3.4.3.3. "Der Partysan":
Redaktioneller Teil
Die enthaltenen 20 Seiten Text können noch einmal untergliedert werden:
Die Alltäglichkeit von Wort und Bild
Als größten Teil der vorhandenen Texte wurden die Party-Nachberichte ausgewiesen.
Auffällig ist nun, daß die betreffenden neun Seiten, die dies einimmt, nur etwa zur
Hälfte von diesbezüglichem Text gefüllt sind. Die andere Hälfte besteht aus Fotos.
Dabei handelt es sich um patchworkartig angeordnete viele kleine Schnappschuá-Porträts,
die offenbar sämtlich im Nachtleben aufgenommen wurden. Die Bilder wirken dabei sehr
alltäglich, denn die Fotografierten wurden kaum extra für die Fotos geschminkt und
schneiden häufig Grimassen. Im Prinzip sehen die abgedruckten Fotos so aus, als ob sie
bei x-beliebigen Personen aus dem privaten Album genommen wurden. Es handelt sich also
nicht um professionelle Fotografien.
Auch die Auswahl der fotografierten Individuen scheint keinen besonderen
Selektionskriterien zu unterliegen - hier werden beliebige Techno-Begeisterte auf Parties
gezeigt und dementsprechend hat es den Anschein, hier könne prinzipiell jedes Individuum
abgebildet sein. Zwar mischen sich häufig Fotos von bekannten DJ's oder Techno-Musikern
darunter, doch tauchen diese Bilder dann lediglich unter den vielen im Gesamt-Patchwork
auf.
Festhaltenswert ist der Aspekt der Alltäglichkeit der Fotos, der, sowohl was die
fotografischen Kompetenzen ihrer Herstellung als auch die gewählten und veröffentlichten
Motive anbelangt, vorhanden ist.
Diese Alltäglichkeit korrespondiert mit dem in den Texten verwendeten Sprachgestus. Um
diese These zu illustrieren, möchte ich ein zweites Mal auf den Text "Faierai in
FFM" genauer eingehen.
"Die Veranstaltung war mit über 2000 Leuten ausverkauft und man
amüsierte sich prächtig. Fabio spielte ein wunderbar smoothes Drum'n'Bass Set und Mickey
Finn, Randall, Brockie und andere heizten den Junglists so richtig ein. Einziger Dämpfer
war, daß irgendwann morgens 4 MC's gleichzeitig versuchten, ihre Lyrics zu kicken und das
im zweiten Part von J.J. Frosts Set. Schade!! Trotzdem gute Party. Immer wieder gerne
geht's auch ins Cookys. Ab und an bietet der Club am Salzhaus dann Leckerbissen auf
Clubtour. Beim Club Supreme Special waren die DJ's vom Londoner Wall of Sound Label zu
Gast und irgendwie war's gut. Die Musik war breit gefächert und ab und an sprang der DJ
an die Drums und spielte live. Cool, kommt wieder! So schnell nicht mehr in Frankfurt ist
wohl Africa Islam. Der alte Hiphopper, der schon mit Ice-T produzierte, ist inzwischen als
House-Produzent tätig. Viele Tanzwütige erschienen in der Box und DJ Roland Leesker
brachte die Menge zum Kochen. Alle warteten nur auf Africa himself. Als der dann nicht die
erwarteten Beats mit House mischte, wurde es ziemlich schnell wieder leer. Islam's Rave
Set ist laut einiger Experten dann doch eher bescheiden."
Besonders auffällig sind die Anleihen des Textes bei alltagsssprachlichen Codes.
Urteilende Sätze wie "Trotzdem gute Party" oder "Immer wieder gerne geht's
auch ins Cookys" fallen hierbei ins Auge, ganz sicher auch aufgrund ihrer
grammatikalischen Fehlerhaftigkeit. Darüber hinaus kann auch der Satzbildung eine gewisse
Einfachheit nicht abgesprochen werden. In der Regel werden kurze Hauptsätze verwendet,
die allenfalls durch das Wörtchen 'und' verbunden sind. Nebensätze stellen hingegen eher
die Ausnahme dar. Die Anleihen bei und starke Bezugnahmne auf orale Sprache schlagen sich
auch in Ausrufs-Formulierungen wie "Cool, kommt wieder!" oder
"Schade!!" nieder.
Es kann also gefolgert werden, daá den verwendeten Sprachformen eine gewisse
Alltäglichkeit durchaus zueigen ist. Der schriftliche Text nimmt in sich Sprachformen und
Stilistiken der Alltagsdiskurse auf und kommt, was Wortstellung und Satzbau anbelangt, den
Formulierungen dieser sehr nahe. Der angerissene Kontext tritt dabei umso deutlicher zu
Tage, da der Text im Prinzip völlig auf intellektuelle Codes verzichtet. Fremdworte oder
Latinismen, neben komplexeren syntaktischen Konstruktionen ein weiterer Indikator
hierfür, finden sich nicht. Argumente, im Sinne komplexerer kausaler Konstruktionen
werden kaum entwickelt. Der Text begnügt sich weitgehend damit, einerseits die Präsenz
bestimmter Individuen zu bestimmter Zeit an bestimmtem Ort zu beschreiben und
andererseits, deren dortiges Tun und Verhalten zu notieren und qualitativ zu bewerten.
Daher finden sich im Text kaum kausale Ableitungen und demzufolge auch kaum begründende
Diskurse. Einziger Diskursstrang, der ansatzweise derartiges enthält, ist die qualitative
Bewertung der Parties hinsichtlich der Frage, ob sie dem Schreibenden gefallen haben oder
nicht.
Techno-spezifische Vorrausetzungen des Textverständnisses
Wenn hier die tendenzielle Abwesenheit intellektueller Codes im Sinne eines
erleichternden Zugangs zum Verständnis und das Freimachen der verwendeten Sprache von
gängigen prädiskursiven Setzungen konstatiert wird, so heißt dies nicht, daß die in
"Faierai in FFM" verwendete Sprache über keinerlei codifizierte und damit
ausschließende Formen verfügt. Im Folgenden ist zu fragen, in welcher Art und Weise
wieder Sprachformen eingeführt werden, deren Verständnis komplexere
Decodierungskompetenzen erfordert und die damit erneut spezifisches Insider-Wissen im Text
aufbauen.
Es muß also überprüft werden, inwiefern der Text wieder Vorkenntnisse an anderer Stelle
bedingt und welche Verfaßtheit diese notwendigen Vorkenntnisse haben. Diesbezüglich
können drei Merkmale des Einsatzes spezifischer Sprachformen angeben werden:
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die in "Der Partysan" verwendete
Sprache sich sehr stark auf einen Gestus der Alltäglichkeit bezieht, beziehungsweise eine
Art zu Schreiben darstellt, die sich sehr stark in Syntax und Wortwahl der Verfaßtheit
oraler Sprache in der Techno-Kultur annähert.
Als zweite Strategie der Produktion und Verfaßtheit von Diskursen in der
Techno-Kultur kann also der starke Bezug des Aussagestils auf Formen der Sprache der
Alltagsdiskurse angegeben werden.
Es ist diese Sprache, in der hier versucht wird zu schreiben. Dabei vollzieht diese
spezifische Sprache zwei Bewegungen im Vergleich zu sonstigen gesellschaftlich gängigen
Sprachmustern: einerseits hat sie sich freigemacht von intellektuellen Codes und vom
allgemein szientistischen Sprachgestus, wie er sich oft in der Schriftkultur findet. Als
Konsequenz hieraus wird die Sprache alltäglicher und damit auch verständlicher, das
heißt, es werden eine ganze Reihe von selektierenden Vorbedingungen des Verständnisses
suspendiert. Andererseits benutzt und entwickelt der Text wieder Codes, die sich als
techno-spezifisch bezeichnen lassen und die die Funktion haben, ihn in bestimmten
Kontexten als authentisch auszuweisen. Die Strategien des Namedroppings, der Verwendung
eines ganzen Katalogs bestimmter Fachbegriffe und eines spezifischen Slangs der
Alltagsdiskurse der Techno-Kultur konstituieren wieder neue, anders gelagerte
Vorbedingungen für das Verständnis des Texts.