5.
    SCHLUSSBEMERKUNG

Kurze Darstellung der vorliegenden Ergebnisse
Im Folgenden sollen die Ergebnisse der Untersuchung rekapituliert und in einen Gesamtzusammenhang eingeordnet werden.

Es fand sich eine deutlich relativierte und verschobene Bedeutung der Funktion der Sprache in der Techno-Kultur. Als vielleicht wichtigstes Kriterium ließ sich das systematische Nicht-Auftauchen der sozialen und psychologischen Aspekte der Alltagspraktiken der Individuen in den untersuchten Techno-Zeitschriften ausweisen. Der auf dieser integralen Setzung beruhende Diskurstyp bietet demnach keine funktionierende Basis, auf der sich die anhand Foucault skizzierte Geständnistechnologie als primäre Subjektivierungsstrategie formieren kann. Im Gegenteil konnte auf die weitgehende Abwesenheit dieser Subjektivierungsweise geschlossen werden. Dies korrespondierte mit der festgestellten weitgehenden Abwesenheit der reflexiv vestandenen Kategorie der Bedeutung und der unmittelbar mit ihr verbundenen diskursiven Technik der Interpretation. Beide Aspekte können als fundamentale Bestandteile der Geständnistechnologie bezeichnet werden.

Als weiteres Charakteristikum des Diskurstyps konnte der heterogene Bezug der untersuchten Diskurse auf die Wahrheitskategorie angegeben werden. Hier konnte sowohl der Wahrheitstypus, der die Wahrheit im Gesagten verortet, als auch jener, der sie als etwas Herzustellendes begreift, nachgewisen werden. Dafür wurden die vier entwickelten diskursiven Strategien herangezogen, anhand derer die Texte in den Zeitschriften gruppiert werden konnten. Im einzelnen konnten die diskursiven Strategien der Werbungssprache, der Alltags-, der Expertendiskurse und der experimentellen Diskurse angegegeben werden. In der Überprüfung der vier diskursiven Strategien hinsichtlich des jeweils unterstellten Wahrheitskriteriums, ließ sich jedoch auf eine außergewöhnlich hohe Ausprägung desjenigen Typus' schließen, der Wahrheit als etwas zu Produzierendes denkt.

Auf der Basis des so umrissenen Diskurstyps wurde im Folgenden die Analyse der Kategorien des Subjekts und der Identität in der Techno-Kultur angegangen. Nach einer theoretischen Einleitung, in der die zur Untersuchung anstehenden Kategorien aus postrukturalistischer Perspektive beleuchtet und bestimmt wurden, konnte im darauffolgenden Abschnitt auf die Zerstreuung des Autorsubjekts geschlossen werden. Es stellte sich heraus, daß von einer systematisch aus den Produktionsformen der Musik hervorgehenden Unmöglichkeit, den Autorstatus eindeutig bestimmbaren Individuen zuzuweisen, gesprochen werden kann. Dies konnte als erstes Indiz für die modifizierte Art und Weise, in der Identität im kulturellen Rahmen Techno vorliegt, genommen werden.

Diese Sichtweise verdichtete sich in der Auseinandersetzung mit der deutlich aufgewerteten Kategeorie des Körpers in der Techno-Kultur. Anhand der gängigen Praktiken des stundenlangen Tanzens und des verbreiteten Drogengebrauchs konnte auf eine allgemeine Tendenz der Dezentrierung identitärer Subjektivität geschlossen werden. Diese konnte darüber hinaus als intentional und durch die Individuen selbst produziert bestimmt werden. Es ließ sich also darauf schließen, daß die Kategorien des Körpers und der Identität in der Techno-Kultur nicht als anthropologische Konstanten gefaßt werden können. Vielmehr müssen diese unter den Aspekten ihrer Transformierbarkeit, Historizität und der hierin fußenden Möglichkeit für die Individuen, in Körper und Identität produzierend einzugreifen, verstanden werden.
Auf dieser Basis konnte die Techno-Kultur als postmoderne kulturelle Formation ausgewiesen werden.

Der Aspekt der Dezentrierung wurde durch den Bezug der Foucaultschen Konzeption der auf dem Geständnisprinzip basierenden Subjektivierungsweise auf die Techno-Kultur noch einmal bestätigt. Die soziale Bedeutung dieser Subjektivierungsform ließ sich nicht in ausreichendem Maß belegen, weswegen entschieden wurde, die Frage der Identitätsformation noch einmal unter dem Gesichtspunkt der Historizität und Veränderbarkeit von Identität aufzunehmen. Dabei ergab sich eine deutlich bestimmbare Tendenz, daß die Möglichkeit, die Individuen in den Sprachspielen diskursiv zu identifizieren, aufgrund verschiedener Aspekte eingeschränkt ist. Hierzu können die Faktoren des begrenzten Wissens der Individuen übereinander - das seinerseits in der relativierten Bedeutung der Geständnistechnologie begründet liegt -, der vergleichsweise flüchtigeren Organisation von Beziehungsnetzen und der ebenfalls reduzierten Bedeutung identifizierender Teilungspraktiken angegeben werden.


Ein abschließender Interpretationsvorschlag

Mit Foucault kann daher versucht werden, die Techno-Kultur unter dem Aspekt der "Kämpfe gegen die Subjektivierung" (ANM: Vgl. Foucault, Das Subjekt und die Macht) zu beschreiben. Ich werde den Gedankengang im Folgenden kurz anreißen und er muß daher zum Ende spekulativ im Raum stehen bleiben.

Rückbezogen auf gesellschaftliche Prozesse unterscheidet Foucault "drei Typen von Kämpfen (...): die gegen Formen der (ethnischen, sozialen und religiösen) Herrschaft; die gegen Formen der Ausbeutung, die das Individuum von dem trennen, was es produziert; die gegen all das, was das Individuum an es selber fesselt und daudurch anderen unterwirft (Kämpfe gegen Subjektivierung, gegen Formen von Subjektivität und Unterwerfung." (ANM: Foucault: Das Subjekt und die Macht, S. 247)

Dabei kommt dem Typus der Kämpfe gegen die Subjektivierung eine zunehmend zentralere und aktuellere Bedeutung zu. (ANM: Vgl. ebd. 247) Diese Kämpfe werden bestimmt als transversal und unmittelbar, sie attackieren bestimmte Wissensregimes und zielen auf die jeweilige Spezifik der Macht. "Es sind Kämpfe, die den Status des Individuums infragestellen: Einerseits behaupten sie das Recht, anders zu sein, und unterstreichen all das, was Individuen wirklich individuell macht. Andererseits bekämpfen sie all das, was das Individuum absondert, seine Verbindungen zu anderen abschneidet, das Gemeinschaftleben spaltet, das Individuum auf sich selbst und zwanghaft an seine Identität fesselt." (ANM: Foucault, Das Subjekt und die Macht, S. 246)

Es kann formuliert werden, daß mit dieser Bestimmung auch die Frage nach der Rolle der Identität in der Techno-Kultur beschrieben werden kann. Da gezeigt werden konnte, daß die Identitätskategorie hier vor allem unter dem Aspekt ihrer Historizität und Veränderbarkeit gefaßt werden muß, kann erwogen werden, die dem zugrundeliegenden Praktiken der Individuen als Kämpfe gegen bestehende Subjektivierungs- und Identifizierungsweisen zu begreifen.

Die Gültigkeit dieser These würde meines Erachtens auch wieder eine gewisse Rückbindung an die eingangs skizzierten Grundprobleme der Einordnung der Techno-Kultur in den Kontext politisch codierter Jugendkulturen ermöglichen. Foucaults Typologisierung der Formen aktueller Kämpfe scheinen mit der implizit enthaltenen Konzeption einer politischen Komponente, die sich auch in den Kämpfen gegen die Subjektivierung und die Formation von Identität findet, einen Rahmen abzugeben, der es erlaubt, auch die Techno-Kultur unter politischen Gesichtspunkten zu begreifen.

Demnach könnte beispielsweise die reduzierte Bedeutung der Sprache unter dem Aspekt eines "Kampfes gegen die Subjektivierung" im Sinne der Geständnistechnologie diskutiert werden und müßte nicht länger als ständiges Kriterium herhalten, anhand dessen sich der - wahlweise unpolitische oder rein affirmative - soziale Gehalt der Techno-Kultur beweisen läßt.

Foucault Skizze der Kämpfe gegen die Subjektivierung kann darüber hinaus als treffende Bestimmung politischer Konzepte genommen werden, die sich im letzten Jahrzehnt unter den Schlagworten Identitäts- und Minderheitenpolitik konstituierten. In diesen Kontext läßt sich beispielsweise die Hiphop-Kultur ohne größere Probleme einordnen.
Mittels des Konzepts der Kämpfe gegen die Subjektivierung ließe sich eventuell auch die Techno-Kultur anhand dieser Politiken diskutieren. Mit der Beschreibung "Diese Kämpfe sind nicht im engeren Sinne für oder gegen das Individuum gerichtet, sondern eher Kämpfe gegen das, was man Regieren durch Individualisieren nennen könnte" (ANM: Foucault, Das Subjekt und die Macht, S. 246) können sowohl Hiphop als auch Techno gefaßt werden. Damit ist verdeutlicht, wo die beiden Kulturformen ein Gemeinsames haben: in der zwar grundverschieden situierten, aber nichtsdestotrotz jeweils spezifisch zentralen Kategorie der Identität. Wie gezeigt, bestimmt sich diese in der Techno-Kultur vor allem unter dem Aspekt ihrer Veränderbarkeit und Historizität.


Damit hat diese Arbeit ihr Ende erreicht.
Für jemanden, dessen Bezug zu Techno nicht nur darin besteht, darüber seine Diplomarbeit zu schreiben, sondern der auch gerne auf Techno-Parties geht, bedeutete das Verfassen dieser Arbeit auch ein notwendiges Zurückstecken des Zweiten. Daher soll zum Schluß ein Satz stehen, der gleichzeitig diese Arbeit Revue passieren läßt und einen Ausblick in die bevorstehende Zukunft gibt:

"Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen."
(ANM: Proust, In Swanns Welt, S. 9)