3.4.3.2. Die Funktion der Werbung
            und das Verhältnis ihres Diskurses zu den übrigen Texten

Die Anzeigen werben zum größten Teil für techno-spezifische Produkte oder Veranstaltungen. Mit 14,5 Seiten fällt die Reklame für Raves, Parties und Clubs am stärksten ins Gewicht. Hinzu kommen je 4,5 Seiten Werbung für Platten(-Läden) und spezifische Mode sowie diverse kleinere Anteile anderer techno-spezifischer Marktsegmente. Der Anteil techno-unspezifischer Anzeigen ist mit je einer Seite Parfum- und Zigarettenwerbung relativ gering.

Aufgrund des quantitativ hohen Anzeigenanteils und insbesondere dessen äußerst zielgruppenorientierter Ausrichtung kann davon ausgegangen werden, daß sich der gesamte Informationsgehalt von "Der Partysan" für die Leser auch - sicher auf jeweils individuell zu spezifizierende Art und Weise - durch den umfangreichen Anzeigenteil ergibt. Die Werbung liefert den Lesern genauso wichtige Informationen aus der Techno-Kultur, wie das die zwischen den Anzeigen plazierten Texte tun. Durch die Anzeigen erfährt man beispielsweise, welche Parties wann wo stattfinden und welche Musik dort zu hören sein wird; man erfährt, welche neuen Platten erschienen sind und wo man sie kaufen kann. Insbesondere die Informationen, die in Tageszeitungen unter der Rubrik Veranstaltungskalender zu finden sind, werden in Techno-Zeitschriften wie "Der Partysan" fast ausschließlich im Format von Anzeigen veröffentlicht. Insofern können die Anzeigen als integraler Bestandteil des Heftes bezeichnet werden.

Die These kann noch dahingehend zugespitzt werden, daß die Grenzen zwischen den geschalteten kommerziellen Anzeigen und den veröffentlichten redaktionellen Texten in Techno-Zeitschriften bisweilen verschwimmen. Die Aussagen letzterer nehmen häufig Anleihen bei Sprachformen aus der Werbung. Daher ist es kaum möglich, isoliert betrachtete Aussagen aus dem Heft eindeutig den Segmenten Anzeigen- oder Textanteil zuzuordnen. Die in Text- und Anzeigenanteil getroffenen Aussagen weisen häufig keine nennenswerten Unterschiede im denotativen Aussagegehalt auf. Um dies zu belegen, folgt nun ein erstes längeres Zitat aus "Faierai in FFM":

"Für alle Junglists, die immer noch trauern, daß es in der Box keine Breakbeats mehr gibt: there's a new homebase in town. Ab dem 12. Juli gibt es jede Woche Freitag Drum'n'Bass in FFM. Das ehemalige Sounddepot, sp"ter Sol y Luna wird dann von Woche zu Woche unter dem Namen Hypnotic mit dem besten aus Deutschland, England und den restlichen Jungle Nationen beschallt. Zur Opening Party kommen Bryan Gee, Andy C. Zinc. Zu erwarten ist so fast alles, was diese Musik so zu bieten hat und daß verstärkt auf deutsche Local Heroes geachtet wird. Außerdem wird es in unregelmäßigen Abständen experimentelle Gäste geben (James Lavelle ???), die dann Breakbeat mit allerlei anderer guter Musik vermischen. Wollen wir hoffen, daß alles gut geht und wir sehen uns."

Zur Erinnerung: das Zitat stammt nicht etwa aus einer Anzeige, sondern ist einem Artikel aus "Der Partysan" entnommen. Jeder halbwegs ambitionierte Werbetexter wird sich zwar mit Grausen abwenden, aber es handelt sich hier um Werbung in ihrer unverblümtesten Form. Derartige Textfragmente sind nach meiner Recherche in den meisten Techno-Zeitschriften nichts Außergewöhnliches.
Dieser Zusammenhang stützt noch einmal die These, daß der Anzeigenteil durchaus als integraler Bestandteil des informativen Gehalts des Heftes verstanden werden muß.

Die im Zitat getroffenen Aussagen und enthaltenen Informationen unterscheiden sich nur unwesentlich von denen, die in den Anzeigen eines Clubs enthalten sind. Hinzu tritt hier lediglich, daá der Text Auskunft über die Vorgeschichte des Clubs und dessen noch vage Zukunftspläne gibt. Ansonsten stellen die Passagen kaum mehr als die Umformulierung der meist stichwortartigen Informationen eines (werbenden) Flyers in fließenden Text dar. Die im Text enthaltene Aussagesubstanz ist also weitgehend ununterscheidbar von den Aussagen eines Flyers beziehungsweise einer Anzeige.

Zumindest was die getroffenen Aussagen und gegebenen Informationen anbelangt, kann also die These vom Verschwimmen der Grenzen zwischen Werbung und redaktionell verfaßtem Text als bestätigt angesehen werden.
Für Jürgen Laarmann, den ehemaligen Chefredakteur von Frontpage, "ist die sogenannte Offenheit der Technoszene gegenüber Sponsoren und Markenartiklern natürlich reines Kulturprinzip und (leider auch) Überlebensprinzip und Selbsthilfemittel." (ANM: Jürgen Laarmann, Meine Abrechnung, in: Frontpage Februar 97, S.18)

Überraschend ist hierbei, daß Laarmann den Zusammenhang als Kulturprinzip gefaßt als Selbstverständlichkeit ansieht, während er ihn demgegenüber als Überlebensprinzip gefaßt beklagt. Es kann darauf geschlossen werden, daß die Techno-Kultur kaum die Angst vor einer Vereinnahmung durch Kommerzialisierung kennt, wie sie noch für einige vorgängige Jugendkulturen konstitutiv war. (ANM: in erster Linie muß hier sicher Punk und alles, was sich in der Folge auf ihn bezog, genannt werden. Martin Büsser notiert beispielsweise zu Punk: "Selbstbestimmung/Selbstverwaltung, also Autonomie wird hier erstmals komplett politisiert: Ein eigenes Label, einen eigenen Vertrieb, einen eigenen Plattenladen oder ein eigenes Fanzine zu starten, ist bewußte Absage gegen die Industrie und deren Verwertung.", Martin Büsser, If the kids are united, S. 69) Unter Bezugnahme hierauf, wäre der Schluß naheliegend gewesen, dem umfangreichen Anzeigenanteil in Techno-Zeitschriften primär die Funktion zuzuweisen, das Heft und vor allem die enthaltenen Texte zu finanzieren.
Anstelle dessen findet sich nun der hohe Anteil der Werbung zum Kulturprinzip erhoben.

Es kann also gefolgert werden, daß der redaktionelle und der kommerzielle Teil einer Techno-Zeitschrift quasi in einem symbiotischen Verhältnis gemeinsam den Inhalt dieser konstituieren. Dies gilt - und das scheint ein Spezifikum der Techno-Kultur zu sein - nicht nur in rein quantitativer Hinsicht bezüglich der Präsenz im Heft, sondern gleichermassen qualitativ hinsichtlich der im Heft enthaltenen Informationen, Daten und Aussagen.
Daß die skizzierte Symbiose dabei auch als "Überlebensprinzip" funktioniert, dürfte relativ klar sein. (ANM: Vgl. Westbam, Alphabet VII, S. 125ff) Vor diesem Hintergrund erklärt sich beispielsweise, daß die Zeitschrift Frontpage Konkurs anmelden mußte und eingestellt wurde, als der größte Anzeigenkunde "Camel" ausstieg.

Zusammenfassend ergibt sich: Die Funktion des hohen Anzeigenanteils in Techno-Zeitschriften besteht keineswegs nur in der Finanzierung dieser. Die Anzeigen vermitteln wie die Artikel für die Leser wichtige Informationen über die Techno-Kultur. Es scheint typisch für Techno-Printmedien, durch die beiden Komponenten Texte und Werbung, die teilweise fließend ineinander übergehen, konstituiert zu sein. Dies Verhältnis und diese Konstitutionsweise wird von den betroffenen Redakteuren sogar als Kulturprinzip bezeichnet. Daher verwischen häufig die Grenzen zwischen Werbung und redaktionellem Teil; Versatzstücke der Werbungssprache tauchen in den Artikeln auf. Die gleichen Aussagen können in Text- und Anzeigenteil auftauchen. Von einer isoliert betrachteten Aussage kann nicht darauf geschlossen werden, welchem Heftanteil sie zugehörig ist.

Als erste diskursive Strategie der Techno-Kultur kann also die Orientierung an und Vermischung der Sprechweise mit diskursiven Mustern der Werbungssprache genannt werden.