Zur Bestimmung des Diskurstyps wird zuvor noch das Verhältnis der untersuchten
Diskurse aus der Techno-Kultur zur Kategorie der Wahrheit diskutiert.
Die zwei Wahrheitstypen bei Michel Foucault
Um die Argumentation zu entwickeln, möchte ich auf Michel Foucault aufbauen, der zwei
mögliche Varianten unterscheidet, wie das Verhältnis von Diskursen zur Kategorie der
Wahrheit spezfiziert werden kann.
Für Foucault ist das einerseits "(...) der wahre Diskurs, vor dem man Achtung und
Ehrfurcht hatte und dem man sich unterwerfen mußte, weil er der herrschende war - eben
der Diskurs, der von den hierzu Befugten nach dem erforderlichen Ritual verlaubart worden
ist; es war der Diskurs, der Recht sprach und jedem sein Teil zuwies; es war der Diskurs,
der die Zukunft nicht nur prophezeihend ankündigte, was geschehen würde, sondern auch zu
seiner Verwirklichung beitrug, der die Zustimmung der Menschen nicht nur herbeiführte und
sich so mit dem Geschick verflocht. Aber schon ein Jahrhundert später lag die höchste
Wahrheit nicht mehr in dem, was der Diskurs war, oder in dem, was er tat, sie lag in dem,
was er sagte: eines Tages hatte sich die Wahrheit vom ritualisierten, wirksamen und
gerechten Akt der Aussage weg und zur Aussage selbst hin verschoben: zu ihrem Sinn, ihrer
Form, ihrem Gegenstand, ihrem referentiellen Bezug." (ANM: Michel Foucault, Die
Ordnung des Diskurses, S. 14)
Zusammengefasst kann also zwischen Diskursen, die die Wahrheit sagen und zwischen
Diskursen, deren diskursive Performanz Wahrheit produziert und damit historisch herstellt,
unterschieden werden. Diskurse, die derart die Wahrheit sagen, gehen davon aus, daß die
Wahrheit bereits der Sprache vorgängig existiert und nur noch ausgesprochen werden muß.
Für den zweiten Typus gilt nicht, daß die Produktion von Wahrheit mit verschleierenden
Unwahrheiten gleichbedeutend ist. Die Unterscheidung Wahr/Falsch wird im zweiten Typus
nicht als etwas Seiendes und nur noch Auszusprechendes behandelt, sondern als etwas
historisch zu Produzierendes. (ANM: Zu Foucaults Begriff der Wahrheit vgl.: Michel
Foucault, Der sogenannte Linksintellektuelle, S. 61ff)
Foucault setzt den Diskurstyp, innerhalb dessen die Wahrheit gesagt wird, als jenen, auf
dessen Basis sich der moderne Willen zur Wahrheit (ANM: vgl. Michel Foucault, Die Ordnung
des Diskurses, S. 15) konstituiert hat. Im Rahmen dieses "Willen zur Wahrheit"
ist beispielsweise die Entwicklung der modernen Wissenschaften anzusiedeln. Für Foucault
steht fest, daß der auf dieser "institutionellen Basis und Verteilung beruhende
Wille zur Wahrheit in unserer Gesellschaft dazu tendiert, auf die anderern Diskurse Druck
und Zwang auszuüben". (ANM: Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, S. 16)
Foucault denkt hier an Fragen der Legitimierung und Begründung von Aussagen, also der
Versicherung deren Wahrheitsgehalts und spricht von Rationalisierungs- und
Rechtfertigungsversuchen der Diskurse.
Den Gedanken konkretisierend kann beispielsweise die gängige Technik angeführt werden,
durch wissenschaftlich codierte Aussagen den Wahrheitsanspruch des Ausgesagten zu
unterstreichen und verstärken. Wie Foucault ausführt, stellt sich ein Wahrheitswert von
Aussagen häufig bereits durch ihr Erscheinen in einer wissenschaftlichen diskursiven
Formation her. (ANM: Vgl. Michel Foucault, Was ist ein Autor?, S. 18ff)
Die Wahrheit in den Diskursen der Techno-Kultur
Vor diesem Hintergrund sollen nun die analysierten vier diskursiven Strategien
eingeordnet werden.
Zusammengefaßt ergibt sich ein heterogenes Bild des jeweiligen Bezugs der vier
diskursiven Strategien auf die beiden skizzierten Wahrheitstypen. Während in den
Strategien der Werbungssprache und der experimentierenden Diskurse deutlich der zweite
Wahrheitstypus bestimmt werden konnte, der die Wahrheit als herzustellende begreift,
bezieht sich die Strategie der Experten-Diskurse eindeutig auch auf einen Wahrheitstypus,
der diese im Gesagten situiert. Am komplexesten verhält es sich bei der Strategie der
Alltagsdiskurse, in denen sich beide Wahrheitstypen fanden.
Auch bezüglich des Wahrheitskriteriums gilt, daß nicht davon ausgegangen werden kann,
daß Texte zwangsläufig sich durchgehend auf nur einen der Wahrheitstypen beziehen. Im
Gegenteil finden auch hier, wie bei der Frage der Zuordnung von Texten zu einzelnen
diskursiven Strategien, Mischungen und Überkreuzungen statt.
Es kann davon ausgegangen werden, daß die konstatierte Heterogenität und der insgesamt
doch hohe Grad, in dem der zweite Typus von Wahrheit, demnach sie als etwas zu
Produzierendes begriffen wird, eine außergewöhnliche Spezifik der Verfasstheit der
Diskurse der Techno-Kultur darstellen. Dies vor allem, wenn man bedenkt, daß die der
Untersuchung zugrundeliegenden Diskurse sämtlich schriftlicher Form sind und in
öffentlichen vorliegenden Printmedien auftauchen.