Postkoloniale Theorie und die »Spurensuche« nach Widerstand |
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Katrin Amelang und Oliver Schupp | ||
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Im Seminarplan sind die Postkolonialen Theorien als Themengebiet innerhalb der Befassung mit Theorien des Widerstands eingeordnet. Diese Verbindung war für uns nicht immer offensichtlich, somit gestaltete sich unsere Befassung mit postkolonialen Theorien eher als »Spurensuche« nach Momenten und Möglichkeiten von Widerstand. Ausgehend von einer Einordnung postkolonialer Theorien und allgemeinerer Kritik an ihnen, möchten wir die drei klassischen Vertreter (häufig auch »holy trinity« genannt) Edward Said, Gayatri Spivak und Homi Bhabha, welche als MigrantInnen aus postkolonialen Gebieten kommend heute an US-amerikanischen Universitäten lehren, in einzelnen Kapiteln genauer vorstellen. Abschließend werden wir unsere Ergebnisse und aufgeworfenen Fragestellungen hinsichtlich der Verbindung von postkolonialen Theorien und Widerstand zusammenfassend darstellen.
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Postkoloniale Theorien – Einordnung und Kritik | weiter / zurück | |
Die postkolonialen Theorien bzw. Postcolonial Studies werden als Unterabteilung der Cultural Studies betrachtet. Da beide wenig Eingang in deutsche akademische Diskussionen gefunden haben bzw. in diesen kaum präsent sind, wird im folgenden die Einordnung der Cultural Studies der der postkolonialen Theorie vorangestellt. Eingehend sei darauf verwiesen, dass die folgende kurze Darstellung den »vielstimmigen« Cultural Studies und ihrer Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen durch theoriepolitische Verschiebungen und Diskurskorrekturen nicht umfassend erfassen kann.(1) Die nur schwer zu definierenden Cultural Studies sind keine akademische Disziplin im herkömmlichen Sinne. Laut Dominik Bloedner (1997) und Douglas Robinson (1997) sind sie eher als offenes interdisziplinäres Projekt zu verstehen, welches inhaltlich und methodisch von Anthropologie, Soziologie, Gender Studies, Ethnic Studies, Literaturkritik, Geschichte, Psychoanalyse, Politikwissenschaften und Philosophie Gebrauch macht, und die Untersuchung von vielfältigen kulturellen Texten, Formen und Praktiken mit Kulturkritik [critics of culture] verbindet. Sie beziehen sich theoretisch auf das Hegemonie-Konzept von Antonio Gramsci(2) und »typically describe themselves and their work as ›counterhegemonic‹.« (Robinson 1997, 13) So strukturieren Machtbeziehungen Gesellschaften und ihre Kultur, wobei Kultur Bedeutungen erst hervorbringt und damit als Ort politischer Intervention zu betrachten ist. AkteurInnen bewegen sich also zwischen individuellem Handeln und gesellschaftlicher Fremdbestimmung. Von diesen theoretischen Grundannahmen wird die Verpflichtung zu einer politisch emanzipatorischen Perspektive abgeleitet (vgl. Bloedner 1997, 35). Die Cultural Studies sind in der 50er Jahren in Großbritannien im Zusammenhang mit der Entstehung der britischen »New Left« als Ergebnis intellektueller und politischer Tradition zu sehen und wurden 1964 mit dem Centre for Contemporary Cultural Studies (zugehörig zum Lehrstuhl für englische Literatur) erstmalig im akademischen Rahmen institutionalisiert (vgl. ebd., 36f.). Als einer der wichtigsten – und hier zulande wohl auch bekanntesten – Vertreter gilt Stuart Hall. Genauso heterogen wie die Cultural Studies sind auch die
Postcolonial Studies akademisch schwer zu definieren: »Postcolonial
criticism and theory alike comprise a variety of practices, performed
within a range of disciplinary fields in a multitude of different institutional
locations around the globe.« (Moore-Gilbert 1997, 5) Die Entstehung
der Postcolonial Studies ist mit dem Entkolonialisierungsprozess in den
1940/50/60ern sowie der Entstehung der Cultural Studies verbunden, und
sie sind zwischen literaturwissenschaftlichen und kulturtheoretischen
Ansätzen einzuordnen (vgl. Robinson 1997, 13 u. Grimm 1997a, 39).
Die häufige Zuordnung der Postcolonial Studies zu Lehrstühlen
von Literatur kann als Nähe zu den Literaturwissenschaften interpretiert
werden, wichtiger ist diesbezüglich aber die zentrale Rolle der britischen
Commonwealth Literature Studies(3)
für die Konstitution postkolonialer Kritik im »westlichen«
akademischen Rahmen (vgl. Moore-Gilbert 1997, 26ff.). Weitere theoretische
Einflüsse und Bezüge postkolonialer Theorie sind die Arbeiten
von Frantz Fanon, Antonio Gramsci, Karl Marx, Jacques Lacan, Louis Althusser,
Jacques Derrida und Michel Foucault. »(Post)colonial criticism can still be seen as a
more or less distinct set of reading practices, if it is understood as
preoccupied principally with analysis of cultural forms which mediate,
challenge or reflect upon the relations of domination and subordination
– economic, cultural and political – between (and often within) nations,
races or cultures, which characteristically have their roots in the history
of modern European colonialism and imperialism and which [… ] continue
to be apparent in the present era of neo-colonialism.« (ebd.) Trotz des Hype um die Postcolonial Studies wäre es falsch anzunehmen, dass sie sich im akademischen Bereich(4) bereits etabliert hätten. Besonders aus verwandten Forschungsfeldern wird starke und häufig polemisch-feindselige Kritik artikuliert, die der neuen Perspektive generell die Relevanz als wissenschaftliche Disziplin abspricht. Der Historiker Russell Jacoby beispielsweise zweifelt an den interdisziplinären Ambitionen der postkolonialen Theorie: «As they move out from traditional literature into political economy, sociology, and anthropology, do the postcolonial theorists master these fields or just poke about? Are they serious students of colonial history and culture or do they just pepper their writings with references to Gramsci and hegemony?« (Jacoby 1995, 32)
»In solchen Formulierungen wird der ›Kampf um Dekolonisation‹ zu einer vornehmlich literarischen oder literaturwissenschaftlichen Angelegenheit, und die akademische Elite der Intelligenzija reklamiert – der verblüffenden Diskrepanz zwischen Fakten und Selbstwahrnehmung ungeachtet – für sich die Rolle der revolutionären Avantgarde der ganzen Welt.« (Ahmad 92, 208). In dieses Schema passt für Ahmad
auch Saids Unterscheidung zwischen »kolonialen« und »postkolonialen«
Intellektuellen. Said bestimmt den »kolonialen Intellektuellen«
als Nicht-Europäer, der während der kolonialen Periode aus der
Perspektive kultureller europäischer Dominanz geschrieben und sich
dabei mit der europäischen Kultur identifiziert hat. Den »postkulturellen
Intellektuellen« unterscheidet vom »kolonialen« neben
der historischen Zuordnung zur neokolonialen Epoche vor allem die Fähigkeit,
gleichzeitig außerhalb europäischer Traditionen zu stehen und
(auch deshalb) die Waffen des kritischen europäischen Denkens besser
zu beherrschen. In Grimms Paraphrase Saids: »Sie nutzten die einst
exklusiv dem ›Europäer‹ vorbehaltenen Techniken und Diskurse
und wendeten sie ›im Herzen der westlichen Metropole‹ gegen
sie.« (Grimm 1997b, 37) Ahmad kritisiert an dieser Unterscheidung
die periodische Einteilung und wendet sich vor allem gegen die Behauptung
von Said, dass eine Kombination von »Third World Origin« und
»Metropolitan Location« (Said 1990, 29) heute unbestreitbare
Vorteile für den Kampf gegen Kolonialismus und Imperialismus hätte
– eine (Selbst)Einschätzung in der postkolonialen Kritik, die laut
Grimm weiterhin vorherrscht (vgl. Grimm 1997b, 38).
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(1) F ür einen umfassenderen Einblick siehe u.a. Jan Engelmann [Hg.] (1999) Die kleinen Unterschiede. Der Cultural Studies Reader. Frankfurt/New York (2) Wobei im Bezug auf dieses kulturalistische/materialistische und strukturalistische Stränge der Cultural Studies zu unterscheiden sind: » Hegemonie als Kultur ist eine Frage materieller Produktion, Reproduktion und Konsumption, Hegemonie als Struktur ist ein Fall für textuelle Analyse.« (Milner 93, 81) (3)Mit formaler Dekolonisierung die Untersuchung der Literatur, später Kunst, Geschichte u. Politik von Nationen, welche historisch zum British Commonwealth gehörten bzw. später weiterer ehemaliger Kolonialstaaten. (4)Selbst im angelsächsischen und anglo-amerkanischen Raum steht die Etablierung als akademische Disziplin noch aus. Der kultur- und sozialwissenschaftliche Bereich in der BRD kam über eine erste Wahrnehmung noch nicht hinaus. Von einer Institutionalisierung im Hochschulbereich kann keine Rede sein. (5) Siehe z.B. John McKenzie, der folgendes bezeichnendes Urteil über die postkoloniale Theoire fällt: »nothing represents the naïveté and lack of sophistication of the left-wing literary critics« (MacKenzie 1995, 36). (6)Ein Begriff, der dem Paradigma der nachholenden Entwicklung der Dritten Welt anhaftet und deshalb sicherlich problematisch ist. Moore-Gilbert spricht in einer Fußnote Ahmads Strategie an, dieses Problem zu umschiffen (»In Theory makes an eloquent case against the use of this term.«). Die Problematik ist durch den Nicht-Gebrauch des Begriffs allerdings nicht gelöst. Moore-Gilbert entscheidet sich für die Benutzung des Begriffes. Wir folgen diesem Verfahren. (7) »Ahmad’s In Theory
laments the ›very arcane‹ nature of Homi Bhbha’s style
and ›the inflationary‹ rhetoric of postcolonial theory more
generally.« (Moore-Gilbert 1997, 21) |
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EDWARD SAIDS KONZEPT DES ORIENTALISMUS | weiter / zurück | |
Durch Edward Saids Schlüsselwerk Orientalism
wurde 1978 der Raum für die Colonial Discourse Analysis als akademische
Richtung innerhalb der Literatur- und Kulturtheorie eröffnet. Es
gab zwar bereits zuvor Ansätze, die im nachhinein sicherlich in das
Umfeld postkolonialer Kritik gerückt werden können (erwähnt
seien hier nur die Namen Frantz Fanon und Aimé Césaire),
aber sie konnten keinen vergleichbaren Feedback im akademischen Bereich
einleiten. »Erst mit Saids Buch richtete sich das Forschungsinteresse
auf den orientalistischen beziehungsweise den kolonialen Diskurs.«
(Grimm 1997a, 39). »Nimmt man das späte 18. Jahrhundert als grob umrissenen Ausgangspunkt, so lässt sich Orientalismus als eine umfassende Institution für die Beschäftigung mit dem Orient diskutieren und analysieren (...) Ohne Orientalismus kann man die unglaublich systematische Disziplin nicht verstehen, mit Hilfe derer es der europäischen Kultur gelang, den Orient politisch, gesellschaftlich, militärisch, ideologisch, wissenschaftlich und imaginär in der an die Aufklärung anschließenden Epoche zu organisieren.« (Said 1978, 3) Der zweite zentrale theoretische Bezugspunkt für Said ist das Hegemoniemodell von Antonio Gramsci. Said sieht in Gramscis Hegemoniekonzept vor allem ein geeignetes Modell, um die Dynamiken von Herrschaft und Subordination zu erfassen. Für ihn ist die Gramscianische Unterscheidung zwischen »civil and political society« nützlich, weil sie es ermöglicht, den Ort der repressiven Gewalt vom Ort der Konsensbildung zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang stellt Said Gramscis Verständnis von Hegemonie als kulturelle Definitionsmacht einer sozialen Gruppe heraus und bezeichnet es als ein »indispensable concept for any understanding of cultural life in the industrial West« (ebd., 7). Mit diesem Begriff versucht Said die Wirkungsmacht, Stabilität und Dynamik des kolonialen Diskurses zu erfassen: »It is hegemony, or rather the result of cultural hegemony at work, that gives Orientalism the durability and the strength I have been speaking about so far (…). the major component in European culture ise precisely what made the culture hegemonic both in and outside Europe: the idea of European identitiy as a superior one in comparison with all the non-European peoples and cultures.« (ebd.) Mit diesem theoretischen Werkzeug kann Said auf die
bedeutungs- und realitätsstiftende Macht des kolonialen Diskurses
hinweisen und die Asymmetrie des (Macht)Verhältnisses zwischen dem
Westen und dem Osten erfassen. Um zu verdeutlichen, wie tief seiner Ansicht
nach die Vorstellung vom Orient im Denken des Westens verwurzelt ist,
führt Said eine Unterscheidung zwischen »latentem« und
»manifestem« Orientalismus ein. »Latent« bezeichnet
in diesem Zusammenhang die wesentliche Struktur des Diskurses, das jedem
westlichen Denken als binäres Trennlinie zwischen dem »Eigenen«
und dem »Anderen« zugrunde liegt. Mit »Manifest«
wird der differierende Ausdruck der Struktur, der an der Oberfläche
des Diskurses auftaucht, bezeichnet. Damit versucht Said die kulturellen
Differenzen, die unterschiedlichen wissenschaftlichen und nationalen Traditionen
etc. in den Griff zu bekommen.
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(8) Diese (regionale) Differenzierung kommt Foucault als westlichen Intellektuellen nicht in den Sinn. Seine genealogischen Untersuchungen der Macht sind sicherlich in Hinsicht auf die Blindheit gegenüber internationalen Dominanzverhältnissen und den Effekten der asymmetrischen internationalen Arbeitsteilung zu untersuchen. (9) Nach Moore-Gilbert scheint Foucault die entscheidende Quelle für Saids unzulänglichen Begriff von Widerstand zu sein, was nicht immer ganz nachvollziehbar ist. So meint er u. a. , dass Said in seiner pessimistischen Foucaultianischen Perspektive annimmt, dass die Macht sich nur auf Seiten der Kolonisiererenden befände. (Moore-Gilbert 1997, 51). Eine Lesart, die die Frage aufwirft, ob Said Foucaults Machtkonzept fehlinterpretiert oder ob Moore-Gilbert Vorbehalte gegenüber Foucault hat. |
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Gayatri Spivak – Silencing the Subaltern | weiter / zurück | |
Wenn in dem kleinen Rahmen von sechs Seiten Text ein Ausschnitt aus Spivaks Beitrag zur postkolonialen Theorie vermittelt werden soll, muss die Darstellung sich auf zwei der wesentlichen Bestandteile beschränken: den dekonstruktivistischen Ansatz und ihrer Konzeptionalisierung der Subalternität.(10) Der Versuch, Spivak einer bestimmten theoretischen »Schule«
zuzuordnen, stellt sich dar als quasi unlösbare Aufgabe. Das ist
sicherlich darauf zurückzuführen, dass sie selbst es ablehnt,
einer bestimmten politischen master-narrative den Vorzug zu geben. Es
spricht natürlich einiges dafür, die englische Übersetzerin
von Derridas Of Grammatology (1967, übersetzt 1976) dem Dekonstruktivismus
zuzuordnen, was ihrem eigenen Selbstverständnis allerdings nicht
entspricht. Auch wenn sie den großen Einfluss von Derrida auf ihre
eigenen theoretische Ausrichtung in In Other Worlds bestätigt, meint
sie an in einem Interview: »I’m not a deconstructivist.«
(Spivak 1995, 308). Auch wenn sich Spivak selbst nicht der dekonstruktivistischen
Theorie zuordnet, ist ihre Anwendung derselben doch ein zentraler Bestandteil
ihrer textuellen Praxis. Sie betrachtet zum einen die dekonstruktivistische
Perspektive als eine mögliche Form der negativen Wissenschaft [negative
science], der es nicht darum geht, die objektive, allgemeingültige
Wahrheit einen Textes zu stützen, sondern im Gegenteil, den Blick
auf die (unausgesprochenen) Annahmen, Strategien und rhetorischen Elemente
zu lenken, die die Macht eines Quelltextes herstellen und aufrecht erhalten.
Methodisch bedeutet das, gegen die Textlogik und –oberfläche
zu lesen, die Präsuppositionen herauszustellen – in Spivaks Worten
– ›katachretisch‹ vorzugehen. »Anzunehmen, dass Mitglieder aus subalternen Gruppen genauso den gleichen Zugang zur Erklärung zur Erklärung und Interpretation von Welt wie »offizielle Intellektuelle« hätten, hieße daher, so Spivak, die geopolitischen asymmetrischen Beziehungen zu verkennen.« (Rodríguez 2000) Der theoretische Teil am Beginn des Essays wird ergänzt
durch zwei historische Verweis auf Indien, an denen diese Problematik
der Repräsentation verdeutlicht wird. Im ersten davon (und dem einzigen,
der hier herausgegriffen wird) geht es um ist die Praxis der Witwenverbrennung
(sati) im von England kolonisierten Indien des 19. Jahrhunderts. Die Situation
war nach Spivak gekennzeichnet von Machtkämpfen und ideologische
Auseinandersetzungen zwischen der einheimischen Elite und den britischen
Kolonisierer. Hierbei wurde die Selbst-Opferung der verwitweten Frauen
von den nationalen Eliten mit dem Verweis auf das Einverständnis
und den freien Willen der Betroffenen gerechtfertigt. Die britische Kolonialmacht
im Gegenzug legitimierte nach Spivak ihr Verbot der Selbstopferung mit
dem Argument der Befreiung der Frauen im Zuge der Durchsetzung einer modernen
gesellschaftlichen Ordnung nach westlichem Vorbild. Nach Spivak ist es
für die subalternen Frauen dieses Diskurses unmöglich, ihre
Stimme zu erheben ohne von einer der beiden Seiten vereinnahmt zu werden.Was
in Can the subaltern speak? deutlich wird, ist Spivaks Skepsis gegenüber
allen Vorstellungen, die Bündnis- und Repräsentationspolitik
zwischen wohlwollenden westlichen Intellektuellen und Akteuren in den
ehemaligen Kolonien als »einfach« und »selbstverständlich«
betrachten. In diesem Kontext sind auch Spivaks Vorbehalte gegenüber
manchen Positionen des westlichen Feminismus zu verorten. Spivak stellt
sich gegen jeden »selbstverständlichen« universellen
Vertretungsanspruch. Westliche Feministinnen müssen ihre privilegierte
Stellung als Vertreterinnen der Interessen von Frauen überdenken,
besonders wenn andere soziale Differenzierungsmechanismen, wie z.B. »Rasse«
eine Rolle spielen (vgl. Moore-Gilbert 1997, 93). Spivaks Texte haben die postkoloniale Theorie um einen
feministisch-dekonstruktivistischen Blickwinkel bereichert. Sie wirft
in ihren Arbeiten die Frage auf, wie Subalterne repräsentiert werden
können, ohne vereinnahmt oder instrumentalisiert zu werden. Wie können
sie dargestellt werden ohne als das Differente essentialisiert oder als
das Gleiche homogenisiert zu werden? Spivaks Arbeiten fordern eine weit
höhere Berücksichtigung der eigenen sozialen Position und Zugehörigkeit
im Feld der postkolonialen Kritik als es in der politischen und akademischen
Praxis gängig ist. Der vielleicht wichtigste Beitrag von Spivak zur
Postkolonialität ist in ihrem Versuch zu sehen, die subalterne Frau
anzuerkennen und anzuhören ohne sie westlichen Normen, Historien
oder Wissensregime unterzuordnen. |
(10) Für einen umfassenderen Einblick in Spivaks Entwicklung auf theoretischer Ebene sei das Kapitel zu Spivak in Moore-Gilberts Postcolonial Theory (S. 74-113) empfohlen. (11) Der positive Bezug auf einen strategischen Essentialismus wird von unterschiedlicher Seite geteilt (vgl. Rodríguez 2000, Lorey 1998,108, Butler.1997, 378). (12) Der Aufsatz Fallstricke des Feminismus von Rodríguez ist im Kontext dieser Hausarbeit besonders interessant, weil sie zum einen auf die Postkolonialität des deutschsprachigen Raumes besteht und zum anderen plausibel erklärt, wie die vorherrschende eindimensionale Rezeption der Texte der postkolonialen Theorie als britisches und US-amerikanisches Importgut »zu einer Missrepräsentanz bzw. Unsichtbarmachung der Stimmen in der Bundesrepublik [führt], die ihre künstlerischen, theoretischen und politischen Arbeiten im Rahmen der deutschen und europäischen Kolonialgeschichte setzten.« (Rodríguez 2000) (13) Die scharfe Kritik an Foucault hat Spivak in späteren Schriften revidiert. An der Kritik der Figur des kritischen Intellektuellen, der am »silencing process« beteiligt ist, ändert das nichts. |
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Homi Bhabhas Konzept der Hybridität | weiter / zurück | |
Das folgende Kapitel zu Homi Bhabha
wird wie bereits die vorangegangen zu Said und Spivak in seiner Kürze
den verschiedenen Arbeiten Bhabhas nur ausschnittsartig gerecht. Ausgehend
von Bhabhas Erweiterung der kolonialen Diskursanalyse mit seiner antiessentialistischen
Auffassung kultureller Differenz werden wir uns auf seine Konzepte von
Hybridität(14) und Mimikry und dabei besonders auf seine Konzeptionalisierung
von Handlungsfähigkeit [agency] konzentrieren. »Der Fetisch – oder das Stereotyp – gewährt Zugang zu einer ›Identität‹, die ebenso sehr auf Herrschaft und Lust wie auf Angst und Abwehr basiert: in seiner gleichzeitigen Anerkennung und Ableugnung der Differenz stellt er eine Form von multiplem und widersprüchlichem Glauben dar. Dieser Konflikt zwischen Lust/Unlust, Herrschaft/Abwehr, Wissen/Verleugnung, Absenz/Präsenz hat für den kolonialen Diskurs eine fundamentale Bedeutung.« (Bhabha 2000, 110) Durch diese uneinheitlichen Reaktionen der Kolonisierenden auf »das kolonisierte Andere« wird also die Identität und Autorität der Kolonisierenden gebrochen. Dies äußert sich ebenfalls in den stereotypen Bildern und kolonialen Repräsentationen »des Anderen«: »Der Schwarze ist Wilder (Kannibale) und doch zugleich der gehorsamste und ausgezeichnetste aller Diener (der Verwalter der Nahrung); er ist die Verkörperung zügelloser Sexualität und doch unschuldig wie ein Kind; er ist mystisch, primitiv und einfältig und doch der gewandteste und meisterhafteste Lügner und Manipulator sozialer Kräfte.« (ebd., 122) Dtät ist die in den kolonialen Diskurs eingeschriebene Ambivalenz, die eine klare binäre Opposition zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten durch das gegenseitige Begehren auflöst oder untergräbt. Sie ist eine dialogische Konfrontation, eine Subversion des kolonialen Herrschaftsdiskurses. Hybridität ist hier aber nicht – wie in z.B. einigen kulturwissenschaftlichen Theorien – als Kreolisierung oder Vermischung verschiedener kultureller Einflüsse zu verstehen. Bhabha betont die Unvereinbarkeit kultureller Differenz und grenzt dieses Konzept von ethnozentristischen und pluralistischen Konzepten kultureller Diversität und Identität ab. »(P)ostmodern vision of cultural synthesis or bricolage is too close in its political implications, for Bhabha’s liking, to dominant mainstream discourse of multi-culturalism and cultural relativism. Both of these in different ways, seek to minimize the challenges posed by cultural difference in order to preserve the ‘organistic‹ mythology of the ‘host‹ community or nation.« (Moore-Gilbert, 1997, 125) Auch wenn Ethnopluralismus und Multikulturalismus unterschiedliche politische Implikationen im Umgang mit Differenz verfechten, beruhen beide in ihrer Grundannahme auf einer unterstellten Essenz von Kultur oder kultureller Identität, die es nach Bhabhas anti-essentialistischer Argumentation nicht gibt. »Der Mythos des historischen Ursprungs – ethnische Reinheit, kultureller Erstanspruch –, der in Verbindung mit dem kolonialen Stereotyp produziert wird, resultiert in der »Normalisierung« der multiplen Überzeugungen und gespaltenen Subjekte, die als Folge des Verleugnungsprozesses den kolonialen Diskurs konstituieren. (Bhabha 2000, 109) Kulturelle Differenz, im Sinne von Kultur als Äußerung,
stellt ein prozessuales Modell von Kultur dar, diese ist »stärker
dialogisch angelegt und versucht, De-Plazierungen und neue Allianzen auszumachen,
die ihrerseits die Auswirkung kultureller Antagonismen und Artikulationen
sind« (ebd. 265). Dadurch kann sie die Hegemonie schwächen
und »eine Neubestimmung alternativer, hybrider Orte der kulturellen
Verhandlung« (ebd.) vornehmen. Kultur als Äußerung meint
die unabgeschlossene Produktion von Bedeutung [signification], die sich
aus unvereinbaren Forderungen zusammensetzt. Zum einen stützt sich
Bhabha hierbei auf Michail Bachtins Romantheorie der Mehrsprachigkeit
sowie Dialogizität. Diese fasst Grimm mit den Worten Bachtins als
»Aufeinandertreffen zweier verschiedener, durch die [...] sozialen
Differenzierungen [...] geschiedener sprachlicher Bewußtseine in
der Arena der Äußerung« (Grimm 97,42)(15)
zusammen. Zum anderen bezieht Bhabha sich auf poststrukturalistische Begrifflichkeiten,
nach denen Bedeutungen instabil, verschieden und »gleitend«
sind. Politik findet im »Zwischenraum« kultureller Äußerung
statt und die »Äußerungspraxis« wird durch Reartikulation,
Neueinschreibung, Übersetzung und Verhandlung von kultureller Bedeutung
zur befreienden diskursiven Strategie (vgl. Bhabha 58, 265f.). Identität
wird damit Sache von Konflikt bzw. Verhandlung [negociation]. Mit dem
Aspekt der dialogischen Konfrontation bzw. dem Moment der Subversion innerhalb
des kolonialen Diskurses wird die Demaskierung und Unterminierung kolonialer
Autorität möglich (vgl. Grimm 1997, 41). Im Vergleich zu Said
und Spivak konzeptionalisiert Bhabha somit subalterne Handlungsmacht/-fähigkeit.
»Seine [Bhabhas] Art Widerstand innerhalb des kolonialen Diskurses zu lesen, bezieht sich auf die Möglichkeit der Entstellung des Kolonialdiskurses im Prozeß der Kolonialisierung selbst [...] Durch diesen Perspektivwechsel wird der koloniale Diskurs nicht mehr ausschließlich als diktatorischer Monolog aufgefasst, der die Macht des kolonialen Apparates totalisiert, indem er auf der einen Seite absolute soziale Kontrolle und auf der anderen Seite vollständige Unterordnung des Kolonialisierten unterstellt.« (Ha 1999, 129) Problematisch bzw. offen bleibt die Frage, inwiefern Widerstand praktisch möglich ist und aktiv gestaltet werden kann. Diese Frage hat sich in unserer Auseinandersetzung mit den drei AutorInnen immer wieder ergeben und wird im folgenden abschließenden Kapitel noch einmal aufgegriffen.
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(14) Für Diskussionen und Anmerkungen zum Hybriditätskonzept von Bhabha danken wir Sven Bergmann. (15) Grimm bezieht sich auf M.Bachtin (1979) Die Ästhetik des Wortes. Frankfurt am Main. S. 244 (16) Moore-Gilbert bezieht sich hier auf: Terry Eagleton (1994) Goodbye to the Enlightment. In: Guardian 08.02.94 |
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Postkoloniale Theorie und Wiederstand | weiter / zurück | |
Zuerst möchten wir die Beiträge
von Said, Spivak und Bhabha hinsichtlich ihrer Momente von Widerstand
zusammenfassend auf den Punkt bringen. Said eröffnete die koloniale
Diskursanalyse im Feld postkolonialer Theorie. Mit seiner Nachzeichnung
der hegemonialen Machtverhältnisse bleibt der Diskurs aber monologisch
und Widerstand eine Randerscheinung. Als widerständiges Subjekt gelten
am ehesten noch MigrantInnen bzw. postkoloniale Intellektuelle. Spivak
erweitert die postkoloniale Theorie um die feministische Perspektive hinsichtlich
einer doppelten Marginalisierung des »subaltern sexed subjects«,
da diese auch in der postkolonialen Theorie oft negiert wird. Als postkoloniale
Feministin dekonstruiert sie zudem (wie z.B. auch Chandra Mohanty) die
Kategorie Frau als einheitliches Subjekt. Um den Eurozentrismus des Orientalismus
anzugreifen, muss das Projekt linker Politik über einen »umgekehrten«
Ethnozentrismus hinausgehen und auf eine verhandelnde Auflösung der
Dichotomien zusteuern. Die mit Ethnozentrismus verbundene Essentialisierung
von Identität kann als politische Strategie gelten, muss aber als
Konzept »under erasure« bzw. Verhandlung bleiben. Hier setzt
auch Bhabha mit der Erweiterung der Diskursanalyse durch seinen Fokus
auf die Ambivalenz des kolonialen Diskurses und sein Hybriditätskonzept
an. Der koloniale Diskurs wird dabei dialogisch und Identität Verhandlungssache.
Kritik und Widerstand ausgehend von den postkolonialen Subjekten in den
»Zwischenräumen« und an den »Rändern«
bleibt aber eher eine symbolische oder diskursive Strategie und eine praktisch-alltägliche
Umsetzung seines Hybriditätsmodells bleibt eher offen. »sie sei apolitisch, da ihre (meist akademischen) Kämpfe über den diskursiven Bereich des Symbolischen und den der kulturellen Repräsentation nicht hinausgingen. Politik sei mehr als ein Kampf ums Zeichen, auch wenn diese Kämpfe aus politischen Auseinandersetzungen nicht wegzudenken sind.« (Bloedner 98, 36) Hier geht es um zwei unterschiedliche Seiten des Verständnisses
von Widerstand: Widerstand als »konkreter Kampf« oder als
diskursive Auseinandersetzung? Auch wenn postkoloniale Theoretiker vielleicht
eher auf letzterer Seite anzusiedeln sind, bestehen Verknüpfungen
und Überschneidung zwischen diesen beiden Ebenen von Widerstand.
Daher können unserer Meinung nach diese zwei Seiten oder auch Arten
von Widerstand nicht klar einander gegenübergestellt und untereinander
hierarchisiert werden. »Die westliche Metropole muß ihrer postkolonialen Geschichte, die von den in sie hineinströmenden Nachkriegsmigranten und Flüchtlingen erzählt wird, als einer einheimischen Narrative begegnen, die ihrer nationalen Identität inhärent ist [...] Postkolonialität ihrerseits ist eine heilsame Erinnerung an die andauernden ›neokolonialen‹ Beziehungen innerhalb der ›neuen‹ Weltordnung und der multinationalen Arbeitsteilung.« (Bhabha 2000, 9, Hervorhebung im Original) Zurückkommend auf eine mögliche Form von Widerstand als diskursiver Verhandlung, sind postkoloniale Theorien mit ihrer Analyse, Dekonstruktion und Kritik des kolonialen Diskurses sowie ihrer damit verbundenen Theoriebildung Teil der emanzipatorischen Perspektive und »gegenhegemonialen« Auseinandersetzung. Politische Einmischung und Mitgestaltung funktioniert nicht ohne Thematisierung bzw. Artikulation von Hegemonialverhältnissen sowie ihren Marginalisierungen und Ausschlüssen. In diesem Zusammenhang ist unserer Meinung nach folgende Aussage von Kien Nghi Ha über die Aufgaben postkolonialer Literatur für die Arbeiten postkolonialer Theorien ebenfalls treffend: »Es war und bleibt weiterhin die zentrale Aufgabe der postkolonialen Literatur viele Stimmen, einen unüberhörbaren Chor für diejenigen hervorzurufen, die bisher dazu gezwungen wurden sich nicht zu bewegen, unauffällig und leise zu sein. Denn wer nicht spricht, kann sich nicht mitteilen, sich auf andere beziehen, sich einbringen und einmischen, kann keine Ansprüche stellen, ja nicht einmal Fragen aufwerfen.« (Ha 1999,173) Thematisieren möchten wir hier noch am Schluss zwei offen gebliebene Fragen, die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden, aber in die Diskussion um postkoloniale Theorien und Widerstandsmöglichkeiten gehören: 1) Wo ist der Ort des diskursiven Widerstands, und welche diskursiven Widerstandspraktiken gibt es jenseits vom klassischen Bereich kultureller Repräsentation (Literatur, Musik, Film, Kunst)(18)? 2) Said, Spivak und Bhabha sprechen und schreiben von ihren Lehrstühlen in den USA. Werden ihre Analysen und Ansätze im »globalen Süden« aufgegriffen bzw. wird auf sie dort positiv, kritisch oder gar nicht reagiert? Abschließend möchten wir die Verbindung zum Thema unserer Seminarveranstaltung herstellen. Einer der im Anfangskapitel dargestellten Kritikpunkte an postkolonialen Theorien betrifft ihr Manko des häufig fehlenden bzw. vernachlässigten Bezugs auf wirtschaftliche Machtbeziehungen. An dieser Stelle setzt demgegenüber oftmals die Kritik der AkteurInnen der sogenannten »Antiglobalisierungsbewegung« an. Trotzdem plädieren wir bei der Beschäftigung mit den im Seminar untersuchten AkteurInnen dafür, die Kritikpunkte und Fragestellungen postkolonialer Theorien nicht nur als theoretische, diskursive »Spielwiese« abzutun bzw. zu vernachlässigen. Vielmehr kann eine postkoloniale Perspektive hinsichtlich von Macht- und Herrschaftsbeziehungen innerhalb und zwischen Akteursgruppen, ihrer Selbstreflektion und Bilder über ihre eigene Rolle in der Welt sowie das Problem der Repräsentation(19) wichtige Fragen aufwerfen.
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(17)welche wir in unserer thematischen Auseinandersetzung nicht berücksichtigt haben, auch wenn sie aus postkolonialen Auseinandersetzungen nicht wegzudenken ist. (18) Verwiesen sei dazu auf Arbeiten von Stuart Hall, Paul Gilroy, Kien Nghi Ha, Mark Terkessidis u.a. (19) Siehe dazu auch F.Habermann/R. Patel (2001) Wer spricht denn da? Peoples Global Action und das Problem der Repräsentation. In: Sonderheft Soziale Bewegungen, iz3w. S. 40-42 |
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Ahmad, Aijaz (1992) In Theory.
Classes, Nations, Literatures. London |
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Protestbewegungen im globalen Kapitalismus. | ||
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