Da im Vorhergehenden festgestellt wurde, daß die Subjektivierungsweise, sich mittels
Geständnissen und dem Aussagen der Wahrheit über das eigene Selbst als Subjekt zu
konstituieren und spezifische Identität aufzubauen, in der Techno-Kultur kaum zum Tragen
kommt, stellt sich die Frage, anhand welcher ordnenden Prinzipien die gewonnenen
Bestimmungen bezüglich der Frage der Identitätsformation gruppiert und zusammengefaßt
werden können.
Die beiden anderen von Foucault beschriebenen Konzepte, jenes der Subjektivierung durch
die Wissenschaften und jenes der Subjektivierung durch die binär strukturierten
Teilungspraktiken (ANM: Vgl. Abschnitt 4.1.2.) scheinen hierfür evidentermaßen nicht in
Frage zu kommen. Wie in Abschnitt 3.5. ausgeführt, haben die Diskurse der Techno-Kultur
kaum etwas mit der Verfaßtheit wissenschaftlicher Diskursformationen gemein und
bezüglich der Teilungspraktiken fanden sich in der gesamten Untersuchung keine Hinweise,
die eine gesonderte Bedeutung derer im kulturellen Referenzrahmen Techno anzeigen.
Aspekte der tendenziellen Auflösung identitärer Subjektivität
Es kann daher davon ausgegangen werden, daß sich der Frage nach Kriterien der
Identitätsformation in der Techno-Kultur anders angenähert werden muß. Unter
Zuhilfenahme von Foucaults Diktum "Wir müssen neue Formen der Subjektivität
zustandebringen, indem wir die Art von Individualität, die man uns jahrhundertelang
auferlegt hat, zurückweisen." (ANM: Foucault, Das Subjekt und die Macht, S. 250),
soll im Folgenden versucht werden, Indizien zusammmenzutragen, die dafür sprechen, daß
die Kategorien des Subjekts und der Identität in der Techno-Kultur eher unter dem Aspekt
ihrer Veränderbarkeit und jeweils historischen Konstruiertheit betrachtet werden müssen.
Identität und diskursive Identifizierung in den Sprachspielen
In diesem Teil soll die Frage diskutiert werden, wie die in Abschnitt 3 gefundenen
Ergebnisse bezüglich des vorliegenden Diskurstyps und der Funktion der Sprache in der
Techno-Kultur hinsichtlich der Wirkungsweise identifizierender Zuschreibungen in den
Alltagspraktiken und - diskursen der Individuen eingeschätzt werden können. Als
Orientierungshilfe wird dabei die gewonnene Ableitung, daß sich Identität in der
Techno-Kultur unter dem Aspekt ihrer Historizität und Modifizierbarkeit vorfindet,
dienen.
Wie gezeigt, kann die von Foucault beschriebene Subjektivierungsweise via
Geständnistechnologie kaum in der Techno-Kultur gefunden werden. Hiermit unmittelbar
verbunden ließ sich ebenfalls auf die weitgehende Abwesenheit der Kategorie der Bedeutung
und der Technik der Interpretation in den Diskursen der Techno-Kultur schließen.
Geständnisse und ihre auswertenden Interpretationen können als Diskurspraktiken
verstanden werden, in denen sich die Individuen nachhaltig subjektivieren.
Es kann daher gefolgert werden, daß mit der deutlich reduzierten Rolle dieser
Subjektivierungsform eine Tendenz einhergeht, dernach sich die verwickelten Individuen in
den Sprachspielen nur auf begrenzte Art einander zu erkennen geben. Als deutlicher Hinweis
hierauf kann das festgestellte Charakteristikum der Oberflächlichkeit verstanden werden.
Zusammenfassend kann daher angenommen werden, daß sich die in der Techno-Kultur
gegenüberstehenden Individuen vergleichsweise wenig voneinander wissen. Da angewandtes
Wissen über andere Individuen sich zwangsläufig aus deren vorgängigen Erzählungen und
Praktiken herleitet, kann auf eine reduzierte Funktion der jeweiligen Geschichte der
Individuen in den Diskursen geschlossen werden.
Die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit, daß in den Sprachspielen Aussagen auftauchen,
für die gilt, daß sie als diskursive Praktik funktionieren, die "das Individuum
(...) an seine Identität fesselt", (ANN: Foucault, Das Subjekt und die Macht, S.
246) kann so als wesentlich begrenzter angesehen werden.
Die sozialen Beziehungsgefüge können daher als flexibler und flüchtiger als in
vergleichbaren kulturellen Formationen beschrieben werden. Bochsler/Storrer zitieren aus
von ihnen geführten Interviews mit Techno-Begeisterten hierzu wie folgt:
"Techno ist wie ein Spielplatz, auf dem man mehr ausprobieren kann. auch unter
Leuten, mit denen man keine enge Beziehung hat." (ANM: Nader, zit. nach
Bochsler/Storrer, Talking Technoheads II, S. 173)
Die Möglichkeit identifizierende Zuschreibungen in den Sprachspielen zu verwenden, wird
folglich durch das nur begrenzte Wissen voneinander erheblich eingeschränkt. Dieser
Einschränkung entspricht die Tatsache, daß die Funktion der Sprache in der Techno-Kultur
in keinster Weise darin verortet werden kann, daß mittels dieser ethische Normen (ANM:
Dies heißt nicht, daß die Techno-Kultur als frei von Normen gesetzt werden soll. Es kann
sicherlich davon ausgegangen werden, daß sie, wie alle anderen sozialen Formationen
vielfältige Normen strukturierend beinhaltet. Entscheidend und von Bedeutung ist hier
einzig der Aspekt, daß sich keine in den Diskursen explizierten Normen finden, die
juridisch eingeklagt werden könnten.) und Verhaltensregeln expliziert werden, auf welche
die Individuen verpflichtet werden könnten. (ANM: Vgl. Abschnitt 3.5.2.) Insofern
entfällt auch weitgehend die Möglichkeit, die Individuen hinsichtlich bestehender
fixierter Normen differenzierend zu beschreiben und durch diese Beschreibung zu
subjektivieren.
Dieser Aspekt korreliert deutlich mit Foucaults Konzept einer Subjektivierungsform, nach
der die Individuen durch binär strukturierte Teilungspraktiken subjektiviert werden. Eine
vorliegende und explizierte Verhaltensregel kann als Teilungspraktik verstanden werden, da
nach ihr die Individuen hinsichtlich des Kriteriums der Einhaltung oder Übertreteung der
Norm in binärer Form identifiziert werden können. Regula Bochsler und Markus Storrer
spitzen den gesamten Zusammenhang wie folgt zu:
"In diesem von Normen entrümpelten Raum kann mit Beziehungen und Rollen gespielt
werden. Therapie - nein, danke. Parties machen mehr Spaß." (ANM: Bochsler/Storrer,
Talking Technoheads II, S. 173)
Teilungspraktiken und diskursive Identifizierung
Ein konkretes Beispiel für die relativierte Bedeutung von Teilungspraktiken kann
abschließend gegeben werden. Poschardt beschreibt die historische Entstehung der
Techno-Kultur aus der Disco-Kultur der 70er Jahre. Für ihn ist dabei "Disco (...)
ohne eingehende Thematisierung von Homosexualität nicht zu verstehen. (...) Disco wurde
zur Vorzeigekultur der schwulen Minderheit." (ANM: Poschardt, DJ-Culture , S. 112)
Poschardt zufolge eignete sich die Gay-Community in den 70er Jahren die Disotheken an und
erfand gewissermaßen Disco. Die Disco-Kultur und die in ihrem Rahmen möglichen
Verhaltensweisen "sicherten der schwulen Community einen Ort, wo sie, jenseits aller
gesellschaftlichen Repressalien, die eigene Sexualität (...) ausleben konnte". (ANM:
Poschardt, DJ-Culture, S. 111)
Die im allgemeinen gesellschaftlichen Rahmen identifizierend wirkende Teilungspraktik der
Gruppierung der Individuen hinsichtlich der Kriterien 'heterosexuell/homosexuell' wurde
damit in ihrer strukturierenden Funktion im kulturellen Rahmen Disco suspendiert. Diese
Tendenz findet sich auch in der Techno-Kultur - wenn auch in abgeschwächter Form - noch
enthalten. Belegen läßt sich dies mit Äußerungen, die Bochsler/Storrer in ihren
Interviews mit Techno-Begeisterten erfuhren:
"In der Technoszene kommt es generell nicht darauf an, welches Geschlecht du hast
oder auf welches Geschlecht du stehst." (ANM: Jasmine, Zit nach: ebd, S. 173)
Eine einordnende Identifikation der Individuen im Sinne des Kriteriums 'homo- und
heterosexuell' findet demnach in der Techno-Kultur kaum statt.
Zusammengefaßt ergibt sich also in der Techno-Kultur eine weitgehende Abwesenheit der
skizzierten Subjektivierungsform, nach der sich Individuen durch Geständnispraktiken in
Subjekte verwandeln. Anstelle dessen kann auf die systematische Verankerung sozialer und
diskursiver Techniken geschlossen werden, die die Verfaßtheit individueller Identität
als stets historische, konstruierte und veränderbare Größe situieren.
Der Begriff der Identität verliert so zumindest einen Teil seiner konnotativen Bedeutung.
Da Identität demnach allenfalls als sich stetig modifizierende Form begriffen werden
kann, kann der Begriff kaum im strengen Sinne aufrechterhalten werden. Im Medium der
Sprache können so, in Abwandlung der These Kerkmanns (ANM: Vgl. Abschnitt 3.5.2.)
allenfalls fotografische Zwischenergebnisse bezüglich des Identitätskriteriums
formuliert werden. Bis diese allerdings ausgesprochen und formuliert sind, hat sich die
konkrete Verfaßtheit der betreffenden Identität längst wieder verschoben.