Im Folgenden sollen nun zwei Aspekte der Situation des Platten auflegenden DJ's
hinsichtlich der Frage nach dem Autor thematisiert werden.
Die Strukturiertheit des Raums
Erste Hinweise können aus dem Vergleich gewonnen werden, der zwischen der Situation
des DJ's auf einer Party und den jeweiligen Settings, in denen die Musikbands, Orchester
oder Sänger anderer Musiken auftreten, gezogen werden kann.
Im Normalfall steht der DJ hinter seinen Plattenspielern am sogenannten DJ-Pult und
verrichtet seine Arbeit. Bisweilen stehen DJ und Pult auf einer Bühne, die allerdings -
abgesehen von kommerziellen Groß-Raves - kaum die Funktion hat, ihn für das Publikum
sichtbar zu machen. Es geht eher darum, daß er die Möglichkeit hat, zu sehen, wie seine
Musik aufgenommen wird, damit bei Nicht-Gefallen stilistische Korrekturen angebracht
werden können. Im Vergleich etwa zu Rock-Konzerten fällt auf, daß trotz der bei
Techno-Parties üblichen großen Beleuchtungsanlage keine Scheinwerfer auf ihn gerichtet
sind. Architektonisch ist der Party-Ort meist so strukturiert, daß er keinesfalls auf den
DJ und sein Pult als potentiellen Mittelpunkt hin ausgerichtet ist. Eine räumliche
Anordnung, die durch Plazierung der einzelnen Komponenten eine Situation schafft, in der
die Blicke und Aufmerksamkeit der Anwesenden aufgrund der Strukturierung des Raums auf ein
Zentrum fixiert werden, existiert also nicht.
Für den Techno-DJ Westbam läuft derartiges den Grundprinzipien der Techno-Kultur
zuwider: "Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß die Bühne bei Techno die Tanzfläche
ist - und nicht das DJ-Pult, In dem Moment, wo es nicht mehr so ist, läuft es für mich
in die falsche Richtung." (ANM: Westbam, zitiert nach: Uwe Buschmann, Westbam, S. 76)
Wenn Westbam die Tanzfläche als Äquivalent einer Bühne setzt, kann dies auch als
Hinweis darauf verstanden werden, daá in der Techno-Kultur ein, im Vergleich zu anderen
Musikformen, ungleich höherer Stellenwert den konkreten - meist tänzerischen -
Performanzen der Beteiligten zukommt. Aus Techno-Parties geht man demnach, um die Parties
selbst perfomativ und tätig mitzugestalten und nicht, um anderen bei künstlerischen
Performanzen zuzusehen oder zuzuhören.
Der Autor des Abspielens von Platten
Im Folgenden soll nun die Situation des DJs, der auf einer Party Platten abspielt,
diese in- und übereinander mischt, dabei also musikalisches Material verwendet, das er
nicht selbst produziert hat, beleuchtet werden.
Es liegt auf der Hand, daß die auf Musik anderer zurückgreifende musikalische Tätigkeit
des DJs Unvereinbarkeiten mit der klassisch-traditionellen Vorstellung des Künstlers,
verstanden als schöpferisches und Neues produzierendes Subjekt, mit sich bringt. In
diesem Sinne kann formuliert werden, daß dem Deejayen durchaus reproduzierende Aspekte
zueigen sind, die zunächst kaum mit der Figur des traditionellen Künstler-Subjekts
beschrieben werden können.Allerdings greifen DJs beim Mixen durchaus in die verwendeten
Platten ein. Die Tracks werden nicht ausgespielt, sondern der DJ sucht die für ihn
interessantesten Stellen aus, um diese in den laufenden Mix zu integrieren. Hinzu kommt,
daß die Platten meist mit veränderter Geschwindigkeit abgespielt werden, was schon zur
Synchronisierung der jeweiligen Beatstruktur unvermeidlich ist.
Sascha Kösch fasst beispielsweise die verwendeten Platten unter der Kategorie
Vergangenheit und akzentuiert so den aktualisierenden und performativen Aspekt des Mixens
stärker: "Durch neue Strukturierung der Vergangenheit immer wieder üerraschende,
wichtige und neue Elemente entstehen zu lassen. Im Vergleich zu Jeff Mills muten die
vielgerühmten Fähigkeiten perfekten Angleichens oder schlüssiger Musikwahl einfach
lächerlich an. Es geht eher darum, die Materie gleichzeitig zu bändigen und zu
beschleunigen, Brüche in Intensitäten aufzulösen und der Vergangenheit Drive zu
geben." (ANM: Sascha Kösch, Jeff Mills, S. 53/54, Jeff Mills ist ein DJ, der bekannt
dafür ist, die Platten, die er abspielt nur äußerst kurz laufen zu lassen)Es stellt
sich die Frage, wem nun genau das Funktionieren einer Party und das Zustandekommen des
nicht-diskursiven Tanz-Ereignisses als Verantwortlichem zukommt, wem also die Rolle des
Autors zugesprochen werden kann..
Westbam kommentiert die Frage wie folgt:
"Ich bin nicht der Meinung, (...) man solle den Charakter der Musik nicht verändern.
Warum denn nicht? Warum die Arbeit eines DJ so gering schätzen, warum die eigene
Autorität derjenigen des Komponisten unterordnen: Ein Mix, der sich komplett vom
zugrundegelegten Musikstück emanzipiert, wird zur eigenen Komposition, der DJ wird zum
Komponisten (...)" (ANM: Westbam, Worum geht es beim Mixen, S.56) Für Westbam nimmt
also der Mix eines DJs und nicht die jeweils gespielten Platten die Stelle der
grundlegenden musikalischen Einheit beim Deejayen ein.
Dennoch bleibt auch die Variante denkbar, die verwendeten Platten und damit deren
Produzenten für das Gelingen einer Party verantwortlich zu machen. Will man unbedingt am
Gedanken eines am Ursprung der zu hörenden Musik verantwortlich zeichnenden
Autor-Subjekts festhalten, bietet sich Ulf Poschardts polykausale Beschreibungsvariante
an: "Das >>Ich<< des DJs ist in den Plattenkisten verstreut. Je nach
Situation auf dem Plattenteller und je nach Plazierung des Schiebereglers am Mischpult ist
das Schöpfer-Ich von anderer Konsistenz, gespeist von den Werken anderer Schöpfer-Ichs,
die vom DJ in eine neue Kunst-Einheit überführt werden. Aus der Vergewaltigung und
Enteignung entsteht ein neues Stück Kunst." (ANM: Ulf Poschardt, DJ-Culture, S.371)
Insgesamt kann also die Frage nach dem Äquivalent des Autors der Musik einer Party nicht
eindeutig beantwortet werden. Es können diesbezüglich sowohl die Produzenten der
gespielten Platten, als auch der diese ineinander mischende DJ angeführt werden. Dem
Deejayen sind sowohl reproduzierende als auch performative Aspekte zueigen.