Wesentlich größere Schwierigkeiten stellen sich für Ulf Poschardt in seinem
Unternehmen, die Geschichte der DJ Culture von den Ursprüngen bis in die Aktualität
hinein nachzuzeichnen. Er notiert als Grundproblem: "Die meisten DJ's verspüren
nicht das geringste Bedürfnis nach intellektueller Vermittlung. Wer sie verstehen will,
muß in den Club gehen. Die Wahrheit über DJ's muß erlebt werden, wenn man dem DJ bei
seiner Arbeit zusehen kann und zu seiner Musik tanzt. Dieser Text kann von Fakten, Taten
und Ideen sprechen - im Club sind solche Worte stumm und hilflos." (ANM: Ulf
Poschardt, DJ Culture, S. 17) Die soziale Funktion von Sprache und Intellektualität ist
demnach für Poschardt in der Techno-Kultur relativiert und es muß sogar eine gewisse
Inkompatibilität konstatiert werden.
Den Zusammenhang leicht umformulierend, kann gesagt werden, daß Poschardt die Seinsebenen
des Gegenstands (also der DJ-Culture) und des (wissenschaftlichen) Sprechens von ihm als
different situiert. "Der DJ ist der Wissenschaft bisher bis auf wenige Ausnahmen
unbekannt gelieben. DJ's sind unstrukturierte, von der Episteme weitgehend unberührte
Natur." (ANM: Ulf Poschardt, DJ Culture, S. 17) Er sieht sich also mit dem Problem
konfrontiert, von etwas zu sprechen, worüber es bislang noch kein Sprechen gibt und
bezüglich dessen daher auch kaum Anknüpfungspunkte vorliegen, an denen dieses zu
erfindende Sprechen orientiert werden könnte.
Doch das Problem hat noch eine zweite Dimension: das, worüber er sprechen möchte, also
die DJ's und die aus ihnen beziehungsweise ihrer Arbeit abgeleitete Kulturform, legt
überhaupt keinen Wert auf sein wissenschaftliches Sprechen. Weder ist dieses eine in der
Techno-Kultur verwendete diskursive Technik, noch interessiert sie sich dafür, zum
Gegenstand eines solchen Sprechens zu werden. "DJ's neigen zu wortfaulem Autismus.
Damit sind sie ein gefügiges Objekt für jeden Theoretiker und Wissenschaftler, der sich
ihnen nähert. Er kann ihnen seine Begriffsdecke über den Kopf ziehen und sie in die
Struktur seiner Theorie hineinpressen, ohne mit irgendwelchen Gegenreaktionen rechnen zu
müssen. ... dem DJ ist es meist egal, was über ihn geschrieben, gedacht oder diskutiert
wird." (ANM: Ulf Poschardt, DJ Culture, S. 17f)
Poschardts Skizzierung seines Problems erinnert fast ein wenig an Situationen, die aus der
Ethnologie bekannt sind. Im Prinzip ist das beschriebene Dispositiv nicht allzu weit vom
Ausgangspunkt eines Ethnologen entfernt, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Mythen einer
ihm unbekannten Gesellschaftsform zu analysieren. Mit Levi-Strauss muß darauf insistiert
werden, aus der diagnostizierten Sprachlosigkeit keine vorgeschalteten Wertungen
bezüglich intellektueller oder den Zivilisationsgrad betreffender Qualitäten der
untersuchten Kultur abzuleiten: "Das Denken jener Völker, die wir fälschlich
primitive zu nennen gewohnt sind - wir wollen sie eher als schriftlose Völker bezeichnen,
weil damit, so glaube ich, das wirklich unterscheidende Merkmal zwischen ihnen und uns
benannt wird -, ist auf ... verschiedene Weisen interpretiert worden."(ANM: Claude
Levi-Strauss, Mythos und Bedeutung, S. 27)
Wie Poschardt schreibt auch Levi-Strauss in einer dergestalten Situation zunächst einmal
die diagnostizierte Differenz fest, indem er "eine Trennung - eine notwendige
Trennung - zwischen dem wissenschaftlichen Denken und der, wie ich es nenne, Logik des
Konkreten ..., das heißt der Beobachtung und Verwendung von Sinneserfahrungen im
Gegensatz zu Bildern, Symbolen und ähnlichem" (ANM: Claude Levi-Strauss, Mythos und
Bedeutung, S. 25) konstatiert. Die Funktion dieses Postulats ist dabei eine doppelte:
indem die Analyse jene Differenz konstatiert - das heißt die Aussage, die deren Existenz
bestimmt, in ihr festes Inventar integriert -, schreibt sie diese erneut fest und macht
sie überdies zum Ausgangspunkt ihrer weiteren berlegungen. Die innerhalb der
Analyse gemachte Aussage führt nun notwendig zu Konsequenzen für die weitere Situierung
der Analyse im Verhältnis zu ihrem Gegenstand. Die Kategorie der Differenz hat nun den
Stellenwert einer konstituierenden Bedingung der Analyse. Demgemäß müssen die Analyse
und ihr Gegenstand als differente und zun"chst einmal voneinander unabhängige
Singularitäten vorgestellt werden. Selbstverständlich kann daraus nicht geschlossen
werden, daß (in Levi-Strauss' Worten) wissenschaftliches Denken und sein Gegenstand, der
einer Logik des Konkreten unterliegt, keine Beziehungen unterhalten. Im Gegenteil, es geht
nur darum, das Sprechen vom Gegenstand nicht als dessen bloße Repräsentation im System
der Zeichen und der Sprache mißzuverstehen. Gegenstand und Analyse des Gegenstands
müssen als differente Heterogenitäten, die komplexere Beziehungen unterhalten, situiert
und verstanden werden.
Auf Basis dessen lässt sich zusammenfassen, welche Konsequenzen Ulf Poschardt für sein
sich in diesem Gesamtrahmen entfaltendes Sprechen von der DJ Culture ziehen möchte.
Zunächst beschreibt er seine Position an Michel Serres (ANM: Vgl. Michel Serres, Der
Parasit) angelehnt als die eines Parasiten, der durch die Recherche "zu einem
konservativen Archivar und Sammler geworden" ist, indem er "Geschichten"
und "Wissen in seine Höhle zurückschleppte". (ANM: Ulf Poschardt, DJ Culture,
S. 331) Poschardts Beschreibungweise verfügt fast über Züge einer
Selbstkriminalisierung; die konstatierte Differenz findet ihren offenbaren Ausdruck in der
Idee, seine Tätigkeit bestünde darin, der DJ Culture gewaltsam den Diskurs zu stehlen
beziehungsweise aufzuzwingen. In Abwandlung einer Formulierung von Foucault könnte man
sagen: Man scheucht die DJ-Culture auf und treibt sie in eine diskursive Existenz hinein.
(ANM: Vgl. Michel Foucault, Der Wille zum Wissen, S. 46; dort lautet die Formulierung:
"Man scheucht den Sex auf und treibt ihn in eine diskursive Existenz hinein.")
Es gibt keinen Grund, diese Sichtweise zu psychologisieren und ihr Zustandekommen auf eine
neurotische Angst zu reduzieren. Sie scheint viel eher auf die Situation zurückführbar,
in die sich Poschardt durch die Konstruktion der Differenz zwischen seinem Diskurs und
dessen weltlichem Gegenstand versetzt hat. "Wir müssen uns nicht einbilden, daß uns
die Welt ein lesbares Gesicht zuwendet, welches wir nur zu entziffern haben. Die Welt ist
kein Komplize unserer Erkenntnis. Es gibt keine prädiskursive Vorsehung, welche uns die
Welt geneigt macht. Man muß den Diskurs als eine Gewalt begreifen, die wir den Dingen
antun; jedenfalls als eine Praxis, die wir ihnen aufzwingen." (ANM: Michel Foucault,
Die Ordnung des Diskurses, S. 34f)
Die zweite gezogene Konsequenz besteht aus einem ganzen Bündel von Bestimmungen und
bezieht sich demgegenüber eher auf Bedingungen der Verfasstheit seines
Schreibens/Sprechens. Er versucht, der DJ Culture einige spezifische künstlerische
Techniken des Umgangs mit ihren konkreten Materialien Schallplatten und Samples
abzuringen, um in einem zweiten Schritt hieraus gewisse Ableitungen für seinen Umgang als
Schreiber mit den Materialien Text und Sprache zu entwickeln. Die hierbei vollzogene
Bewegung des Denkens kann als einfache Analogisierung beschrieben werden. "Der DJ
gebiert Lieder aus der Einsamkeit, der Schreiber Texte, der Denker Gedanken und Theorien.
... Dieses Buch über DJ's wird versuchen, deren euphorische Produktionsweise voller Liebe
und Begeisterung auch in die eigenen Arbeit am Text zu retten." (ANM: Ulf Poschardt,
DJ Culture, S. 32)
Aus der grundlegenden DJ-Technik, dem Mischen verschiedener Platten, entwickelt sich der
Auftrag, mit dem Text gleichermaßen zu verfahren. "Von Adorno bis Tate kommen alle
zu Wort und werden miteinander verkoppelt und vernetzt, zerstückelt und gemischt bis zur
Unkenntlichkeit, aus der dann eine neue Kenntlichkeit entwächst." (ANM: Ulf
Poschardt, S. 33) Einziges Kriterium, an dem sich dieses Mischen orientieren soll: die
gemischten Stimmen "müssen sich also befruchten, wenn sie einander etwas sagen und
nicht für sich bleiben sollen". (ANM: Ulf Poschardt, DJ Culture, S. 33)
Die DJ-Technik des Remixens, also das Neubearbeiten bereits bestehender Musikstücke, will
Poschardt auf wissenschaftliche Texte anwenden, denn "auch Karl Marx oder Walter
Benjamin lassen sich gut remixen. Denn ein Remix kann nicht nur die Anpassung an einen
neuen Kontext gewährleisten, sondern auch die Aktualisierung eines alten (brillanten)
Gedankens ermöglichen." (ANM: Ulf Poschardt, DJ Culture, S. 33)
Schließlich bleibt als dritte analogisierte Technik die Sampling-Methode. Die Handhabe
von Zitaten und Gedanken in einem wissenschaftlichen Text kann hiermit ohne weiteres
verglichen beziehungsweise sogar selbst als Sampling-Technik bestimmt werden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß Poschardt seinen wissenschaftlichen Diskurs und
dessen Gegenstand DJ-Culture als grundverschiedene Dinge situiert. Er konstatiert eine
tiefe Differenz zwischen den beiden. Seine Konsequenzen hieraus bestehen in der Ableitung
eines für seinen wissenschaftlichen Diskurs bestimmten Umgangs mit dem Material, der
mittels einiger analogisierender Operationen aus Techniken und Praxen der DJ-Culture
gewonnen wird.