3.4.5.5. Die vierte diskursive Strategie in der Techno-Kultur:
            experimentelle Diskurse

Abgeleitet aus dem voranstehenden Exkurs soll nun versucht werden, die These einer vierten diskursiven Strategie zu entwickeln.
Hierfür wird nochmals auf die durchgängig in allen Techno-Zeitschriften gefundene Rubrik der Plattenkritiken zurückzukommen sein. Als Orientierungspunkte sollen dabei Derridas Forderung nach einem mythomorphen Diskurstyp, für den gilt: "Er muß die Form dessen haben, worüber er spricht" und Barthes' Aufruf zur Suche nach Sprechweisen über Musik, die sich jenseits der Kategorien des Adjektivs formulieren, genommen werden.
Dabei muß vorausgeschickt werden, daß eine verifizierende Überprüfung von Texten aus der Techno-Kultur - an Derridas Forderung gemessen - nicht möglich ist. Wie gezeigt, verweist Derrida selbst einen seiner Forderung entsprechenden Diskurstyp in eine einzulösende Zukunft. Daher kann diesbezüglich nur sehr spekulativ analysiert werden. Es kann aber verglichen werden, inwiefern Texte oder Textfragmente eine Art und Weise der Diskursivierung der besprochenen Musik versuchen, deren Darstellungsweise nicht einer Ökonomie des Aussprechens und Benennens dieser folgen.
Es gilt also, nach Diskursen Ausschau zu halten, denen der Versuch attestiert werden kann, durch ihre eigene konstruierte Verfaßtheit die Musik darzustellen. Im Rückgriff auf die in 3.4.5.3. zitierten Plattenrezensionen finden sich diesbezüglich differente Ergebnisse.

Der Text aus "Groove" arbeitet beispielsweise ausgiebig mit der adjektivischen Beschreibungsstruktur. Hier finden sich Klassifizierungen wie "melancholisch", "abgespeckt", "trocken" oder "kickend". Von experimentellem Diskurs, der sich jenseits der Adjektive ansiedelt, kann also keinesfalls gesprochen werden. Hinsichtlich Derridas Vorgabe ergibt sich ein ähnliches Bild: dem Diskurs aus "Groove" liegt zweifellos die Prämisse zugrunde, sagen zu wollen, also im Diskurs auszusprechen, wie die besprochene Musik ist.

Völlig anders stellt sich die Situation bei der Überprüfung der betreffenden Passagen aus "House Attack" dar: Hier finden sich vergleichende Assoziationen wie jene, daß einer der besprochenen Tracks "auf einer warmen Milch-Pfütze treibt". Diese Umschreibung kann kaum als adjektivische Beschreibung der Musik bezeichnet werden. Anstelle dessen kann formuliert werden, daß sich dieser Diskurs der Musik nicht durch einfache Attribuierung, sondern vielmehr durch das Beschreiben eines offenbar beim Hören assoziierten Bildes, textlich anzunähern versucht. Dem Text kann man zumindest unterstellen - und diese Unterstellung kann meines Erachtens nicht hinreichend entkräftet werden -, daß er eine der Derridaschen Forderung nahekommende Sprechweise versucht.

Ähnlich kann der "Frontpage"-Text gelesen werden. Hier findet sich die im Kontext einer Plattenrezension zunächst reichlich zusammenhangslos wirkende einleitende Passage "Pan heißt Panoramaverschiebung mit Unsinn, die Sinn macht. Eine Absurdität, die trotzdem die Zielsetzung der Full Customer Satisfaction miteinschließt".
Auch hier ist das Verhältnis des Diskurses zu seinem Gegenstand Musik nicht in dem Sinne nominalistisch, daß der Text ausspricht und in Worte faßt, wie die Musik ist. Anstelle dessen findet sich hier offenbar die Assoziation eines logischen Pardoxons, dessen Verfaßtheit mit der Musik verglichen wird.

Es kann also formuliert werden, daß als vierte diskursive Strategie eine Form des experimentellen Sprechens über Gegenstände - wie beispielsweise die Musik - angegeben werden kann. Diskurse, die sich innerhalb dieser Strategie konstituieren, verwenden Formen der textlichen Darstellung ihres Gegenstands, die sich nicht im Modus des (expliziten) Aussagens und Aussprechens von dessen Beschaffenheit äußern. Vielmehr findet sich die ausgiebige Verwendung assoziierter Bilder und Gedanken, deren Verfaßtheit und Konstruktion die Beschaffenheit des Gegenstands Musik darstellen soll. Derartige Texte beziehungsweise Textfragmente finden sich nach meiner Recherche häufig in den Magazinen "House Attack", "Frontpage" und "DE:BUG".

Zwar bleibt eine gehörige Portion Skepsis, ob diese Vorgehensweise so ohne weiteres als Variante des Sprechens im Sinne von Derridas Diktum angesehen werden kann, im Vergleich zu nominalistischen Diskursen scheint es sich allerdings um eine vollzogene Bewegung der Diskurse über die Musik zu handeln, die zumindest in die von Derrida angezeigte Richtung geht.