalismus, die neoliberale Politik der mexikanischen Regierung, der Ausverkauf des Bundesstaates Chiapas, der einhergeht mit wesentlichen Änderungen agrarischer Bedingungen von KleinbäuerInnen, der Privatisierung staatlicher Betriebe und der verschiedenen Handelsabkommen zwischen Mexiko und anderen Staaten, durch die Arbeits- und Lebensbedingungen für BäuerInnen und LandarbeiterInnen in Chiapas beschnitten werden, wie oben bereits beschrieben, ist Ziel des Angriffes der Zapatisten. Dabei ist eher nicht von Globalisierung die rede, sondern immer von Neoliberalismus, der Art, wie er oben beschrieben ist, konkret bezogen auf die Situation in Mexiko, ohne jedoch die weltweiten Parallelen und Zusammenhänge außer Acht zu lassen. Im Kampf gegen den Neoliberalismus ist für den zapatistischen Kampf zentral, dass ein weltweites Handeln nötig ist, dass er von allen Ausgeschlossenen, Diskriminierten, und Ausgebeuteten geführt wird angesichts der neoliberalen Globalisierung. (Subcomandante Marcos 1997a zit. in Ana Esther Cecena Reflexion einer Rebellion, 2000) »Dieses interkontinentale Netz der Widerstände ist keine organisatorische Struktur, hat weder Leitungs- noch Entscheidungszentrum, weder Machtzentrum noch Hierarchien. Das Netz sind wir alle, die widerständig sind.« (2. Erklärung von La Realidad für eine menschliche Gesellschaft und gegen den Neoliberalismus. EZLN 1994) Ausbeutung erreicht nicht nur alle Regionen der Welt, sondern auch alle Bereiche des Lebens. Ausbeutung, die die Grundlage der Widerständigkeit gegen den Neoliberalismus bildet, wir umfassend verstanden. Ausgebeutet sein bedeutet: »schwul sein in San Francisco, Schwarzer in Südafrika, Asiate in Europa, Chicano im kalifornischen San Isidro, Anarchist in Spanien, Palästinenser in Israel, Indio in den Straßen von San Christobal, ein Straßenjunge in Neza, Rocker in der Universitätsstadt, Jude in Deutschland, Ombudsmann im Verteidigungsministerium, Feministin in politischen Parteien, Kommunist im kalten Nachkrieg, Pazifist in Bosnien, Mapuche in den Anden, Künstler ohne Mappe und ohne Galerie, Hausfrau Samstagabends in irgendeinem Stadtviertel in irgendeiner Stadt Mexikos, Guerillero im Mexiko des ausgehenden 20. Jahrhunderts, Streikender in der CTM (Dachverband der regierungstreuen Gewerkschaft), Reporter der Fülltexte für die Innenseiten, Macho in der feministischen Bewegung, Frau alleine in der U-Bahn um zehn Uhr abends, Rentner bei einer Kundgebung auf dem Zócalo, Bauer ohne Land, ein marginalisierter Zeitungsmacher, arbeitsloser Arbeiter, Arzt ohne Stelle, aufrührerischer Student, Dissident im Neoliberalismus, Schriftsteller ohne Bücher und ohne Leser, und, das ist mal sicher, Zapatist im mexikanischen Südosten.« (EZLN 1994:243 zit. in Ana Esther Ceceña, Reflexion einer Rebellion, 2000) Allein die Tatsache, dass es diese Parallelen weltweit gibt, verbindet
die Menschen interkontinental, die für die Veränderung dieser
weltweiten Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen kämpfen.
Dieser Widerstand ist im Konzept der EZLN gleichzeitig Ziel und Weg,
ein politischer demokratischer Prozess und kein starres Konzept. »Die Demokratie ist das grundlegende Recht aller Völker, Indigenas oder nicht. Ohne Demokratie kann es weder Freiheit, noch Gerechtigkeit oder Würde geben, und ohne Würde gibt es gar nichts mehr.« (EZLN 1994;180) Und diese »alle« sind in den Worten der Zapatistas Teil der bereits organisierten, aber auch nicht-organisierten Zivilgesellschaft, auf die sich die EZLN seit Anfang Januar 1994 mit den unterschiedlichsten Initiativen, Aufrufen, Forderungen, Appellen bezieht. Nicht der »traditionelle« Aufruf, sich der bewaffneten Bewegung anzuschließen und unterzuordnen, sondern der Aufruf zur Selbstorganisation, zum Aufbau eigener Strukturen, um unabhängig von den politischen Parteien Mexikos die eigenen Interessen, Bedürfnisse und Forderungen zu organisieren, bestimmten die Politik der EZLN seit dem 12. Januar 1994, dem Tag an dem der mexikanischen Präsident aufgrund des Drucks der mexikanischen und internationalen sozialen und politischen Bewegungen den Waffenstillstand verkündete. »Zivilgesellschaft mag eine Konzession an die postmoderne Modesprache sein«, so die Redaktion Land und Freiheit, »aber im politischen System Mexikos kommt diesem Ausdruck eine ziemlich klare Bedeutung zu: denn nur in wenigen Ländern ist der Herrschafts- und Korruptionscharakter der verselbständigten politischen Apparate so handgreiflich wie in Mexiko, wo die jahrzehntelange Herrschaft der PRI ein scheinbar unendlich flexibles System von Integrationsmechanismen geschaffen hat, dem etliche revolutionäre Parteien oder auch Guerillas zum Opfer gefallen sind bzw. in die Arme gelaufen sind«. Darüber hinaus hat die Praxis deutlich gemacht, dass die Hoffnungen, die entscheidenden Bedingungen für ein menschenwürdiges Leben zu erkämpfen, nicht auf die Regierung gerichtet sein können, sondern von der unabhängigen Organisierung der Zivilgesellschaft abhängen. Ohne ihre Beteiligung kann es keine Veränderungen geben, geschweige denn positive Veränderungen für die Mehrheit der Bevölkerung. Dabei geht es bei dem Konzept Zivilgesellschaft laut EZLN nicht um die Menschen, die in traditionellen Organisationen kämpfen, sondern um den Raum außerhalb staatlicher Institutionen, die Menschen, die für eine gesellschaftliche Veränderung kämpfen. Die Idee ist, Räume für politische Partizipation zu öffnen, um durch eine Vernetzung der regionalen, lokalen Kämpfe, die Vielheit der sozialen Kämpfe, eine radikaldemokratische gesellschaftliche Veränderung zu erwirken, jenseits von hegemonialen Strukturen.
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Die Rezeption des zapatistischen Aufstandes in der deutschen Linken | weiter / zurück | |
Die bewaffnete Rebellion einiger tausender Indigenas in Südmexiko fand weltweit ein
außergewöhnliches Echo in den Medien und eine fast ungeteilte Sympathie. In vielen Ländern Europas und in Nordamerika wurden mexikanische Botschaften besetzt, Demonstrationen und Informationsveranstaltungen organisiert, um gegen eine drohende militärische Niederschlagung der Rebellion zu protestieren.
In der Linken in der BRD wird und wurde viel über Inhalte,
Positionen, Aktionen und Formulierungen der EZLN diskutiert. Der Vernetzungsgedanke
der EZLN, eben keine klassische Solidaritätsarbeit wie sie zu Guatemala,
Nicaragua, El Salvador, etc. pp. aus Europa und Nordamerika ausgeübt
wurde, sondern regionale Widerstände gegen den Neoliberalismus
weltweit zu vernetzen und dadurch Druck auf Deregulierungspolitiken
zu machen ist in Deutschland eher nicht angekommen. Es hat sich zwar
auch ein »ya basta« Netzwerk gegründet, in dem sich
ein breites Spektrum von hauptsächlich Lateinamerika-Solidaritätsgruppen
und Antiimps wiedergefunden hat, in dem das intergalaktische Treffen
vor- und nachbereitet wurde, von dem aus aber keine nennenswerten Impulse
ausgegangen sind. Desweiteren gibt es Gruppen (wie zum Beispiel CAREA),
die eher NGO Politik betreiben, indem sie sich nicht öffentlich
positiv auf die EZLN beziehen, sie aber insofern unterstützen,
dass sie internationale BeobachterInnen vorbereitet, nach Chiapas in
die autonomen Gemeinden zu gehen, um dort alle Menschenrechtsverletzungen
zu dokumentieren, alle meint, eben auch die, die von der EZLN begangen
werden. Das Netzwerk Peoples Global Action (PGA), ya basta und tutte bianche aus Italien beziehen sich in ihren politischen Positionen und Selbstdarstellungen direkt auf den Aufstand der EZLN in Mexiko. So schreibt PGA im Internet: »Die Gruppen und Basisbewegungen, die sich im Netzwerk von PGA zusammengeschlossen haben, eint die Einsicht, dass ihr Kampf vor Ort mit anderen Bewegungen in anderen Ländern vernetzt werden muss. (...) Die Idee des ›Netzes lokaler Kämpfe‹ geht auf die Zapatistas zurück, (...). Die EZLN schrieb in ihrer Zweiten Erklärung aus dem Lacandonischen Urwald, es gehe darum ›...ein kollektives Netzwerk all unser Teilkämpfe und Widerständigkeiten zu schaffen. Ein interkontinentales Netzwerk des Widerstandes gegen den Neoliberalismus, ein interkontinentales Netzwerk für die Menschlichkeit. Dieses interkontinentale Netzwerk, das Unterschiedlichkeiten respektiert und Ähnlichkeiten anerkennt, wird versuchen, sich mit anderen Widerständigkeiten zusammenzufinden. Dieses interkontinentale Netzwerk der Widerstände ist keine Organisationsstruktur; es hat keinen zentralen Kopf oder Entscheidungsträger, kein Zentralkomitee oder Hierarchien. Wir alle bilden dieses Netzwerk, alle, die wir Widerstand leisten.‹
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Ya Basta und die Tute Bianche | weiter / zurück | |
Tute Bianche ist hauptsächlich eine Aktionsform und ein Selbstverständnis. In ihr erkennen sich verschiedene Menschen, Gruppierungen und politische Strömungen; und prägen somit die Gestaltung der Form.
»Die Zapatistas haben einen wichtigen Beitrag geleistet, mit ihren Ideen Politik zu machen, ohne um die Macht zu kämpfen. Wir versuchen diese Botschaft zu übersetzen und unsere eigene Ausdrucksform zu finden.« Inspiriert wurden die AktivistInnen, als sie selbst bis in den chiapanekischen Dschungel Südmexikos anläßlich eines interkontinentalen Encuentros gereist sind. »Am Anfang haben wir vorhergehende Formen der Direkten Aktion diskutiert, der Sabotage, der revolutionären Gewalt usw. Wir haben daraus geschlossen, dass unter den aktuellen Bedingungen der Zivilgesellschaft, der Gebrauch unserer Körper als Waffe die Kräfte derjenigen Menschen freisetzen könnte, die zu den alten Formen und Schemen nicht geantwortet haben. Es ist eine kreative Form die andere Seite in ein Problem mit einzubeziehen. Mit gewaltfreien Mitteln der Direkten Aktion, bleibt die Sprache der Gewalt auf der Seite der Polizei und des Staates. Klassische Demonstrationen beeindrucken sie nicht mehr, jetzt sind wir als BürgerInnen ungehorsam, sie schlagen zurück, aber wir verteidigen uns. Das zieht die Aufmerksamkeit der Menschen und gibt unserem Protest Echo«. Diese konfrontative Haltung macht Sinn: das tiefverwurzelte (Selbst)bild des Staates als Institution, die die Interessen aller vereint, ist im neoliberalen Zeitalter stark am bröckeln, in Italien auf jeden Fall früher als in der BRD. Ein offen in Erscheinung tretender Interessengegensatz zwischen legitimen Bedürfnissen von BürgerInnen und staatlichen Maßnahmen ist eine gute Voraussetzung für emanzipative Prozesse, weg von der Forderung an den Staat, sozial abfedernd zu agieren oder ökonomisch steuernd zu intervenieren, mit dem Anspruch, einen Wohlstand für alle zu sichern. »Unser Beitrag ist eine radikale Form der Konfrontation, die über die klassischen Formen der Demonstration hinaus geht und die Möglichkeit einer Massenbeteiligung mit sichereren Methoden ermöglicht. Junge Leute sehen, dass der Einsatz ihres vor der Polizei geschützten Körpers klare Wirkungen hat. Die Bewegung wächst. Wir sind nicht eine politische Gruppe, es handelt sich um eine horizontale Bewegung, in der jede Person auf ihre besondere Weise zur Debatte und Organisation beiträgt. Alles ist untereinander verstrickt, es gibt Leute allen Alters. Alte Modelle von Avantgarden und Anführer sind vorbei.« In einem Flugblatt schreiben sie: »Wir haben uns eine neue Herausforderung gesetzt: aus dem Boden zu sprießen, um uns auf diese Weise in den Aufbau der Gesellschaft einzubringen, um die Selbstverwaltung und Selbstorganisation zu fördern, die in den letzten Jahren aufgebaut wurde. Wir wollen uns vom Widerstand in eine Offensive bewegen, hin in die Arena der Träume, der Rechte, der Freiheit, für die Eroberung der Zukunft, die heute den neuen Generationen verweigert wird«. Wie die Zapatistas erkennt Ya Basta, dass die Befreiungsprozesse notwendigerweise kontinuierlich in Frage gestellt und neu definiert werden müssen. »Wir gehen mit Fragen auf unseren Lippen«, sagen sie, »nicht mit Befreiungsstrategien, die als absolute Wahrheit festgelegt werden. Diese Tabus, die die Bewegungen der Vergangenheit charakterisiert haben, müssen hinter uns gelassen werden«. | ||
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Protestbewegungen im globalen Kapitalismus. | ||
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