Pink und Silver / Tute Bianche
Neue Aktionsformen im Kontext internationaler Proteste
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paula pink und sara silver

 

 

 
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Intro. Neue Zeiten – neue Aktionsformen  
 

Im Kontext der globalisierungskritischen Bewegung sind mit neuen politischen Ansätzen neue Aktionsformen entstanden.
In unserem Referat wird es um Pink & Silver und Tute Bianche gehen. Beide Aktionsformen, (wobei Tute Bianche eigentlich nicht allein Aktionsform sondern auch Organisierungsweise ist) wurden v.a. im letzten Jahr im globalisierungskritischen und antikapitalistischen Spektrum aufgegriffen, diskutiert und kritisiert.
Beide stellen, auf unterschiedliche Arten, Versuche dar, Politik neu zu inszenieren und Protest wieder für mehr Menschen ›attraktiv‹ zu gestalten.

Im ersten Teil des Referates wird es um die Enstehungsgeschichten von Pink & Silver und Tute Bianche gehen. Danach werden wir uns mit den Strategien der Inszenierungen von Gegenmacht beider Aktionsformen beschäftigen, wozu auch deren Gebrauch von Symbolik zählt.
Die Erfahrung der Seminardiskussion hat uns gezeigt, daß v.a. bei der Aktionsform Pink & Silver die Gefahr besteht, sie allein auf ihre äußere Wirkung zu reduzieren. Deshalb wollen wir hier dafür plädieren, die Aktionsformen Pink& Silver und Tute Bianche, gerade auch im Kontext der Fragen, die im Seminar aufkamen, als Kritik an herkömmlichen linken Praxen und Anregung zur Reflexion dieser zu lesen.
Darauf und auf Fragen für die weitere Diskussion wollen wir im Schlussteil des Textes zurückkommen.


 

 

Die Theorie zur Praxis: oder wieso neue Aktionsformen? weiter / zurück
 

Ging es bis Anfang der 90er Jahre in der radikalen Linken darum, eine ›autonome‹ Gegenwelt außerhalb der restlichen Gesellschaft zu entwickeln, und dies auch in Aussehen und Inszenierung zu vertreten, wird durch die theoretische Kritik an dieser Praxis, aber auch durch die tatsächliche Vereinnahmung des ›Alternativen‹ in die kapitalistische Logik klar, in welche Sackgasse die Linke mit diesen Repräsentationsweisen geraten war.

»Jenseits der Anstrengung politische weiter machen zu wollen, sind die Dinge in Bewegung geraten, weg vom Solidaritäts-Internationalismus, weg vom Antirassismus, der als erneuerte identitätspolitik für eine autonome Linke funktioniert, weg von der Unterstützung und des Fürsprechens, weg von der pathetischen Authentzität des Streetfighters« (Diefenbach &Geene 2001: 43f)

Aktionsformen wie Pink & Silver / radical cheerleading oder auch die Tute Bianche versuchen nicht mehr etwas authentisch anderes darzustellen. Sie lösen dies aber auf unterschiedliche Weise.

Pink & Silver: Gender Trouble und Queer Politics

Die Aktionsform Pink & Silver ist inspiriert von postmodernen feministischen Theorien bzw. der Queer Theory , die die gesellschaftliche Funktion von Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität als Regulationssystem ins Zentrum der Analyse stellt.

»Der Kapitalismus bringt Heterosexualität nicht nur in spezifischen Formen hervor, sondern ist in allen von Judith Butler bezeichneten Aspekten selbst als heterosexuelle Matrix organisiert: hierarchische Anordnung der Geschlechter, Zwang zur kohärenten geschlechtlichen Selbsdefinition und -darstellung, Heterosexualisierung des Begehrens, das im Konsum vermarktet wird.« (Pühl / Wagenknecht 2001)

Judith Butler dekonstruierte die feministische Identitätskategorie ›Frau‹ radikal zugunsten einer vollkommenen Denaturalisierung von Geschlecht. Demnach gäbe es keinen natürlichen Geschlechtskörper, stattdessen werde dieser diskursiv hergestellt. Geschlecht sei performativ (in Anlehnung an Performance), daß heißt in ständiger Herstellung begriffen und eben nicht einfach gegeben (Butler 1991). Der Blick der feministischen Gesellschaftskritik erweiterte sich dahingehend, daß die gesellschaftliche Funktion mehr oder weniger fester, als natürlich angenommener Geschlechtsidentitäten thematisiert wurden. Einfacher ausgedrückt bedeutet dies die Annahme, dass Unterdrückung nicht erst damit beginnt, dass eine Gruppe der anderen vorgezogen wird, sondern damit, dass Individuen sich überhaupt in Katgeorie A oder B einordnen müssen, um gesellschaftlich akzeptiert zu sein. Wird also die gemeinsame Identität als ›Frau‹ zum Ausgangspunkt politischen Handelns gemacht, dann – so die Kritik – würde genau dieser Herrschaftsmechanismus reproduziert, der die Individuen zwingt, sich bestimmten (Geschlechter-)Normen zu unterwerfen.»Queer signalisiert« im Gegensatz dazu

»[...] Widerstand gegen Regime der Normalisierung und ist ein Zeichen des Ringens um gesellschaftliche Deutungsmuster, deren Gleichgültigkeit in Frage steht. Der Kampf um Sexualität und ihre Regulierung, so die zentrale These, sei unabdingbar verbunden mit der Genese und Reproduktion moderner sozialer Institutionen wie Familie, Staat, individuelle Freiheit, Zensur, Öffentlichkeit und Privatheit, moderne Geschlechterdifferenz, Bevölkerungspolitik, nationale Identität oder kulturelle Körpervorstellungen. Queer markiert also eine Verschiebung in der Analyse der modernen Konstruktionen von Geschlecht und Sexualität. Diese werden als Effekte bestimmter moderner Bezeichnungs-, Regulierungs-und Normalisierungsverfahren begriffen: daß heißt, sie gehen Kultur nicht voraus (...) sondern sind gleichursprünglich mit ihr.
Politisch stellt queer Aktionsformen und soziale Bewegungen in Frage, in denen grundlegende Gemeinsamkeiten oder homogene Gruppenidentitäten Vorrausetzung für kollektives Handeln sind. [...] Nicht Identitäten sind deshalb zu politisieren, so die Konsequenz aus queerer Sicht, sondern gesellschaftliche Praktiken und Kontexte, in denen diese hevorgebracht und stabilisiert werden« (quaestio 2000:13-14).


Tute Bianche: der Bewegung der Multitude

Die Tute Bianche beziehen sich auf das Konzept der Multitude, d.h. auf eine Analyse des postfordistischen Kapitalismus in dem ein revolutionaeres Subjekt im klassischen Sinne ihrer Ansicht nach nicht mehr existiert. Statt dessen entwerfen sie sich selbst unter Gebrauch operaistischer Begriffe als ›biopolitische AktivistInnen‹. Gemeint ist damit, auf die Verwertung des Lebens selbst durch den Kapitalismus politisch zu reagieren, ja, die permanente Anrufung der Subjekte subversiv zu wenden.

»Wenn es stimmt, daß die Produktion den Ort der Fabrik verlässt; wenn es stimmt, daß die Arbeitskämpfe und sozialen Bewegungen der 60er und 70er Jahre mit dazu geführt haben, daß die Fabrik in die Gesellschaft diffundiert, daß die gesamte Gesellschaft zur Fabrik wird; wenn es stimmt, daß die feministische Sichtweise, nicht-bezahlte Arbeit zur gesellschaftlichen Produktivität zu zählen, auf erweitertem Leben historisch wahr geworden ist; wenn es stimmt, daß das Kapitalverhältnis sich immer produktiv durch die Körper frisst; das Wissen über die Arbeitsabläufe, die Fähigkeit zur Kooperation und Selbstorganisation, die Gefühle und Subkulturen in Wert setzt und die Subjekte drängt, Unternehmen ihrer eigenen marginaliserten und fragmentierten Existenz zu werden, dann ist es an der Zeit mitten in dieser Subsumption eine biopolitische AktivistIn zu erfinden [...] Das ist die Schule des Kapitalismus selbst, hinter dessen Lehrplan die Tute Bianche nicht zurückgehen wollen: Die permanente Selbstunternehmung mobilisierter Subjektivität (Mach was! Verwirkliche, äußere, beweise Dich! Rette Dich selbst!) soll weniger zur Negation, zum Bruch, [...] sondern in erster Linie zum Aktivismus dissidenter Selbstorganisation fortschreiten« (Diefenbach & Greene 2001: 43).

 

 

Entstehungsgeschichten weiter / zurück
 

Pink & Silver

Hell, no...we won't
Hell, no...we won't
Hell, no...we won't
Go there with those tired old chants
My activism's more like a rant;
A rant of rage and resistance
Why the hell are you
Looking at me,
You’re freedom isn't free,
What the fuck,
Get of YOUR but
YOU TOO could be a cheerleader
YOU TOO should be a cheerleader
Born to be a cheerleader,
Yeah yeah!

Die ›Wurzeln‹ der Aktionsform Pink & Silver finden sich im radical cheerleading, welches seit Mitte der 90er Jahre erstmals in Kanada, den USA und Grossbritannien auftauchte. Die Idee und Praxis dabei war, mehr Pep und Power in langweilige Latschdemonstrationen zu bringen, die TeilnehmerInnen zu motivieren und in Schwung zu bringen, sowie eine neue Außenwirkung zu erzielen. Das traditionelle cheerleading mit seinen geschlechtsstereotypen Bildern wurde umgedeutet und für politische Inhalte verwendet.
Aus verschiedensten Aktionsformen, politischen Strömungen und Theorien fließen Elemente in die Pink & Silver-Praxis ein, wie z.B. aus dem reclaim the streets (die Aneignung, Zurückeroberung der Strassen), crossdressing und Queer-Bewegung (Spiel mit den Geschlechterrollen, Dekonstruktion von Geschlecht), der Tunten-Terror-Tour, Tute Bianche, schwarzer Block (hier vor allem die Kommunikationsstrukturen), Sambagruppen (Spass und Lärm), Akrobatik auf Demos oder auch aus Ansätzen der Kommunikationsguerilla (Irritation, Umdeutung vorhandener Bilder und Zuschreibungen).

»Es ging uns [...] darum, von anderen in Sachen Protestkultur zu lernen und unsere eigene Praxis zu reflektieren«( PINK PANIC: 1).

Wichtig ist hierbei, dass es nicht das eine Konzept gibt, sondern einen Pool von Elementen linker Praxis die variiert und immer neu zusammengesetzt werden können. Das bedeutet, dass Aktionsformen weiterentwickelt, Selbstverständlichkeiten hinterfragt und Alternativen praktiziert werden.

Erstmals in Pink & Silver sind DemonstrantInnen in Prag anläßlich des IWF-Gipfels öffentlich in Erscheinung getreten. Es folgten Aktionen zum G8-Gipfel in Genua im Sommer 2001.
In Deutschland wurde die Aktionsform erstmals beim antirassistischen Grenzcamp in Frankfurt am Main im Sommer 2001 ausprobiert, es folgten Aktionen auf einer Demonstration gegen die Residenzpflicht in Berlin, gegen die Vereidigung des Senats in Hamburg und bei Aktionen gegen Abschiebungen in Bremen. Inzwischen hat sie die Idee weit verbreitet und wird zu verschiedensten politischen Anlässen an unterschiedlichsten Orten praktiziert.

Wie funktioniert Pink & Silver?
Wie schon der Name verrät, kleiden sich die AktivistInnen in Pink und Silber, üben Choreographien, Lieder und Sprüche ein und tanzen damit durch die Straßen, Kaufhäuser, Bürogebäude etc. Das Modell ist offen und integrativ, jedeR kann mitmachen, es gibt keine feste oder geschlossene Gruppe. Pink & Silver hat den Anspruch, basisdemokratisch zu sein. Alle Personen sind gleichermaßen an den Gruppenentscheidungen beteiligt, so dass das gemeinsame Vorgehen von allen gestaltet und getragen wird. Für Diskussionen in großen Gruppen gibt es Kommunikationsstrukturen, die gewährleisten sollen, dass alle Anwesenden beteiligt sind und die schnelle Stimmungsbilder möglich machen. Die schnelle Kommunikation ist über verschiedene Handzeichen geregelt. Für das Agieren bei Aktionen gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, durch vorher abgesprochene Rufe bestimmtes Verhalten, z.B. Änderung der Aufstellung im Block auszulösen. Ein sogenannter ›Mega-Puschel‹ wandert durch die Gruppe. Mit diesem haben alle TeilnehmerInnen die Möglichkeit, Impulse für das gemeinsame Vorgehen zu geben.

Durch genaue Absprachen vor, sowie Reflexion nach Aktionen soll Vertrauen aufgebaut werden, was mehr Mut und Entschlossenheit in der Gruppe möglich macht. Das bedeutet, dass v.a. die Vor-, aber auch die Nachbereitungsphase für das Gelingen von Pink & Silver sehr wichtig ist. Es können Absprachen getroffen werden über eigene Grenzen und Fähigkeiten und über eine Aufstellung des Blocks (welcheR geht in der ersten Reihe, welcheR lieber weiter hinten), über die Strategie, die verfolgt werden soll. Das Vorgehen kann geplant und eventuelle Situationen vorbesprochen werden. Außerdem spielen Überlegungen zu Sicherheit und Schutz eine Rolle.

Die TeilnehmerInnen organisieren sich für Aktionen in kleinen Bezugsgruppen, die an ein Deligiertentreffen rückgekoppelt sind, um schnellere Entscheidungen z.B. in brenzligen Situationen möglich zu machen. EinzelkämpferInnen sind nicht erwünscht – ›keine Machos, keine Helden, keine Märtyrer‹ ist grundlegendes Motto von Pink & Silver.

Durch die erwähnten flexiblen Strukturen und eine erst mal schwer einschätzbare Ausdrucksform, die zugleich spielerisch und konfrontativ, laut, schnell, lustig, kraftvoll und irritierend ist, wird eine grosse Handlungsfähigkeit erhofft bzw. erreicht.

»Ausserdem sind wir durch unsere Flexibilität und Ausdrucksform relativ uneinschätzbar für die Gegenseite. Das Feindbild stimmt nicht mehr und das macht einiges möglich.« (PINK PANIC:4)

Ein weiterer Aspekt bei Pink & Silver ist das »Spiel mit den Geschlechterrollen«. Dieses wird zum einen in der (Ver-)Kleidung gesehen – Männer in rosa Kleidern und Röcken, geschlechtsneutrale Overalls, Puschel und Glitter – zum Anderen im Auftreten, Frivolität als befreiendes Moment und Konfrontation ohne Mackermilitanz. Gewollt ist also ein ›Angriff‹ auf die heterosexistische Kleider- und Benimmordnung sowohl nach innen, also innerhalb der Gruppe, als auch nach ausßn als Wirkung auf die Nicht-Beteiligten.


Tute Bianche im Vergleich zu Pink & Silver

Das Konzept der Tute Bianche stammt aus den sozialen Zentren in Norditalien. Geschichtlich werden die Wurzeln in der italienischen Autonomia-Bewegung der 70er Jahre gesehen. Im Unterschied zu Pink & Silver, welches erst einmal ausschließlich als Aktionsform zu betrachten ist, ist mit den Tute Bianche eine soziale Bewegung mit konkreten Inhalten und Zielen verbunden, die organisiert ist und zu politischen Themen, wie z.B. Globalisierung, Existenzgeld oder Abschiebungen, kontinuierlich arbeitet und Kampagnen und Basisarbeit macht. Die Aktionsform entstand, um diese Inhalte mit einem neuen Konzept auf die Straße zu tragen.

Wir betrachten die Idee der Tute Bianche in diesem Referat eher mit einem speziellen Blick auf diese Aktionsform, um diese in Vergleich zum Konzept von Pink & Silver zu setzen. Die Tute Bianche nennen ihr Konzept »defensiv-offensiv«(Azzelini 2001: 27) und bezeichnen ihre Aktionen als zivilen Ungehorsam. Im Unterschied zum traditionellen zivilen Ungehorsam nehmen sie aber für sich das Recht auf Selbstschutz in Anspruch, d.h. ihr Auftreten erfolgt in gepolsterten Overalls, mit Helmen, Arm- und Schienbeinschützern, Handschuhen, Gasmasken und Schutzbrillen. Ziel dieser Ausrüstung ist es, »Angst zu lindern, die physischen Schäden zu lindern und die Gruppe kompakt zu halten« (Luca Casarini (Sprecher der Tute Bianche) zitiert aus Azzelini 2001:ebd.) Während bei Pink & Silver je nach immer neuer Gruppenkonstellation über Selbstschutz und Eskalationsstufen diskutiert wird, entsteht bei den Tute Bianche der Eindruck, das viele Dinge hier grundsätzlicher geklärt sind. So fallen die Tute Bianche durch ihr ›militärisches‹ Auftreten auf, wenn sie sich in stark nach außen gesicherten Blöcken und in schwerer Schutzbekleidung durch die Straßen bewegen. Wenn auch bei Pink & Silver Selbstschutz in Form von einheitlicher Kleidung oder auch durch leichte Schutzausrüstung, wie z.B. Ellenbogenschützer oder Tauchbrillen Thema ist, so liegt doch ein wichtiges Moment darin, beweglich zu bleiben und lustig auszusehen.

Ähnlich wie Pink & Silver- Gruppen bereiten sich die Tute Bianche intensiv durch gemeinsame Trainings auf ihre Aktionen vor. Beiden Konzepten ist gemeinsam, dass ohne eine ausreichende gemeinsame Vorbereitungsphase die geplanten Aktionen nicht durchführbar sind. Gemeinsam ist auch der Anspruch, ein offenes Konzept zu haben, an dem sich möglichst viele beteiligen können. Beide Konzepte benutzen hierfür ähnliche Kommunikationsstrukturen wie Kleingruppen und Deligiertentreffen, in denen alle Beteiligten über das gemeinsame Vorgehen entscheiden. Das Ziel, Protest wieder für viele Menschen attraktiv zu machen und Interessierte einzubinden, wird sowohl von Pink & Silver als auch von den Tute Bianche formuliert. Auch lassen sich thematische Überschneidungen feststellen. Schwerpunkte liegen hier bei den Themen Antirassismus und Kritik an neoliberaler Politik. Für beide Aktionsformen spielt der Körper eine wesentliche Rolle, während bei Pink & Silver eher das Spiel mit den Geschlechterzuschreibungen, das Tanzen und Bewegen im Vordergrund steht, benutzen die Tute Bianche ihren Körper zum einen als Waffe, zum anderen sehen sie die Notwendigkeit für aufwendige Schutzmaßnahmen, um »das wertvolle Gut Körper« (Casarini, a.a.O.) zu schützen.

Ein großer Unterschied zwischen den beiden Aktionsformen ist, dass die Tute Bianche ihre Aktionen im Vorfeld ankündigen und öffentlich machen, um Transparenz zu erreichen und breite Beteiligung zu ermöglichen. Viele Pink& Silver-Aktionen hingegen lebten bisher zu einem nicht unerheblichen Teil von einem Überraschungseffekt als neue, unbekannte Aktionsform.


 

 

Strategien von Tute Bianche und Pink & Silver weiter / zurück
 

Sowohl Tute Bianche als auch Pink & Silver sind schwer in gängige linke Aktionsrepertoires einzuordnen. Machen sie ›Direkte Aktionen‹ oder beteiligen sie sich als Block an Demonstrationen?

Pink & Silver kann sowohl als Pink Bloc Teil von Demos sein, kann aber auch eine eigenständige,›direkte‹ Aktionsform sein, wenn z.B. mit Tanz und Gesang (Radical Cheerleading) eine Veranstaltung so massiv gestört wird, dass sie abgebrochen werden muss. Eine andere Möglichkeit Pink & Silver als ›direkte Aktion‹ anzuwenden, ist der Einsatz von tactical frivolity, wie etwa in Prag, um Absperrungen zu durchbrechen. Dabei wird zum einen versucht, durch Verkleidung und Auftreten nicht dem Stereotyp der StörerIn zu entsprechen, was bei PassantInnen Sympathien und Interesse wecken und gegenüber der Polizei Irritationen auslösen soll. Zum anderen macht sich die Aktionsform ihre eigene Beweglichkeit zu Nutze, indem Polizeiabsperrungen ›durchtanzt‹ werden.
Die Tute Bianche betten ihre Aktionen, die sie als zivilen Ungehorsam bezeichnen, in Demonstrationen ein, deren vorgegebenen Rahmen sie dabei bewusst, massenhaft und unter Einsatz ihrer Körper überschreiten. Erklärtes Ziel der Tute Bianche ist die Zuspitzung von Protest, um

»(...) die Idee, daß es Konflikte gibt und immer Konflikte geben wird, in die Zivilgesellschaft zu tragen.[...] So ist eines der Dinge, die wir entwickelt haben, das Konzept des zivilen Ungehorsams – Leute zusammenzubringen und die Idee des Konfliktes aufzuwerfen, aber gleichzeitig auch zu versuchen, einen bestimmten Grad an Konsens zu erreichen« (Casarini 2001:2).

Beide Aktionsformen verwenden eine starke Symbolik, um ihre Inhalte zu transportieren und auf sich aufmerksam zu machen. Im folgenden werden wir uns näher mit dieser beschäftigen.


Symbolik

Der Einsatz von Symbolik spielte in sozialen Bewegungen immer eine bedeutende Rolle. Zeichen und Symbole sind während einer Protestaktion wichtiges Medium zur Vermittlung der eigenen Anliegen, die verbal nur in verkürzter Form artikuliert werden können.
Existierten in der ArbeiterInnenbewegung noch relativ wenige, universelle Zeichen, die bei Demonstrationen und Aktionen mitgeführt wurden (z.B. die rote Fahne), kam es mit dem Erscheinen der neuen sozialen Bewegungen seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer Vervielfachung solcher Bewegungssymbole.
Peacezeichen, Frauensymbol oder die lachende Sonne mit geballter Faust, das Symbol der Anti-AKW-Bewegung, erlangten innerhalb weniger Jahre einen enormen Bekanntheitsgrad, auch über die Szene hinaus.
Protestaktionen sind aber auch immer Inszenierungen von Opposition bzw. gesellschaftlicher Gegenmacht. Insofern beschränkt sich die symbolische Expressivität von Protest nicht allein auf äußerliche Zeichen. Vielmehr geht es auch darum, durch die Selbstinszenierung der AkteurInnen als Protestierende zu überzeugen oder zu bedrohen.
Diese Selbstdarstellung stellt sich häufig als Gegenbild zum zu bekämpfenden Übel dar. Widerstand wird oft als bunt und lebendig betitelt, im Gegensatz zu den lebensfeindlichen gesellschaftlichen Zuständen. Die Inszenierung von Gegenmacht kann aber auch die Form einer Inszenierung von Bedrohung annehmen, wie z.B. bei militanten Aktionen.


... bei Pink & Silver und Tute Bianche

Die Proteste der globalisierungskritischen Bewegung wurde durch die eindrucksvolle Darstellung von Gegenmacht, wie sie in Seattle 1998 stattgefunden hatte, für die Öffentlichkeit sichtbar. Spätestens seit Genua steht der sogenannte black bloc in den Medien als Symbol der Bedrohung, die die antikapitalistische Protestbewegung darstellt. Der schwarze Block, der dabei selbst weniger aus Überlegungen der (bewussten) Inszenierung als aus der Notwendigkeit des Selbstschutzes vor staatlicher Repression entstanden war, gibt mittlerweile das perfekte Stereotyp des Straßenkämpfers ab. Um Bedrohung darzustellen durchaus geeignet, jedoch haeufig mit dem Nebeneffekt, dass den Inhalten des Protestes keinerlei Beachtung (mehr) geschenkt wird.

Pink & Silver und Tute Bianche versuchen im Gegensatz dazu eine neue Inszenierung von Gegenmacht zu entwickeln. Dabei grenzen sie sich vom ›schwarzen Block‹, im Gegensatz zu anderen Gruppierungen der globalisierungskritischen Bewegung nicht wegen dessen militantem Vorgehen ab. Eher setzen sie an den Grenzen der Inszenierungsform ›black bloc‹ an und versuchen neue Formen zu finden, wie einerseits Inhalte dargestellt aber auch effektive Gegenmacht inszeniert werden können.

»Wir möchten nach außen und innen ein wilderes und lebendigeres Bild abgeben, als eine Latschdemo an Langeweile und Unentschlossenheit, und ein schwarzer Block an Dumpfheit, männlichem Großkotz oder lediglich vorgespiegelter Entschlossenheit so maches Mal vermittel« (PINK PANIC:3)

Beide Protestformen arbeiten dabei mit einer Symbolik, die bei der Selbstdarstellung der AkteurInnen ansetzt. Medium der Inszenierung ist dabei der Körper selbst.


Pink & Silver

»You’re taking something that is not exactly a feminist thing, and you’re making it into something so powerful and feminist and nonhierarchical«

Die Subversion der Pink & Silver-Symbolik besteht darin, dass die Protestierenden ein auf eine bestimmte Art (hier cheerleading: nette Mittelklassemädchen, harmlos, süß, sexy ...) besetztes Zeichen verwenden und damit etwas anderes, radikales ausdrücken.
Bei Pink & Silver wird dieser Effekt dadurch erzeugt, daß rosa Keidchen gewöhnlicherweise nicht für Radikalität, sondern für Bravheit, stehen. So auch die Erfahrung einer/es Pink & Silver Aktivistin/en:

»Viele sahen sich in ihren Geschlechterrollen in neue Dimensionen geworfen, sei es durch die ›weiblich‹ besetzte Farbe rosa, durch Kleider und Röcke oder geschlechtsneutrale Overalls, oder durch den Versuch, einen sensiblen, kollektiven Umgang miteinander zu praktizieren.« (PINK PANIC: 4)

Die Farbe Pink lässt aber auch Assoziationen zu schwul-lesbischen Inhalten zu. Außerdem steht Pink & Silver für Glamour und Kitsch – auch im Kontrast zum schwarzen StraßenkämpferInnenoutfit. Es geht also auch darum, kämpferische Militanz auf eine neue, ungewohnte Art zu verkörpern.


Tute Bianche

Die Symbolik der Tute Bianche basiert ebenfalls auf einer Idee von Subversion durch ›Zweckentfremdung‹ (hier: der Subjekte selber), jedoch weniger an der sichtbaren Oberfläche (die Symbolik wird erst durch die theoretische Vermittlung verständlich) als durch die Inszenierung des Konflikts durch eine Gruppe von Menschen, die sich selbst als »kämpferische Heterogenität« (ebd.) versteht.

Die weißen Overalls der Tute Bianche sind einerseits Schutzkleidung der Protestierenden, andererseits Symbol für die ›weißen Flecken‹ der Gesellschaft, die Menschen die ohne Papiere, ohne festes Einkommen, ohne Dach über dem Kopf leben müssen. Andererseits soll die Farbe

»Weiß, verstanden als Summe aller Farben, [...] als Darstellungsform für die Vielfältigkeit der verschiedenen Subjekte dienen, die sich gemeinsam gegen die kapitalistische Herrschaft auflehnen und sich innerhalb des Konfliktes als eine einzige Multitude wieder erkennt« (Cassurino in Azzelini 2001a: 32)


Taktik

Zuletzt möchten wir noch auf die taktischen Überlegungen, die hinter den Aktionsformen stehen, zu sprechen kommen. Besonders stark ausgeprägt ist dies bei Pink & Silver, einer Aktionsform die sehr stark auf einer gewissen Strategie basiert, die in solcher Form bei den Tute Bianche nicht zu finden ist. Eher ist die Protestweise der Tute Bianche strategisch anti-taktisch, indem z.B. konfrontative Aktionen im Vorfeld angekündigt werden. So ist die Vermittlung dann gleichzeitig bereits Teil der Aktion und kaum davon losgelöst zu sehen.

»Wir sagen öffenlich, was wir vorhaben und weisen immer darauf hin, dass wir uns schützen. Das war die Regel, denn es war für uns grundlegend, Konflikt und Zustimmung zu erzeugen bezüglich der Ziele, die wir uns steckten« (Casarini, zitiert aus Azzelini 2001b: 27).

Auf der Straße selbst setzt die Aktionsform auf Masse, Arbeitsteilung und eine perfekte Planung, sowie den Einsatz passiver Bewaffnung. Dabei erscheinen die Tute Bianche beinahe militärisch, wobei diese Praxis Ausdruck der Radikalität gesellschaftlicher Konflikte und nicht Kriegssimulation sein soll. (vgl.ebd.)
Im Gegensatz zu Pink & Silver, geht es den Tute Bianche zu keiner Zeit darum, von ihren eigentlichen Zielen ›abzulenken‹ und mit sich durch Verwirrung und Irritation strategische Vorteile zu verschaffen. Die Tute Bianche versuchen ihr Vorgehen gut strukturiert, geplant und geordnet zu gestalten, um möglichst vielen Menschen die Beteiligung an der Aktion trotz deren konfrontativen Charakters zu ermöglichen.
Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit ist für die AktivistInnen der Tute Bianche zentral. Das Veröffentlichen ihrer Absichten im Vorfeld von Aktionen soll einerseits die politische Debatte anstoßen, andererseits aber auch Interessierten eine Beteiligung an der geplanten Aktion ermöglichen. So wenden sie sich, wie etwa im Vorfeld des G8- Gipfels in Genua im Sommer 2001 mit Kommuniqués an die Bevölkerung oder führen, in Anlehnung an die Zapatisten, Umfragen durch, um ihre Protestaktionen vorzubereiten.
Die Symbolik, die die Tute Bianche verwenden ist theoretisch abgeleitet und ergibt sich weniger aus Bezügen, was die Vermittlung der Inhalte außerhalb der Aktionen selbst zum wichtigen Bestandteil des Protests werden lässt.

Durch das kostümierte, karnevaleske Auftreten von Pink & Silver wecken Protestierende zunächst Interesse, die Inszenierung von Bedrohung wird dabei ausdrücklich vermieden. Das heißt aber nicht, dass Pink & Silver nicht auch konfrontativ werden kann. Im Gegenteil soll die Verkleidung gerade auch für die Konfrontation Schutz bieten – einerseits dadurch, dass die AkteurInnen zunächst ›harmlos‹ erscheinen und die Sicherheitskräfte ihre Bedrohlichkeit leicht unterschätzen bzw. weniger hart gegen Menschen vorgehen, die ihrem stereotypen Feindbild nicht entsprechen. Andererseits, da in eine phantasievolle Kleidung leichter vor Schlägen schützende Polsterungen integriert werden können, die nicht als Vermummung oder ›passive Bewaffnung‹ erkenntlich sind.
Im Gegensatz zu anderen Demonstrationsarten verschafft sich Pink & Silver dadurch einen Vorteil, dass die AkteurInnen ständig in Bewegung sind. In Anlehnung an ›radical cheerleading‹ wird der Protest singend und tanzend vorgetragen. Dadurch bekommen Pink & Silver-Aktionen eine Dynamik, die sie wiederum schwer einschätzbar für die Sicherheitskräfte macht (bei einem Innenstadtaktionstag im Rahmen des Grenzcamps 2001 in Frankfurt wurde Pink & Silver von der Polizei dazu aufgefordert, doch endlich mal ordentlich zu demonstrieren). Für die Protestierenden selbst ist es ein gewaltiger Vorteil sozusagen ständig ›in action‹ zu sein. Viele berichten, dass sie dadurch weniger ängstlich und wesentlich entschlossener als gewöhnlich agieren könnten. Bei Pink & Silver fallen gewissermaßen Taktik und symbolische Expressivität ineinander. Die Inszenierung des Protests funktioniert nach außen, für das Publikum, die Medien, die Polizei, aber auch nach innen, für die AkteurInnen selbst.



 

Outro. weiter / zurück
 

Die von uns vorgestellten Aktionsformen, Tute Bianche und Pink & Silver haben trotz ihrer Unterschiedlichkeit sicherlich gemeinsam, daß sie wieder Bewegung in eingefahrene Aktionsrituale sozialer Bewegungen gebracht haben. Sie wurden zu Hoffnungsträgerinnen einer neuen Radikalität.

In Genua ist die bis dato beeindruckend erfolgreiche Inszenierung von Gegenmacht der Tute Bianche angesichts des Ausmaßes der staatlichen Repression gescheitert. Wie geht es von dort aus weiter? Nicht hoch genug schätzen kann man unserer Meinung nach, dass mit Pink & Silver erstmals in ›gemischten‹ Zusammenhängen eine Aktionsform auftritt, die die heterosexistische Strukturen der Gesellschaft in ihrer Aktionsform thematisieren will. Trotzdem muß kritisch gefragt werden, in wie weit es tatsächlich subversiv ist, wenn es für den linken Mann in Aktion nun ›hip‹ wird, auch mal (rosa) Rock zu tragen, während ansonsten strukturelle Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts oder eben eine geschlechtssensible Analyse der sogenannten Globalisierung in der Linken nahezu kein Thema sind, geschweige denn an den materiellen Grundlagen und Folgen gekratzt wird.

Ist Pink & Silver Indiz für einen Bewusstseinswandel oder führt die Aktionsform dazu, daß die Linke (bzw. der Linke) sich trotz aller theoretischen und praktischen Defizite einen feministischen Anstrich geben kann? Lässt sich tatsächlich ein Bewusstsein für Geschlechterverhältnisse und Ungleichheiten wecken oder bleibt es beim oberflächlichen Selbsterfahrungstrip? Beim letztjährigen Grenzcamp war es tatsächlich so, dass überdurchschnittlich viele Frauen bei Pink & Silver mitgemacht haben, auch weil sie sagten, sie fühlten sich dabei besser als bei anderen Aktionsformen. Wie kann es aber gelingen »Alternativen zu praktizieren, die wir nicht nur für P&S, sondern viel breiter in unserer politischen Praxis verändern wollen«? (PINK PANIC: 3)

 

 

Literatur weiter / zurück

 

AZZELINI, Dario, 2001a, Die Tute Bianche. Interview mit Chiara Cassurino und Federico Martelloni. In: Kapitalismus & Protest. Ed.: Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung. S. 31-35.

AZZELINI, Dario, 2001b, Von den Tute Bianche zu den Ungehorsamen. In: ARRANCA! Nr.23, Winter 2001/02, S. 27-30.

BALISTIER, Thomas, 1996,Straßenprotest. Formen oppositioneller Politik in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1979 und 1989. Münster.

CASARINI, Luca; CALLINICOS, Alex, 2001, Wie begegnet die antikapitalistische Bewegung den Herausforderungen des Krieges und staatlicher Repression? In: Sozialistische Positionen: www.sopos.org; 15.05.2002

DIEFENBACH, Katja; GEENE, Stephan, 2001, Das Versprechen des Politischen. In: ARRANCA! Nr. 23, Winter 2001/02, S.41,43,45,47.
www.geocities.com/radcalcheerleaders/about

www.menvafan.nat/annat/radical

PINK PANIC, eine Pink & Silver– Nachbereitung zum Grenzcamp vom 27. Juli bis 5. August 2001 in Frankfurt/ Main.
www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/grenzcamp/pinksilver

PÜHL, Katharina; WAGENKNECHT, Nancy, 2001, Wir stellen uns queer. In: Jungle World 15/ 2001.

QUAESTIO, 2000, Sexuelle Politiken und geselllschaftliche Teilhabe. In: ders./ Berger, N.J. et al. (Hg.), Queering Demokratie. Sexuelle Politiken. Berlin. S. 9-27.

 
     
Protestbewegungen im globalen Kapitalismus.
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