Im Folgenden werde ich mich auf eine grobe Skizzierung einiger allgemeiner Aspekte
beschränken mittels derer jene Texte vereinheitlichend zusammengefaßt werden können,
die üblicherweise unter den Begriffen Poststrukturalismus, Postmoderne und Dekonstruktion
gruppiert werden. Eine differenzierende und die Begriffe voneinander abgrenzende Analyse
wird im Folgenden daher nicht gegeben. (ANM: Eine ähnliche Vorgehensweise findet sich
beispielsweise in: Peter Engelmann, Einleitung: Postmoderne und Dekonstruktion. Auch
Engelmann kommentiert die drei Begriffe nicht, indem er sie inhaltlich und theoretisch
voneinander differenziert, sondern verwendet sie in Analogie)
Derartiges böte sicherlich genügend Stoff für eine eigene Arbeit und wird obendrein von
dem Faktum erschwert, daß die Formulierung der einzelnen Konzepte auch durch die
zentralen begriffsprägenden Autoren, von denen zumindest Jacques Derrida für den Begriff
der Dekonstruktion und Jean-Francois Lyotard für den der Postmoderne angegeben werden
können, kaum dezidiert vorliegt.
Zur Orientierung kann angegeben werden, daß sich der Begriff Poststruktrualismus zumeist
auf die Bezeichnung einer philosophischen Tradition bezieht, demgegenüber die Postmoderne
eher als kulturhistorische Epoche, die auf die Moderne folgt, angesehen werden kann. Der
Begriff Postmoderne findet sich daher auch in Kunst und Architektur, wo er spezifische
Stilrichtungen bezeichnet. Mit Dekonstruktion werden dagegen häufig textanalytische
Vorgehensweisen bezeichnet, die sich mehr oder weniger streng an den von Jacques Derrida
erarbeiteten Formen der kritischen Re-Lektüre bestehender Texte orientieren.
Poststrukturalistischer Theorie kann allgemein attestiert werden, daß sie sich auf eine
Vorstellung stützt, die das Soziale auf der Basis von Sprache denkt. (ANM: Vgl. hierzu
Peter Engelmann, Einleitung: Postmoderne und Dekonstruktion, S. 10ff) Jean-Francois
Lyotard schlägt beispielsweise als methodologische Basis den Bezug auf eine an Ludwig
Wittgenstein angelehnte Theorie der Sprachspiele vor. (ANM: Vgl. Jean-Francois Lyotard,
Das postmoderne Wissen, S. 36ff) Demnach werden Sinnverhältnisse und Bedeutungen erst im
Diskurs, also durch die Sprachspiele, konstituiert. Der Sinn ist demnach nicht per se
gegeben und damit eine quasi natürlich vorhandene Sache, er ist nicht bereits schon vor
dem Diskurs da, sondern wird erst als diskursiver Effekt in diesem konstruiert.
Wie Foucault formuliert: "Der Diskurs ist nicht in ein Spiel von vorgängigen
Bedeutungen aufzulösen. (...) Es gibt keine prädiskursive Vorsehung, welche uns die Welt
geneigt macht." (ANM: Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, S. 34)
Das Sichtbarmachen der prädiskursiven Vorraussetzungen
Als Ausgangspunkt kann Manfred Frank herangezogen werden, der mit der
Vorlesungsmitschrift "Was ist Neostrukturalismus?" eine umfassende kritische ,
wenn auch bisweilen etwas ins Polemische abgleitende Abhandlung des Post-, beziehungsweise
Neostrukturalismus vorgelegt hat. Er formuliert als Quasi-Essenz der
dekonstruktivistischen Herangehensweise den "Abbau des Mauerwerks, auf dem eine
Gedankentradition errichtet ist, bis auf die Fundamente (und eventuell auch: Abbau der
Fundamente selbst), damit auf gleichen oder anderen Fundamenten ein neuer, ein
überzeugenderer Gedanke - oder auch: derselbe Gedanke in überzeugenderer Form wieder
aufgerichtet werden kann." (ANM: M. Frank, Was ist Neostrukturalismus?, S. 400)
Frank bezieht sich hier sehr stark auf die Arbeiten Jacques Derridas und die in diesen
entwickelte Methode der Dekonstruktion. Hierunter ist eine Vorgehensweise zu verstehen,
die am besten als kritische Neulektüre bestehender Texte beschrieben werden kann.
Zentrales Thema der Analyse ist dabei die Freilegung der im Stillen mitgedachten und
konstitutiven Vorraussetzungen der zu dekonstruierenden Texte. Es geht also primär darum,
auf welcher konstituierenden Basis sich diese Texte und das ihnen zugrundeliegende Denken
entwickelt haben und erst entwickeln konnten. "Das, was man die Vorraussetzungen
nennt, das sind die nicht kritisierten, die nicht analysierten
Vorraussetzungen."(ANM: Peter Engelmann, Vorwort: Postmoderne und Dekonstruktion, S.
22, in: Peter Engelmann (Hrsg.), Postmoderne und Dekonstruktion, Reclam, Stuttgart 1990.)
Eine ähnliche Vorgehensweise impliziert Jean-Francois Lyotards Begriff der
Metapräskriptive. Unter diesen sind dem Diskurs vorausgehende diskursive und begriffliche
Setzungen zu verstehen, die als Basis oder Fundamente des Diskurses funktionieren.
In der programmatischen Schrift "Das postmoderne Wissen" situiert Lyotard das
Subjekt so als jene Instanz, die zu Beginn der Neuzeit an die Stelle Gottes tritt, um die
Funktion einzunehmen, als Rechtfertigungsinstanz und letzte Referenz diskursiver
Ableitungen zu dienen. Der Mensch wird zum erkennenden Subjekt, das sich der zu
erkennenden Welt als Objekt gegenüberstellt. Die sich hieraus ergebende
Subjekt/Objekt-Relation wird zum zentralen Paradigma der neuzeitlichen Wissenschaften und
von dort aus des gesamten Weltbilds überhaupt. Der auf das Subjekt des Denkens reduzierte
Mensch nimmt so die Phänomene lediglich als Gedachte auf. In dieser grundsätzlichen
Konstruktion liegt daher für Lyotard die vereinheitlichende Gleichmachung der
wahrgenommenen Dinge begründet. Die Vielheit ihrer möglichen Eigenschaften reduziert
sich schon aufgrund dieses gegebenen Verhältnisses, in dem sich Erkenntnis erst
konstituiert.
Der Mensch beziehungsweise das Subjekt funktioniert derart als dem Diskurs und überhaupt
jeglicher Erkenntnis vorgängig gesetzte Entität, die somit Vorbedingung der Entstehung
von Diskursen, Reflexionen und Gedanken schlechthin ist. Die Kategorie des Subjekts hat so
den Status eines vorausgesetzten Metapräskriptivums. (ANM: Vgl. hierzu Jean-Francois
Lyotard, Das postmoderne Wissen, Kap. 8-10, S. 87-122)
Im Rahmen der gesamten Verteilung der möglichen prädiskursiven Vorraussetzungen nimmt
die Kategorie des Subjekts dabei eine zentrale und privilegierte Stellung ein.
Charakteristische Grundzüge poststrukturalistischer Theorie
So verwundert es kaum, daß Lyotard aus dem zentralen poststrukturalistischen Thema
der Sichtbarmachung der implizierten Voraussetzungen ableitet, die Thematisierung dieser
Voraussetzungen sei in poststrukturalistischen Diskursen zu integralen Bestandteilen
dieser zu machen. "Wie gesagt, der auffallende Zug des postmodernen Wissens besteht
in der - jedoch expliziten - Immanenz des Diskurses über die Regeln, die seine
Gültigkeit ausmachen." (ANM: Jean-Francois Lyotard, Das postmoderne Wissen, Passagen
Verlag, Wien 1994, S. 160f) Ganz ähnlich äußert sich Foucault, der formuliert:
"Wir müssen die historischen Bedingungen kennen, die unserer Begriffsbildung
zugrundeliegen." (ANM: Michel Foucault, Das Subjekt und die Macht, S. 244)
Postmodernes Wissen muß, derart gefaßt, seine Vorraussetzungen und begrifflichen
Bedingungen immer bereits mitwissen. Die Bewegung, die der poststrukturalistische Diskurs
derart umrissen vollzieht, ist regelmäßig eine doppelte: einerseits geht es darum,
existierende prädiskursive Voraussetzungen freizulegen, zu benennen und zu kritisieren,
sie also zu dekonstruieren, andererseits entstehen genau auf dieser Basis und den aus ihr
resultierenden Konsequenzen wieder neue, sich von den dekonstruierten unterscheidende
Aussagen. Lyotard faßt zusammen:
Konsequenzen für die Kategorie des Subjekts im Poststrukturalismus
Anschaulich findet sich die Situierung der Kategorie des Subjekts in Foucaults
Einleitung zur "Archäologie des Wissens" dargestellt.
Foucault koppelt das Thema des Subjekts zunächst an die skizzierte Entwicklung hin zum
Diskontinuierlichen. Er diagnostiziert in dem Ende der 60er Jahre verfassten Buch
bestimmte Modifikationen in der Art und Weise, wie Geschichtsschreibung funktioniert.
Dabei kann eine deutliche Tendenz der Vervielfältigung der wahrgenommenen Brüche in der
Ideengeschichte konstatiert werden. Anstelle der kontinuierlichen Chronologie der Vernunft
finden sich nun vermehrt kurze, differente, sich Vereinheitlichungen widersetzende
Abstufungen, die nicht auf das Modell eines allgemeinen, sich linear fortschreitend
entwickelnden Bewußtseins zurückgeführt werden können.
Wie erläutert nimmt der Begriff der Diskontinuität eine zunehmend zentralere Funktion
ein. "Für die Geschichte in ihrer klassischen Form war das Diskontinuierliche
gleichzeitig das Gegebene und Undenkbare: das, was sich in der Art der verstreuten
Ereignisse (Entscheidungen, Zufälle, Initiativen, Entdeckungen) bot; und was durch die
Analyse umgangen, reduziert, und ausgelöscht werden mußte, damit die Kontinuität der
Ereignisse erscheinen konnte. Die Diskontinuität war jenes Stigma der zeitlichen
Verzettelung, die der Historiker aus der Geschichte verbannen mußte. Sie ist jetzt eines
der grundlegenden Elemente der historischen Analyse geworden." (ANM: Michel Foucault,
Archäologie des Wissens, S. 17)
Die Diskontinuität wird also von dem, was die Geschichtsschreibung durch ihr Tun zu
bannen suchte, zu einem konstitutiven Prinzip ihrer selbst.
Die Kategorien der Kontinuität und des Subjekts gehören für Foucault zusammen, bedingen
einander und sind in dieser Verschränktheit Spezifika ein und derselben Tradition des
Denkens. "Wenn die Geschichte des Denkens der Ort der ununterbrochenen Kontinuitäten
bleiben könnte, (...) wäre sie für die Souveränität des Bewußtseins ein
privilegierter Schutz. Die kontinuierliche Geschichte ist das unerläßliche Korrelat für
die Stifterfunktion des Subjekts: die Garantie, daß alles, was ihm entgangen ist, ihm
wiedergegeben werden kann; die Gewißheit, daß die Zeit nichts auflösen wird, ohne es in
einer erneut rekomponierten Einheit wiederherzustellen; das Versprechen, daß all diese in
der Ferne durch den Unterschied aufrechterhaltenen Dinge eines Tages in der Form des
historischen Bewußtseins von Subjekt erneut angeeignet werden können und dieses dort
seine Herrschaft errichten und darin das finden kann, was man durchaus eine Bleibe nennen
könnte. Aus der historischen Analyse den Diskurs des Kontinuierlichen machen und aus dem
menschlichen Bewußtsein das ursprüngliche Subjekt allen Werdens und jeder Anwendung
machen, das sind die beiden Gesichter ein und denselben Denksystems." (ANM: Michel
Foucault, Archäologie des Wissens, S. 23, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Frankfurt
1981)
Demnach bedingen also Denken und Diskurse, die den Prinzipien der Kontinuität verhaftet
sind, die prädiskursive Voraussetzung der Kategorie des Subjekts als Stifterbegriff.
Foucaults Term von der "Stifterfunktion des Subjekts" kann dabei als
spezifizierte Variante von Lyotards Modell der zu hinterfragenden Metapräskriptive
bestimmt werden.
Auf dieser Basis faßt Thomas Seibert die sogenannten Poststrukturalisten dahingehend
zusammen, daß er die Suspendierung der Subjektkategorie in ihrer Stellung als
prädiskursive Setzung als das charakteristische Gemeinsame begreift. "Gemeisam ist
ihnen (den Poststrukturalisten; B.S.), daß sie zumindest auf theoretischer Ebene den
Versuch unternehmen, ohne die methodische Voraussetzung eines sinn- und
bedeutungsstiftenden Subjekts auszukommen." (ANM: Thomas Seibert, Zur Kritik des
philosophischen Humanismus, S. 49, in: Die Beute, Winter 1997/1998)