3.3.2. Ulf Poschardt - DJ-Culture
         (ANM. Rogner und Bernhard, Hamburg, 1995)

"Dieser Text kann von Fakten, Taten und Ideen sprechen - im Club sind solche Worte stumm und hilflos."
(ANM: Ulf Poschardt, DJ Culture, S. 17)

Wesentlich größere Schwierigkeiten stellen sich für Ulf Poschardt in seinem Unternehmen, die Geschichte der DJ Culture von den Ursprüngen bis in die Aktualität hinein nachzuzeichnen. Er notiert als Grundproblem: "Die meisten DJ's verspüren nicht das geringste Bedürfnis nach intellektueller Vermittlung. Wer sie verstehen will, muß in den Club gehen. Die Wahrheit über DJ's muß erlebt werden, wenn man dem DJ bei seiner Arbeit zusehen kann und zu seiner Musik tanzt. Dieser Text kann von Fakten, Taten und Ideen sprechen - im Club sind solche Worte stumm und hilflos." (ANM: Ulf Poschardt, DJ Culture, S. 17) Die soziale Funktion von Sprache und Intellektualität ist demnach für Poschardt in der Techno-Kultur relativiert und es muß sogar eine gewisse Inkompatibilität konstatiert werden.

Den Zusammenhang leicht umformulierend, kann gesagt werden, daß Poschardt die Seinsebenen des Gegenstands (also der DJ-Culture) und des (wissenschaftlichen) Sprechens von ihm als different situiert. "Der DJ ist der Wissenschaft bisher bis auf wenige Ausnahmen unbekannt gelieben. DJ's sind unstrukturierte, von der Episteme weitgehend unberührte Natur." (ANM: Ulf Poschardt, DJ Culture, S. 17) Er sieht sich also mit dem Problem konfrontiert, von etwas zu sprechen, worüber es bislang noch kein Sprechen gibt und bezüglich dessen daher auch kaum Anknüpfungspunkte vorliegen, an denen dieses zu erfindende Sprechen orientiert werden könnte.

Doch das Problem hat noch eine zweite Dimension: das, worüber er sprechen möchte, also die DJ's und die aus ihnen beziehungsweise ihrer Arbeit abgeleitete Kulturform, legt überhaupt keinen Wert auf sein wissenschaftliches Sprechen. Weder ist dieses eine in der Techno-Kultur verwendete diskursive Technik, noch interessiert sie sich dafür, zum Gegenstand eines solchen Sprechens zu werden. "DJ's neigen zu wortfaulem Autismus. Damit sind sie ein gefügiges Objekt für jeden Theoretiker und Wissenschaftler, der sich ihnen nähert. Er kann ihnen seine Begriffsdecke über den Kopf ziehen und sie in die Struktur seiner Theorie hineinpressen, ohne mit irgendwelchen Gegenreaktionen rechnen zu müssen. ... dem DJ ist es meist egal, was über ihn geschrieben, gedacht oder diskutiert wird." (ANM: Ulf Poschardt, DJ Culture, S. 17f)

Poschardts Skizzierung seines Problems erinnert fast ein wenig an Situationen, die aus der Ethnologie bekannt sind. Im Prinzip ist das beschriebene Dispositiv nicht allzu weit vom Ausgangspunkt eines Ethnologen entfernt, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Mythen einer ihm unbekannten Gesellschaftsform zu analysieren. Mit Levi-Strauss muß darauf insistiert werden, aus der diagnostizierten Sprachlosigkeit keine vorgeschalteten Wertungen bezüglich intellektueller oder den Zivilisationsgrad betreffender Qualitäten der untersuchten Kultur abzuleiten: "Das Denken jener Völker, die wir fälschlich primitive zu nennen gewohnt sind - wir wollen sie eher als schriftlose Völker bezeichnen, weil damit, so glaube ich, das wirklich unterscheidende Merkmal zwischen ihnen und uns benannt wird -, ist auf ... verschiedene Weisen interpretiert worden."(ANM: Claude Levi-Strauss, Mythos und Bedeutung, S. 27)

Wie Poschardt schreibt auch Levi-Strauss in einer dergestalten Situation zunächst einmal die diagnostizierte Differenz fest, indem er "eine Trennung - eine notwendige Trennung - zwischen dem wissenschaftlichen Denken und der, wie ich es nenne, Logik des Konkreten ..., das heißt der Beobachtung und Verwendung von Sinneserfahrungen im Gegensatz zu Bildern, Symbolen und ähnlichem" (ANM: Claude Levi-Strauss, Mythos und Bedeutung, S. 25) konstatiert. Die Funktion dieses Postulats ist dabei eine doppelte: indem die Analyse jene Differenz konstatiert - das heißt die Aussage, die deren Existenz bestimmt, in ihr festes Inventar integriert -, schreibt sie diese erneut fest und macht sie überdies zum Ausgangspunkt ihrer weiteren šberlegungen. Die innerhalb der Analyse gemachte Aussage führt nun notwendig zu Konsequenzen für die weitere Situierung der Analyse im Verhältnis zu ihrem Gegenstand. Die Kategorie der Differenz hat nun den Stellenwert einer konstituierenden Bedingung der Analyse. Demgemäß müssen die Analyse und ihr Gegenstand als differente und zun"chst einmal voneinander unabhängige Singularitäten vorgestellt werden. Selbstverständlich kann daraus nicht geschlossen werden, daß (in Levi-Strauss' Worten) wissenschaftliches Denken und sein Gegenstand, der einer Logik des Konkreten unterliegt, keine Beziehungen unterhalten. Im Gegenteil, es geht nur darum, das Sprechen vom Gegenstand nicht als dessen bloße Repräsentation im System der Zeichen und der Sprache mißzuverstehen. Gegenstand und Analyse des Gegenstands müssen als differente Heterogenitäten, die komplexere Beziehungen unterhalten, situiert und verstanden werden.

Auf Basis dessen lässt sich zusammenfassen, welche Konsequenzen Ulf Poschardt für sein sich in diesem Gesamtrahmen entfaltendes Sprechen von der DJ Culture ziehen möchte.
Zunächst beschreibt er seine Position an Michel Serres (ANM: Vgl. Michel Serres, Der Parasit) angelehnt als die eines Parasiten, der durch die Recherche "zu einem konservativen Archivar und Sammler geworden" ist, indem er "Geschichten" und "Wissen in seine Höhle zurückschleppte". (ANM: Ulf Poschardt, DJ Culture, S. 331) Poschardts Beschreibungweise verfügt fast über Züge einer Selbstkriminalisierung; die konstatierte Differenz findet ihren offenbaren Ausdruck in der Idee, seine Tätigkeit bestünde darin, der DJ Culture gewaltsam den Diskurs zu stehlen beziehungsweise aufzuzwingen. In Abwandlung einer Formulierung von Foucault könnte man sagen: Man scheucht die DJ-Culture auf und treibt sie in eine diskursive Existenz hinein. (ANM: Vgl. Michel Foucault, Der Wille zum Wissen, S. 46; dort lautet die Formulierung: "Man scheucht den Sex auf und treibt ihn in eine diskursive Existenz hinein.")

Es gibt keinen Grund, diese Sichtweise zu psychologisieren und ihr Zustandekommen auf eine neurotische Angst zu reduzieren. Sie scheint viel eher auf die Situation zurückführbar, in die sich Poschardt durch die Konstruktion der Differenz zwischen seinem Diskurs und dessen weltlichem Gegenstand versetzt hat. "Wir müssen uns nicht einbilden, daß uns die Welt ein lesbares Gesicht zuwendet, welches wir nur zu entziffern haben. Die Welt ist kein Komplize unserer Erkenntnis. Es gibt keine prädiskursive Vorsehung, welche uns die Welt geneigt macht. Man muß den Diskurs als eine Gewalt begreifen, die wir den Dingen antun; jedenfalls als eine Praxis, die wir ihnen aufzwingen." (ANM: Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, S. 34f)

Die zweite gezogene Konsequenz besteht aus einem ganzen Bündel von Bestimmungen und bezieht sich demgegenüber eher auf Bedingungen der Verfasstheit seines Schreibens/Sprechens. Er versucht, der DJ Culture einige spezifische künstlerische Techniken des Umgangs mit ihren konkreten Materialien Schallplatten und Samples abzuringen, um in einem zweiten Schritt hieraus gewisse Ableitungen für seinen Umgang als Schreiber mit den Materialien Text und Sprache zu entwickeln. Die hierbei vollzogene Bewegung des Denkens kann als einfache Analogisierung beschrieben werden. "Der DJ gebiert Lieder aus der Einsamkeit, der Schreiber Texte, der Denker Gedanken und Theorien. ... Dieses Buch über DJ's wird versuchen, deren euphorische Produktionsweise voller Liebe und Begeisterung auch in die eigenen Arbeit am Text zu retten." (ANM: Ulf Poschardt, DJ Culture, S. 32)

Aus der grundlegenden DJ-Technik, dem Mischen verschiedener Platten, entwickelt sich der Auftrag, mit dem Text gleichermaßen zu verfahren. "Von Adorno bis Tate kommen alle zu Wort und werden miteinander verkoppelt und vernetzt, zerstückelt und gemischt bis zur Unkenntlichkeit, aus der dann eine neue Kenntlichkeit entwächst." (ANM: Ulf Poschardt, S. 33) Einziges Kriterium, an dem sich dieses Mischen orientieren soll: die gemischten Stimmen "müssen sich also befruchten, wenn sie einander etwas sagen und nicht für sich bleiben sollen". (ANM: Ulf Poschardt, DJ Culture, S. 33)
Die DJ-Technik des Remixens, also das Neubearbeiten bereits bestehender Musikstücke, will Poschardt auf wissenschaftliche Texte anwenden, denn "auch Karl Marx oder Walter Benjamin lassen sich gut remixen. Denn ein Remix kann nicht nur die Anpassung an einen neuen Kontext gewährleisten, sondern auch die Aktualisierung eines alten (brillanten) Gedankens ermöglichen." (ANM: Ulf Poschardt, DJ Culture, S. 33)
Schließlich bleibt als dritte analogisierte Technik die Sampling-Methode. Die Handhabe von Zitaten und Gedanken in einem wissenschaftlichen Text kann hiermit ohne weiteres verglichen beziehungsweise sogar selbst als Sampling-Technik bestimmt werden.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß Poschardt seinen wissenschaftlichen Diskurs und dessen Gegenstand DJ-Culture als grundverschiedene Dinge situiert. Er konstatiert eine tiefe Differenz zwischen den beiden. Seine Konsequenzen hieraus bestehen in der Ableitung eines für seinen wissenschaftlichen Diskurs bestimmten Umgangs mit dem Material, der mittels einiger analogisierender Operationen aus Techniken und Praxen der DJ-Culture gewonnen wird.