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»Aber die Herrschaft über das Bestehende beruht letztlich
auf der Anerkennung der Beherrschten.« (Hawel 2001:1)
Das Wort Hegemonie ist griechischen Ursprungs und bedeutet
»Führung«. Im Gegensatz zur Vorherrschaft, bzw. dem Kampf
darum, in historischen Zusammenhängen, wird der Begriff heute synonym
für Dominanz, Herrschaft, Macht und Führung verwendet und gründet
auf der Anerkennung der politischen (ideologischen), militärischen,
wirtschaftlichen und/oder kulturellen Überlegenheit eines Staates
seitens anderer (vgl. Herder 1995, sowie Borg 2001a).
Hegemonie beschreibt heute nicht zwingend eine gewaltförmige Herrschaft,
sondern eine Vormachtstellung, die auch ohne institutionelle oder rechtliche
Regelungen durch die Anerkennung der anderen gesichert ist und teilweise
weniger auf innerer Integration als auf Abgrenzung nach außen basiert
(Hillmann 1994: 326). Dieses Phänomen untersuchte auch Antonio Gramsci
in seinen Ausführungen.
Zum Hegemoniebegriff bei Gramsci
Antonio Gramsci(2) beschrieb mit dem
Hegemoniebegriff analog zu den bisherigen Ausführungen eine Form
der politischen, geistigen und kulturellen Führung. Er verband die
Anerkennung der hegemonialen Strukturen mit dem ›aktiven
Konsens der Regierten‹: Die Hegemonialmacht verfolgt dabei
die eigenen Interessen in der Art, dass die Beherrschten die Interessen
übernehmen, sie als ihre eigenen Interessen ansehen oder zumindest
den Vorrang der Interessen anerkennen (vgl. Brand et al 2000:52). Die
Erweiterung des Begriffes bezieht demzufolge den Prozess von Auseinandersetzungen
und Konsensfindung um Hegemonie mit ein, die gesellschaftlichen
Konflikte, aus denen Hegemonie »entsteht, sich dynamisch reproduziert
und transformiert« (Borg 2001b: 76). Gegenüber einem prozesshaften,
diskursiven und dadurch positiv scheinenden Bild von Hegemonie betont
Borg jedoch, dass der Konsens auch auf stummer Akzeptanz beruhen kann,
weiterhin kann Hegemonie als Modus von Herrschaft weiterhin potentiell
gewaltsame Dominanz umfassen (vgl. 2001b: 74, sowie 2001a).
Der erweiterte Hegemoniebegriff Gramscis dehnt den Raum, in dem dieser
Prozess stattfindet, über den politischen Bereich hinaus aus. Im
Folgenden wird deshalb die Zivilgesellschaft als Ort dieser Auseinandersetzungen
genauer vorgestellt.
Hegemonie und Gegen-Hegemonie: Die
Zivilgesellschaft als Ort der Auseinandersetzung
Der Begriff der Zivilgesellschaft ist unterschiedlich besetzt:
So bezieht er sich bei Marx auf eine spezifische Sphäre im Ganzen
der Gesellschaftsformation; bei Hegel dagegen umfasst Zivilgesellschaft
(im Gegensatz zum Staat) die Gesamtheit privater Lebensformen inklusive
der Ökonomie (vgl. Sablowski 1994: 153). Im Rahmen dieser Arbeit
ist sie in der Gesamtheit aller sozialen Beziehungen und Strukturen zu
verorten. Weiterhin werde ich Demirovic in der Tradition Gramscis folgen,
wonach der Bereich der Zivilgesellschaft »die Einheit eines Widerspruchs
darstellt und in ihr hegemoniale und gegen-hegemoniale Akteure
aktiv sind« (2001: 150).
Die Zivilgesellschaft ist eine heterogene Gruppe, deren unterschiedliche
Strömungen miteinander soziale Konflikte austragen. Die Vorherrschaft
in den sozialen Auseinandersetzungen und die Beherrschung eines hegemonialen
Gefüges kann damit auf die Fähigkeit zur Etablierung »kollektiver
Vorstellungen von sozialer Ordnung« zurückgeführt werden
(Cox, zit. in Borg 2001a). Auseinandersetzungen um Hegemonie werden auf
unterschiedlichen Ebenen geführt. Ökonomie, Politik und Ideologie
bilden drei Ebenen, die allerdings nicht autonom zu verstehen sind: Vielmehr
sind Politik und Ideologie konstitutiv für die Ökonomie. Auf
allen drei Ebenen finden Auseinandersetzungen um Hegemonie statt, die
sich zusätzlich gegenseitig beeinflussen. Hegemonie ist damit gleichzeitig
Modus und Ergebnis sozialer Auseinandersetzungen (vgl.
Sablowski 1994: 148, 152) und kann als Kompromiss, bzw. Vielzahl von Kompromissen
beschrieben werden, der die »Bandbreite als legitim anerkannter
individueller und kollektiver Identitäten und Interessen« umfasst
(Borg 2001b: 75).
Hegemonie wird zunehmend auch in internationalen Zusammenhängen thematisiert,
z.B. bezeichnet Cox Welthegemonie als »in ihren
Anfängen eine nach außen gerichtete Expansion einer internen
(nationalen), durch eine dominante soziale Klasse geschaffene Hegemonie«
(1993: 61, zit. in Borg 2001a), betont jedoch gleichzeitig, dass für
gegenhegemoniale Strömungen nur auf nationalstaatlicher Ebene eine
Artikulation möglich ist. Gill dagegen hält eine Entkoppelung
für möglich und kritisiert den zu starken Bezug auf den Nationalstaat
(vgl. Borg 2001b: 99, 133).(3) Borg
unterstützt dies, wenn er (in Anlehnung an die von ihm zitierten
Plehwe/Walpen) eigene internationale Institutionen der gegen-hegemonialen
Strömungen fordert (ebd.). Es bleibt an dieser Stelle zu hinterfragen,
ob ein »Gleichziehen« in der Institutionalisierung von Gegenhegemonie
wirklich eine Veränderung hegemonialer Strukturen erwirken kann,
oder ob ein solches Handelns nicht bestehende Strukturen stärkt durch
die Anerkennung der zugrunde liegenden Prinzipien.
Nach den bisherigen Ausführungen über Auseinandersetzungen um
Hegemonie in der Zivilgesellschaft stellt sich die Frage, welche Funktion
und Rolle der Staat in der Hegemonietheorie und in den Auseinandersetzungen
übernimmt.
Die Rolle des Staates und die Transformation
von Staatlichkeit
In den Auseinandersetzungen um Hegemonie besitzt der Staat
keine eigene Macht, sondern stellt eine besondere Form gesellschaftlicher
Macht, bzw. ein gesellschaftliches Verhältnis dar: Der Staat ist
ein strategisches Feld, innerhalb dessen Demokratie als
unfeste Form besteht und verhandelt wird, ein Feld der Transformation
der bürgerlichen Gesellschaft (vgl. Demirovic 2001: 155f).
Die Abhängigkeit des Staates von den Auseinandersetzungen um Hegemonie
in der Zivilgesellschaft steht im Gegensatz zu der Auffassung, wonach
der Staat hegemoniale Strukturen selbst erzeugt. Durch diese Sichtweise
verlieren Strukturen (und damit auch politische Systeme von Staaten) ihre
Funktion als Grundlage, sie werden zur abhängigen Größe,
ein Ergebnis sozialer Auseinandersetzungen und eine »abgeleitete
Ebene der Darstellung« (Sablowski 1994: 137). Staaten sind somit
als »zentraler Vermittlungspunkt hegemonialer Strategien«
(Borg 2001b: 77) zu sehen, staatliche Steuerung ist abhängig
von sozialen Auseinandersetzungen. Damit verbunden ist ein Kompetenz-
und Souveränitätsverlust von Staaten durch ökonomische
Entwicklungen, die Borg an der strategischen Macht der Transnationalen
Konzerne, an der Integration regionaler und nationaler Märkte in
den Weltmarkt und an der Globalisierung und tendenziellen Verselbständigung
der Finanzmärkte festmacht (2001: 16). Brand et al. weisen in diesem
Zusammenhang darauf hin, dass die Veränderungen durch den politisch
vorangetriebenen Abbau von Steuerungsfähigkeit begünstigt wurden
(vgl. Brand et al. 2000:74), während Hirsch und Görg betonen,
dass die Souveränität der Nationalstaaten immer durch gesellschaftliche
und ökonomische Einflüsse eingeschränkt war (vgl. 1998:
323).(4)
Die Diskussionen um das Verhältnis von Politik, Gesellschaft und
Ökonomie zeigen eine Schwachstelle in ihrer Bezugsebene: In der Regel
beziehen sie sich auf den Nationalstaat, obwohl der Nationalstaat als
Konstrukt gleichzeitig in Frage gestellt wird, da die territoriale Übereinstimmung
von politischem System, gesellschaftlich-kulturellem Raum und ökonomischem
System sich auflöst. So bezieht sich Demirovic auf den Nationalstaat,
kritisiert selbigen jedoch als überholte Hülle (2001: 160).
Borg dagegen kritisiert, dass die Analyse sozialer Auseinandersetzungen
um Hegemonie nationalstaatlich ausgerichtet wird, bzw. auf die Auseinandersetzung
zwischen Nationalstaaten, und stellt die Ansätze der International
Political Economy dagegen, die inter- bzw. transnationale Hegemonie als
genuin weltgesellschaftliche Problematik betrachten. Gleichzeitig sieht
er aber auch in Nationalstaaten den einzigen adäquaten Handlungsrahmen
zur Entwicklung eines neuen, »gegenhegemonialen historischen Blocks«
(vgl. 2001b: 96ff, sowie 2001a).
Bewertung des Hegemoniebegriffs
Hegemonie bezeichnet in der hier vorgestellten Begrifflichkeit
sowohl Machtverhältnisse zwischen (Vor-) Herrschenden und Beherrschten
als auch soziale Auseinandersetzungen, die zwischen den hegemonialen und
gegen-hegemonialen Akteuren in der Zivilgesellschaft ausgetragen werden.
Die Auseinandersetzungen stellen eine Erweiterung des traditionellen Begriffs
dar, die statischen Machtstrukturen werden um die prozesshafte Austragung
um diese Strukturen und die Übernahme der Führung des Prozesses
ergänzt. Dies alles lässt darauf schließen, dass zu jedem
hegemonialen Verhältnis gegen-hegemoniale Strömungen gehören,
die sich jedoch hinsichtlich ihrer Stärke, Intensität und dem
Grad der Abweichung von der »Haupt-Hegemonie« unterscheiden.
Kritisch ist das Fehlen einer deutlichen Abgrenzung der (neo-/gramscianischen
bzw. herkömmlichen) Begrifflichkeiten zu betrachten, sowie die vielfältige
und uneinheitliche Verwendung.(5) Zur
Verdeutlichung werden im Folgenden unterschiedliche Dimensionen vorgestellt,
die bereits im Kontext dieser Arbeit genannt wurden:
Dimensionen von Hegemonie
- Gesellschaftliche Ebene: Eine Hegemonie der Zivilgesellschaft
und eines gemeinsam geteilten Welthorizontes, sowie die Gewinnung gesellschaftlicher
Hegemonie beziehen sich auf die Gesellschaft und ihre ideologischen Ansätze,
beinhalten aber auch soziale Gegensätze und Interessenunterschiede
(vgl. Demirovic 2001: 165).
- Politische Ebene: Angelehnt an die traditionelle Bedeutung
von Hegemonie kann sie die Vorherrschaft eines (National-)Staates
bezeichnen. Übergeordnet dazu kann die Hegemonie eines Bündnisses
oder einer internationalen Organisation stehen.
Eine Hegemonie einer politischen Ordnung legt z.B. bestimmte
demokratische Grundlagen fest, umfasst aber auch widersprüchliche
Auseinandersetzungen oder Global Governance als neues Muster der Hegemonie
(Demirovic 2001: 162). Gleichzeitig wird Hegemonie als Charakteristikum
herangezogen für die »posthegemoniale Weltordnung zwischen
Staaten« (Gill, zit. in Borg 2001a).
- Ökonomische Ebene: Die Hegemonie der Ökonomie
wird am häufigsten genannt: Die Hegemonie der Marktgesellschaft nach
Ende des Zerfalls des staatssozialistischen Gegenzentrums (Bornschier
1999:1), die Hegemonie des Kapitals innerhalb der Wirtschaft (Gill, zit.
in Borg 2001a) und die hegemoniale Rolle des Geldkapitals gegenüber
anderen Kapitalformen (vgl. Borg 2001a), die Hegemonie des Neoliberalismus
(Brand et al 2000: 89) und hegemoniale ökonomischen Doktrinen (ob
neoliberal oder keynesianistisch, Bornschier 1999:2) oder der Neoliberalismus
als politisches Projekt hegemonialer Blöcke (Brand et al 2000: 138).
In jedem Fall ist die Hegemonie der Ökonomie im Gegensatz zu Gesellschaft,
Politik und Soziales zu sehen.
- Parallel dazu finden sich verschiedene Wortverbindungen zu Hegemonie
wie die der hegemonialen Einflusssphäre (Demirovic 2001: 66).
Anhand dieser Facetten zeigt sich, dass bei der Verwendung des Begriffes
Hegemonie genau nach den unterschiedlichen Bezügen differenziert
werden muss. Neben den Bezügen auf Ökonomie, Politik und Gesellschaft
finden sich in dieser Aufzählung auch Verbindungen zur (Zivil-)Gesellschaft
sowie Hinweise auf eine Erweiterung des Begriffes über die nationalstaatliche
Grundlage hinaus.
Die bisherigen Ausführung bezeugen die Dringlichkeit einer Analyse
der Auseinandersetzungen um Hegemonie gerade auch hinsichtlich der Bedeutung
von Hegemonie auf internationaler Ebene. Dabei sind folgende Fragen von
Interesse:
- Welche hegemonialen Strukturen sind stabil? Wo gibt es
Umbrüche?
- Welche hegemonialen und gegen-hegemonialen Akteure (gesellschaftlich,
politisch, ökonomisch) führen mit welchen Mitteln die Auseinandersetzungen
um Hegemonie? Welche Bündnisse gibt es?
- Wie ist das Zusammenspiel von Auseinandersetzungen um Hegemonie auf
nationaler und internationaler Ebene?
Auf die letzte Frage soll im nächsten Kapitel genauer
eingegangen werden.
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»Jeder, der denkt, daß
die Globalisierung unterbrochen werden könnte, sollten uns sagen,
wie er den ökonomischen und technologischen Fortschritt aufhalten
will. Das wäre, als versuche man, die Rotation der Erde zu stoppen.«
(Renato Ruggiero in seiner Zeit als Chef der Welthandelnsorganisation)
»Hegemonie hängt [...] von der Normalisierung
der Idee ab, es gebe keine Alternativen.« (Anna Marie Smith, zit.
in Borg 2001b: 74)
Es scheint, dass der Begriff der Hegemonie auf internationaler
Ebene ähnlich dem der Globalisierung vor allem im Zusammenhang mit
Entwicklungen im ökonomischen Bereich diskutiert wird – ebenfalls
parallel läuft der Fatalismus, der damit häufig einhergeht.
Die Hegemonietheorie bietet jedoch vielfältige Ansätze, um Auseinandersetzungen
um Vorherrschaft auch in internationalen Beziehungen zu analysieren, besonders
hinsichtlich des Zusammenspiels von Gesellschaft, Politik und Ökonomie.
Im Gegensatz zur Hegemonie als faktischer Vormachtstellung bezeichnet
Demokratie einen gesellschaftlich-politischen Ausgleich von Interessen,
der nach Hirsch und Görg vier Dimensionen haben kann (vgl. 1998:
327-331):
- als prozesshafte Auseinandersetzung mit dem Ziel einer »weitestgehenden
Freiheit und Selbstbestimmung aller Menschen« im Dualismus von Staat
von Gesellschaft
- als »Form der dezentralisierenden Machtverteilung« (liberal-pluralistischer
Begriff) unter Aufhebung des Dualismus
- in Form »neuer Modelle einer deliberativen Demokratie« die
»neue gesellschaftliche Akteure und partizipative Formen der Entscheidungsfindung«
einbeziehen und
- als funktionaler Ansatz zur Steigerung der nationalen Wettbewerbsfähigkeit,
wobei »der Staat in der Gesellschaft aufgeht.«(6)
Demokratie und Hegemonie in internationalen Zusammenhängen
Hegemonie und Demokratie sind auf internationaler Ebene in der Regel
fest mit internationalen Organisation und Regimen, jedoch selten mit einem
positiven Bild verbunden: Die UNO – basierend auf
der Vorstellung eines Zusammenschlusses aller Völker und demzufolge
gesellschaftlich-politisch begründet – wird vor allem wegen
der Machtasymmetrie des Systems (Sicherheitsrat, v.a. ständige Mitglieder
mit Vetorecht) und der machtvollen Nutzung des Systems beispielsweise
durch die USA für eigene Zwecke kritisiert und hinsichtlich der Funktion
und dem Nutzen solcher Organisationen diskutiert. Gleichzeitig werden
das positive Potenzial der Arbeit in den Unterorganisationen erkannt und
Ansätze für eine demokratische Reform der UNO entwickelt.(7)
Im Gegensatz dazu hat die NATO als Sicherheitsbündnis
hat vergleichbare demokratische Grundlage, sondern definiert sich über
das Ziel der Sicherheit, und damit über die Definition von Problemen
der Sicherheit, die gleichzeitig die eigene Existenz begründen. Die
NATO kann m.E. deshalb nie ein Beispiel für Demokratie auf internationaler
Ebene sein, vielmehr ist sie ein Beispiel für die Reproduktion hegemonialer
Strukturen durch potentiell gewaltförmige Dominanz. Trotzdem kann
die Nato für den Kontext dieser Arbeit spannend sein als Grundlage
einer Analyse, wessen Interessen wie vertreten werden, welche Rolle einzelne
Länder spielen, welche Alternativen oder Reformen möglich sind
und welche der Ansätze von wem vertreten werden.
Demokratie in internationalen Organisationen wird häufig kritisch
betrachtet, da die Mitbestimmung in der Regel über Legitimationsketten
erfolgt. Brand et al. beschreiben diese Entwicklung wie folgt (2000:74):
»Wenn Demokratie nicht nur als Entscheidungsmodus verstanden wird,
sondern als voraussetzungsvoller sozialer Prozess, dann wirken die supranationalen
politischen Institutionen ent-demokratisierend, denn demokratische Grundbedingungen
wie Transparenz und Kontrolle oder eine funktionierende politische Öffentlichkeit
sind dort bisher so gut wie nicht vorhanden.«
Im Gegensatz dazu ist die EU ist eine Form der Zusammenführung
verschiedener Nationalstaaten, die Teile ihrer Eigenständigkeit aufgeben
und auf internationaler Ebene eine neue Form der Staatlichkeit ausbilden
(vgl. Bornschier 1999: 6). Sie besitzt im Gegensatz zur UNO oder NATO
(direkt-) demokratische Strukturen, auch wenn diese immer wieder als unzureichend
kritisiert werden. Andererseits zeigt sich an der EU auch die Bedeutung
hegemonialer und gegen-hegemonialer Strukturen, die durch Lobbying die
Entwicklungen versuchen zu beeinflussen, nationalistische, abgrenzende
Tendenzen politischer und gesellschaftlicher Art ebenso wie ökonomisches
Lobbying etwa durch den European Round Table.
Der demokratischen Praxis in internationalen Organisationen stehen jedoch
auch Konzepte internationaler Demokratie gegenüber, die versuchen,
die Schwachstellen auszugleichen.
Konzepte internationaler Demokratie
Hirsch und Görg fordern in ihrem Aufsatz »Chancen für
eine ›internationale Demokratie‹?«, dass Demokratie
in internationalen Zusammenhängen neu diskutiert werden muss: Demokratie
als eine politische Bewegung bezieht sich dabei auf die Entwicklung internationaler
Organisationen und Strukturen, internationaler Rechtssysteme und föderativer
politischer Strukturen im globalen Maßstab (vgl. 1998: 337).
Global Governance als Ansatz einer neuen Regierungsform
basiert auf fünf vom Institut für Entwicklung und Frieden benannten
Säulen: Welthandelsordnung, Weltwettbewerbsordnung, Weltwährungs-
und Finanzordnung, Weltsozialordnung und Weltumweltordnung (vgl. Brand
et al 2000:37). In jeder dieser Säulen sind jedoch hegemoniale Strukturen
zu verorten, so dass jede Säule einzeln untersucht und analysiert
werden müsste – ein differenziertes, aber auch diffuses Projekt.(8)
Konkreter äußert sich hier Demirovic, der im Gegenzug ein neues
Modell der Vernetzung nationalstaatlicher Segmente mit Institutionen der
Global Governance entwirft, eine international vernetzte, kooperative
Mehrebenenverwaltung (2001: 163).
Diese Konzepte basieren auf der Existenz nationalstaatlicher Institutionen
und Strukturen. Davon löst sich Zürn, der die Denationalisierung
als Ausgangspunkt nimmt, um sein Projekt des komplexen Weltregierens
zu entwerfen. Er benennt Maßnahmen in drei unterschiedlichen Feldern:
Maßnahmen auf nationalstaatlicher Ebene, Maßnahmen auf internationaler
Ebene und Maßnahmen zur Förderung demokratischer Elemente,
die ebenenübergreifend ausgelegt sind (vgl. 1998, insb. ebd.: 327ff).
Im Hinblick auf die von Görg und Hirsch angeführten Dimensionen
sind die Konzepte internationaler Demokratie schwer einzuordnen: Sie sind
alle mit einem demokratischen Ansatz versehen, jedoch können sie
an alle vier Dimensionen angepasst werden. Weiterhin ist zu beachten,
dass eine Reform demokratischer Strukturen ohne eine Reform der internationalen
Finanz –und Wirtschaftsformen nicht vollziehbar ist.(9)
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Die Regulationstheorie ebenso wie das Konzept
der Hegemonie beschreiben keine Wahrheiten, sondern sind Instrumente zur
Analyse von Strukturen, ihrem Entstehen und ihrer Entwicklung. Regulation
als ökonomisch-stuktureller Ansatz und Hegemonie als (gesellschaftlich-politisch-ökonomischer)
hierarchischer Ansatz beziehen sich auf Systeme stabiler Phasen und Krisen
und können somit auch ergänzend benutzt werden. Durch den Blick
darauf, wie stabile Phasen und Krisen sich bilden, wird die Struktur der
Systeme in Frage gestellt, vom grundlegenden Element in den institutionalistischen
Theorien, dem Explanans, wird sie zum Explanandum, zur »abgeleiteten
Ebene der Darstellung« (vgl. Sablowski 1994: 137): Wie ist sie entstanden,
unter welchen Bedingungen, wodurch ist sie gefährdet,…? Damit
rückt für die Analyse des Hegemoniebegriffs ebenso wie für
die Regulationstheorie der Prozess des Zusammenspiels von Strukturen und
(individuellem) Handeln in den Vordergrund, sowie die Frage der Entstehung,
Reproduktion und Erneuerung von Strukturen behandeln (vgl. Sablowski 1994:
135f).
Zum Zusammenhang von Struktur und
Handeln
Marx hat die Gesellschaft als Produkt des wechselseitigen
Handelns der Menschen gesehen (MEW 4: 548, zit. in Sablowski 1994: 135).
Dadurch, dass alle Menschen daran beteiligt sind, ist sie aber unabhängig
von subjektiven Vorstellungen und Handlungen und somit getrennt vom Handeln,
eine objektive Struktur und System (vgl. Sablowski 1994: 136). Gleichzeitig
kann eine Struktur aber nur entstehen, wenn das Handeln der einzelnen
Individuen eine gewisse systematische Gleichmäßigkeit bildet.
Vielmehr ist also die Aufgabe, »gerade den Prozeß der Ausbildung
von Regelmäßigkeiten sozialer Praktiken zum Gegenstand der
Analyse zu machen«, also nach Lipietz die Ausbildung von Verhältnissen
und Systemen durch gleichmäßige Reproduktion (vgl. ebd.).(10)
Der Aspekt der Bewusstheit von Handlung ist für beide Theorien wichtig:
Sowohl die Regulation (im Gegensatz zur Regulierung) als auch die Hegemonie
werden in Strukturen produziert und reproduziert werden, ohne das Handlungen
bewusst und hinsichtlich eines Ziels ausgeführt werden.
Für die Analyse der Struktur ist es also wichtig, als Ausgangspunkt
die (Zivil-) Gesellschaft zu sehen, in der die Auseinandersetzungen geführt
werden: Der Kompromiss zwischen den sozialen Kräften bestimmt die
Regulationsweise und Akkumulationsregime, nicht umgekehrt. Dieses Verhältnis
bleibt verdeckt, wenn wie häufig nicht die Auseinandersetzungen Thema
sind, sondern nur das Ergebnis (vgl. Sablowski 1994: 143f). Das Thema
der Analyse muss die »Variabilität ökonomischer und sozialer
Dynamiken in Raum und Zeit« sein (Boyer 1986: 37ff, zit. ebd.: 141).
Wenn die Auseinandersetzungen um Regulation aber ebenso in der Zivilgesellschaft
geführt werden wie die um Hegemonie, ist zu vermuten, dass beide
sich ergänzende Instrumente sind, die in der Analyse nur unterschiedliche
Aspekte beleuchten – bzw., dass hegemoniale Strukturen die Regulation
prägen, oder dass eine Krise der Regulation gleichzeitig ein Umbruch
hegemonialer Strukturen ist, dass sich beide neu ausbilden müssen
und sich dabei unkontrollierbar gegenseitig beeinflussen. So schreibt
auch (Sablowski), dass »[...]die Entwicklungsfähigkeit und
-richtung des Regulationsansatzes eng mit der Frage zusammenhängt,
welche Bedeutung dem Hegemoniebegriff gegeben wird« (1994: 133).
Globalisierung in der Regulations- und Hegemonietheorie
»Die Krise des Fordismus ist als unfassende Akkumulations-
und Hegemoniekrise zu verstehen. Die darin stattfindenden Restrukturierungsprozesse
sind das wesentliche Moment dessen, was heute als Neoliberalismus und
Globalisierung diskutiert wird.« (Brand et al. 2000: 56)
»Globalisierung [ist] nicht instrumentalistisch als Mittel zur Durchsetzung
eines neuen Zusammenhangs von Akkumulation, Regulation und Hegemonie zu
konzeptualisieren, sondern als Verlaufsform dieser Durchsetzung selbst«
(Borg 2001: 84)
Globalisierung wird zur Zeit in allen möglichen
(und unmöglichen) Zusammenhängen als Erklärung herangezogen
– mit dem Problem, dass der Begriff der Globalisierung inhaltlich
nicht gefüllt ist und nur aufgrund seiner grammatikalischen Form den
Hinweis auf einen Prozess enthält. Vor dem Hintergrund der bisherigen
Ausführungen scheint das angeführte Zitat aber die These zu stützen,
das Hegemonie und Regulation sich ergänzende Konzepte sind, – und dass
sie Verhältnisse beschreiben, die gerade im Umbruch sind. Ich würde
allerdings im Hinblick darauf, dass beide als Instrumente zu betrachten
sind. Weniger von einer Krise der Hegemonie oder Akkumulation, als von der
Krise hegemonialer Strukturen, bzw. des Akkumulationsregimes sprechen. Die
Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen trotz des Zusammenhangs beschreibt
Lipietz, wenn er sagt, dass »ein funktionierender Zusammenhang von
Akkumulationsregime, Regulationsweise und Hegemonie als geschichtliche Fundsache«
zu verstehen ist, dessen »Existenz an ein Wunder grenzt« (1991:
679, zit. in Borg 2001: 76).
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»Die fast unlösbare Aufgabe besteht
darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht
sich dumm machen zu lassen.« (Adorno)
Wie bereits dargestellt, ist wird der Hegemoniebegriff vielfältig
und uneinheitlich benutzt. M.E. kann er aber hilfreich sein, um eine Analyse
sozialer Auseinandersetzungen und der Konsensfindung durchzuführen.
Gleichzeitig muss grundsätzlich diskutiert werden, welche Rolle das
Verhältnis von Hegemonie und Demokratie spielt, wenn erstere als
Vorherrschaft und letztere als gleichberechtigter Interessenausgleich
angesehen werden. Dabei sind zwei Aspekte interessant: Zum einen, was
Gegenhegemonie überhaupt ist, und darauf aufbauend, wo Protest zu
verorten ist, ob als gegen-hegemoniale Bewegung, als Bewegung außerhalb
des Systems oder als Teil der Hegemonie. Dies soll nun im abschließenden
Teil angerissen werden.(11)
Wenn sich Hegemonie und Gegenhegemonie gegenseitig bedingen, dann ist
Gegenhegemonie elementarer Bestandteil des Herrschaftssystems, der Hierarchien,
die es ausmacht. Dazu gehört, dass in der Regel viele Normen und
Regeln gemeinsam sind, und dass auf der Grundlage etablierter Strukturen
gehandelt wird und eben diese somit auch anerkannt werden. Es stellt sich
deshalb die Frage nach Reform oder Revolution, einem Thema, was im Seminar
immer wieder angesprochen wurde: Ist das System grundsätzlich gut
und muss nur angepasst werden, oder muss ein grundsätzlich neues
System geschaffen werden? Kann der Kapitalismus sozial reformiert werden,
oder muss eine neue Ordnungsform gefunden werden? Gibt es aber überhaupt
noch denkbare Alternativen? (12)
Jede Protestbewegung muss somit für sich festlegen, worauf sie sich
bezieht, was sind die Grundlagen, was sind die Ziele, sind diese innerhalb
oder außerhalb des Systems – damit muss aber jede Bewegung
auch ihre eigene Identität bestimmten, und zwar nicht nur in Abgrenzung
von ungewolltem, sondern als positive, eigenständige Identität.
Eine solche Bestimmung hätte jedoch zur Folge, dass die Vielfalt
der Bewegungen noch deutlicher sichtbar wird und Unterschiede stärker
sichtbar werden. Gleichzeitig ist es für die Bewegungen jedoch wichtig,
Bündnisse einzugehen: Die Vielfalt und die Unterschiede müssen
dann nach Gemeinsamkeiten untersucht werden, und auch zwischen den Bewegungen
müssen Kompromisse gefunden werden, wenn sie die Stärke der
Zusammenarbeit nutzen wollen.
Damit würden sich innerhalb der Bewegungen neue Strukturen bilden,
die hierarchische Züge annehmen können und damit innerhalb der
Bewegungswelt quasi-hegemonial sein können. Die Durchsetzung von
Hegemonie ist aber abhängig von Formen der Vermittlung und Artikulation
und auch in den Bewegungen gibt es immer wieder Sprecher und Denker: Einerseits
ist es sicherlich ein logischer und logistischer Ansatz, Aufgaben zu verteilen.
Das Referat über Intellektuelle zeigt jedoch, dass die Besetzung
solcher Positionen nicht völlig willkürlich geschieht, so dass
eine Analyse sicherlich interessant wäre.(13)
Ein Mitwirken der gegen-hegemonialen Bewegungen an bestehenden Strukturen
muss immer untersucht werden, ob es die hegemonialen Anteile bestärkt
oder den eigenen Zielen dienlich ist: So schreibt Borg, dass sich die
Erkenntnis ausbreitet, »daß es im Interesse einer stabilen
Hegemonie womöglich effektiver ist, alternative soziale Kräfte
rechtzeitig und kontrolliert einzubinden« (2001b: 132). Und das
wirft die Frage auf, ob eingebundene gegen-hegemoniale Kräfte ernstgenommen
oder instrumentalisiert werden, schließlich hat schon Bismarck,
wenn er etwas verhindern oder möglichst lange verzögern wollte,
dazu erst einmal eine Enquetekommission einberufen.
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